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Der Stilzel und der Mühlknecht

Mitten im kühlen Böhmerwald stand einmal eine moosalte, bucklige Mühle, und die klapperte und mahlte und murmelte gar weltfern, und darum kehrte dort der Waldgeist Stilzel mit Vorliebe ein und trieb seinen Unfug. Der Stilzel war einst Rossbub gewesen, einsam in den Wäldern hatte er den Bauern die Füllen gehütet, und nach seinem jähen Tod – niemand weiß recht, wie es dabei zugegangen – lebte er als Rumpelgeist wieder auf, und wie jedes Geschöpf irgendein Freudlein haben, muss, übte er seine Schwänke an den Leuten der Einöde.

So nahm er des Öfteren eine weiche, liebliche Stimme an und rief vom Wald her in die Dörfer hinab: »Such mich! Such mich!« Und da folgte dann und wann ein verlocktes Bauernkind dem Ruf, und wie es bald dort und bald wieder da, hübscher als der Schrei des Kuckucks klang: »Hol mich! Hol mich!« verirrte sich das Kind in die Wildnis, und dass keines dort verlorenging und verhungerte, das rührte davon her, dass der Stilzel schließlich mit gräulichem Geheul das genarrte Kind ins Dorf zurückscheuchte. Zu anderen Zeiten wieder neckte und schreckte er mit wildem Wolfsschrei die Schwärzer, dass sie die Ware, die sie verstohlen über die Grenze :schleppten, eilends von sich warfen und davonrannten.

In der moosalten, buckligen Mühle zog der Stilzel oft in tiefer Nacht die Schütze und leerte den Weiher; von dem Donner des fallenden Wassers erschrocken, sprangen dann die Müllersleute aus den Betten. Manchmal wieder zauberte der Kumpelgeist einen Gestank, der verdächtig nach Brand roch, und der Müller suchte ängstlich durchs ganze Haus, wo es brenne, und er schaufelte das schwarze Buch, das er vor den Grenzwächtern immer unter einem Kornhaufen verborgen hielt, hervor und las den Segen daraus, womit man das grimmige Feuer bezwingt. Und wenn die Müllersdirn trinksames Wasser holte und es mittels der Kette aus dem tiefen Felsbrunn haspelte, wurde oft der Eimer immer schwerer und schwerer; und schließlich hockte das boshafte Schrätel darin, grinste und sprang heraus. Und wie er einst als Hirt die schwarzbraunen Rösser getummelt hatte, ritt er zuweilen auf dem sich drehenden Mahlrad und tauchte johlend auf und nieder. Es war darum gar nicht leicht zu leben in der moosalten, buckligen Mühle.

Nun hatte der Müller einmal einen Knecht gedungen; der hieß Jockel und war sehr faul. Wurde ihm eine Arbeit geschafft, so sträubte er sich dagegen: »Warum soll just ich, der Faulste, das tun und nicht ein anderer?! Er griff, alle Arbeit fein sacht an, dass er sich daran nicht weh tue, und wenn der Meister ihn schalt: »Du sollst nicht alleweil auf der Bärenhaut liegen! Wer lange schläft, der lebt wenig. Scham dich!« Da gähnte der Jockel wie ein Nussknacker und erwiderte: »Ich hab mich dreißig Jahre lang geschämt, jetzt brauch ich mich nimmer zu schämen. Und soll ich in die Arbeit fahren wie der Narr in den Kachelofen? Nur alles mit Bedacht!« Sein liebstes Lied war nicht etwa: »Es klappert die Mühle am rauschenden Bach« oder »Dort nieden in jenem Holze liegt eine Mühle stolz«, sondern er sang:

Im Winter ist gut Müller sein,
im Winter friert das Mühlrad ein,
da kann ich stehn und lungern;
die Bauern mögen hungern!«.

Wenn er nicht hätte müssen, hätte er weder Hand noch Fuß gerührt. Einmal benahm er sich ganz wunderlich; er sagte: »Gott, der mich erschaffen hat, soll mich auch ernähren!«, und er legte sich in die Scheuer und tat drei Tage lang keinen Griff, und erst am dritten Tag, als sein Magen wild aufbegehrte und knurrte, erhob er sich wieder aus dem Heu und sah vorwurfsvoll gegen den Himmel und brummte: »Da schau her! Er tät' mich gar verhungern lassen!«

An diesem faulen Mühlknappen büßte der Stilzel ganz besonders seinen Mutwillen. Schleppte der Jockel einen Sack und seufzte: »O weh und o weh! Wie schwer ist die Last und wie heiß der Tag! flugs riss der Stilzel ein Loch in den prallen Sack, dass das Korn herausrieselte und der Knecht hernach fluchend es zusammenschaufeln musste. Schlief der Jockel, so setzte der Kobold das gellende Mahlglöcklein in Schwung, bis der Knecht erwachte und widerwillig dem mahnenden Glöcklein folgte; kam er aber zu dem Trichter, neues Korn aufzuschütten, so war der Trichter noch ganz voll, und wollte er jetzt den Neckgeist packen, so blies ihm dieser jählings Mehl in die Augen. Zuweilen wieder polterte es so ungestüm, als malmten die Mühlsteine nichts als groben Bachschutt, und wenn der Jockel bestürzt den Meister weckte und holte, war alles in bester Ordnung und mahlten die Steine ganz gelind, und der Müller schalt den Gesellen: »Was der Tausend, hat dir geträumt, du Happerdidel?« Darum nahm sich der Jockel vor, es dem Geist zu gelegener Zeit einmal tüchtig einzutränken.

Nun rastete einmal der Stilzel auf dem Söller der Mühle, es war ein ruhiger Abend, nur der Bach belebte die Stille. Der Stilzel saß auf dem Geländer mitten unter den Blumenstöckeln, schnupperte dann und wann daran, sonnte sich an dem feisten, behaglich aufsteigenden Mond und schnurrte dazu wie eine Katze in der Wärme. Er hatte ein zündelrotes Röcklein an, einen grellgelben Brustfleck und blitzblaue Hosen, das struppige Haar war von Waldpech verklebt, die Nase kurz und keck und himmelwärts aufgeworfen; glotzäugig und schlitzohrig, riss er bald die Oberlippe rechts, bald die Unterlippe links und zählte seine Zehen. Und plötzlich fiel ihm ein Spiel ein: wechselnd hob er die Beine und brummte tölpisch dazu: »Jetzt das eine Knie, jetzt das andre Knie!” Er glaubte wohl, niemand schaue ihm zu.

Aber der Jockel lümmelte auf dem Rasen unter einer dämmerlichen Ulme und belauschte das Rumorgeistlein und dachte sich: Warte nur, du Spottbub, du donnerschlächtiger Kerl, du großer Lump in einer kleinen Haut! Deine Schelmenstücke zahl ich dir heim! Und heimlich schlich er sich auf den Söller und stieß den Stilzel von hinten unversehens in die Rippen. Rumpumps! purzelte das Geist lein in den Garten hinunter. Hernach war drunten aber nichts zu finden als die Scherben eines Blumentopfes.

Frohgemut trollte sich jetzt der Knecht in seine Kammer. Kaum aber war er eingeschlafen, hörte er es rufen: »Hol mich! Hol mich!« und die Stimme scholl so herzbeschwinglich hold, dass der Jockel, so gut ihm auch der Schlaf schmeckte, sich aufrappelte und ihr folgte. Da war er auf einmal nimmer in der staubigen, spinnverwobenen Mühle, sondern in einem blitzblank gefegten Schloss mit weiten Gängen und artigen Bildern an den Wänden, mit köstlich geschnitzten Türrahmen, schimmernden Treppen und hohen, bogigen Fenstern, dadurch die Sterne listig blinzelten. »Hol mich! Hol mich!« lockte es, und schlaftrunken betrat der Jockel eine steile, enge Treppe, die in einen Turm hinaufführen mochte, und wie er ein paar Schritte getan hatte, sah er plötzlich das böse Missgesicht des Stilzel vor sich, und die Stiege begann zu zittern, und sie drehte sich auf einmal, und der Jockel bückte sich schreiend und klammerte sich an und wusste nicht, was mit ihm geschah. Doch schon schüttete es sich eisig über seinen Leib nieder, und jetzt erst erwachte er aus dem Blendnetz, das ihm der Stilzel geflochten hatte, und gewahrte, dass er an dem Geschäufel des Mühlrades hing, und das ging rundum und rundum, und er wurde drunten durch das strudelnde Wasser getaucht und wieder in den kalten, stürzenden Schwall hinaufgetragen. Siebenmal drehte sich das unheimliche Ringelspiel mit ihm, dann erst stellte der Müller, der ihn zetern hörte, das Werk ab und half dem nassen Jockel vom Rad herunter.

Der Jockel aber, noch triefend von seiner Reise auf dem Mühlrad, riemte sich den Schuh, schnürte sein Bündel und winkte: »Behüt dich Gott, Stilzelmühle!«

Doch auch das Geistlein zeigte sich seither nimmer in der moosalten, buckligen Mühle. Ich weiß wohl, wo es heute umgeht. Aber nur ein Schwätzer plaudert alles aus.


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