Edgar Wallace
Der Doppelgänger
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19

Heloise trat ein und sah mürrisch aus.

»Was gibt es denn?« fragte sie. »Ich hörte jemand die Treppe hinauf laufen.« Ihr Blick fiel auf die Keksschachtel, sie nahm eine Handvoll, setzte sich vor den Kamin und aß in aller Gemütsruhe. »Ich fühle mich in diesem Hause nicht recht wohl, ich wünschte, ich wäre daheim!«

Ihre ungewöhnliche Niedergeschlagenheit machte Eindruck auf Diana.

»Holen Sie noch eine Tasse und einen Teller, Mr. Superbus«, sagte sie. »Tante Lizzie möchte Tee trinken.«

Julius kniete vor dem Kamin und glich in dieser Stellung einem Priester irgendeiner geheimnisvollen Sekte von Feueranbetern. Er richtete sich mühsam auf und sah Diana ängstlich an.

»Sie können auch das nötige Geschirr aus dem Geschirrschrank am Ende des Ganges nehmen, dann brauchen Sie nicht in die Küche hinunterzugehen.«

Julius erhob sich erleichtert.

»Es wäre mir auch nicht darauf angekommen, das zu tun«, log er.

Heloise starrte in die Flammen. Es schienen fast Jahre vergangen zu sein, seitdem sie sich mit Gordon über Seelenharmonie unterhalten hatte. Diana beobachtete sie und bemerkte, daß sie eigentlich recht schön war. Sie bewunderte ihr gutgeformtes Gesicht, das Oval ihrer Wangen und ihre feingeschnittene Nase. Sie empfand ein leises Mitgefühl für diese Frau.

»In welchem Verhältnis stehen Sie eigentlich zu dem Doppelgänger?«

Heloise zuckte nur die Schultern.

»Sind Sie mit ihm verheiratet?«

Mrs. van Oynne war klug und hellhörig.

»Ich werde es Ihnen vielleicht später einmal erzählen«, sagte sie melancholisch. »Aber nicht jetzt – jetzt nicht!« Sie seufzte tief.

»Ich bin davon überzeugt, daß Sie dieses Leben nicht führen, weil es Ihnen Freude macht. Wahrscheinlich sind Sie nur dazu gezwungen«, fuhr Diana fort.

»Ja, Sie haben mich erkannt.« Heloise nickte langsam.

»Wenn ich etwas für Sie tun könnte –« begann Diana. Mr. Superbus kam mit Tasse und Teller an und unterbrach diese vertrauliche Unterhaltung jäh.

»Haben Sie gut geschlafen, Tante Lizzie?« fragte Julius, als er hörbar seinen Tee schlürfte.

»Nein, ich kann in fremden Betten nicht schlafen – außerdem habe ich große Sorge – und man findet keine Ruhe, wenn man von Sorgen gequält wird.«

»Nach meiner Theorie haben Sie aber doch geschlafen!«

Sie sah ihn über die Schulter an.

»Wie kommen Sie denn zu dieser Annahme? Glauben Sie, ich wüßte nicht, ob ich schlafe oder nicht? Sie armseliger – – Mr. Superbus.«

»Man kann niemals genau wissen, ob man schläft. Schlafwandeln Sie nicht ein wenig?« fragte er möglichst gleichgültig.

»Was meinen Sie?«

»Ich meine, ob Sie nicht im Schlaf umherwandeln? Ich hatte den Eindruck, daß ich Sie um ein Uhr gesehen hätte.«

Sie wandte ihr Gesicht ab und schaute wieder ins Feuer.

»Sie scheinen eine rege Phantasie zu haben. Wenn ich dächte, daß Sie mich um ein Uhr gesehen hätten, würde ich hier auf der Stelle sterben. Ich hatte mich ganz ausgezogen – sind Sie verheiratet?«

Julius nickte.

»Sie haben mich um ein Uhr nicht gesehen – ich würde mich sonst zu Tode schämen.«

Julius war verwirrt, aber er ließ sich doch nicht ganz entmutigen.

»Vielleicht war es auch drei Uhr. Ich habe jedenfalls jemand die Treppe herunterkommen sehen. Haha, Tante Lizzie! Ich habe Sie gesehen!« Er drohte ihr schelmisch mit dem Finger.

»Sie sind ganz verrückt«, sagte sie kurz, gähnte und stand auf. »Ich glaube, ich kann jetzt schlafen. Und ich werde einen Strumpf über das Schlüsselloch hängen«, wandte sie sich an Mr. Superbus, der über diese Verdächtigungen entrüstet war.

»Haben Sie Tante Lizzie wirklich gesehen?« fragte Diana, als Heloise gegangen war.

»Nein. Aber man kann auf diese Weise die Leute zum Geständnis bringen. Das ist ein amerikanischer Trick, ich habe ihn schon oft angewandt.«

»Glauben Sie, daß Tante Lizzie hier war?«

»Ganz bestimmt. Haben Sie nicht bemerkt, wie leise sie geht? Das ist ein schlechtes Zeichen –«

»Haben Sie nicht gemerkt, wie sie nach L'Origan duftet?« fragte Diana spöttisch.

»Das habe ich nicht gemerkt«, gab Mr. Superbus verwirrt zu.

»Ich wundere mich, daß Sie das nicht bemerkt haben. Diese schweren französischen Parfüms duften so stark, daß man sie direkt sehen kann. Aber es war kein Geruch nach L'Origan in dem Studierzimmer, als wir hereinkamen, wenigstens kein frischer.«

Sie ging zum Fenster und zog die Jalousie hoch, aber es war noch ganz dunkel. Sie fühlte sich vollständig frisch und wollte nicht mehr schlafen, aber sie wußte im Augenblick auch nicht, wie sie ihre Tatkraft am besten anwenden konnte.

»Nehmen Sie diesen Schlüssel, gehen Sie ins Zimmer von Onkel Artur, öffnen Sie die Tür leise und sehen Sie nach, ob er noch im Bett liegt. Und schließen Sie dann die Tür schnell wieder!«

Mr. Superbus liebte es nicht, zur Eile angetrieben zu werden. Er stieg langsam die Treppe hinauf und lauschte an der Tür. Er hörte nichts – das war befriedigend. Aber auf der anderen Seite erschienen ihm diese Stille und Ruhe verdächtig. Wahnsinnige Leute sind bekanntlich auf ihre Art sehr schlau und verschlagen. Er erinnerte sich an grauenhafte Geschichten von Irren, die leise umherschlichen, ihre Wärter von hinten anfielen und ihnen die Kehle mit Blechstücken durchschnitten, die sie heimlich geschärft hatten.

Julius Superbus atmete tief.

Wenn Onkel Artur schlief, würde er kein Geräusch machen. Und da kein Geräusch zu hören war, mußte er schlafen. Beruhigt ging Mr. Superbus wieder nach unten.

»Er schläft wie ein unschuldiges Kind«, berichtete er. »Er hat die Hand an der Backe und lächelt wie ein kleiner Engel.«

Sie nahm ihm den Schlüssel ab und betrachtete ihn.

»Waren Sie wirklich in dem Zimmer?«

»Natürlich.« Julius wärmte seinen Rücken am Kaminfeuer. »Ich habe das Licht angedreht und mich genau umgesehen.«

Sie sah immer noch auf den flachen Schlüssel in ihrer Hand.

»Ich habe Sie nur deshalb gefragt, weil ich Ihnen aus Versehen einen falschen Schlüssel gab.«

Aber Julius war ein Mann, der nie um eine Ausrede verlegen war.

»Ich habe eine Methode, Türen ohne Schlüssel zu öffnen, die nur drei Leuten auf der Welt bekannt ist.«

»Kommen Sie mit mir.« Diana erhob sich. »Auch ich habe meine Methoden, Türen zu öffnen. Ich benütze nämlich den richtigen Schlüssel dazu.«

Er ging hinter ihr her und war nun doch etwas kleinlaut. Sie schloß rasch die Tür von Gordons Gefängniszelle auf und machte Licht.

Das Zimmer war leer.


 << zurück weiter >>