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Hans Donnerschlag

Im schwäbischen Land wohnte einst ein reicher siebenrossiger Bauer, der hatte einen stolzen Stall und weitläufige Scheuern und Almen und Äcker in Hülle und Fülle. Aber was half ihm das? In seinem Gehöft ging ein Schrätel um, ein unruhiges, rühriges Männlein, das führte den schrecklichen Namen Hans Donnerschlag und trieb tausenderlei Alfanz, neckte Vieh und Leute mit seinem boshaften Wesen und schadete dem ganzen Gehöft, weil das Gesinde wegen des ewigen Schabernacks sich nicht hielt, immer schon nach wenigen Wochen auf und davon ging und den Hof arg in Verruf brachte.

Hans Donnerschlag war gewiss schon ein paar Jahrhunderte alt oder noch älter, seit Menschengedenken wusste man ihn in dem Haus. Dabei sah er noch leidlich jung aus. Mit seinen blühenden Backen, seiner winzigen Schnuppernase, den stechenden roten Äuglein, dem breiten Maul und dem langen, feuerroten Kinnbart war er überall und nirgends. Er trug sich nach altmodischer Weise, und auf dem struppigen Kopf saß ihm ein dreieckiges aufgekremptes Hütlein.

Er pflog einen wunderseltsamen Brauch: in der rauen Zeit, wenn der Schnee Dach und Feld und Wald deckte, schlief er ein halbes Jahr lang, er kauerte im Dämmer des Heubodens, in seinen Bart gewickelt, und schnarchte. Er erwachte niemals, nur in den Nächten, da sich der Mond erneute, drehte er sich einmal um und murmelte im Traum. Keiner störte seinen Winterschlaf, vielmehr war alles froh, dass eine Zeitlang im Haus eine fromme Ruhe war. Dieser sonderbaren Gewohnheit verdankte das Schrätel wohl, dass es so alt wurde und so behänd blieb. Wenn aber die Kälte brach und das Frühjahr wiederum über Land ging, war Hans Donnerschlag auf einmal wieder in der Stube, und die Bäuerin musste ihm den Tisch mit einem sauberen Tuch decken und einen Topf Gänseschmalz und eine kälberne Sulz und Brot vorsetzen, und das musste aus dem feinsten Semmelmehl gebacken sein, denn der winzige Mann war sehr heikel und nicht leicht zufriedenzustellen. »Staubiges Heu fress ich nicht«, sagte er. Und kostete er aus dem Krug, so meinte er unwillig: »Das Bier ist mir zu feucht; ich mag es nicht!« Und da musste ihm die Bäuerin noch ein Ei darein schlagen. Wenn sie hernach klagte: »Du hast sieben Magen und kein Herz!« da kicherte er: »Und siebenerlei Läuse hab ich auch!« und strich sich den ellenlangen Bart.

Und nun tat der Schrat das ganze Sommerjahr die Augen nicht zu und polterte, wenn der Mond mit seinen Sternlen über den Himmel lief und der Schlaf um das Haus schlich, auf dem Boden und in den Kammern herum. Der Bauer konnte nicht schlafen und sagte zornig: »Ich wollt', es nähme ein Ende!«

Zur Sonnwend, wenn der Tag am längsten war, da hatte Hans Donnerschlag seinen Feiertag. Er war hoffärtig angezogen und hatte zwei köstliche Perlenstiefel an und tanzte wie besessen hui herum und hui hinum durch das Haus. Immer wieder forschten die Buben des Bauern und die Knechte in all den finsteren Winkeln und Böden des Gehöftes nach dem glitzernden Schuhwerk, aber sie konnten es nicht finden.

Manchmal sah man den Schrat, wie er sich in einer Spiegelscherbe wohlgefällig betrachtete. Er war gar eitel, und besonders freute es ihn, wenn er in der Abendsonne einen überlangen Schatten auf die Wiesen warf, und da soll er einmal verlangt haben, der Markscheider möge kommen und seinen Schatten messen. Noch stolzer war er auf den Bart, der ihm bis zu den Knien herunter wehte: er strählte ihn oft mit einem feinen, türkischen Kamm aus Schildkrötenbein, und einmal, als die Altmagd Butter aüsrühren wollte, ertappte sie ihn, wie er den Bart in den Milchkübel hineinhängen ließ, ihn darin zu waschen. »Pfui Deutz!« schrie die Magd und griff nach einem Besen. Aber der Schrat war schon davon geschnurrt.

Immer wieder ging er. darauf aus, die Leute zu schrecken und zu necken. Tat die Bäuerin eine Truhe auf, so hockte gewiss er darin und hüpfte heraus wie der Teufel aus der Schachtel. Öffnete frühmorgens die Küchendirn das Ofentürlein, so steckte Hans Donnerschlag den Kopf heraus und krähte: »Kikerliki!« Dabei war er überaus neugierig; er guckte gleichzeitig in neun Töpfe und noch dazu die Kellerstiege hinunter; er wollte jedes Mal wissen, was gekocht werde, und wenn ihn die Köchin mit den schnippischen Worten, sie koche Schnepfendreck und Petersil, abspeiste, rächte er sich, indem er ihr das Zuckerbüchslein heimlich mit Salz füllte. Und er reizte die Katze hinterm Ofen, bis sie spuckte, und den Rössern im Stall verfilzte er Mähne und Schweif in rätselhaften Knoten, die kaum zu lösen waren. Zuweilen konnte der Rauch nicht zum Schornstein hinaus und schlug zurück und qualmte durch die Stuben: da saß ganz gewiss Hans Donnerschlag droben am Rauchfang und verstopfte ihn mit seinem Leib, und der Bauer drunten schelmte und schmähte ihn: »Kreuzsternmordo!« und musste mit einer langen Stange in die Esse hinaufstecken, den Boshaften droben zu vertreiben.

Die Leute im Hof boten Hans Donnerschlag ein blankes Mariengröschlein und versprachen, ihm zwei lange Stelzen zu schnitzen, wenn er die Gegend verlasse. Sie besprengten ihn mit Weihwasser und kreideten über die Türen die Wörter »Enoch + Elias«, den Schrat zu verschrecken. Sie ließen von fernher einen bewährten Zauberer kommen, der alle Unken aus den Teichen um Ulm und um Ulm herum verbannt hatte, und der Zauberer holte mit seinen mächtigen Sprüchen aus. Aber der Schrat saß vergnüglich auf der Dachrinne, ließ die Beine baumeln und pfiff lustig vor sich hin, wie denn Zorn ohne Macht immer nur ausgelacht wird. Kurzum, kein Mittel vermochte Hans Donnerschlag zu verscheuchen; ihm gefiel es auf dem Hof, und er blieb. Das einzige, was ihn verdross, war, dass ihm die Buben manchmal Kletten in den Bart warfen. Da war er beleidigt, strabelte mit Händen und Füßen und ließ sich dann stundenlang nicht sehen.

Einmal dingte der Bauer einen neuen Knecht, der hieß Stoffel und war ein langer Kerl, länger als sein Namensheiliger Stoffel auf dem Marktplatz zu Tölz; er hatte sicherlich ein paar Rippen mehr als die andern Leute. Dabei konnte er schwätzen wie ein Hochzeitslader und war ein spitzfindiger Kopf.

Schon am ersten Tag seines Einstandes sagte er zu dem Bauern: »Höret! Auf Euerm Hof geht es schwedisch zu. Wetten wir, dass ich das Schrätel verscheuche?« – »Gut«, sagte der Bauer, »um was wetten wir?« – »Um den Regenbogen!« schlug der Knecht vor. Denn es ründete sich eben der glänzende Gottesreifen über das schwäbische Land. Des war der Bauer zufrieden, und er lachte: »Gut, Stoffel! Gewinnst du, so gehört der Regenbogen dir ganz allein, niemand soll dir ihn nehmen. Und jetzt schaff deine Sache gut!«

Als der Stoffel in den Stall ging, den Rössern zu streuen, ritt das Schrätel gerade auf dem lehmgelben Gaul und blinzelte in sein Spieglein und ließ dabei den Bart sorgfältig durch den schildkrotenen Kamm rinnen. »Ei, guten Abend, Herr Donnerstag!« grüßte der Stoffel. »Und was für eine zote Staude wächst dir aus dem Gesicht?« Das Schrätel erwiderte ärgerlich: »Ich heiße Hans Donnerschlag und nicht anders. Und das an meinem Kinn ist keine Staude, es ist mein wunderschöner Bart. Aber woher bist denn du, weil du gar so dumm bist?« – »Ich bin aus der Pelzmühle zu Poppelfingen her«, sagte der Knecht. Darauf murrte der Kleine: »Willst du mich narren, so schlag ich dich zehn Meilen tief in den Grund, dass sie dich am Jüngsten Tag mit dem Fernrohr suchen müssen!«- »Ei, da bist du wohl zu fürchten!« sagte der Stoffel. »Das kommt, weil du gar so alt bist. Sag, bist du nicht älter als eine wilde Gans? Wie alt bist du?« Der Schrat erwiderte misstrauisch: »Willst du mich ausforschen und ausstigelfitzen? Ich bin so alt wie mein Hinterteil, und das hat keine Jahreszahl.«

Solche und ähnliche Worte tauschten sie nun Tag für Tag, bis es zu frieren und zu schneien anfing, und alsbald schlof' Hans Donnerschlag ins Heu, und der Knecht hörte ihn den ganzen Winter schnarchen wie ein Nest voller Igel.

Und als das Frühjahr wieder vor der Tür stand, wühlte der Stoffel den Schrat aus, schnitt dem Schläfer mit einer rostigen Sichel den Bart ab, seifte ihm das Gesicht ein und schabte ihm mit einer Dachschindel die Stoppeln weg.

Anderntags huben die Lerchen und die Stare fröhlich zu singen an, die Veilchen schossen übermütig aus dem Erdgrund, und der Wind flog warm über die hohen Gebirge herüber. Da fuhr das Schrätel aus dem Schlaf, wischte sich die Halme aus der Stirn, holte als erstes sein Spiegelein herfür und lugte hinein. Sogleich aber begann es laut zu jammern: »O weh, ein fremdes Büblein hat sich in meinen Spiegel geschlichen! Das ist nicht Hans Donnerschlag!« Da kam der Stoffel gerannt und fragte: »Was heulst du denn? Was lässt du das Maul hängen wie der Gaul vor der Schmiede?« Doch das Schrätel klagte: »Wohin ist Hans Donnerschlag mit dem schönen Bart? Er ist nimmer da. Wohin ist Hans Donnerschlag?« Und weinend lief er durch das Gehöft und fragte die Rösser im Stall und das Feuer im Herd, wohin Hans Donnerschlag geraten sei. Und als ihm keines Antwort gab, da verschwand er und kam nimmer zurück.

Da sagte der Bauer: »Stoffel, du hast die Wette gewonnen, und der Regenbogen gehört jetzt dir, und niemand darf dir ihn nehmen.«

Als hernach der Stoffel in die Rüstkammer trat, wo die alten Rossdecken und die Sättel hingen, fand er dort in einem Stiefelknecht einen der köstlichen Perlenschuhe des Schrätels stecken.


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