Edgar Wallace
Der Doppelgänger
Edgar Wallace

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11

Zehn Minuten später trat Bobby in das Zimmer seines Bruders, ohne anzuklopfen, und unterbrach anscheinend eine sehr vertrauliche Besprechung. Trenter steckte schnell ein ganzes Paket Telegrammformulare in die Tasche, aber Bobby hatte sie doch gesehen. Er machte aber keine Bemerkung darüber, bis der Butler, der seinen besten Anzug angelegt hatte und ungewöhnlich flott aussah, eilig verschwunden war.

»Trenter besucht seine kranke Tante«, erklärte Gordon.

»So sieht er auch aus«, meinte Bobby. »Die Chrysantheme in seinem Knopfloch wird sie sicher sehr aufleben lassen. Ist dieser vertrauenswürdige Mann etwa auch an dem Schwindel beteiligt?«

»Ich weiß nicht, was du unter ›Schwindel‹ verstehst«, sagte Gordon laut. »Ich wünschte, daß ich dir überhaupt nichts von der Sache gesagt hätte.«

»Das hättest du auch nicht getan, wenn du nicht jemand brauchtest, der dir im Falle der Not beisteht.«

Gordon starrte ihn an.

»Ich sage dir doch, daß ich nichts Unrechtes tun werde! Du kannst mir doch glauben!«

»Na, das ist ein bißchen viel verlangt, aber ich will es ja tun. Du kannst aber lange suchen, bis du einen anderen findest, der die Geschichte für wahr hält!«

»Du verstehst diese – diese Seelenverwandtschaft nicht, die uns beide zueinander hinzieht. Es ist ein gegenseitiges Verstehen und Ergänzen, das du bei keinem anderen Menschen findest. Es liegt eine magische Anziehungskraft in einer solchen Beziehung zu einem andern. Man wird erhaben über Zeit und Raum.«

Bobby nickte weise.

»Nun ja, ich verstehe schon, welche Anziehungskraft eine Frau ausüben kann.« Gordon richtete sich auf.

»Bobby«, beschwor er seinen Bruder beinahe, »dies ist wirklich keine gewöhnliche Liebesaffäre – es ist etwas ganz anderes.«

»Es ist genau dasselbe wie all die anderen Geschichten. Die Dame ist natürlich verheiratet?«

»Ja, Heloise ist verheiratet«, erwiderte Gordon ernst.

»Heloise? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Und Trenter reist also vermutlich nach Schottland, um die nötigen Telegramme aufzugeben und das Märchen glaubwürdig zu machen, das du Diana erzählt hast. Sage einmal, wie sieht denn deine Heloise eigentlich aus?«

Gordon war aber nicht in der Stimmung, sich mit seinem Bruder darüber zu unterhalten.

»Wenn du mir jetzt noch Scherereien machen willst –«

»Nun, sei doch nicht verrückt! Ich will dir nichts in den Weg legen, denn aus irgendeinem mir selbst unerklärlichen Grunde glaube ich dir.«

Es klopfte an der Tür, und Eleanor trat ein.

»Wollen Sie Mr. Superbus empfangen?« fragte sie.

»Nein!« rief Gordon wütend. »Holen Sie mir lieber ein Auto.«

»Wer ist denn dieser Mr. Superbus?«

»Der Detektiv, von dem ich dir schon erzählte. Er ist hinter dem Doppelgänger her.«

Bobby pfiff.

»So? Um Himmels willen, an den habe ich noch gar nicht gedacht! Gordon, die Sache ist kritisch! Hast du Geld im Hause?«

»Das habe ich dir doch schon alles gesagt.«

»Du behauptest immer, daß du mir alles gesagt hast. Ich glaube, du weißt überhaupt nicht mehr, was du redest.«

»In meinem Geldschrank liegen fünfzigtausend Dollar. Diana ist instruiert. Das Schlüsselwort ist Alma, ich habe es ihr gesagt, du kannst es auch wissen. Das Geld ist für Mr. Tilmet bestimmt, der am Sonntag kommt. Aber du brauchst dich nicht darum zu kümmern, Diana wird die Sache schon in Ordnung bringen.«

»Der Doppelgänger!« wiederholte Bobby nachdenklich. »Und du bist gerade ein Mensch, den er bis aufs Haar genau kopieren könnte. Manchmal ertappe ich mich dabei, daß ich dich unbewußt auch nachmache! Weißt du, so ein bißchen pompös, ein bißchen gespreizt und geziert –«

Gordon wies ihn mit einer Geste aus dem Zimmer. Seine Geduld war erschöpft. Als er hinunterkam und sich verabschieden wollte, war Diana ausgegangen. Der Telefonhörer lag auf dem Schreibtisch, er legte ihn wieder auf die Gabel.

»Wo ist Miss Ford?« fragte er.

»Sie ist fortgegangen und bat mich, Ihnen ihre Abschiedsgrüße zu übermitteln. Wollen Sie noch Mr. Superbus sprechen?«

»Nein, dazu habe ich doch keine Zeit mehr! Sagen Sie ihm – ach, sagen Sie ihm, was Sie wollen. Ich muß jetzt zu meinem Zug.«

Er war in solcher Eile, daß Bobby sich nicht mehr über das informieren konnte, weswegen er gekommen war. Gordon hatte nämlich vergessen, ihm die Adresse mitzuteilen, unter der ihn Telegramme erreichen konnten. Bobby hätte ihm ja nachgehen können, aber er wußte nicht, wohin er sich zuerst wenden würde. Für die Abfahrt des Zuges war es offenbar noch viel zu früh, und Bobby war viel zu diskret, um eine Begegnung mit der faszinierenden Mrs. van Oynne zu riskieren. Er setzte sich also ins Wohnzimmer und wartete auf Dianas Rückkehr. Plötzlich fiel ihm ihr merkwürdiges Verhalten ein, und er zerbrach sich den Kopf, was das wohl für ein Brief gewesen sein mochte, der solchen Eindruck auf sie gemacht hatte. Er hatte schärfere Augen als sein Bruder und hatte die eng beschriebenen Zeilen unter ihrer Hand wohl bemerkt. Diana hatte also auch ihre Geheimnisse!

Gordon war einfach ein unmöglicher Narr! Sein Fall lag hoffnungslos. Er gehörte eigentlich ins Irrenhaus. Bobby stand auf und trat an den Geldschrank. Einen Augenblick zögerte er, dann stellte er das Schlüsselwort ein und öffnete ihn.

Außer einer ausgefertigten Quittung und einem vier Seiten langen Vertrag enthielt der Geldschrank nichts. Von Geld war keine Spur zu sehen!


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