Edgar Wallace
Der Doppelgänger
Edgar Wallace

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15

Gordon spielte zerstreut mit Kartoffelschalen, als Heloise hereinkam.

»Sie sind jetzt Onkel Artur!« sagte sie in geziertem Ton.

»Wo waren Sie, Heloise?«

Der Anblick seiner Gefährtin im Unglück brachte ihn wieder zur Besinnung. Heloise war ein Stück Wirklichkeit, etwas, an das man sich anklammern konnte. Er vergaß seinen Widerwillen gegen sie vollständig über der Freude, jemand zu treffen, der ihn in der Überzeugung bestärkte, daß er tatsächlich Gordon Selsbury war.

»Sagen Sie, Gordon, diese Liese – ist das Diana?«

Er nickte.

»Ist sie Ihre Frau? Das haben Sie mir immer verschwiegen.«

»Sie ist nicht meine Frau . . . sie hat kein Recht hier . . . wenn ich Ihnen Veranlassung gab, zu denken, ich sei verheiratet, so tat ich es nur, weil ich Sie aus dem Hause bringen wollte. Sehen Sie nun, was Sie angerichtet haben? Sie haben mich ruiniert! Wenn Sie bloß draußen geblieben wären! Wenn ich Sie nie gesehen hätte!«

»Sie hat mir eben erklärt, daß sie Ihre Witwe sei!« Heloise war ganz ruhig und kleinlaut, und es kam ihm so vor, als ob sie den Verstand verloren hätte.

»Wenn Sie wünschen, ist sie auch meine Witwe!« sagte er begütigend. »Nehmen Sie doch Platz, ich will Ihnen ein Glas Wasser geben!«

»Diana!« rief Heloise erstaunt. »Das ist also Ihr kleines, australisches Mädchen . . . Gordon, sagen Sie einmal aufrichtig, ist sie nicht ein Polizeispitzel?«

»Was soll sie sein?«

»Ich meine so ein Frauenzimmer aus Scotland Yard – sie tritt genauso auf. Aber nun kommen Sie mit.«

»Wohin?«

»Sie will uns dabeihaben«, sagte Heloise gleichgültig. »Es hat doch keinen Zweck, hier noch Spektakel zu machen, Gordon, wir müssen uns dem Zwang der Verhältnisse unterordnen.«

Das war ein Lieblingsspruch von Heloise. Er hatte ihn schon öfters aus ihrem Munde gehört.

Fünf Minuten später schüttelte ein schlanker Mann mit braunem Gesicht Gordons Hände, und wenn er sie nicht mehr schüttelte, dann drückte er sie.

»Das ist ihr Onkel! Noch so jung! Und doch ist er älter als er scheint! Und das ist Tante Lizzie!«

Er stürzte auf sie zu und küßte die geduldige Heloise auf beide Wangen.

Gordon stand vollständig verwirrt dabei. Wer war denn dieser verfluchte Bursche? Diana hatte es ganz versäumt, ihn vorzustellen. Nach einer Weile holte sie es aber nach.

»Mein lieber Onkel Artur, dies ist Mr. Giuseppe Dempsi. Du erinnerst dich – ich habe doch des öfteren über ihn gesprochen?«

Ihr vernichtender Blick war unnötig. Gordon erinnerte sich tatsächlich daran.

»Ich dachte, er sei tot.« Ihn überkam plötzlich ein sonderbares Gefühl, so daß er im tiefsten Baß sprach. Er war selbst darüber verwundert.

»Aber ich lebe! Freuen Sie sich, Onkel Artur! Ihr kleiner Wopsy lebt! Ich bin von den Schatten zurückgekehrt. Der süße Zauber einer Sirene brachte mich wieder zur Welt zurück, selbst aus dem Reich der Schatten . . .!«

Er zeigte mit einer theatralischen Gebärde auf Diana.

»Meine Braut!« sagte er mit zitternder Stimme.

Gordon sah von einem zum anderen. Dempsi – Braut – Braut – Dempsi!

»Das ist doch wirklich lächerlich!« rief er, zuckte aber gleich unter einem zerschmetternden Blick Dianas zusammen.

Aber Mr. Dempsi war zu glücklich, um sich irgendwie in seiner guten Laune stören zu lassen.

»Mein Onkel muß jetzt gehen – er muß die Hühner füttern«, sagte Diana hastig.

Sie war sehr enttäuscht, als sie erkannte, wie wenig sie sich auf ihre Stützen und Helfer verlassen konnte. Sie ging gleich nach ihnen in die Küche.

»Sie sind beide unbrauchbar, Sie haben mich schön blamiert«, rief sie ganz verzweifelt. »Sie mögen ja ganz tüchtige Verbrecher sein, weil Sie zu nichts anderem taugen. Sie standen wie Wachspuppen aus der Schreckenskammer da und haben weder etwas gesagt noch etwas getan!«

»Was sollten wir denn tun?« fragte Gordon. »Wenn ich getan hätte, wonach mir der Sinn stand, hätte ich diesen zappeligen kleinen Wopsy auf die Straße geworfen! Aber Sie sind ja jetzt Herr im Hause, Sie wollen ja nicht einmal die einfachste Erklärung entgegennehmen!«

»Aber zu Ihrer einfachsten Erklärung paßt es schlecht, daß Sie Tante Lizzie mitgebracht haben!« unterbrach sie ihn schroff. »Sie hätten mich vielleicht täuschen können, wenn Sie hier nicht mit Ihrer Komplicin, Ihrer Frau, aufgetaucht wären. Seien Sie doch vernünftig, Mann! Ich weiß doch genau, daß Sie der Doppelgänger sind! Ich werde Sie hier irgendwie verwenden, wenn es geht – wenn es nicht geht, schicke ich sofort zur Polizei! Mr. Superbus muß in jedem Augenblick kommen – der wird Sie bewachen! Also versuchen Sie, sich so aufzuführen, wie es einem Onkel zukommt.«

Gordon wand sich in seelischem Schmerz.

»Wie kann ich mich denn wie ein Onkel benehmen, wenn Sie mir einen verteufelten Detektiv vor die Nase setzen, um mich zu bewachen?« fragte er wütend. »Es ist doch kein Verbrechen, ein Onkel zu sein, meine Liebe! Sie können doch nicht einfach sagen: ›Bewachen Sie den Mann, er ist mein Onkel Artur!‹ Von Ihrem Standpunkt aus mag ja ein Onkel an sich eine verdächtige Tatsache sein, aber in diesem Lande ist man nicht der Ansicht! Wie wollen Sie denn das dem Mann erklären?«

Sie sah ihn verächtlich an.

»Ich kann ihm ja sagen, daß Sie nicht ganz richtig im Kopf sind«, erwiderte sie kühl. »Und das werde ich tun!«

Gordon lehnte sich an den Tisch, um einen Halt zu haben.

»Ich bin aber nicht schwachsinnig!« protestierte er heftig.

Sie warteten, bis Dianas Schritte verhallt waren.

»Das kommt von einem Ausflug nach Ostende«, sagte Mr. Selsbury. Seine Stimme überschlug sich beinahe.

»Wenn Sie bloß nach Ostende gereist wären! Dann hätte alles nicht passieren können!« fuhr ihn Heloise wild an. »Es ist Ihnen doch klar, daß mein Mann mir folgte und daß er in diesem Augenblick wahrscheinlich auf den Treppenstufen sitzt und nur darauf wartet, Ihren armen Geist von seiner irdischen Hülle zu befreien?«

Gordon strich müde und verzweifelt mit der Hand über die Stirn.


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