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Simpulus

Es war einmal ein Bauer, der war so fürchterlich gescheit, dass er das Gras wachsen hörte und es seiner Kuh von hinten ansah, was die Butter in Amsterdam kostete. Und weil er gar so gescheit war, tat es ihm doppelt und dreifach leid, dass sein Sohn Simpulus ihm nicht nachgeriet, sondern im Dorf als der Einfältigste galt und mit dummen Antworten bezahlte, wenn die Leute ihn fragten, und wiederum Fragen stellte, die alle sieben Weisen nicht hätten beantworten können, und dazu noch allerlei unsinnige Streiche übte, die seinem Vater sehr zur Schande gereichten.

So fiel dem Bauer einmal ein Ochs in den tiefen Brunnen, und man warf ihm einen Strick hinab, ihn heraufzuziehen. Weil aber die Schlinge sich just um den Hals des guten Tieres verfangen hatte, lag es schließlich erwürgt heroben auf dem Rasen und reckte die Zunge heraus. »O weh, mein bestes Öchslein! O weh und o weh!« jammerte der Bauer. Darauf sah sich Simpulus aufmerksam das Gesicht des Ochsen an und meinte: »Lieber Vater! Er ist ja nicht hin, er lacht noch.« Aber der Vater sagte zornig: »Schweig still, du närrischer Narr! Die Dummen sind nicht ausgestorben, sonst wärst du nimmer da.«

Als Simpulus schließlich doch inne geworden, dass der Ochs hin war, schnitt er ihm heimlich den Schwanz ab und pflanzte diesen in den Acker, dass er darin Wurzeln fasse und gedeihe und wieder zu einem kräftigen Kalb heranwachse.

Solches wurde von den geschwätzigen Leuten seinem Vater hinterbracht, und der seufzte in seinem Ärger: »Bub, um dich geht die Dummheit neunmal herum!« Da tat Simpulus sein Fäustlein zusammen und rieb sich damit die Augen. »Jetzt flennst du gar noch!« rief der Bauer. »Mach lieber neue Dummheiten! Geh hin und hack den Gänsen das Wasser klein!«

Das ließ Simpulus sich nicht zweimal sagen: er holte flugs ein Beil, ging zum Bach und schlug den lieben langen Tag eifrig ins Wasser, dass es lustig aufspritzte. Und er freute sich, dass er nun etwas Nützliches beginnen konnte.

Abends aber kam der Vater mit dem Fischgarn daher; denn im Bach schwammen viele Fischlein mit ihren silbernen Flossen. Jetzt ertappte er seinen Buben, wie er das Wasser zersplittern wollte. »Dass dich die Welt strafe!« fluchte er. »Wenn du nur halb so dumm wärst, wär es schon übergenug.« »Ja, wer dumm ist, der ist es meistens im Kopf«, meinte darauf Simpulus bekümmert.

Als er nun seinem Vater zuschaute, wie er fischte, und wie hernach der Mond aufging und sich im Wasser spiegelte und sein Bild rund und glänzend im Netz hing, da schrie Simpulus voller Aufregung: »Vater, zieh schnell zu! Jetzt hast du ihn.« Darauf schluchzte der Bauer: »Oh, du Mondfänger du! Du bist ja so dumm, dass man mit dir donnern und einschlagen könnte!«'

Damit Simpulus trotz seiner Einfalt ein weltgerechter, verständiger Mann werde; schickte man ihn in die Schule.

Der Schulmeister setzte sogleich die Brille auf und nahm den Buben aufs Korn. »Rechne mir folgendes Beispiel aus!« befahl er ihm. »Ein Müller hatte eine Tochter, diese Tochter hatte einen Rock, dieser Rock hatte eine Tasche, die Tasche hatte einen Zipfel, und in dem Zipfel hatte sie einen Groschen. Wie viel Geld ist das?« Simpulus staunte über diese Frage, und insgeheim dachte er sich, der Schulmeister hat leicht gescheit sein. Wenn ich eine Brille hätte, hätte ich auch die Gescheitheit auf der Nase sitzen. Und er rechnete eine gute Weile, bis ihm schier schwindlig wurde, und dann sagte er: »Wie viel Geld das gibt? Das gibt einen ganzen Heuwagen voller Geld.« Der Schulmeister sah ihn schief an wie ein Gänser, der einen Apfel sucht; er räusperte sich und sagte grämlich: »Sehr übel! Sehr übel! Nur noch gerade kaum genügend! Simpule, dir fehlt es im Ellbogen!« Und er schickte ihn zum Pfarrer.

Der Pfarrer empfing ihn mit ernstem Gesicht. »Knäblein, ich habe vernommen, du seiest so dumm, dass man für dich beten müsse. Ich will zunächst prüfen, wie es mit deinem Glauben bestellt ist. Was glaubst du?« Simpulus dachte so heftig nach, dass ihm der Schädel an allen Ecken weh tat, und dann redete er: »Was ich glaube? Ich glaube, zwölf Pfund Rindfleisch geben eine starke Suppe.« Da entsetzte sich der Pfarrer über alle Maßen und schrie: »Der Himmel könnte einfallen über deine Dummheit!«- »Dann wären alle Spatzen gefangen«, sagte Simpulus schnell. »Geh hin, mein Sohn!« rief der Pfarrer. »Du hast eine Gnade bei Gott; du bist dumm und weißt es nicht.« – Das ist ein schöner Spruch, dachte Simpulus bei sich, aber ich versteh die eine Hälfte davon nicht, und die andere versteh ich auch nicht.

Und er ging heim und klagte seiner Mutter, alle Leute sagten, er sei dumm. »Ach was!« tröstete sie ihn. »Die Leute schwätzen viel, wenn der Tag lang ist, und wenn er kurz ist, nehmen sie noch die Nacht dazu.« Aber der Vater wetterte ihn an: »Du Gottesgarnichts! Wenn du nicht bald klüger wirst, wirst du einmal bös in die Welt tappen. Du bist im Leben und im Tod nicht zu gebrauchen. Ich wollte, du gingest nach Nürnberg in die Stadt und holtest dir dort den Trichter.« »Was soll mit dem Trichter geschehen?” fragte Simpulus. Der Vater schrie: »Damit will ich dir die Gescheitheit ins Hirn trichtern!«

Zu Bartholomäi, als die Nüsse braun wurden, klopfte Simpulus beim Kalendermacher an, er möge doch für den nächsten Tag ein trockenes und warmes Schönwetter bestellen, weil er, der Simpulus, nach Nürnberg müsse, den Trichter holen.

Und als anderntags die liebe Sonne aufging, zog Simpulus eilends seine hübschesten, hagebutzroten Strümpfe an und brockte sich einen Stecken aus der Weichselstaude. »Leb wohl, Frau Mutter! Ich muss nach Nürnberg, und wenn ich wiederkomme, wird mir die Gescheitheit aus den Ärmeln sprudeln.« – »Ach«, klagte die Mutter. »Bleib da! Ich hab dich so lieb wie meine eigene Seele, und für mich bist du gescheit genug.« Er tröstete sie: »Weine nur nicht, liebe Frau Mutter! Wenn die Dornschlehen blau werden, bin ich wieder da, und das ist nur ein winziges Bröslein Zeit.«

Und so trollte sich Simpulus hinten zum Garten hinaus, und als er dabei über einen Schermaushaufen stolperte, nickte er: »Ich merke es wohl, es hebt schon ein strenges Gebirge an.«

Ein hellblauer bayrischer Himmel hing über dem Land, die Drosseln spotteten, dass Berg und Tal davon erhallten, und kaum war Simpulus etliche Ulmer Ellen in Deutschland hineingegangen, so wurde ihm die Zunge zündeldürr vor lauter Durst. »Ja, ja«, murmelte er, »das Leben ist schwer, und der Mensch muss allweil etwas fürchten: im Sommer donnert es, und im Winter muss man in die Schule.« Zum Glück traf er ein klares Feldbrünnlein an, und er ließ sich zu ihm hin und trank und trank und hörte nicht auf. Da kam ein Mann des Weges, der schaute ihm zu und sagte endlich: »Wunder Element, hast du einen langen Durst!« – »Ich trinke nur gegen den Durst, den ich einmal kriege«, antwortete Simpulus. »Und bist du schon einmal in Nürnberg gewesen?« – »Nein«, sagte der Mann, »aber in Holland, und ich hab dort ewig und mein Lebtag Käs essen müssen. Geh ja nicht hin!« – »Ei, beileibe nicht! Doch sag mir, lieber Holländer, wo komm ich da nach Nürnberg? In der Fremde weiß man nicht, wo wist und wo hott ist. Ich muss in Nürnberg den Trichter holen.«

»Freund, da geh nur immer tapfer zwischen deinen zwei Ohren dahin, dann verfehlst, du den Weg nicht. Und frag nur nach dem Gugelhupfgäßlein. Dort im Rathaus in der alten Rüstkammer hängt der Trichter.« Also redete der Mann und lachte dabei so breit, dass man schier die Semmeln in seinem Magen sehen konnte, die er heute zum Frühstück gegessen hatte. Und er fragte noch: »Wie heißt du denn?« – »Ich? Simpulus bin ich getauft.« »Simpulus? Schade ums Taufwasser!« sagte der Fremde, und mit diesem Gruß verabschiedete er sich.

Simpulus nahm den Weg stracks wieder unter die Füße, und er gab sorgsam acht, dass er immer fein senkrecht zwischen seinen zwei Ohren dahin trabe und nicht aus dem Geleis gerate. Doch wurde er bald müde, und er breitete am Straßenrain sein Schneuztüchlein aus und setzte sich darauf, dass seine neue gelbe Hose nicht vom Gras grün werde, und wie er so vor sich hin dachte: Wer schläft, gibt kein Geld aus, nickte er sanft ein.

Nach einer Weile erwachte er wieder, da nebelte es um ihn und der Nebel war so dick, dass man den Glockenton darin hätte mit einer Stange suchen müssen, falls es etwa geläutet hätte. »Ach Gott«, sorgte sich Simpulus, »jetzt weiß ich nimmer, woher und wohin! Wenn ich nur nicht in den Winter hinein gerate; da ist es so kalt, dass die Sterne aus dem Himmel fallen!«

Und wie er so trübselig in den Dunst hinein wanderte, stieß er auf einen Wegzeiger, der reckte die hölzerne Hand aus, und darauf stand geschrieben: »Nach Nürnberg!« Droben auf dem Pfahl aber saß eine Elster, und sie kreischte böswillig auf Simpulus herunter. Da klatschte er in die Hände und verscheuchte den Vogel: »Gscha, gscha, Hatzel!« Und dann riss er den Wegzeiger aus der Erde, lud ihn auf die Achsel und trug ihn, mit sich fort. »So«, meinte er, »jetzt kann ich mich nimmer verirren.«

Nach einigen Schritten kam er in ein geringes Dörflein, und er glaubte, schon in Nürnberg zu sein, und er fragte gleich nach dem Rathaus, und das war ein schlechtes, hölzernes Haus, mit Lehm verklebt und so winzig, dass man schon hinten draußen war, ehe man noch vorne hineinging.

Im Rathaus trat er in die Küche, und da beugte sich eben eine alte Frau über den Herd und hantierte mit den Töpfen. Simpulus fragte sie: »Bin ich da zu Nürnberg in der Gugelhupfgasse? Und was Süßes kochst du da, Frau Bürgermeisterin?« – »Ich koche lauter kleinwinzige Fragen«, lachte die Frau, »und zum Nachtisch ein Leisteistlein und ein pfigerzendes Ding.« Da hielt er ihr den Wegzeiger hin: »Siede mir den dazu! Er wird eine scharfe Hatzelsuppe geben. Ist eine Hatzel drauf gesessen.« – »Das will ich gleich tun erwiderte sie. »Und was wünscht der gelehrte, junge Herr noch?« Da musste Simpulus lange nachdenken, und er sagte: »Jetzt hab ich vergessen, was ich hab haben wollen. Es hungert mich nicht, und es dürstet mich nicht, und doch möchte ich was.« – »Will der junge Herr vielleicht unsern Hennen die Wedel hinaufbinden?« fragte sie. Da schlug er sich auf die Stirn und rief: »Jetzt weiß ich es. Ich bin da um den Nürnberger Trichter!« Die alte Frau reichte ihm eine abgedankte rußige Ofenröhre, die im Winkel lehnte, und sagte: »Da nimm den Trichter und nutze ihn fleißig!«

Dem Simpulus wurde das Gesicht vor lauter Freude rot wie der Sonntag im Kalender; er vergaß auf seine Elsternsuppe, er lud die Röhre auf die Schulter und rannte davon und die Straße in sein Dorf zurück, den Trichter Vater und Mutter zu zeigen. Es war schon zwischen Tag und Dunkel, und er guckte zuweilen durch die Röhre empor, und wenn er dann am andern Ende drüben ein Sternlein blinken sah, schrie er lustig: »Ich spür es, es löst sich, es löst sich! Ich werde schon ein bisslein gescheit!«

Das Gesicht ganz rußig von der Röhre, langte er im Dorf an, und er dünkte sich schon verteufelt klug. Und als er gar den Nachtwächter Tobias antraf, der in der Gasse mit offenem Maul den Mondschein betrachtete, da hob Simpulus etliche Bohnen auf, die eine Geiß auf den Weg gestreut hatte, und er redete den Nachtwächter an: »Tobias, wenn du errätst, wie viel Groschen ich in der Faust halte, kriegst du alle fünf.« Darauf schnitt der Wächter eine nachdenkliche Stirn und antwortete: »Ei, so will ich wetten, es sind ihrer drei!«

Simpulus tat einen Freudensprung. »Der Trichter wirkt! Jetzt bin ich schon gescheiter als die andern Leute!« rief er.

Und er hatte recht. Denn es ist keiner so dumm, allemal läuft noch ein Dümmerer herum.


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