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Der Burgwein

Unterhalb eines verwüsteten, verfallenen Raubschlosses an der böhmischen Grenze lag ein Wirtshaus. Darin spielten einst in später Nacht vier Männer Karten, ein Jäger, ein Schulmeister, ein Schreiber und ein junger, reicher Glasherr, und sie tranken dabei das derbe Bier, den trüben Wein und den wacholdernen Schnaps, bis der Wirt ihnen sagte, nun sei nicht das winzigste Tröpflein mehr im Haus, nicht einmal ein Gläslein Traufbier, und er könne ihnen nichts einschenken.

Als die vier aber immer wieder beteuerten, es durste sie grimmig, da erzählte er, droben im Keller der Burg, dessen Tor unter moosigen Steinen verrollt liege, befände sich noch ein verwunschenes Eichenfass, das fasse sieben Eimer in sich und sei innen so dick von Weinstein verkrustet, dass man kaum mehr einen Hahn hineinschlagen könne. Andere wieder, die es noch besser wüssten, behaupteten, die Dauben und die Reifen des Fasses seien schon längst verfault und abgefallen, aber der starke Wein habe aus sich selber eine Haut ausgeschieden und rings um sich abgesetzt, dass er jetzt darin wie in einem schlotternden Gefäß stehe.

Nun bestürmten die Gäste in scherzhaftem Übermut den Wirt, er möge sich stracks mit einer Kanne zur Burg aufmachen und den sagenhaften Wein holen, der droben in seine eigene Haut gehüllt schon jahrhundertelang der glücklichen Trinker harre. Der Wirt jedoch verwahrte sich gegen dieses Ansinnen; er fürchtete, er könne unterwegs vom Teufel, angefochten werden, die Nacht stünde ja gerade auf ihrer schauerlichen Höhe, oder ein schneeweißer Geist könne ihn anschnauben und ihm das Haar greisgrau machen. Er wusste noch allerlei ähnliche Ausflüchte und schlug schließlich mit der Faust auf den Tisch zum Zeichen, dass die Gäste sich trollen sollten. Aber diese wichen nicht, justament wollten sie von dem uralten Wein genießen, und sie schwuren, die Schenke hier fortan zu meiden und ihr gutes Geld zu einem andern Wirt zu tragen, der höflicher und willfähriger wäre.

Als ihm solches angedroht wurde, weckte er die junge Magd, die beim Ofen am Spinnrad, den Faden in der Hand, eingeschlummert war, und fuhr sie an: »Giselinde, du bist ein Pfingstsonntagskind. Geh gleich ins alte Schloss und bring uns den Wein!«

Die Magd, halb noch im Schlaf, tat ihre schönen, müden Augen auf, nickte gehorsam und ging zur Tür hinaus in die Vollmondnacht.

Nun wurden die Gäste inne, dass sie Unbilliges und Törichtes verlangt hatten, und sie liefen aus dem Haus, sahen die Zündwürmlein durch das Dunkel fliegen und riefen dem Mädchen nach, es sei ja alles nur Spaß gewesen, sie möge umkehren und sich nicht in die Gefahren der Nacht begeben; an das verwunschene Fass glaube ja doch kein vernünftiger Christenmensch. Aber Giselinde war schon in dem Wald verschwunden, der die einsiedlerische Burg umfinsterte, und sie schien die Rufe der Männer nimmer zu vernehmen.

Da kehrten diese wieder in die Stube zurück. Und der Jäger brummte: »Jetzt, wo die Ohreule droben auf der Mauer tanzt und der Luchs kreischt, gehört keine Jungfer in den Wald.« Der junge Glasherr aber zankte den Wirt aus: »Was hast du sie in die Sage hineingeschickt? Ist dein Herz knöchern?« Und er gab ihm eine Ohrfeige: »Da nimm! Schelle ist Trumpf.«

Sie mischten nun wieder die Karten. Der Schreiber legte sanft den Schellensiebener hin und lispelte: »Schelle, wie klingelst du so zart!« – »Klee, wie grünst du so frisch!« sagte der Schulmeister und gab den Laubober aus. Der Glasherr schlug den Herzkönig auf den Tisch: »Herz, wie brennst du so rot!« – »Eichbaum, wer hat dich gepflanzt?« lachte der Jäger und trumpfte das Eichelas darein. Und der Wirt schmeichelte: »Gott mag dem Gewinner helfen! Wer verspielt, hat sowieso kein Glück.«

Es mochte ungefähr eine Stunde verstrichen sein, da knarrte die Tür, und Giselinde kam herein, und es war zugleich, als flöge kühler Nebel durch die Stube. Sie hielt eine graue, verstaubte, absonderlich geformte Flasche. An ihrem gelben Haar haftete eine Spinnwebe. Und ihre Augen waren offen und schienen dennoch zu schlafen.

Die Männer glotzten sie wie einen bösen Nachtschreck an; vor Staunen sanken ihnen die Trümpfe aus den Fingern und verschlug es ihnen die Rede. Nur der Jäger murrte in den miesigen Bart, das habe der Donner gesehen.

Sie öffnete die graue Flasche und nahm aus dem Spind ein vergoldetes Glas, darauf mit hellen Buchstaben zu lesen stand: »Das Hertz in mir – teil ich mit dir.« Behutsamlich neigte sie die Flasche über das vornehme Glas. Der Wein schoss schwarzrot und klar darein, und von ihm wehte ein fremder, starker Wohlgeruch aus, als sei er aus den Trauben Gutedel und Schönadel gepresst worden; nur duftete er noch viel würziger. Und Giselinde bot ihn den Männern dar.

Aber diese scheuten davor zurück. Sie hielten alles für ein ungewisses Gaukelwunder und bangten, wenn sie die Lippen dem Glase näherten, schlüge ihnen daraus eine Flamme entgegen. Vielleicht war der Trank gar kein Wein, sondern verhextes Menschenblut. Der Schreiber hob den Tintenfinger und warnte.

»Woher hast du die Flasche?« fragte der Wirt.

Die Magd aber lächelte und schwieg.

Als sie nun das volle Glas den zögernden Männern entgegenhielt, schämte sich der Glasherr seiner Verzagtheit, und er griff als einziger danach und trank in vollem Zuge daraus.

Dann atmete er tief. »So Wunderbares hab ich mein Lebtag nicht geschmeckt!« sagte er. Und er bat Giselinde, sie möge ihm Bescheid tun.

Sie willfahrte ihm und sagte: »Dass Gott dir alles Glück gebe und auch mir!« Sie trank ihm gar züchtig mit kleinen Schlücklein zu.

Und er trank nochmals und setzte die Lippen genau an die Stelle des Ranftes, die sie trinkend berührt hatte, und als er das Glas geleert hatte, erkannte er plötzlich, wie ungewöhnlich schön Giselinde war, unschuldig und schlicht wie eine heitere Wiesenblume.

Jetzt merkten auch die andern, dass der Wein kein zauberhaftes Gift sei; sie machten lange Hälse wie die Reiher und begehrten ungestüm ihr Teil.

Allein im selben Augenblick spürte der Hahn in der Steige den nahen Morgen; er reckte sich und schrie. Die Magd erschrak vor dem gellen Schrei und ließ die Flasche fallen, und diese zerbarst auf der eichenen Diele, und der uralte Wein vergoss sich und versickerte.

»Kotz plirum! Kotz Welt hinein!« fluchte der Wirt. »Was treibst du da, du dumme Dingin?!«

Sie fuhr sich wie ein erwachendes Kind durch ihr gelbes, gerolltes Haar, tat die Augen weit auf und begriff nicht, was für eine Bewandtnis es mit der fremdgeformten, zerschellten Flasche und dem verrinnenden dunkelroten Wein zu ihren Füßen habe. Und als man sie fragte, wer ihr den Wein gegeben habe, ein vermoderter Raufritter oder eine geisternde Edelfrau, oder ob eine weiße Hand ihr aus dem Fels heraus den Schlüssel zum Keller gereicht habe, oder ob sie sich durch den Berg hindurch zu dem Weingelass gegraben habe, da wusste sie nicht das mindeste davon und meinte nur, die Gäste trieben mit ihr solchen Alfanz, weil sie so verschlafen sei.

Der junge Glasherr aber nahm sie bei der Hand, schaute sie liebreich an und sagte: »Giselinde, du bringst mir Glück!«

Und er ging alsbald zum Herzenbäcker und kaufte dort für sie den süßesten Lebkuchen; er schrieb ihr einen gereimten Brief, er ließ ihr vom Edelschmied ein glitzerndes Ringlein schmieden, und schließlich kniete er mit ihr auf dem Trauungsschemel.

Und das bereute er nie. Er lebte mit ihr ein seliges Leben und begegnete ihr immer mit heimlicher Ehrfurcht; denn er wusste, dass sie einmal mit den Unirdischen war verbunden gewesen.


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