Edgar Wallace
Die blaue Hand
Edgar Wallace

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30

Digby Groat machte eine unerwartete Reise nach dem Westen.

Ein guter Feldherr bereitet, selbst wenn er siegreich ist, seinen Rückzug vor, und Digby hatte längst an Kennett Hall als eine Zuflucht gedacht, wenn er in Bedrängnis käme.

Kennett Hall gehörte zu den Ländereien, die seine Mutter geerbt hatte, und die erst an das Syndikat verkauft werden konnte, wenn er ihre Unterschrift beigebracht hatte.

Er hatte seinen Wagen am frühen Morgen dorthin geschickt. Aber er selbst war mit dem Zug gefahren. Sein staubbedeckter Wagen wartete vor dem Bahnhof. Die wenigen Beamten sahen Digby nicht gerade freundlich nach, als er den Bahnsteig verließ.

»Da ist Mr. Groat, der Eigentümer von Kennett Hall«, sagte der Pförtner zu dem alten Stationsmeister.

»Schon gesehen. Es war ein böser Tag für unseren Ort, als das Gut in den Besitz der Mrs. Jane Groat überging. Sie ist keine gute Frau.«

Digby hörte nichts von dem schlechten Urteil, das man über seine Mutter und ihn fällte, als er auf der hügeligen Straße nach Kennett Hall fuhr. Die schmiedeeisernen Tore erwiesen sich als Prachtstücke der Rokokokunst, aber die Wachhäuschen zu beiden Seiten des Eingangs waren häßliche, kleine Bauten aus der Zeit der Königin Victoria. Seit zwanzig Jahren standen sie unbenutzt und sahen zerfallen und verkommen aus. Unkraut bedeckte die schönen Blumenbeete, deren Farbenpracht einst eine herrliche Zierde des Anwesens war. Den geschotterten Fahrweg konnte man kaum mehr von dem Rasen unterscheiden.

Der Verwalter eilte zum Tor, um aufzuschließen. Es war ein mürrischer Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Auch der Anblick seines Herrn stimmte ihn nicht freundlicher.

»Ist jemand hier gewesen?« fragte Digby.

»Nein, Sir, nur der Flugzeugführer.«

»Steigen Sie aufs Trittbrett«, sagte Digby kurz.

Der Wagen durchfuhr eine lange Ulmenallee, wandte sich dann zur Rechten und hielt vor einem baumlosen Abhang, der zu der untersten Terrasse führte. Alle Schönheit der Natur von Somerset konnte den traurigen Eindruck nicht verwischen, den das Herrenhaus machte. Geländer und Terrassen waren zerfallen, und Wind und Wetter hatten dem Gebäude übel mitgespielt. Die Fassade sah verkommen und schmutzig aus, die dunklen, staubigen Fenster starrten trostlos auf die schöne Welt.

Digby war nicht deprimiert durch den Anblick des zerfallenen Hauses. Er kannte es schon und hatte früher einmal die Absicht gehabt, es niederzureißen und einen modernen Bau an seiner Stelle errichten zu lassen.

Masters schloß die große Haustür auf und folgte seinem Herrn.

Im Innern war der Verfall noch mehr als draußen zu erkennen. Als sie in die Eingangshalle traten, hörten sie Tiere forthuschen.

»Ratten sind auch hier?«

»Ja«, erwiderte Masters resigniert, »sogar unheimlich viele. Ich habe schon genug damit zu tun, sie aus meiner Wohnung fernzuhalten. Aber hier im Ostflügel ist es geradezu fürchterlich; ich hatte auch schon einmal Terrier und Frettchen.«

»Ist der Flugzeugführer im Haus?«

»Er hat eben gefrühstückt.«

Digby folgte dem Verwalter durch einen langen, dunklen Gang und trat durch die Tür, die der andere öffnete.

Der bärtige Villa nickte ihm vergnügt zu. Er trug noch Fliegerkleidung.

»Gut, daß Sie da sind«, sagte Digby.

»Ich bin glücklich hierhergekommen, aber das ist eigentlich nur durch die Gnade der Götter geschehen. Ich bin an diese leichte Maschine nicht gewöhnt. Es ist besser, wenn Bronson sie zurückbringt.«

Digby nickte, nahm einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber, »ich habe Bronson den Auftrag gegeben, hierherzukommen; ich erwarte ihn heute abend.«

Masters war gegangen, und Villa wartete, bis seine Schritte verklangen. »Was ist eigentlich los? Sie wollen doch nicht etwa Ihren Wohnsitz verlegen?«

»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte Digby kurz. »Der Flugplatz in Seaford wird dauernd beobachtet, wenigstens Steele ist alarmiert und weiß, daß ich ein Flugzeug benützen will, oder er vermutet so etwas. Ich habe mich daher entschlossen, Privatpiloten zu nehmen.«

»Dieses Haus eignet sich aber auch nicht sehr für Sie«, meinte Villa und schüttelte den Kopf. »Warum kommen Sie überhaupt hierher? Hier können Sie doch nur für kurze Zeit Ihr Hauptquartier aufschlagen. Steht die Sache denn schlecht?« fragte er plötzlich.

»Es kann sein, daß jeder sehen muß, wie er sich rettet. Aber ich hoffe, daß es nicht dazu kommt. Alles hängt davon ab –«; er beendete den Satz nicht und fragte plötzlich unvermittelt: »Wie weit liegt die Küste von hier entfernt?«

»Die ist sehr nahe. Ich bin in einer Höhe von zweitausend Metern geflogen und konnte den Kanal von Bristol deutlich sehen.«

Digby fuhr mit der Hand über die Stirn und sah nachdenklich auf den Tisch.

»Ich kann Ihnen ja trauen, Villa, und ich muß Ihnen jetzt sagen, so sehr Sie diese schnellen, leichten Flugzeuge auch hassen, müssen Sie sich doch bereit halten, mich mit einer solchen Maschine in Sicherheit zu bringen. Ich wiederhole, daß es nicht zu dieser Flucht kommen wird, soweit ich die Sache überschauen kann, aber wir müssen auf alles vorbereitet sein. In der Zwischenzeit habe ich noch einen Auftrag für Sie. Sie sollten nicht nur die Maschine herbringen, als ich Sie rufen ließ.«

Villa hatte das auch vermutet.

»Sie haben wahrscheinlich in den Zeitungen schon von dem reichen, brasilianischen Pflanzer Maxilla gelesen. Er hält sich jetzt in Deauville auf.«

»Meinen Sie den Spieler?« fragte Villa erstaunt. – Digby nickte.

»Ich weiß zufällig, daß er in der letzten Zeit sehr viel Pech gehabt hat. In der letzten Woche hat er etwa zwanzig Millionen Franken verloren. Aber das ist nicht sein einziger Verlust. Er hat auch in Aix und in San Sebastian gespielt, und soweit ich weiß, ist er in einer ziemlich verzweifelten Lage.«

»Aber er ist noch lange nicht am Ende«, sagte Villa. »Ich kenne den Mann, er ist so reich wie Krösus. Ich habe seine Jacht gesehen, als Sie mich nach Le Havre schickten. Ein ganz wundervolles Schiff, das etwa eine Viertelmillion wert ist. Er hat ein paar Hundert Quadratmeilen Kaffeeplantagen in Brasilien –«

»Das weiß ich alles«, unterbrach ihn Digby ungeduldig. »Die Hauptsache für mich ist, daß er im Augenblick kein Geld hat, kein flüssiges Geld. Wir wollen nicht lange darüber sprechen, Villa. Hören Sie zu. Gehen Sie nach Deauville, nehmen Sie Ihre Maschine, und fliegen Sie hin. Sprechen Sie mit Maxilla – Sie sprechen doch portugiesisch?«

»Wie ein Eingeborener. Ich habe längere Zeit in Lissabon gelebt.«

»Sie werden also mit Maxilla sprechen, und wenn er Geld braucht, wie ich vermute, dann bieten Sie ihm hunderttausend Pfund für seine Jacht. Es ist ja möglich, daß er den doppelten Kaufpreis fordert, und Sie müssen damit rechnen, auch so viel zu zahlen. Maxilla steht gerade nicht in dem besten Ruf, und wahrscheinlich wird die brasilianische Schiffsbesatzung froh sein, wenn das Schiff verkauft wird. Wenn es Ihnen gelungen ist, das Schiff zu bekommen, senden Sie mir ein Telegramm. Das Schiff soll in den Kanal von Bristol gebracht werden, wo die Kohlen eingenommen werden.«

»Es ist ein Turbinendampfer mit Ölfeuerung.«

»Nun gut, dann wird er dort eben Öl fassen und Vorräte, die ausreichen, um einen Monat auf See zu bleiben. Der Kapitän soll direkt in meine Londoner Wohnung kommen, um meine Befehle entgegenzunehmen. Der Erste Offizier kann das Schiff ja hinbringen. Haben Sie meinen Auftrag richtig verstanden?«

»Mit Ausnahme von zwei Dingen habe ich alles richtig begriffen, mein lieber Freund«, sagte Villa liebenswürdig. »Erstens einmal muß ich Geld haben, wenn ich diese Jacht kaufen soll.«

»Das werde ich Ihnen natürlich mitgeben.«

»Zweitens – was verdient der arme Villa bei der Sache?«

»Sie werden nicht schlecht dabei fahren.«

»Dann ist alles in Ordnung.«

»Maxilla darf unter keinen Umständen wissen, daß ich der Käufer bin. Entweder kaufen Sie das Schiff auf Ihren eigenen Namen oder für einen reichen kubanischen Pflanzer oder meinethalben für einen Freund, dessen Namen Sie nicht nennen. Ich werde den Kapitän und die Schiffsmannschaft schon zum Schweigen veranlassen, wenn ich erst an Bord bin. Sie fliegen heute abend noch nach Deauville ab.«

Digby hatte auch noch andere Vorkehrungen zu treffen, und Masters erhielt den Befehl, zwei kleine Zimmer in Ordnung zu bringen, einzurichten und mit Betten und Möbeln zu versehen. Masters war ganz verwirrt.

»Was fällt Ihnen denn ein?« sagte Digby ärgerlich. »Wenn keine Betten hier sind, dann fahren Sie eben nach Bristol oder in eine andere naheliegende Stadt, kaufen Betten und bringen Sie mit einem Auto hierher. Es ist ganz gleich, was es kostet. Bringen Sie auch Teppiche mit.«

Er legte ein Paket Banknoten auf den Tisch, und Masters, der noch nie in seinem Leben eine so große Geldsumme in der Hand gehalten hatte, wäre beinahe vor Staunen umgefallen.


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