Edgar Wallace
Die blaue Hand
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9

Ich kann heute nicht im Büro bleiben, ich habe verschiedene wichtige Dinge zu erledigen«, sagte Jim.

Mr. Salter sah auf. »Geschäfte, Steele?« fragte er höflich.

»Nicht nur Geschäfte.« Jim hatte den Eindruck, daß Mr. Salter wußte, um was es sich handelte.

»Es ist gut.« Salter setzte seine Brille wieder auf und wandte sich der Arbeit zu.

»Ich möchte Sie aber noch etwas fragen, Mr. Salter. Deswegen kam ich ja eigentlich hierher, sonst hätte ich Ihnen meine Abwesenheit auch telefonisch erklären können.«

Der Rechtsanwalt legte geduldig die Feder wieder hin.

»Ich verstehe nicht recht, warum dieser Mr. Groat so viele spanische Freunde hat? Da ist zum Beispiel eine junge Dame, die er sehr häufig sieht, Comtessa Manzana. Haben Sie schon von ihr gehört?«

»Ich lese ihren Namen gelegentlich in der Zeitung.«

»Es verkehren noch andere Spanier bei ihm, besonders ein gewisser Villa. Auch habe ich erfahren, daß Mr. Groat fließend spanisch spricht.«

»Das ist merkwürdig.« Mr. Salter lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Sein Großvater hatte auch viele spanische Freunde. Vielleicht ist irgendwie eine spanische Verwandtschaft in der Familie. Der alte Danton, ich meine damit Jonathan Dantons Vater, verdiente den größten Teil seines Vermögens in Spanien und Zentralamerika. Die Dantons waren eigentlich eine sonderbare Familie. Sie lebten alle sehr zurückgezogen und für sich, und ich glaube, Jonathan Danton hat während seiner letzten zwanzig Jahre nur ein Dutzend Worte mit seiner Schwester gewechselt. Sie waren nicht böse miteinander, das war nur eine seiner Eigentümlichkeiten. Ich kenne auch andere Familien, in denen dergleichen vorkommt. Schweigsame Leute, aber sehr ehrenhaft.«

»Hat der Großvater Dantons Mrs. Groat irgendein Vermögen hinterlassen? Er hatte doch nur zwei Kinder? Einen Sohn und diese Tochter?«

Septimus Salter nickte.

»Er hat ihr keinen Pfennig vermacht. Sie lebte in Wirklichkeit von der Mildtätigkeit ihres Bruders. Ich weiß nicht, aus welchem Grunde sie der alte Mann nicht leiden mochte. Jonathan wußte ebensowenig darüber wie ich, denn der Alte sprach nie darüber. Jonathan hat sich verschiedene Male mit mir darüber unterhalten, was seine Schwester wohl getan haben mochte, daß sie sich die Abneigung ihres Vaters zuzog. Diese Abneigung, um nicht zu sagen Feindschaft, war auch der Grund, warum er seine Tochter in seinem Testament vollständig überging.

Vielleicht ärgerte sich der alte Mann über ihre Heirat mit Mr. Groat, denn dieser hatte keine große gesellschaftliche Stellung. Er war nur ein Angestellter in Dantons Liverpooler Büro. Er wußte sich in Gesellschaft nicht zu bewegen, hatte ein unfreundliches Wesen und stand mit seiner Frau niemals auf gutem Fuß. Die arme Lady Mary war die einzige, die immer gut zu ihm war. Seine Frau haßte ihn aus einem Grunde, den ich nicht näher kenne. Als er starb, hinterließ er sein ganzes Geld einem entfernten Vetter. Es waren ungefähr fünftausend Pfund. Der Himmel mag wissen, woher er die hatte. – Aber nun machen Sie, daß Sie fortkommen, Steele!« sagte Mr. Salter verzweifelt. »Sie bringen mich immer wieder auf diese alten Geschichten.«

Jim ging an diesem Morgen zuerst zum Ministerium des Innern. Er wollte das Geheimnis aufklären, das über Madge Benson lag. Weder das Polizeipräsidium noch die Zentraldirektion der Gefängnisse waren gewillt gewesen, einem Privatmann irgendwelche Auskunft zu geben, und in seiner Verzweiflung hatte er sich direkt ans Büro des Unterstaatssekretärs gewandt. Glücklicherweise hatte er dort einen Freund, einen Mann von mittlerem Alter, mit dem er während des Krieges in Frankreich war.

Er empfing ihn in seinem Büro mit einer Wärme, die Jim zeigte, daß er nicht vergessen war.

»Nehmen Sie Platz. Ich kann Ihnen leider nur wenig in dieser Angelegenheit mitteilen.« Er nahm ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch auf. »Eigentlich dürfte ich Ihnen ja überhaupt nichts darüber sagen – aber hier ist die Auskunft, die mir die Gefängnisdirektion gesandt hat.«

Jim las die wenigen Zeilen, die darauf standen.

»Madge Benson, 26 Jahre alt, Hausmädchen. Ein Monat Gefängnis wegen Diebstahls. Verurteilt vom Polizeigericht in Marylebone. 5. Juni 1911. Überführt nach Holloway-Gefängnis. Entlassen am 2. Juli 1911.«

»Wegen Diebstahls?« sagte Jim nachdenklich. »Man weiß natürlich nicht, was sie gestohlen hat?«

Der Beamte schüttelte den Kopf.

»Ich würde Ihnen den Rat geben, den Gefängniswärter in Marylebone aufzusuchen. Diese Leute haben oft ein außerordentlich gutes Gedächtnis für Personen. Außerdem könnten Sie ja auch noch die Akten über ihre Verurteilung einsehen. Aber es wäre besser, wenn Sie Mr. Salter darum bitten, einen Antrag zu stellen. Einem Rechtsanwalt wird man die Auskunft nicht verwehren.«

Aber das war ja gerade das, was Jim nicht tun wollte.


 << zurück weiter >>