Edgar Wallace
Der Doppelgänger
Edgar Wallace

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10

Überraschenderweise kam Diana an diesem Tag zu ihm und bat um etwas Geld.

»Ich habe mein Geld auf die Londoner Filiale der Bank von Australien überweisen lassen, aber es muß irgendeine Stockung dabei eingetreten sein. Ich war heute dort, die Überweisung ist noch nicht eingetroffen. Ich habe infolgedessen kein Geld, Gordon.«

Sie zeigte ihm dramatisch ihre leere Brieftasche. Gordon gab ihr einen Scheck, und sein Selbstbewußtsein stieg, als er ihn ausstellte. Er wurde etwas freundlicher und väterlicher zu ihr.

»Hättest du mich nun aus dem Hause gewiesen, dann hätte ich verhungern müssen«, sagte sie, als sie den Scheck entgegennahm. »Gordon, du verbirgst hinter einer rauhen, abstoßenden Außenseite ein goldenes Herz.«

»Ich wünschte nur manchmal, du wärst ein wenig ernster«, erwiderte er gutgelaunt.

»Und ich wünschte nur, du wärest es nicht!«

Am Nachmittag wurde er auf das lebhafteste an Dianas eigenwilliges Handeln und an die Energie, mit der sie sich durchzusetzen verstand, erinnert, denn die Telefonarbeiter kamen und verlegten den Apparat aus dem Korridor in das Studierzimmer. Gordon brummte zuerst, aber Diana wir nicht auf den Mund gefallen, und er war nicht geneigt, sich im Augenblick in einen Disput mit ihr einzulassen.

Bobby kam zum Abendessen, und als er später mit Diana allein war, stellte er eine Frage an sie, die er sich selbst schon öfters vorgelegt hatte.

»Warum führst du eigentlich ein solches Leben hier? Du hast doch so viel Geld und könntest dich doch glänzend amüsieren, anstatt diesem steifen Gordon nachzulaufen?«

»Will Gordon mich hier haben? Hat er mich überhaupt haben wollen? Nein. Als ich hierherkam, ließ ich mein Gepäck in der Diele. Ich wollte mir damals nur einen Rat von ihm holen, in welches Hotel ich am besten ziehen könnte. Ich hatte nicht die leiseste Absicht, hier zu bleiben, bis ich ihn sah, ihn sprechen hörte und den Schrecken wahrnahm, als er vermutete, ich könne hier bleiben wollen. Als er dann so väterlich zu mir sprach und mich wie ein kleines Kind behandelte, blieb ich natürlich. An dem Tage, an dem Gordon mich halten möchte, gehe ich fort!«

Die Atmosphäre in dem Hause war geladen. Bobby fühlte es. Diana war nicht nur über das langsame Arbeiten der Bank ärgerlich. Sogar in dem Dienstbotenzimmer hinten war etwas nicht in Ordnung, Eleanor hatte eine bestimmte Ahnung.

»Ich bin sicher, daß etwas passiert.«

»Machen Sie sich doch nicht lächerlich«, sagte Trenter rauh.

»Ich wünschte, Sie gingen nicht fort«, rief sie plötzlich schluchzend. »Ich fürchte mich auf einmal so sehr. Dieser gräßliche Kerl, der immer zum Fensterputzen kommt, wird noch irgend etwas anstellen. Das habe ich gleich gesagt, als ich ihn sah. Das ist ein Schuft, ein Schurke! Habe ich es nicht gesagt?« Mit diesen Worten wandte sie sich an die Köchin.

»Ja, Eleanor hat gesagt, daß der Kerl verdächtig ist«, stimmte ihr die Köchin bei.

Gordon ging um zehn Uhr zu Bett. Aber um ein Uhr stand er schon wieder auf und ging in seinem Zimmer auf und ab. Um drei Uhr war er in seinem Studierzimmer und steckte die Kaffeemaschine an. Während der Kaffee kochte, öffnete er den Geldschrank, nahm die fünfzigtausend Dollar heraus, zählte sie genau und legte sie dann wieder zurück. Der Geldschrank sah eigentlich ein wenig schwach aus. Wenn erst diese verrückte Reise hinter ihm lag, wollte er das abändern. Er überlegte, daß es nicht schwer war, in das Haus einzubrechen. Die großen bunten Glasfenster waren nicht geschützt. Ein unternehmender, kühner Mann konnte sie mit einem Taschenmesser öffnen.

In einer Ecke des Zimmers befand sich eine kleine Tür, die hinter einem Vorhang verborgen war. Sie führte direkt auf den Hof, wurde aber niemals benutzt. Weshalb sie überhaupt angebracht war und welchen Zwecken sie diente, wußten nur der Erbauer und der frühere Eigentümer dieses Hauses, der dreimal geschieden worden war. Jetzt war er im Himmel, wenn seine in schönen Worten abgefaßte Grabschrift nicht log.

Gordon ging wieder in sein Zimmer hinauf, um den Schlüssel zu holen, dann öffnete er die Tür und trat in den »Garten« hinaus. Draußen war es dunkel und ruhig. Der feuchte Wind erfrischte ihn. Auf der anderen Seite des Hofes war eine kleine Tür, die in eine Seitenstraße führte. Die Mauer, die den Hof nach dort abschloß, war hoch, bot aber einem gewandten Einbrecher kein allzu großes Hindernis. Er fror, ging wieder in sein Studierzimmer und zu dem heißen Kaffee zurück und setzte sich an das Kaminfeuer, das er angesteckt hatte.

Er hätte gern tausend, ja zehntausend gegeben, wenn er dieses verrückte Abenteuer hätte aufgeben können. Es wäre doch viel besser, wenn er hierbliebe bei . . . nun ja, bei Diana.

Er mußte sich ja nun auf sie verlassen, wenn Mr. Tilmet am Sonntag kam. Sie mußte mit ihm verhandeln, es war wahrscheinlich niemand anders diesem schlauen und listigen Amerikaner gewachsen.

»Ich will es gern tun«, hatte sie ohne Zögern erwidert, als er sie darum bat. »Ist die Quittung ausgeschrieben und auch der endgültige Vertrag? Er hat aber durchaus keinen Wert, wenn der Text nicht von einem amerikanischen Notar aufgesetzt ist. Tante hat damals eine Petroleumquelle in Texas gekauft und mußte einen amerikanischen Rechtsanwalt aufsuchen, bevor der Vertrag geschlossen werden konnte.«

»Und sie ist dann doch beschwindelt worden«, sagte Gordon.

»O nein, sie hat siebzigtausend Dollar bei der Sache verdient. Sie hatte eine unwiderstehliche Neigung, sich an Geschäften zu beteiligen. Sind denn die Banknoten im Geldschrank?«

»Zusammen mit dem aufgesetzten Vertrag und der Quittung. Du bist wirklich eine tüchtige Geschäftsfrau, Diana!«

»Am besten ist es, du übergibst mir das Geld.«

Er öffnete den Geldschrank, und sie zählte die Scheine. Dann schloß sie die Banknoten wieder ein.

»Es ist gut«, sagte sie. »Ich werde großes Reinemachen halten, wenn du fort bist. Ich habe mir einen Mann bestellt, der die Fenster im Studierzimmer putzen soll. Sie sehen schauderhaft aus. Außerdem brauche ich jemand hier, weil du mit Trenter zu gleicher Zeit fortgehst. Ich werde ein Ehepaar hier ins Haus nehmen. Oben im Dachgeschoß ist ein Raum, wo sie schlafen können. Du bist doch damit einverstanden?«

Diana war sehr geschäftstüchtig, energisch und begabt, das gestand sich Gordon auch ein.

Als Eleanor früh am Morgen in das Zimmer kam, um aufzuräumen, saß er noch im Schlafrock vor dem Kamin. Das Feuer war ausgegangen, und als sie versuchte, es wieder anzuschüren, wachte er auf.

»Ach, mein Herr, Sie haben mich aber erschreckt!«

Er erhob sich steif und blinzelte sie an.

»Das tut mir leid, Eleanor. Schicken Sie mir Trenter!«

Das war wirklich ein guter Anfang für seinen Reisetag: Ihm taten alle Glieder weh, bis er sich durch ein heißes Bad erfrischte.

»Eleanor sagt, daß sie dich heute morgen schlafend vor dem Kamin angetroffen hat. Wann bist du denn heruntergekommen?« fragte Diana beim Frühstück.

»Ich glaube, es war drei Uhr morgens. Es fiel mir ein, daß ich noch etwas zu arbeiten hatte.« Sie war besorgt.

»Warum benützt du denn nicht den Nachtzug? Du könntest doch schlafen«, riet sie ihm.

Er zwang sich zu einem Lächeln.

»Ich werde schon gut schlafen«, sagte er und gab sich Mühe, recht vergnügt auszusehen.

Die Unterhaltung wandte sich anderen Dingen zu. Bald darauf erschien Bobby, um seine letzten Instruktionen entgegenzunehmen. Gordon war sehr nervös darüber, daß sein Bruder so pflichteifrig war, und sein Gutenmorgengruß klang nicht gerade höflich.

»Wenn du fort bist, werde ich Trenter bitten, mir deine Anzüge zu übergeben, die gereinigt und aufgebügelt werden müssen«, sagte Diana.

»Trenter reist vor mir ab – er fährt mit dem Zug nach Bristol, seine Tante ist schwer krank.«

»Was ist denn eigentlich mit dir los?« fragte Bobby plötzlich.

Gordon fuhr herum und wollte recht unangenehm werden, aber Bobbys Worte waren nicht an ihn gerichtet.

Diana war blaß geworden und sah ganz verstört aus. Gordon sprang auf und eilte zu ihr.

»Was hast du denn?« fragte er erschrocken.

»Es ist nichts – vielleicht ist es der Abschied, ich bin immer so niedergeschlagen, wenn meine Vettern fortfahren!«

»Hast du schlechte Nachrichten bekommen?«

Ihre Briefe lagen auf dem Tisch.

Sie schüttelte den Kopf.

»Ach nein, nur die Fleischerrechnung stimmt nicht ganz. Sieh mich doch nicht so an, Bobby, das schickt sich nicht!« Aber ihre Hand lag auf dem Brief, den sie eben gelesen hatte.

Mr. Dempsi war nicht tot, er war sehr lebendig und augenblicklich in London. Die ersten Zeilen seines Briefes waren bezeichnend für ihn.

»Meine Braut, ich bin gekommen, um in Deine Arme zu eilen!« In diesem Stil hatte er immer geschrieben.


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