Edgar Wallace
Die blaue Hand
Edgar Wallace

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29

Die beiden Männer, die einander tödlich haßten, standen sich gegenüber.

»Sie lügen«, wiederholte Jim. »Miss Weldon ist entweder hier in diesem Hause, oder sie ist auf Ihren verdammten Landsitz nach Somerset gebracht worden!«

Digby Groat war weniger durch Jims heftige Beleidigungen als durch die Gegenwart des Rechtsanwalts aus der Fassung gebracht.

»Sie geben sich also zum Werkzeug dieses erpresserischen und gemeinen Menschen her«, wandte er sich höhnisch an Mr. Salter. »Ich dachte, ein Mann von Ihrer Erfahrung würde es ablehnen, sich von einem solchen Burschen zum Narren halten zu lassen. Jedenfalls«, sagte er zu Jim, »wünscht Miss Weldon, nichts mehr mit Ihnen zu tun zu haben. Sie hat mir von dem Streit, den sie mit Ihnen gehabt hat, erzählt, und ich muß wirklich sagen, daß Sie sich sehr schlecht gegen sie benommen haben.«

Digby log, das wußte Jim sofort. Eunice hätte ihm niemals ihr Vertrauen geschenkt.

»Welches Interesse haben Sie denn an Miss Weldon?« fragte Digby den Rechtsanwalt.

»Ich interessiere mich nur rein menschlich für sie«, erklärte der alte Salter.

Jim war von dieser Äußerung betroffen.

»Aber –« begann er.

»Ich glaube, es ist besser, wir gehen, Steele«, unterbrach ihn der Rechtsanwalt und sah ihn verstohlen und warnend an.

»Warum haben Sie ihm denn nicht gesagt, daß Eunice die rechtmäßige Erbin des Dantonschen Vermögens ist?« fragte Jim, als sie in einiger Entfernung von dem Hause waren.

»Nehmen wir einmal an, alle Ihre Befürchtungen seien wahr«, erwiderte der Anwalt liebenswürdig, »nehmen wir einmal an, daß dieser Mann tatsächlich ein solcher Schuft ist, wie wir glauben. Das Mädchen ist doch jetzt in seiner Gewalt. Was würde die Folge davon sein, wenn ich ihm erzählte, daß Eunice Weldon ihm die ganze Erbschaft streitig macht, daß ihr sogar dieses Haus gehört und er vollständig arm und ruiniert ist?«

Jim biß sich auf die Lippen. »Sie haben recht«, sagte er kleinlaut. »Ich bin immer zu hitzig und unbesonnen.«

»Solange Digby Groat nicht weiß, daß ihm Gefahr von Eunice droht, ist sie verhältnismäßig sicher. Auf jeden Fall ist sie nicht in Lebensgefahr. Wenn er erst alles erfährt, was wir wissen, ist sie dem Tod geweiht.«

Jim nickte. »Dann glauben Sie also, daß sie in wirklicher Gefahr ist?«

»Ich bin davon überzeugt, daß Mr. Digby Groat nicht vor einem Mord zurückschrecken würde, wenn er dadurch sein Erbe retten kann«, sagte der Rechtsanwalt schroff.

Sie sprachen nicht mehr, bis sie in das Büro in der Marlborough Street kamen. Dort ließ sich Jim mit einem Seufzer in den Sessel fallen und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Es scheint fast so, als ob wir machtlos wären«, sagte er bitter. »Aber, Mr. Salter, das Gesetz ist doch größer als Digby Groat. Gibt es denn keine Handhabe, ihn durch eine Anklage vor Gericht unschädlich zu machen?«

Der alte Septimus Salter rauchte selten in seinem Büro, aber heute nahm er seine Meerschaumpfeife aus einer Schublade seines Schreibtisches heraus, wischte sie sorgfältig an seinem Ärmel ab und füllte sie langsam und in unerschütterlicher Ruhe mit Tabak.

»Das Gesetz, mein Junge, ist größer als Digby Groat und größer als Sie oder ich. Manchmal lachen Leute, die es nicht verstehen, darüber, manchmal machen sie sich darüber lustig, im allgemeinen fluchen sie darüber. Aber wenn das Gesetz und die Rechtsprechung auch nicht schnell arbeiten, so sind sie doch wie die Mühle, die nur langsam, aber furchtbar klein mahlt. Das Gesetz beschränkt sich nicht auf Verhaftungs- und Durchsuchungsbefehle, es hat tausend Waffen, mit denen es Betrüger und Bösewichte niederschlagen kann. Und bei Gott, alle diese Waffen sollen gegen Digby Groat angewandt werden!«

Jim sprang auf und drückte die Hand des alten Salter.

»Und wenn das Gesetz ihn nicht fassen kann, so will ich selbst ein Gesetz schaffen und ihn mit diesen beiden Händen erwürgen!«

Mr. Salter sah ihn verwundert, aber auch ein wenig belustigt an. »In diesem Fall, mein lieber Steele«, sagte er dann trocken, »wird das Gesetz Sie packen und erwürgen – und das ist die Sache doch nicht wert, wenn ein paar beschriebene Bogen Papier dasselbe Resultat haben, als wenn Sie persönlich diesen Schuft umbringen.«

Jim begann sofort mit seinen Nachforschungen. Zu seinem Erstaunen erfuhr er, daß Mrs. Groat und Eunice tatsächlich zur Victoria-Station gefahren waren. Ferner konnte er feststellen, daß Digby zwei Fahrscheine nach Paris gelöst und zwei Plätze in einem Schlafwagen reserviert hatte. Dadurch konnten die Namen der beiden Damen leicht festgestellt werden, was Digbys Absicht war.

Jim konnte aber nicht herausbringen, ob sie wirklich mit dem Zug abgefahren waren.

Er ging zu dem Rechtsanwalt zurück und berichtete über seine Erkundigungen.

»Die Tatsache, daß Jane Groat fortgefahren ist, beweist noch lange nicht, daß unsere Klientin ebenfalls London verlassen hat«, meinte er nachdenklich.

»Unsere Klientin?« fragte Jim erstaunt.

»Ja, unsere Klientin«, wiederholte Septimus Salter lächelnd. »Vergessen Sie nicht, daß Miss Danton unsere Klientin ist, und bevor sie mir nicht den Auftrag gibt, die Vertretung ihrer Interessen einem anderen Rechtsanwalt zu übertragen –«

»Mr. Salter«, unterbrach ihn Jim, »wann wird Bennett das Vermögen der Dantons übergeben?«

»Heute morgen geschah es«, war die etwas, unerwartete Antwort, obwohl Mr. Salter nicht im mindesten darüber deprimiert zu sein schien.

»Um Gottes willen!« rief Jim schwer atmend. »Dann befinden sich ja die ganzen Güter schon in Digby Groats Händen?«

»Nur vorübergehend, lassen Sie sich dadurch nicht aus der Fassung bringen und setzen Sie Ihre Nachforschungen ruhig weiter fort. Haben Sie noch etwas von Lady Mary gehört?«

»Von wem?« fragte Jim ganz erstaunt.

»Von Lady Mary Danton. Das ist doch Ihre geheimnisvolle Frau in der schwarzen Kleidung. Ich ahnte es gleich, daß sie es war, ich habe niemals daran gezweifelt. Aber als Sie mir von der blauen Hand erzählten, stand es bei mir fest. Sie sehen, mein Junge«, sagte er und zwinkerte mit den Augen, »ich habe einige Nachforschungen in einer Richtung angestellt, die Sie vernachlässigten.«

»Was hat denn die blaue Hand zu bedeuten?«

»Lady Mary wird es Ihnen an einem der nächsten Tage wohl erzählen. Bevor sie nicht selbst zu Ihnen darüber spricht, fühle ich mich nicht berechtigt, Sie in mein Vertrauen zu ziehen. Sind Sie schon einmal in einer Färberei gewesen, Steele?«

»Ja.«

»Haben Sie die Hände der Frauen gesehen, die mit Indigo umgehen?«

»Wollen Sie damit sagen, daß Lady Mary in einer Färberei arbeitete, nachdem sie verschwand?« fragte Jim ungläubig.

»Das wird sie Ihnen schon selbst mitteilen«, entgegnete der Rechtsanwalt, und hiermit mußte Jim sich zufriedengeben.

Die Nachforschungen waren nun zu schwer geworden, und es waren zu viele Spuren zu verfolgen, als daß Jim alles allein hätte durchführen können. Mr. Salter stellte deshalb noch zwei Detektive an, die früher in Scotland Yard gearbeitet, jetzt aber ihre eigene Agentur eröffnet hatten. Am Nachmittag hielten sie mit ihren beiden neuen Hilfskräften eine Konferenz ab, wobei ihnen alles mitgeteilt wurde, was bisher bekannt war.

Am selben Nachmittag sah Digby Groat, als er aus seinem Fenster Umschau hielt, einen bärtigen Mann, der an der Gartenseite des Gebäudes entlangschlenderte, eine Pfeife im Mund hatte und offenbar ganz in den Anblick der schönen Natur und der architektonischen Feinheiten der Häuser am Grosvenor Square versunken war. Er hätte sich den Mann genauer angesehen, wenn er nicht durch die Ankunft von Mr. Bennett unterbrochen worden wäre. Dieser eckige Schotte mit den strohblonden Haaren war ihm unsympathisch.

»Nun, Mr. Bennett, hat Ihnen der alte Salter alle Urkunden ausgehändigt?«

»Jawohl, Sir. Ich habe alles erhalten.«

»Glauben Sie nicht, daß er uns noch irgendeinen bösen Trick spielen wird?«

»Mr. Septimus Salter ist ein ganz hervorragender Rechtsanwalt, dessen Name überall respektiert wird. Solche Leute lassen sich nicht auf Tricks ein«, sagte Mr. Bennett sehr kühl.

»Nun, Sie brauchen sich nicht gleich beleidigt zu fühlen. Großer Gott, glauben Sie etwa, daß er Ihr besonderer Freund ist?« fragte Digby Groat.

»Welche Gefühle er mir gegenüber hat«, antwortete Bennett in seiner harten, nördlichen Aussprache, »kümmert mich im Moment nicht. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, was ich von ihm denke. Die ganzen Grundstücksbriefe der Ländereien sind so weit in Ordnung gebracht, daß der Verkauf sofort vollzogen werden kann. – Sie verlieren keine Zeit, Mr. Groat.«

»Nein«, sagte Digby, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte. »Die Mitglieder des Syndikats drängen sehr darauf, daß der Besitz übergeben wird. Welches ist der früheste Termin, an dem wir die Sache perfekt machen können?«

»Morgen früh. Ich vermute –«, Mr. Bennett zögerte, »daß die Frage nach der eigentlichen Erbin, Dorothy Danton, endgültig geklärt ist?«

Digby lächelte.

»Dorothy Danton ist vor zwanzig Jahren ertrunken und längst von den Fischen aufgefressen worden. Machen Sie sich deshalb keine Kopfschmerzen.«

»Dann steht der Sache ja nichts im Wege.« Bennett zog eine Anzahl von Schriftstücken aus einer schwarzen Ledermappe. »Vier dieser Dokumente müssen Sie unterschreiben, das fünfte muß Ihre Mutter zeichnen.«

Digby runzelte die Stirn.

»Meine Mutter? Ich dachte, das sei unnötig. Ich ließ doch die Vollmacht durch den Notar ausfertigen.«

»Sie wissen, Mr. Groat, daß diese notarielle Vollmacht nicht ausreicht, um alle Pachtverträge und sonstigen Rechte, die Sie geerbt haben, zu veräußern. Die Rechte, die nicht übertragen werden können, sind zwar nicht sehr wertvoll, aber sie geben Ihrer Mutter ein Pfandrecht auf Kennett Hall. Unter den gegebenen Umständen wäre es besser, wenn Sie die Originalunterschrift beibrächten, damit es nachher keine Unannehmlichkeiten gibt. Mr. Salter ist ein sehr kluger Mann, und wenn ihm die Einzelheiten der Besitzübergabe bekannt werden, wäre es sehr leicht möglich, daß er eine offizielle Warnung, ein Caveat, eintragen läßt. Er fühlt sich doch noch immer verantwortlich als Rechtsanwalt des verstorbenen Mr. Danton.«

»Was hat denn ein Caveat zu bedeuten?«

»Hierdurch wird jeder Käufer gewarnt, das Besitztum zu erwerben. Sollte sich nach dem Kauf herausstellen, daß der Verkäufer irgendwie nicht zu dem Verkauf berechtigt war, so hat der Käufer den Schaden zu tragen. Und ich glaube nicht, daß das Syndikat das Risiko übernehmen würde, Ihnen die Kaufsumme für die Ländereien in bar auszuzahlen, wenn ein Caveat eingetragen ist.«

Digby starrte lange Zeit aus dem Fenster.

»Also gut, dann werde ich die Unterschrift meiner Mutter beibringen.«

»Sie ist, soviel ich weiß, in Paris?«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich mußte heute bei Mr. Salter vorsprechen, um die letzten Formalitäten zu erledigen, und er erwähnte es nebenbei.«

Digby brummte etwas vor sich hin.

»War es denn absolut notwendig, daß Sie Salter wieder aufsuchten?« fragte er barsch.

»Ich regle meine Angelegenheiten nach bestem Wissen und Gewissen, wie ich es verantworten kann«, erwiderte Mr. Bennett etwas scharf und unfreundlich.

Digby sah ihn ärgerlich an und nahm sich vor, nach der Durchführung dieser Transaktion die Dienste dieses unangenehmen Schotten nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Er haßte das Gesetz, und er haßte Rechtsanwälte. Er hatte den Eindruck gehabt, daß die Firma Bennett froh sei, diesen großen Auftrag zu erhalten und infolgedessen seinen Wünschen möglichst entgegenkommen würde. Aber er mußte zu seinem Verdruß wahrnehmen, daß der gefügige Rechtsanwalt, den er sich vorgestellt hatte, in Wirklichkeit nicht existierte. »Geben Sie mir das Dokument, ich werde meine Mutter unterzeichnen lassen.«

»Werden Sie nach Paris fahren?«

»Ich werde es ihr durch ein Flugzeug schicken lassen.«

Der Rechtsanwalt nahm die Papiere zusammen und packte sie wieder in die Ledermappe.

»Dann erwarte ich Sie also morgen um zwölf Uhr im Büro des Nordland-Syndikats.«

Digby nickte.

»Noch etwas, Mr. Bennett« – er rief den Rechtsanwalt noch einmal zurück –, »bitte annoncieren Sie dieses Haus zum Verkauf. Ich werde in Zukunft den größten Teil meiner Zeit in Übersee zubringen und kann dieses wertvolle Eigentum nicht ungenützt liegenlassen. Ich möchte, daß es sehr schnell verkauft wird.«

»Wenn man schnell verkaufen muß, so drückt das auf den Preis. Aber ich werde sehen, was sich machen läßt, Mr. Groat. Wollen Sie auch die Einrichtung mit verkaufen?«

Digby nickte.

»Sie haben doch auch noch eine Besitzung auf dem Lande?«

»Die will ich nicht veräußern.«

Als der Rechtsanwalt fort war, ging er hinauf in sein Zimmer, wechselte die Kleider und war verhältnismäßig lange damit beschäftigt.

»Nun muß ich Eunice überreden, ein vernünftiges Mädchen zu sein und keinen Spektakel zu machen«, sagte er zu sich selbst, als er die Treppe herunterkam und die Handschuhe anzog.


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