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Der Spottvogel

Jeder Narr reitet sein eigenes Rösslein. Das mag ihm erlaubt sein. Nur soll er darauf nicht gar zu übermütig über Stock und Stumpf sprengen und soll den anderen Leuten ihren Hag schonen!

Da war einmal ein Schneider, eine leichte Seele, ein Schnurrant, und der ließ niemand ungeneckt, stichelte mit der spitzigen Nadel seines Spottes überall hinein und hängte jedem, dem er auf Steg und Steig begegnete, ein Klämpflein an.

Den Leuten von Hinterigelsried, die an einem kalten Bache hausten, brachte er den Spitznamen »Lachsenstecher« auf und behauptete, der Bürgermeister alldort habe drei Jahre lang mit der Mistgabel auf einen Lachs gewartet, ihn aus dem Wasser zu stechen. Denen zu Mitteligelsried wiederum sagte er nach, sie seien zur Kirchweih mit der Scheibtruhe um die Buttermilch gefahren. Und über Vorderigelsried spottete er, dort seien sogar die Kühe mit Kröpfen behaftet, und als er einmal den Vorderigelsrieder Boten unterwegs traf und eben aus den Wäldern ein Schuss erscholl, zwinzelte er dem Boten mit den Augen zu und sagte: »Geh schleunig heim! Euerm Nachtwächter ist jetzt der Kropf aufgesprungen!«

Begegnete er einem Rosshändler, und mochte dessen Schimmel noch so feist und strahlend einhertraben, so deutete er auf den Gaul und fragte: »Was kostet das Geripp?« Und begegnete er einem Bäuerlein, das einen Ochsen zu Markte trieb, so fiel er in die Knie, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schluchzte: »Was, das soll ein Ochs sein?« Er rief den Müllern und den Webern allerlei ärgerliche Dinge nach, er wusste von jedem Kirchheiligen ein witziges Märlein zu erzählen und hätte selbst den leidigen Teufel selbst an dem Bockschwänzel gezupft, wenn er ihm in die Quere gekommen wäre.

Waren keine Menschen vorhanden, die er mit seinen stacheligen Reden hätte ärgern können, so rieb er sich an den unvernünftigen Wesen und kitzelte sie mit seinem Spott. So sagte er zur Haselstaude, die doch ansonst von jedermann geehrt wird: »Frau Hasel, du bist wohl grün und übergrün. Ja, ja, wenn Gott will, grünt auch ein Besenstiel. Dem Mond, der in gelindem Feuer über dem Wald erbrannte, schrie er zu: »Warum so funkelnagelneu, Herr Feierabend? Was brennst du so hitzig? Du wirst doch keinen Schaden stiften und die alte Strohscheune anzünden? Warte nur, übermorgen bist du wieder altbacken und dürr und bucklig und pfeifst wie ein hungriges Mäuslein.« Als der Mond in seiner vollen Würde nichts erwiderte, schalt der Schneider: »Du Trallpatsch! Kehr dich um und zeig mir deine hintere Scheibe! Ich will desgleichen tun.« Das grämte den Mond gar arg; er ging beleidigt heim und ließ sich einige Tage nicht blicken.

Einmal ging der Schneider nachts von der Stör nach Hause, da hoppelte ein wildes Ferkel an ihm vorüber. Hurtig zückte er seine Schere und schnitt seine Schadenlust zu stillen, dem Tier das Schwänzlein weg und steckte es sich unter das Hutband. Das Ferkel schämte sich sehr, dass es seine schönste Zier verloren hatte; es lief in den Wald und klagte, was der Bösewicht ihm angetan. Darüber entrüstete sich alles, was in der Wildnis lebte; die Bäume greinten, der Uhu richtete die Ohrbüschel streng auf, der Igel schüttelte missbilligend den Kopf; der Bär weinte, der Wolf seufzte, und die alte Saumutter versammelte ihre Brut um sich, und sie schwuren, es dem boshaften Schneider zu vergelten. Der Schneider aber lachte sich ins Fäustlein und kicherte: »Jawohl, so geht es! Und wenn es einem so bestimmt ist, bricht er sich den Daumen in der Nase ab.«

Bald hernach musste der Schneider wieder durch jenen Wald, und wie er sich also durch die enge Wildnis hindurchfädelte, sah er ein Rudel wilder Sauen, die brachen mit den Rüsseln den Rasen um und wühlten im Sumpf und schmatzten und pfnausten und pluntschten in der Pfütze herum. Da schlug sein Übermut aus und grünte, und er äffte die Tiere nach und spöttelte: »Nöff, nöff, nöff! Schmeckt es? Ihr speist gar zierlich! Zum Schnäpperment, welch ein säuisches Leben führt ihr!«

Das borstige Volk ergrimmte, weil er sich erkeckt hatte, ihre ehrwürdige und uralte Art zu verspotten. Und der Eber wetzte sein weißbeinernes Gewaffen an einer Eiche, dass der Schaum davon flockte, und dann schnob er mit den Säuen hinter dem Schneider her, und der Schneider, die Angst im Eingeweide, schrie Mordjo und rannte durch den Eichelwald, wie er Lebtags nie gelaufen war.

Pratsch! fiel er in einen Sumpf.

Die Sauen umzingelten ihn und zwangen ihn, dass er wie Ihresgleichen fresse. Und es half ihm nichts, er musste die Schnauze spitzen und in die Pfütze tauchen, und er brauste mit den Lippen und schnalzte und schmatzte und schlürfte die faulenden Holzäpfel aus dem Schlamm und schluckte sie und grunzte dabei, als schmecke es ihm überaus wohl, und sänftigte damit die Wut der Wildschweine, so gut er es vermochte. Und nachdem diese ihn also gelehrt hatten, wie man fresse, gaben sie ihn wieder frei, und er war heilfroh, dass es ihm nicht schlimmer ergangen war. Aber er hütete seine arge Zunge noch immer nicht.

Im Türschenwald drin, wo er am dicksten war, war eine Brücke, und diese wurde von einem steinalten Riesen bewacht. Der Riese trug einen steinernen Hut und eine steinerne Keule und einen felsenen Schild. Im linken Ohr aber glänzte ihm ein großer Goldring. Er hatte einen gefährlichen Sinn: einmal hatte er eine ganze Bauernhochzeit geraubt und auf seinen Tisch gestellt und tanzen lassen. Und der Riese lümmelte an der Brücke und lallte seinen Reim:

»Ich bin der Riese Rumpelstiel;
ich saufe gern, ich fresse viel!«

Dabei kratzte er sich den Schopf und das scharrte hart und scholl weithin durch Tal und Schluchten.

Just ging der Schneider vorüber, und ihn stach der Kitzel, und er rief: »Heda du moosiger Troll! Scharrst du den Backtrog aus?« Der Riese aber verstand keinen Spaß; er packte den Spötter beim Genick, setzte ihn in den Wipfel der höchsten Tanne, riss sich ein Haar aus dem Bart und band damit den Schneider fest. Hernach trampelte er davon.

So hing nun das spöttische Männlein mutterseelenallein meilentief im Türschenwald drin und droben auf der unzugänglichsten Tannenspitze und schrie und winselte. Aber da war niemand, der ihn losgebunden und heruntergeholt hätte. Und es fing still zu schneien an. Es war schon spät im Herbst.

Ein paar Holzhacker, die ganz hinten am Geierruck einen vom Wind gebrochenen Wald aufgearbeitet hatten und eben heimstapften, hörten es hoch in den Wipfeln seufzen: »Da wird wohl die Windmutter wimmern«, meinten sie und gingen vorüber.

Und der Schnee fällt noch immer, und der Wald ist schon ganz weiß davon und tief verschüttet. Das Schneiderlein aber winselt noch immer droben im Baum.


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