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Die Geizburg

In einer hölzernen, verräucherten Burg auf einem hohen Stein mitten im Passauer Wald walteten vor alters zwei Vettern, Kunigundus und Seitz genannt und als Geldnarren weithin verrufen. Zwischen ihren Betten stand eine Truhe, die war mit eisernen Bändern verschmiedet und mit künstlich verworrenen Schlössern gegen den Zugriff arglistiger Diebe gerüstet, und darin rasteten, blinkend übereinander gehäuft, böhmische Groschen und portugiesische Dukaten, Liebfrauentaler und Pfalzgräfler und graubündnerische Blutzger, junges und altes, gelbes, rotes und weißes, grobes und geringes, kaiserliches, welsches und türkisches Geld, Salzburger Rüblerbatzen und Landshuter Hälblinge und andere gangbare oder verjährte Landmünzen. Und die zwei Vettern wussten sich des Sonntags und die sechs andern Tage vorher und nachher nicht lieblicher zu ergötzen, als aus derselben Truhe zu schöpfen, und sie maßen das Geld mit einem Krug und wogen es mit einer Waage bis aufs letzte Quentlein, zählten es wieder und wieder und streichelten es, ließen auch die Münzen durch die hageren Finger quillen und auf dem Tisch klingeln und kreiseln und schnupperten gar andächtig daran, allermaßen sie der Geruch des Geldes lieblicher deuchte als der Duft der Bergveigeln nach einem Märzgewitter. Und in selber Truhe scharrten sie zusammen, was sie an Brückenmaut und Wegzöllen einnahmen und was ihnen die Bauern und Müllner im Tal zinsten, und sie mehrten ihren Schatz gar bemühsamlich und ehrten ihn und wehrten ihren Nachbarn, den Ritter Hansjackel von der Burg Hundszagel, entrüstet ab, wenn er geritten kam, sich Geld auszuborgen, und sie sagten: »Wir leihen nimmer nicht kein Geld dar. Unser liebes Geld soll nicht herumfahren wie der Wind in dem Reiter (Sieb); es soll hübsch bei uns daheim bleiben! Geld ist die allerschönste Ware; sie gilt Sommer und Winter.«

Je älter die zwei Vettern wurden, desto arger knickerten und knauserten sie, und sie wurden gelb und krank, wenn sie sich von dem mindesten ihrer Münzlein trennen mussten. Und schließlich ritt der leidige Geldteufel sie so hart, dass sie überhaupt kein Geld mehr herlassen wollten und lieber Hunger und Not litten. Ihren Schatzhaufen zu schonen, schafften sie schon lange nichts Neues mehr ins Haus: sie begnügten sich im Winter mit einem einzigen Paar Fäustlingen und im Sommer mit einem einzigen Hut; sie schafften das Kerzenlicht ab und tappten finsterlings durch die Gänge und über die Leitern ihres muffigen Fuchsbaues, und weil sie keinen Heller mehr aufwandten, die Burg instandzuhalten, neigte sich zu guter Letzt der Turm so schief, dass sie ihn mit Stangen stützten und an die alte Burgeibe binden mussten, auf dass er nicht in die Tiefe stürze.

Das Gesinde hatte sich schon verlaufen, nur der Rossknecht und die Köchin hielten noch an der Stange. Da steckten die zwei abgeschabten Geizhälse ihre Köpfe zusammen, berieten sich eindringlich und riefen hernach die standhaften Dienstboten zu sich. Der Ritter Kunigundus sagte grämlich zu dem Knecht: »Du weißt, Sparmund hält bei uns Haus. Wir können dich nimmer nähren. Inskünftig wollen wir uns ohne dich behelfen. Leb wohl!« Und der Ritter Seitz murmelte zu der Köchin: »Du vertust uns zu viel Geld und begehrst obendrein noch deinen Lohn. Vielleicht bist du gar noch eine schlaue Diebin, die nach unserer Truhe schielt. Nunmehro wollen wir uns ohne dich fretten Wir kochen uns selber. Drum fahr schnell aus und geh!«

Und wie sie das letzte Gesinde verscheucht hatten, so verkauften sie aus lauter Geiz auch Ross und Falken. Und zu dem Kater, der maunzend nach seinem Schüsslein Milch verlangte, redete der eine Vetter mit scheelem Mund: »Hinweg mit dir! Wir fangen uns unsere Mäuse selber.« Und der andere Vetter fuhr den Hund, der vor Hunger jaulte, grob an: »Was, Herr Schuft, du willst einen feisten Knochen haben, wo wir uns selber keinen Brocken Fleisch vergunnen? Wart nur, morgen verkaufen wir dich in die Fremde!” Also wurde allmählich der Turm leer, und sogar die Ratzen verließen ihn, weil sie darin nichts mehr zu brechen und zu beißen fanden. Und die beiden verschrumpelten Männer verkauzten den lieben Winter in ihren rostigen Eisenhosen und vertrieben sich Tag für Tag bis tief in den Mondschein hinein hinter einem wurmstichigen Brettspiel mühsam die Einsamkeit, wenn sie nicht ihre Taler küssten.

Weil aber die schwere Stille, die in dem öden Burgstall brütete, den Vettern unheimlich war, und weil auch das verdrossenste und nüchternste Herz zuweilen sich nach einer lebendigen Freude sehnt, so hielten sie sich in einem drahtenen Kirchlein einen Gimpel und freuten sich an seinem zinnoberen Brustdeck und an seinen klugen Pfiffen und auch darüber, dass er nicht viel zum Leben brauchte, nur täglich sein Tröglein Wasser und einen Nusskern dazu. Und der Vogel flötete eifrig, und sein schwätzendes Löschlein belebte die leere Burg und entzückte den Vettern das dürre Herz.

Doch das Geld lässt den, der es besitzt und bewachen muss, schlecht schlafen. Und, so lag auch Kunigundus einmal zur Nacht wach, und weil ihm die Zeit nicht verrinnen wollte, hub er zu rechnen an. Und wie er sich es bedachte, dass der Monat im Jahr zwölfmal wiederkehre, und dass ein Monat dreißig Tage umgreife oder gar um einen mehr, so fiel ihm ein, dass ebenso viele Nusskerne sechs Schock und noch ein paar darüber ausmachten. Und er rechnete weiter: wenn jedes Schock aufs Billigste erfeilscht, zwei Gröschlein kostete; potztausend, dann kostete ja das, was der Gimpel verzehrte, im Jahr zwölf Gröschlein, und das war ungefähr zwölfmal so viel, als der Vogel wert war, der dort, im Gatter schlafend, an seinem Sprisslein klammerte. Da erschrak der nächtliche Rechenmeister bis in den Herzgrund hinunter, und das Hirn wurde ihm vor dieser erklecklichen Zahl schwirbelig. Eilends weckte er den Vetter und meldete ihm verstört, was er errechnet hatte.

Hinwiederum erwog der Vetter Kunigundus, dass sie den fürwitzigen und nichtsnützigen Schnabel nun schon an die drei Jahre atzten, und er überschlug hastig im Kopf, wie teuer ihnen der lästige Lärmer zu stehen käme, wenn er in seiner Bosheit und bei seinem sorglosen Leben hundert Jahre alt würde. Und die beiden Greise greinten, dass sie sich von ihrem Mitleid zu dem unwürdigen und schlemmerischen Vieh zu verderblicher Verschwenderei hätten verleiten lassen, und sie schwuren, dass dem Unfug schleunigst müsse abgeholfen werden.

Des Morgens, da Vetter Kunigundus dem Gimpel, der vertraulich seinen Angesang pfiff, die Nuss zwischen die Drähte seines Häusleins steckte, rief er zornig: »Ei, du hast leicht pfeifen, du schädlicher und liederlicher Vogel! Wir aber müssen uns deinetwegen halb zu Tode kränken!« Und wie der Gimpel, unbekümmert um diesen Schimpf, an dem Kern zu hacken begann, zeterte der Vetter Seitz: »Halt ein, du schamloser und unersättlicher Kropf! Du sollst uns nicht kahl fressen!« Und dabei tat er das Türlein des Käfigs auf, riss dem Vogel die Nuss aus dem Schnabel und schüttete ihn hierauf aus dem Fenster hinaus in den Wald hinunter. »Betrüg du jetztunder andere Leute um ihr redliches Geld, du unzüchtiger Vollfraß!« schrie er ihm nach.

Erst als der Gimpel drunten ins Laub huschte und nimmer zu sehen war, atmeten die Vettern auf und waren wieder besser gelaunt. Doch schickte es sich, dass just der lobsame Ritter Hansjackel mit seinen Jagdgesellen vorüberritt und sie belauscht hatte, wie listig sie sich des Vögleins entschlagen hatten. »Potz Narren und kein Ende!” lachte er zu ihnen hinauf. »Was treibt ihr da? Wie gern hätt ich euch das pfiffige Zeisel abgekauft!« Da erkannten die Vettern, wie voreilig und vergeuderisch sie mit ihrem Hab und Gut umgegangen waren, und dass sie sich selber um ein glinzerndes Gröschlein bestohlen hatten, und sie ergrimmten gegeneinander und gegen sich selber, der Gram stieß ihnen das Herz ab, sie huben zu siechen an und starben beide am Sanktgallentag, da die Haferfelder, verzäunt wurden.

Ihre Geldtruhe wurde freilich nicht mit ihnen zur Erde bestattet; sie fand in dem Ritter Hansjackel von der Burg Hundszagel einen fröhlichen Herrn, der erbarmte sich der Taler drin und brachte sie flugs wieder unter die Leute. Den geizigen Vettern zum Gedenken aber ließ er in einen Bergfels das Bildnis eines Vogels hauen, der mit einer Nuss im Schnabel davonfliegt, und darunter ließ er den bedenklichen Spruch setzen:

Der Welt Gut und Hab,
eitel schabab!

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