Edgar Wallace
Der Doppelgänger
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

22

»Bobby!«

Diana kam mit ausgestreckten Händen auf ihn zu. Hinter ihr sah er einen Fremden in der Diele.

»Hallo, meine Liebe! Ich komme hoffentlich gelegen?«

Mr. Dempsi wurde jetzt sichtbar. Sein schwarzer Sombrero gab ihm ein düsteres Aussehen. Seine Stimme klang leidenschaftlich, und seine Haltung war drohend.

»Meine Liebe?« fragte er. »Wer nennt dich hier ›Meine Liebe‹? Was bedeutet dir dieser Mann, Diana?«

»Mein lieber Dempsi«, sagte sie müde, »dieser Herr –« Aber er warf wütend seinen Hut auf den Boden und schleuderte seinen Mantel in weitem Bogen von sich fort. Bobby erwartete, einen Gürtel mit Messern und Pistolen zu sehen – aber es kam nur eine getüpfelte Weste zum Vorschein.

»Das werde ich nicht dulden«, rief er stürmisch. »Hören Sie, mein Herr? Sie nannten diese Dame ›Meine Liebe‹? Erklären Sie mir das!«

Diana ersparte Bobby die Mühe.

»Dies ist Mr. Selsbury, mein Vetter.« Sie sprach mit einer gefährlichen Ruhe. Anscheinend kannte Mr. Dempsi dieses Anzeichen.

»Ach, dein Vetter! Ich sehe es an der Ähnlichkeit! Dieselben schönen Augen, derselbe feste, aber freundliche Mund, die schlanke Gestalt, die reizenden Hände –«

Bobby war ärgerlich.

»Ich danke Ihnen sehr. Wenn Sie mit der Beschreibung meiner Gestalt und ihrer besonderen Vorzüge fertig sind, haben Sie vielleicht die Güte, mir zu sagen, wer Sie sind?« Dieser Mann war ihm nicht sympathisch, und er teilte sofort Gordons Abneigung gegen ihn.

»Das ist Mr. Dempsi«, sagte Diana. »Ich habe schon von ihm erzählt.«

Sie sah ihn so bittend an, daß Bobby nicht widerstehen konnte. Er gab sich also den Anschein, als ob er äußerst glücklich wäre, Mr. Dempsi kennenzulernen. Aber trotz größter Anstrengung mißglückte dieser Versuch doch vollständig.

»Würdest du nicht deinen Anzug wechseln, Wopsy – ich meine, oben auf deinem Zimmer?« fragte sie.

Dempsi küßte ihr die Hand.

»Mein angebeteter Liebling – ich gehe! Dein leisester Wunsch ist mir oberstes Gesetz! Mein Herr – Vetter Bobby – entschuldigen Sie mich.«

Bobby zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. Dempsi dachte, es wäre ihm schlecht.

Er stieg singend die Treppe hinauf. Er sang »Donna e mobile« glücklich und falsch, als ob seine Kehle gegen seine Freude an dem Wankelmut der Frauen rebellierte.

»Das klingt ja so, als ob man einer Katze auf den Schwanz tritt«, sagte Bobby ganz entsetzt. »Und das ist deine erste Liebe?«

Sie nickte.

»Herrgott, was kann der Kerl nur alles zusammenfaseln! Ich werde verrückt werden!«

»Er ist auf jeden Mann eifersüchtig, der mich anschaut! Er hat sich vollkommen verändert. Sechs Jahre sind aber auch eine lange Zeit. Ich dachte, er könne sich höchstens bessern, denn er war sehr jung. Aber er ist bedeutend schlimmer geworden. Er scheint in schlechte Gesellschaft geraten zu sein, er hat schreckliche Manieren angenommen. Im Ritz-Carlton-Hotel wollte er den Kellner umbringen, weil er ein hübscher Mensch war und Sinn für Humor hatte. Er lächelte, als ich einen kleinen Scherz machte. Aber Bobby – der Doppelgänger!« Sie sah, daß Bobby schon im Bilde war, und seufzte erleichtert auf. Bobby war ihr schon immer als ein starker und tapferer Mann erschienen.

»Ja, der ist auch hier«, sagte er.

»Hast du ihn gesehen? Gott sei Dank! Er sieht Gordon wirklich zum Verwechseln ähnlich. Wie er das fertiggebracht hat, ist mir ein Rätsel. Ich habe schon versucht, sein Geheimnis zu entdecken. Aber immerhin ist er sehr nützlich im Hause, schon das verrät ihn. Gordon lebte in den Wolken, für ihn gab es keine Wäscherechnungen und keine elektrischen Staubsauger. Aber dieser Doppelgänger kam mir gerade gelegen, daß ich ihn für Onkel Artur ausgeben konnte. Natürlich habe ich keinen solchen Onkel. Noch viel besser war es, daß er gleich eine Tante mitbrachte –«

»Das ist doch ein verwegener Schuft!« rief Bobby erbost. »Ich hätte mich doch beinahe von ihm täuschen lassen. Ich unterhielt mich zehn Minuten lang mit ihm über seine Sorgen. Er hat Gordon fabelhaft genau studiert, sowohl was sein äußeres Auftreten als auch seine innere Einstellung betrifft. Er macht gar keine Fehler. Er nannte mich gleich Bobby, sobald er mich sah.«

»Und mich Diana. Aber mich konnte er nicht einen Augenblick täuschen«, sagte sie und warf sich in den großen Lehnsessel Gordons. »Diesen Morgen habe ich ihn dabei erwischt, wie er sich in Gordons Ankleidezimmer schleichen wollte. Man muß ihn Tag und Nacht bewachen, und natürlich hat er immer einen triftigen Entschuldigungsgrund für alles, was er anstellt. Heute morgen sagte er, er müsse sich umziehen!«

Bobby dachte, daß der Wunsch, einen derartig auffallenden Anzug zu wechseln, sogar in diesem Falle verständlich wäre. Aber welche Kühnheit dieser Mann besaß! »Ein solcher Schuft! Ich wünschte, ich wäre nicht nach Ostende gereist!«

Jetzt fiel ihr erst ein, daß sie noch gar nicht gefragt hatte, warum er fortgefahren war. Aber das konnte sie später auch noch erfahren.

»Ich mußte alles sofort arrangieren«, sagte sie, als sie sich wieder an die aufregenden Szenen erinnerte, die sich am Sonnabend abgespielt hatten. »Glücklicherweise war mir die Telefonnummer von Mr. Superbus bekannt. Dann mußte ich eine Geschichte erfinden, nicht nur eine, ich mußte dauernd lügen. Am besten war es ja, daß ich sagte, Onkel Artur sei nicht ganz richtig im Kopf. Zum Glück mag er Dempsi gut leiden.«

»Wer?« fragte Bobby verwundert. »Doch nicht etwa Onkel Artur? Er sagte mir, daß er ihn von Grund seiner Seele aus haßte, aber das tat er natürlich in seiner Rolle als Gordon.«

»Nein, ich meine Superbus. Er hat gleich zu ihm gehalten – es war ganz merkwürdig, wie sich die beiden verstanden. Dempsi ist der Ansicht, daß sowohl Mr. Superbus als auch er Abkömmlinge von Julius Cäsar sind. Er ist den ganzen Morgen in der Bibliothek gewesen und hat nach ›Cäsars Leben‹ gesucht.«

»Wie hat sich denn eigentlich der Doppelgänger dazu gestellt, daß du ihn so behandelst? Was sagte er dazu, als du entdecktest, daß er ein Schwindler ist?«

»Das war das Überraschendste von allem. Er wurde so zahm wie ein Lamm. Ich habe noch niemals gesehen, daß sich ein Mann so schnell den Umständen anpaßte.«

»Und die Tante?«

Diana zuckte die Schultern.

»Die war allerdings ziemlich schwierig. Das ist ja auch erklärlich, da sie eine Frau ist. Jetzt ist sie aber ruhig geworden. Ich habe sie Tante Lizzie genannt, um einen Skandal zu vermeiden. Aber denke dir – die beiden sind nicht einmal verheiratet!«

Bobby bemühte sich krampfhaft, überrascht auszusehen.

»Sie sind nicht verheiratet?«

Diana schüttelte mißbilligend den Kopf.

»Ist das nicht schrecklich? Weder verheiratet noch verlobt! Nebenbei scheint sie ihn ziemlich unter dem Pantoffel zu haben. Sie tut das in der Art einer Frau, die nichts zu verlieren hat. Aber eins habe ich mir fest vorgenommen, ich habe es mir gestern abend überlegt, bevor ich zu Bett ging. Er muß sie heiraten, bevor er dieses Haus verläßt! Er hat sie doch hoffnungslos kompromittiert. Dieses Abenteuer soll wenigstens ein gutes Resultat haben!«

Bobby war nicht gerade sehr begeistert davon.

»Ich würde mich an deiner Stelle in solche Dinge nicht einmischen«, meinte er. Aber seine Worte machten keinen Eindruck auf sie.

Gordon Selsbury trat in diesem Augenblick unbemerkt ins Zimmer. Er hatte einen Staubbesen und eine Schaufel in der Hand und stand eine Weile unentschlossen da.

»Hast du eigentlich Nachricht von Gordon?«

Ihr Gesicht hellte sich plötzlich auf.

»Ich habe die liebenswürdigsten Telegramme von ihm bekommen. Er ist wirklich sehr aufmerksam. Fast von jeder Station aus hat er telegrafiert.«

Bobby hustete.

»Ich dachte mir, daß er es tun würde.«

Sie griff nach ihrer Handtasche und zog ein zusammengefaltetes Papier aus der Tasche.

»Hier ist das letzte, aus Crewe. Es kam erst heute morgen um zehn Uhr: ›Habe eine glänzende Reise. Hoffe, daß alles gutgeht. Gordon.‹«

Bobby richtete sich auf.

»Das ist doch wirklich zu schlimm! Ich meine, daß es so spät gebracht wurde – ich würde mich bei der Post beschweren.«

Gordon kam jetzt näher, und Diana sah ihn. Aber sie nahm ebensowenig Notiz von ihm wie von den Möbeln.

»Wenn er nur noch eine Woche länger ausbleiben würde«, seufzte sie.

Das war die günstige Gelegenheit, auf die Bobby gewartet hatte.

»Weißt du, Gordon ist kein schlechter Kerl. Zuerst hat man den Eindruck, daß er ein schrecklicher Strauchdieb ist. Seine Manieren sind ja geradezu auch nicht die besten, das gebe ich gern zu. Er ist etwas selbstgefällig, aber die Intellektuellen haben alle diesen Zug, obgleich ich niemals verstanden habe, warum.«

Sie schüttelte den Kopf. Anscheinend hatte sie selbst schon genügend Entschuldigungsgründe für Gordon gefunden, so daß es anscheinend unnötig war, ihn noch besonders in Schutz zu nehmen.

»Selbstgefällig? Viele Menschen sind das doch – glaubst du nicht? Ich würde ihn nicht selbstgefällig nennen, ich würde eher sagen, er ist zu sehr von sich überzeugt – das ist alles.«

Gordons Hände zitterten.

»Du hast wahrscheinlich recht«, sagte Bobby nachdenklich. »Gordon wurde als Kind sehr verwöhnt und hat immer seinen Willen bekommen. Infolgedessen ist er ein wenig hochnäsig geworden.«

»Und auch ein bißchen pharisäisch, nicht wahr? Ich möchte damit nichts Unfreundliches gegen ihn sagen, wirklich nicht. Aber wir können uns doch einmal ruhig über ihn aussprechen.«

Gordon erhob sich halb von seinen Knien. Seine Lippen zuckten, sein Gesicht war bleich.

»Ich bin ganz deiner Ansicht. Gordon hat seine Schwächen.«

»Das sind die Fehler des Alters. Er gehört zu den Männern, die schon fünfundvierzig sind, wenn sie auf die Welt kommen. Aber Gott sei Dank machte er keine dummen Streiche!« fügte sie befriedigt hinzu.

»Sei nicht zu vertrauensselig«, warnte Bobby sie väterlich.

»Dieser Verräter!« sagte Gordon wild, aber doch so leise, daß es die anderen nicht verstanden.

»Auch die besten Männer machen Fehler«, fuhr Bobby fort. »Seine Unerfahrenheit ist ein großer Nachteil für ihn. Ich kann mir ganz gut vorstellen, daß eine Frau ihn um den Finger wickeln kann, wenn sie ihn richtig zu behandeln versteht.«

Diana hatte ihre eigene Anschauung darüber.

»Wenn ich mit ihm verheiratet wäre, würde ich ihm unter allen Umständen trauen«, sagte sie ernst. »Er ist wirklich ein durch und durch ehrenhafter Charakter. Was man auch immer von ihm sagen mag, man muß jedenfalls zugeben, daß er niemals Seitensprünge macht. Er würde nie gemein oder unehrenhaft handeln. Er würde sich auch nie in geheime Liebesabenteuer einlassen.«

Bobby fühlte sich unbehaglich. Er war von Natur aus offen und ehrlich und hatte gewisse Grundsätze, die er unter keinen Umständen verleugnen wollte, selbst wenn es sich darum handelte, Gordon in Schutz zu nehmen.

»N – ein, vielleicht würde er das nicht tun.«

Diana lächelte verächtlich.

»Vielleicht nicht! Du weißt ganz genau, Bobby, daß er es nicht tut! Gordon haßt alles Gemeine und Obskure. Kannst du dir etwa vorstellen, daß er ein heimliches Verhältnis mit einer Frau wie Tante Lizzie unterhalten würde? Das ist doch ganz absurd! Oder glaubst du, daß er mir fremde Frauen ins Haus bringen und nachher abstreiten würde, daß er sie überhaupt kennt, wenn er entdeckt wird? Das ist ganz ausgeschlossen!«

»Ich glaube nicht, daß es richtig ist, irgendeinem Mann absolut zu vertrauen«, sagte Bobby bestimmt. »Kein Mann ist ein solches Vertrauen wert.«

Sie lachte.

»Du bist ein zynischer Junggeselle!«

Gordon konnte nicht länger an sich halten.

»Das habe ich auch immer gesagt«, rief er entrüstet. »Ich kann mir keinen unmoralischeren Standpunkt denken –«

Unter Dianas vernichtendem Blick verstummte er sofort wieder.

»Sie wagen es, uns zu unterbrechen?« fragte sie.

»Ich – ich –«

Bobby schnitt ihm das Wort ab.

»Lieber Freund, lassen Sie sich gut von mir raten und versuchen Sie nicht, eine andere Rolle zu spielen als Ihnen zukommt.«

Gordon war wütend. Er warf Besen und Schaufel beiseite und sprang auf.

»Es ist mir alles gleich – ich werde jetzt die Wahrheit sagen«, rief er verbissen. »Trotz allem, was sich schon ereignet hat, ich bin Gordon Selsbury!«

Er schaute sich um: Superbus stand in der Tür und hatte ein gelbes Telegrammformular in der Hand. Es hatte keinen Zweck. Gordon kniete wieder nieder und griff nach dem Besen, er war vollkommen geschlagen.

»Ein Telegramm für Sie, Madam.«

Sie nahm es ihm aus der Hand und öffnete es.

»Siehst du, Bobby, er denkt an mich! ›Aberdeen. Hatte eine sehr gute Reise. Freue mich schon auf meine Rückkehr. Gordon.‹«

Bobby wand sich.

»Ein schrecklicher Kerl!«

Sie sah ihn stirnrunzelnd an.

»Eine schreckliche Reise – meinte ich natürlich«, verbesserte sich Bobby.

Sie nickte langsam und nachdenklich.

»Ich beginne eigentlich, Gordon jetzt ganz anders zu betrachten.«

Der Mann mit Besen und Schaufel hielt plötzlich in der Arbeit inne und hörte gespannt zu. Einen Augenblick lang erinnerte sich Diana an seine Gegenwart.

»Nun, worauf warten Sie denn?« fragte sie kühl.

»Auf nichts – auf nichts«, erwiderte Gordon verzweifelt und bückte sich wieder.

»Wo ist denn Ihre Komplicin?« fragte Diana.

Gordon wandte sich um.

»Sie liest ein Buch: ›Wie kann man glücklich und doch verheiratet sein?‹« sagte er zynisch. An diesem Mann war wirklich Hopfen und Malz verloren.

»Was willst du denn aber mit diesem verrückten Dempsi anfangen?« fragte Bobby. Er beugte sich vor und sprach leise.

»Ich weiß es auch noch nicht. Diesmal kann ich nicht wieder darauf rechnen, daß er in den Busch läuft. Nun –?«

Mr. Superbus war wieder in der Tür erschienen. Sie konnte es nicht leiden, daß er immer die Hand aufs Herz legte, bevor er sich verneigte.

»Der Geistliche ist wieder gekommen«, flüsterte er heiser, »es ist der Vikar von Banhurst.«

Mr. Superbus hatte eine große Ehrfurcht vor Vertretern der Kirche, und der Vikar von Banhurst war für ihn eine Respektsperson hohen Ranges. Aber Diana sah in ihm nur den Mann, der sie verheiraten und ihrer Freiheit berauben wollte. Sie war sehr bestürzt über sein Erscheinen.

»Sagen Sie ihm, daß ich krank bin, sagen Sie ihm – ich bin – ich bin sehr, sehr krank! Bitten Sie ihn, morgen wiederzukommen. Aber teilen Sie nur nicht Mr. Dempsi mit, daß er hier war!«

»Er sagte, für den Fall, daß Sie ihn anläuten wollten –«

Superbus versuchte, ihr eine Visitenkarte zu überreichen, aber sie machte eine abwehrende Handbewegung.

»Ich brauche seine Adresse nicht –«

Mr. Superbus machte eine feierliche Verbeugung und verließ das Zimmer.

»Bobby, was soll ich nur tun? Das war nun schon der dritte Besuch!«

»Wer ist es denn?«

»Der Geistliche! Natürlich hat Dempsi das veranlaßt! Er glaubt, daß wir in einigen Stunden verheiratet sein werden. Das sieht ihm so ganz ähnlich! Es ist ja so absurd, so vollkommen verrückt! Aber er war kaum zwei Minuten im Haus, als er mir schon sagte, daß er zum Pfarrer schicken wolle, um uns zu vereinen . . .«

Bobby suchte nach einer Lösung. »Hast du keinen Plan?«

Ob sie einen Plan hatte? Dachte sie nicht jede Sekunde daran, wie sie sich von diesem Alpdruck befreien könnte?

»Ich habe hundert Pläne, aber sie sind alle töricht und unausführbar. Ich wollte schon fortlaufen – das erschien mir bisher als die einzig vernünftige Idee.«

»Wohin willst du denn gehen?« fragte er.

»Nach Schottland – zu Gordon.«

Bobby sprang auf.

»Das darfst du nicht tun! Wozu du dich auch immer entschließen magst, das ist unmöglich! Erstens weiß niemand von uns, wo er ist, und zweitens . . . nein, das würde ich nicht tun!«

Sie zog die Augenbrauen hoch.

»Aber warum denn nicht? Ich könnte Gordon alles sagen, und ich bin fest überzeugt, daß er sehr lieb zu mir sein würde. Ich fühle, daß ich in dieser Krisis einen großen Halt an ihm hätte.«

»Aber wenn Dempsi dir nun folgt? Soweit ich die Sache übersehen kann, wird er das sicher tun! Wenn er herausbringt, daß du ihn getäuscht hast, wenn er dich bei Gordon findet?«

Sie lächelte, und ihre Augen strahlten.

»Das ist ein guter Gedanke. Gordon hat doch seine Jagdgewehre bei sich – pst, hier kommt er!«

Bobby hatte schon versprochen, die Nacht im Hause zu bleiben, denn Superbus war müde. Auch er war nur ein Mensch, wie er erklärte, und hatte nur ein Paar Augen, die jetzt dringend der Ruhe bedürften.

Bald darauf versammelten sich alle zum Abendessen. Heloise hatte es gekocht, und Dianas Respekt vor ihr wuchs. Dempsi war in der ausgelassensten Stimmung und wollte Wein, roten, köstlichen Wein, auf die Gesundheit seiner Braut trinken. Er verlangte, daß der Wein rot und rosig in geschliffenen Gläsern funkeln und den lachenden Sonnenschein der Weinberge widerspiegeln sollte. Seine Farbe sollte dem warmen, pulsenden Blut der Jugend entsprechen, das vor Lust und Liebe wallte.

Dies sagte er in so vielen wortreichen Phrasen, daß Bobby schließlich kurz und beleidigend wurde und ihm statt dessen Whisky-Soda anbot. Mr. Dempsis Gesichtsfarbe wurde dunkel. Diana vermittelte schnell und wollte ihn zum Schweigen bringen, aber ebensogut hätte sie versuchen können, das rollende Rad der Zeit aufzuhalten. Dempsi hatte sich aber von seinem Ärger sehr bald wieder erholt und sprach nun in den höchsten Tönen von seinem Glück. Er küßte Dianas Hand und erzählte ihr zum drittenmal die Geschichte seines Lebens.

»Der Teufel soll Sie holen!« brummte Bobby.

Mr. Dempsi brach in Tränen aus.

»Diana, der Kerl fällt mir wirklich derartig auf die Nerven, daß ich es nicht mehr aushalten kann!« sagte Bobby, als der begeisterte Liebhaber verschwunden war.

Diana lehnte sich erschöpft in ihren Stuhl zurück und fächelte sich mit ihrem Taschentuch.

»Es ist entsetzlich!« stöhnte sie. »Aber wir müssen eine Lösung finden!«

Mr. Dempsi hatte dank seiner temperamentvollen Veranlagung sein Gleichgewicht schon wiedergefunden, als er durch die Diele schritt. Julius Superbus machte sich gerade an dem Ofen im Studierzimmer zu schaffen, als er eintrat. Er ging auf ihn zu und legte seine Hand auf seine Schulter.

»Ah, mein Freund«, murmelte er.

Julius, dem nicht gleich eine passende Antwort einfiel, wollte sichergehen.

»Guten Abend«, sagte er nur und klopfte ihm auf den Kopf.

»Sie sind der einzige Freund, den ich in diesem Hause habe, die einzige verstehende Seele, der einzige ehrliche Charakter! Ich werde immer an Sie denken!«

Mr. Dempsi sprach dauernd so, als ob er erst kürzlich von einem Ferienaufenthalt im Himmel zurückgekommen wäre.

»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht sagen«, entgegnete Julius großzügig. »Es gibt auch noch andere große Menschen hier.«

»Ich sage es aber, ich Giuseppe Dempsi! Wer will mir dieses Recht verwehren?« fragte er wild.

Julius machte schleunigst einen Rückzug.

»Ich nicht, mein Herr, ganz gewiß nicht!« erwiderte er schnell. »Das ist das letzte, was ich tun würde.«

Giuseppe wurde wieder sehr liebenswürdig.

»Gleich, als ich Sie sah, sagte ich: ›Das ist ein Mann mit einer glänzenden Phantasie, ein tapferer, begabter Mann mit großem Verstand! Superbus hat ein Herz, er hat Mitgefühl, er ist ein Mann von Welt, ein kühner Verteidiger des Rechts, ein Vertreter des Gesetzes!‹«

Mr. Superbus wurde es ganz unheimlich zumute. Er fürchtete wie alle Amateurdetektive, daß seine Stellung falsch aufgefaßt werden könne. Er räusperte sich.

»Ich bin nicht direkt ein Vertreter des Gesetzes, mein Herr. In gewisser Weise stimmt das wohl, aber in anderer Beziehung bin ich es auch wieder nicht, obwohl ich diese Bezeichnung mit allem Recht führen durfte, als ich ein Gerichtsvollzieher in der Provinz war.«

Dempsi lächelte.

»Aber jetzt sind Sie ein großer Detektiv, ein Schüler des unsterblichen Sherlock Holmes – was für ein Mann, welch ein Genie! Ja, das sind Sie, Sie haben es mir ja selbst gesagt!«

Julius beeilte sich, einen falschen Eindruck, den er hervorgerufen hatte, richtigzustellen.

»Ich bin ein Privatdetektiv, mein Herr, Privat! Ich habe es Ihnen doch erklärt, ich kam hierher, um –«

Aber Dempsi erlaubte keinem anderen zu reden.

»Um einen gemeinen Schuft zu bewachen«, fuhr er begeistert fort. »Daß solch ein Mensch überhaupt frei umherlaufen darf! Der Doppelgänger! Schon sein Name ist schlimm. Sie sind erstaunt, daß auch ich von diesem Menschen gehört habe, der die heiligsten Gesetze verletzt? Sie, der kluge Detektiv, sind verwirrt und bestürzt, daß ich etwas von diesem teuflischen Briganten weiß? Superbus, ich bitte Sie um einen Gefallen. Wenn Sie ihn entdeckt haben, dann lassen Sie mich rufen!«

Es lag ein eigenartiger Glanz in seinen Augen. Seine halbgeschlossenen Hände schienen von dem Blut seines Opfers zu triefen. Mr. Superbus war ganz in seinem Bann.

»Senden Sie nach mir, lassen Sie mich rufen – seit Jahren habe ich keinen Menschen getötet, aber davon will ich jetzt nicht sprechen. Seine Frau und seine Familie tun mir ja leid, denn ich habe ein weiches Herz.« Bewundernd sah er auf Julius. »Sie sind also ein Detektiv! Sie gehören zu dieser großen, schweigenden Armee von Wächtern, die immer ihre Pflicht erfüllen, die zwischen diesen friedlichen Bürgern wie etwa Giuseppe Dempsi und den Geiern und Vampiren stehen, die bereit sind, die menschliche Gesellschaft auszusaugen!«

Dempsi streckte seine Hand aus. Mr. Superbus senkte seine Blicke plötzlich und schüttelte Dempsis Rechte. Er fühlte, daß zum erstenmal der Wert seiner Persönlichkeit richtig erkannt wurde. Dempsi war ein Mann von Welt, dessen Lobeserhebungen wirklich etwas bedeuteten. Julius merkte sich seine Worte ganz genau, um sie bei Gelegenheit wiederholen zu können.

»Ja, es ist eine große Aufgabe«, versicherte er. »Die meisten Menschen würden das nicht verstehen.«

»Sicher nicht«, rief Dempsi zornig.

Mr. Superbus sollte in dieser Nacht auf einem Feldbett schlafen, das im Studierzimmer aufgestellt wurde. Es war Dianas Idee. Und er betrachtete sie mit berechtigtem Mißtrauen.

»Ein gutes Gewissen ist etwas Schönes!« meinte Dempsi!

»Eine gute Verdauung ist aber auch etwas wert«, erwiderte Mr. Superbus. »Ich bin sehr vorsichtig beim Essen.«

»Sagen Sie mir«, fragte Dempsi vertraulich, »haben Sie ihr schon lange gedient – meiner Königin?«

Mr. Superbus dachte schnell nach.

»Ich dachte, Sie hätten einen König in Italien?«

Dempsi lachte laut auf.

»O nein, Sie haben mich mißverstanden – ich meinte die Königin meines Herzens, die ich verehre – meine Diana! Ich bin eifersüchtig darauf, daß Sie das Vorrecht haben, ihr zu dienen!«

»Ach so, Sie meinen Miss Ford! Ach nein, die habe ich erst kürzlich kennengelernt.«

»Ich werde mich jetzt zur Ruhe legen. Diese Nacht wird meine Tür nicht verschlossen sein. Wenn der Doppelgänger kommt, lassen Sie es mich doch wissen?«

Es war nicht nötig, Julius dazu aufzufordern. Solange er noch bei Bewußtsein war und schreien konnte, würde das ganze Haus erfahren, daß der Verbrecher eingedrungen war.

»Ja, gewiß, aber ich werde schon allein mit ihm fertig.«

Dempsi sah seinen Freund nachdenklich an.

»Ich möchte doch den Augenblick wissen, in dem der Feuerkampf beginnt. Beim ersten Schuß werde ich an Ihrer Seite sein!«

Julius erblaßte. In Augenblicken großer Erregung wurden alle Römer weiß. Cesare Borgia hatte auch diese Eigenschaft besessen, ebenso Nero, der Rom in Asche gelegt hatte.

»Meinen Sie, daß es zu einer Schießerei kommt?« fragte Superbus schwach.

Dempsi nickte.

»Ein solcher Verbrecher trägt natürlich Waffen bei sich. Aber erinnern Sie sich stets daran, und lassen Sie sich von diesem Gedanken trösten: Wenn Sie fallen, werde ich bereit sein, Ihren Platz einzunehmen.«

Julius beugte sich vor.

»Wenn ich – wenn ich falle?« sagte er unsicher. »Aber ich werde doch nicht fallen, wenn ich immer auf dem Teppich gehe. Das Parkett ist allerdings sehr glatt.«

»Sie werden dann aufschauen und mich sehen« – Dempsi machte es augenscheinlich große Freude, die Szene noch weiter auszumalen. »Ich bin vielleicht das Letzte, was Sie in diesem Erdenleben sehen. Ich werde über Ihnen stehen, während Sie auf die Erde niedergestreckt sind, getroffen von einem Dutzend von Geschossen. Dann werde ich für Sie eintreten und mich Ihrem Mörder entgegenwerfen!«

Julius schloß die Augen, und seine Lippen bewegten sich.

Aber er war nicht in ein Gebet versunken.


 << zurück weiter >>