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Das Fichtelglas

Ein junger Goldschmied saß in der Schenkstube des Flederwischhäusels zu Eger. Die Wirtsleute waren eben vor das Tor gelaufen, einen pfälzischen Fuhrmann willkommen zu heißen, und so war der Geselle allein in dem niederen, von verräuchertem Gebälk überbrückten Gelass, und er starrte träumerisch das Glas an, das er eben leer getrunken hatte und nun in der Hand drehte, um es von allen Seiten betrachten zu können.

Es war ein Fichtelberger Glas, etwas blasig und rau gegossen, doch ganz seltsam mit dem ringsum laufenden Bilde einer waldigen Bergkuppe geschmückt, aus deren grünem Dickicht Hirsch und Hase lugten und überdies vier Wasser in weißen Abstürzen schossen; auch war um den Krug herum eine mit einem festen Hängeschloss gesperrte Kette gemalt.

Der Geselle legte sich das rätselhafte Glasgemälde ganz richtig aus: die waldbedeckte Kuppe bedeutete nichts anderes als das Fichtelgebirge, Deutschlands grüne Brunnenkammer und strömendes Quellenherz, davon nach allen vier Weltrichtungen die stolzen Flüsse ausgehen: die Eger mit Diamanten im Sand, der Main mit Perlen, die Nab mit silberflammigen Steinlein und die Saale mit Gold. Und die verschlossene Kette rings mochte auf die Schätze hinweisen, die noch geheim und gebunden im Schoß dieses Gebirges ruhten.

Wohl redete man in den Fiehtelbergen, der Goldsegen sei dort schon vorüber und das teure Erz längst gehoben und verschmiedet, doch daneben war auch die Sage laut, die Venezianer hätten es aus Neid verwunschen, dass es niemand mehr finde, und wahrscheinlich stecke des Goldes noch übergenug in der Tiefe, nur wisse es keiner aufzuspüren. Hätte man nur den durchdringenden und stechenden Blick der welschen Erzsucher. Diese Männer hatten die goldenen und silbernen Gänge durch Gras und Erdreich und Gestein hindurch zu erspähen vermocht, und ein alter Spruch rühmte ihnen heute noch nach: »Deutschland ist blind, aber Venedig sieht mit beiden Augen.«

Der Goldschmied erinnerte sich, dass er einst, da er die Fichtelberge durchwandert hatte, einen alten Menschen hatte kennengelernt, dessen Beruf es gewesen, die Bäume zu schlitzen, um davon das Pech zu gewinnen. Und dieser Harzer hatte ihm berichtet, er wisse eine Stelle im Gebirge, die auf goldener Säule stehe, und dort springe gediegenes Gold wie flüssiges Brunnenwasser aus dem Felsen. Als ihn der Geselle aber dann gefragt hatte, wo dieser Ort sei, da hatte der Alte ihn argwöhnisch angeschaut, und die Sage war ihm im Mund abgerissen, und der Bursch hatte sie nie zu Ende erzählen hören, zumal der Harzer bald darauf gestorben war und sein Wissen mit sich in die Grube genommen hatte.

Und wie nun der Goldschmied dieser halbvergessenen Dinge gedachte und, von dunkeln Wünschen bewegt, den gemalten Krug forschend betrachtete, als wolle er die Kette darum brechen und das Geheimnis des Gebirges aufzwingen, sah er sich plötzlich zu seiner maßlosen Bestürzung in einen hohen, von jähen Bächen durchsprungenen Wald entrückt, und über ihm sausten und brausten die Wipfel, und rings waren raue Steintrümmer hingestreut, und geborstenes windfälliges Holz hemmte seinen Schritt. Und wie jetzt Laub und Geäst droben wieder stille wurden, hörte er den gelüstigen Kuckuck locken, die Tannenkrähen schnarren und den wilden Tauber geheimnisvoll gurren, und sah er, wie ein greiser Hirsch im Eschenlaub naschte und ein Hase aus dem jagenden Wasser soff.

Und wie er nun immer weiter bergan in die Wildnis ging, da schien ihm alles so fremd und unwirklich, als ginge er durch einen fahlen Traum, und der Himmel, der sich zuweilen zwischen dem Gewipfel zeigte, war sehr hoch und kühl, und ferne Höhen geisterten, von silbernem Duft umbrämt, und die Luft glich manchmal klarem, kaltem Glas. Auch begegnete ihm keine Sterbensseele. Nur einmal gewährte er zwischen den Stämmen ein Weib, ein Bündel Reisig auf dem Kopf; aber als er sie anrief, war sie wie im Blockwerk versunken, und nur die Widerhallfelsen antworteten.

Bald fand er sich auf einem moosigen Altweg, und dieser schlüpfte schmal zwischen zwei Felsen hindurch und leitete ihn bergwärts, und ihm stieß auf diesem Steig nichts Sonderliches zu, außer dass er an einem dürren Ast einen langen, wunderlich gebarteten Schlüssel hängen sah; der war aber nur mehr Rost, und der Geselle hütete sich wohl, ihn anzugreifen. Und als er einmal zu Boden blickte, gewahrte er in eine mächtige Wurzel eine zeigende Hand eingeschnitten.

Schon wurde es dunkler, und der Mond weilte krumm über einem mit Fichten beschopften Felsen. Und da endete der Pfad vor einem engen Spalt, der in den Stein führte.

Dieses Loch war nicht etwa durch einen ausbrechenden Bach gehöhlt worden; es war deutlich zu merken, dass es künstlich angelegt war. Es war ein geschürfter Stollen. Hier hatten wohl vordessen Menschen gebergwerkt und hatten schließlich den Gang verlassen, als sie den Segen darin für erschöpft hielten.

Von geheimer Gewalt bedrängt, näherte sich der Gesell der mit Gesträuch überwilderten Kluft und horchte hinein. Ihm war, als poche es gedämpft in der Tiefe. Da zögerte er, den Erzgang zu betreten. Aber er wurde noch beklommener, als er vor dem Stollen ein Paar graue Handschuhe und eine Pistole liegen sah. Doch fasste er sich rasch ein Herz, er nahm das Rohr und schoss damit in das Loch hinein.

Ein tolles Krachen erfüllte die Wälder. Und als sie sich wieder beruhigt hatten, da hatte auch das unterirdische Pochen aufgehört. Dafür aber, als wäre es durch den Schuss geweckt worden, erhob sich aus fernem Tal ein frommes, unaussprechlich mildes Geläute. Da wusste der Geselle auf einmal, das waren die Glocken von Bischofsgrün, wo er vor Jahren einmal eingekehrt war.

Und rasch, ehe die Glocken schwiegen, kroch er in den Stollen hinein. Feuchte Wände begegneten seinen tastenden Fingern, morsche Bretter brachen unter seinem Fuß, von der Decke hing die verfaulte Zimmerung nieder. Mürbes Gestein begann zu rieseln. Kühle Tropfen fielen ihm auf den Nacken. Manchmal flatterte es gespenstisch über ihn hinweg.

Das schwere Blut in ihm sträubte sich auf einmal gegen das Wagnis. Wenn ihm in dem vergessenen Erzgang da etwas widerführe? Wenn er ungesegnet hier umkäme? Wenn ihm ein geistischer Kapuzer begegnete? Eben hatte doch hier einer geklopft! Und jetzt wurde er sich zu seinem Schrecken inne, dass er nimmer wusste, von welchem Ort er heute ausgegangen und wie er in diesen Wald geraten war.

Aber dann erinnerte er sich wohl, wie arm er war und wie schön und hochmütig zu Eger die Meisterstochter war, und dass des Meisters Herz so hart war wie seine Taler, und die unvergnügte Seele des Burschen begehrte ungestüm nach Reichtum, und sie schrie in ihm auf, er möge den Augenblick nützen.

»Was steh ich so trübselig da, als hätt ich das Vaterunser verspielt?« schalt er sich. »Peter Rosenlacher heiß ich; aber ich verdien meinen hübschen Namen nicht.« Und er riss sich zusammen, und unverweilt drang er tiefer in den Berg ein. Und ihn irrte keine Gefahr: kein Bergmönch leuchtete ihn mit silbernem Grubenlicht an, kein Venezianer kauerte in der Kluft und raffte die goldenen Körner in den Spitzhut. Nur ein ganz zartes, himmlisches Summen lag in der Luft, die durch den Stollen hauchte. Läuteten über der Erde noch die Glocken von Bischofsgrün? Oder sangen die Metalle des Abgrundes so wunderbar?

In der Ferne des Ganges blinkte es wie weißer Irrglanz auf. Schneller strebte der Goldschmied vorwärts.

Auf einmal umfing den Staunenden ein hoher Kirchenraum, leuchtend in dem grellen Gold der Adern, die seine Wände durchzackten.

Die Geisterkirche hatte sich ihm geöffnet.

Er klemmte sich in eine der engen Betbänke und kniete dort blöde und erschrocken und nagte an seinem Hut.

Der Raum hier glich nicht den Gotteshäusern, die die Menschen in ihren Tälern errichtet hatten. Er war eine steile, drohende Grotte, darin das klamme Gold in faltigen Vorhängen niederwallte und in riesigen Zapfen wieTropfstein oder gewaschenes Eis herabzackte. Ein aderndurchsprengter, steinerner Stamm stützte säulenhaft die Wölbung. An dieser Säule klebte schweigend eine Orgel; ihre Zinkenbündel schimmerten bleich. Ganz droben in der Höhe glomm statt eines Kronleuchters eine ungeheure Druse mit klaren Kristallen.

Der Altar, flammte in Gold. Rot von Gold standen die schroffen Heiligen.

Der Goldschmied kniete in ungewisser Lust. Hier atmete kein. Mensch außer ihm.

Der graue Taufstein überwallte von lebendigem Wasser, und es fiel nieder und läutete im Fall wie eine heimliche Glocke. Das einzige Geräusch dieser Verwunschenheit! Und die Flut verrann in vier Armen in die zerschluchteten Winkel der Kirchenhöhle. Das also war der sagenhafte Brunnen, der reich und voll strömte, dass er vier Flüsse ausschicken konnte, das deutsche Land zu tränken!

Mit schwindelnder Stirn richtete sich der Geselle auf. Er streckte die offene Hand nach dem Golde aus. Lechzend riss er den Mund auf, als wolle er das Gold mit den Zähnen packen und in sich schlingen. Schon umkrampfte er einen Zapfen, der gleißend neben ihm von der Wölbung niederging.

Da fiel sein Blick auf ein Buch, das aufgeschlagen auf der Betbank lag. Es war ein geistliches Liederbuch, altertümlich und mit schwerfälligem, grobem Druck. Ohne es zu wollen, las er das Lied, das da bereit war zu Erbauung und Gesang. Seine trockenen Lippen bebten.

»Das Leben gleichet einem Traum.
Es gleichet hohlem Wasserschaum.
Es gleicht dem Gras, das heute steht
und schnell vergeht,
sobald der Wind darüber weht.«

Die Buchstaben des Leidgesanges verschwammen ihm vor dem Blick, und das Herz wurde ihm auf einmal so wehmutwild, als wäre die Welt schon an ihm vorüber.

Dann legte es sich wie Rauch um den flammenden Altar. Fern, unendlich fern sang der Brunnen, und jetzt verstummte er. Und alle Herrlichkeit war wie ein Nebelbild zerronnen.

Als der Geselle erwachte, fand er sich wiederum zu Eger in der balkenüberbrückten, niederen Schenke, vor sich das Fichtelglas, bemalt mit dem Berg und den vier Wasserfällen, mit Hirsch und Hase und versperrter Kette.

Er atmete bang. Was war mit ihm geschehen? Wo hatte er geweilt? Hatte er sich in das Glas hineingeträumt? War er heimgekehrt aus Gespensterland?

Was aber brannte so kühl in seiner Hand?

Er hielt einen Stein umklammert. Einen Zapfen gelbes Erz. Nein, Gold war es! Reines Gold!

Um Gottes willen, wie war er dazu gekommen?

Kann der Mensch ein Ding aus seinem Traum herausholen, dass es, zur Wirklichkeit geronnen, in seinen Griff sich schmiegt? Hat die Gier eines Herzens solch grauenvolle Kraft? Er fragte. Er erwartete keine Antwort. Und es schauderte ihm eisig über die Schultern.


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