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XI.

In Rom war eine pestartige Krankheit ausgebrochen, an der in wenigen Tagen viele Hunderte starben. Das Volk geriet in einen Aufruhr, als ob der Feind vor den Thoren stünde. Wilde Gerüchte tauchten auf und verbreiteten sich im Fluge durch die ganze Stadt. Nachts wurden vermummte Gestalten gesehen, welche vor den einzelnen Häusern kurze Zeit stille standen, verweilten, dann weiter wandelten und welche niemand aufzuhalten wagte. Am Morgen fand man hier und dort geheimnisvolle Merkmale, und in den so bezeichneten Häusern brach nach wenigen Stunden die schreckliche Krankheit aus, häufig sämtliche Bewohner hinraffend.

Ein allgemeiner Aufschrei des Schreckens und der Wut: die Juden hexten den Römern die Pest an.

Sie stürzten zum Ghetto, drangen in die Häuser, mißhandelten Frauen und Kinder; sie ergriffen die Aeltesten und Vornehmsten, schleppten sie durch die Volksmenge bis auf den Quirinal, vor den Palast des Papstes.

Bei diesem Ausbruche des Volkshasses wurden manche der Ebräer getötet, manche von der Brücke Quattro Capi in den Strom hinabgeworfen.

Der Papst sollte verurteilen, verdammen; selbst der Papst konnte die Juden nicht schützen. Um das Volk zu beruhigen, ließ der heilige Vater Verhaftungen vornehmen und erteilte den Befehl zur Ausweisung mancher Familien. Diejenigen, welche sein Gebot traf, verließen die Stätte, wo ihr Geschlecht seit Jahrhunderten als Parias gelebt hatte, unter Wehklagen, wie wenn sie Jerusalem verließen. Sie zogen zu den Ausgestoßenen, zu den Verachteten und Verworfenen ihres Stammes – zu den Juden im Thale der Egeria.

Diese empfingen die Vertriebenen, von denen sie sich gemieden und verabscheut wußten, nicht nur ohne jeden Hohn, sondern mit lautem Jammer über das Schicksal ihrer Glaubensgenossen. Der ganze Stamm der Steppenbewohner zog den Ausgewiesenen bis zum appischen Thor entgegen; die Weiber hatten ihren Schmuck von sich gethan, und die Männer gingen unbedeckten Hauptes.

An der Spitze des Zuges schritt, schwer auf einen Stab sich lehnend und mühsam sich aufrecht haltend, ein Jude, noch jugendlichen Alters, aber mit den Spuren langen Siechtums an seiner gebeugten, hageren Gestalt und auf dem bleichen Gesicht. Aber seine Augen waren voller Glanz und um seinen Mund lag der Ausdruck eines mächtigen Willens. Neben Mose ging ein Weib von unsäglicher Holdseligkeit, voll ängstlicher Sorgfalt die schwankenden Schritte des Führers bewachend und diesen von Zeit zu Zeit liebreich stützend. Sie sprachen leise miteinander.

Myrrha sagte:

»Es war recht, daß Du meiner Mutter gebotest, im Lager zu bleiben, obwohl sie Dir eine bessere Stütze gewesen wäre als Dein Stab.«

Mose erwiderte:

»Der Anblick Deiner Mutter Judäa hätte ihnen, denen wir entgegenziehen, eine Demütigung bereitet. Deine Mutter besitzt einen wilden Geist, der sich nicht bezähmen kann: Kränkung, die ein Jude erfährt von einem Juden, soll sein gleich Spreu, welche vom Winde verweht wird. Du bist sanfter geartet.«

»Ich habe nicht erduldet, was meine Mutter erduldet hat.«

Mose verharrte dabei:

»Wenn ein Jude mich ins Gesicht schlägt, so schlage ich nicht wieder, sondern ich vergebe dem Juden um des Fluches willen, der auf allen ruht, welche unseres heiligen Stammes sind. Erhebt aber ein Christ seinen Arm gegen mich, so zermalme ich, wenn Gott den Christen in meine Hand gibt, sein Herz um des Hasses willen, der zwischen Juden und Christen ist, und der währen wird bis in die Ewigkeit.«

Myrrha seufzte; ihr Mann hörte es und meinte mit herber Stimme:

»Du freilich gedenkst voller Holdseligkeit eines Christen, und wäre dieser Christ auch ein Jude gewesen und unser Todfeind geworden.« Und da Myrrha zu diesem Vorwurf schwieg: »Ich sage Dir aber, es wird die Zeit kommen, wo wir abrechnen mit ihm, dem Du vergeben hast. Dann hüte Dich, für ihn zu bitten.«

Jetzt erreichte der Zug das Stadtthor, zu dessen beiden Seiten er sich aufstellte, die Juden aus dem Ghetto zu erwarten. Diese kamen, von Häschern geführt und gefolgt von denen, die zurückbleiben durften. Jammergeschrei ertönte. Hinter den Ausgewiesenen wurde das Thor der Stadt, darin die Pest wütete, geschlossen. Krachend schlug es zu.

Nun zogen die vertriebenen Juden in Gemeinschaft mit den von ihnen verachteten Ebräern ihrer neuen Wohnstätte zu, welche die wilde, sumpfige Steppe war. Mose befand sich mitten darunter, mit einer Miene, als ob dieser Tag die Feier der Vereinigung von ganz Israel wäre. Myrrha sprach mit ihrer sanften Stimme den Frauen Mut und Trost ein. Sie hatte einer kranken Mutter den weinenden Säugling abgenommen und schritt, das Kind an ihre Brust drückend, den Verbannten voraus, so feierlich, als trüge sie ein hehres Heiligtum. Unberührt von dem Jammer der Großen hatten die Kinder sich zusammengefunden. Voller Freude über die neuen Spielgefährten liefen sie vom Wege ab in die frühlingsgrüne, blumige Steppe hinein, in deren Wunder die junge Brut der Wildnis ihre neuen Kameraden, welche niemals aus den engen, feuchten Gassen der Judenstadt herausgekommen waren, voller Stolz einführte. Angelangt in der Senkung des egerischen Thales, empfing Judäa die neuen Bewohner der Steppe. Sie wollte ausbrechen im Gefühl des Triumphes und der gesättigten Rache; aber ein gebieterischer Blick Moses bändigte das leidenschaftliche Weib, daß es vor ihren gedemütigten Feinden schweigend zur Seite trat.

Kaum hatten die Vertriebenen sich notdürftig angesiedelt, als von Rom der Befehl kam: alle Juden, welche widerrechtlich vor den Thoren der Stadt lagerten, hätten den Ort zu verlassen und davonzuwandern – zum mindesten dreißig Meilen weit! Und es dürften ihre Hütten und Lagerstätten angetroffen werden »an keinem Orte, wo Christen wohnten«.

Diesesmal erhoben die Ebräer kein Jammergeschrei. Im Lager blieb es still: eine dumpfe Verzweiflung hatte sich aller Gemüter bemächtigt.

Indessen die Frauen zu der weiten Wanderung rüsteten – binnen drei Tagen mußte auch der letzte Jude aus der Umgebung Roms gewichen sein – traten die Männer zur Beratung zusammen. Wohin sollten sie ihre Schritte lenken? Ob nach Süden oder Norden, ob nach Westen oder Osten – wo auch über ihnen der Himmel sich wölbte, allerorten hatten sie unter sich die Erde, auf der sie unstät und flüchtig einherwandern mußten. Und wären sie tausend Meilen weiter gezogen, immer blieb der Fluch an ihnen haften, den keiner von ihnen verschuldet hatte, und der doch sie alle traf.

Sie wußten sich nicht Rates.

Da trat Mose vor. Er schaut hinüber, wo jenseits des grünen Meeres der Steppe das Felsengebirge aufragte, eine gewaltige steinerne Mauer, leuchtend im Glanze des Tages, mit silberhellen Gipfeln und Graten, darauf der tiefblaue Himmel zu ruhen schien. Und Mose sprach:

»Ich will euch eine Stätte weisen, an der sollt ihr Frieden haben, so elend sie auch sonst sein mag. Wollt ihr mir folgen?«

Alle schauten auf ihn und riefen:

»Mose soll uns führen!«

Die Männer verkündigten ihren angstvoll harrenden Frauen:

»Morgen früh wandern wir.«

Von allen Seiten hieß es:

»Wohin?«

Aber die Männer meinten:

»Mose wird uns führen.«

Mose schwankte an seinem Stabe durch das Lager; die Weiber drängten sich heran und riefen ihm zu, ihnen zu sagen, wohin er sie zu führen gedächte. Er erwiderte:

»Nicht in ein Land, darinnen Milch und Honig fließt, wohl aber an eine Stätte, wo ihr Frieden finden werdet.«

Abseits von den Frauen stand Judäa, schweigend herüberschauend. Mose, als fühlte er ihren Blick, wendete sich ihr zu, schaute ihr in die Augen und begab sich, von den anderen hinweg in die Grotte, welche vom Volke nach der Nymphe Egeria genannt wird. Dort quoll unter einem zertrümmerten marmornen Frauenbilde ein schwacher Wasserstrahl hervor, langsam in ein mit Schilf und Lilien gefülltes Becken niederrieselnd, auf dessen Rand Mose sich ausruhte. Er saß gebeugten Hauptes, in tiefen Gedanken, und blickte nicht auf, als jemand zu ihm in die Grotte trat; er wußte, wer ihm nachgegangen war.

Judäa näherte sich dem Einsamen, blieb stehen und sagte, ihre Stimme dämpfend:

»Ich weiß, wohin Du uns führen wirst.«

»Und Du willst den anderen sagen, daß sie mir nicht dahin folgen sollen. Vielleicht hören sie auf Dich!«

»Vielleicht. Ich kenne Dich; es liegt kein Stein in Deinem Wege, über den Du Dir nicht Gedanken machtest – was denkst Du Dir dabei, daß Du uns in die Nähe führen willst von einem, der unser aller Feind ist?«

Mose sah auf.

»Solltest Du, von der sie sagen, Du läsest in den Seelen der Menschen, meine Gedanken nicht kennen?«

»Nein.« Dann sprach sie langsam und feierlich: »Frieden hast Du dem Volke der Flüchtigen und Verfolgten verheißen – siehe zu, daß Dein Wort nicht zu schänden wird.«

Mose rief:

»Er soll sein Volk, das er verlassen hat, vertrieben sehen von jenen, welchen er sich angelobt. Unter seinen Augen wollen wir unsere Hütten bauen und dem Herrn dienen, den er verleugnet hat. Er wird uns geächtet und elend sehen und unser Anblick wird an seinem Herzen nagen, bis es sein Herz zerfressen hat. Sehen werden wir ihn in hohen Ehren und gleich einem Heiligen geachtet, und sein Anblick wird uns, die wir unserem Gotte getreu sind, gleich Himmelsmanna sein. Denn in seiner Seele tobt der Kampf, wir aber werden den Frieden haben, den ich euch verheißen.«

Judäa erwiderte:

»O Mose, Mose, der Du um Deines Hasses willen Dein Volk in eine Wüste führen willst! Ueber den Stein auf Deinem Wege machst Du Dir Gedanken, aber das Herz der Menschen kennst Du nicht. Und wenn der Mann, von dem die Christen sagen, daß er ein Heiliger sei, in seinem Herzen ein frommer Jude geblieben wäre, er würde dennoch unser Todfeind sein müssen – eben um seiner christlichen Heiligkeit willen! Dein Herz aber kenn' ich! Du willst uns, die Du liebst, zu jenem führen, den Du hassest, um ihn durch unsern Anblick zu zermalmen; denn je jammervoller er uns sieht, um so herrlicher wird unsere Rache sein. Hüte Dich! Wir sind müde vom Leben und möchten rasten; daran denke; Dein ist die Verantwortung.«

Damit verließ sie ihn.

Als Mose allein war, rang er mit sich und bestand einen schweren Kampf, aus dem dieser starke Geist nicht als Sieger hervorging.

In der Nacht stahl sich Myrrha von ihres Gatten Seite und verließ leise die Hütte, welche in dem Gemäuer einer weitläufigen Ruine errichtet stand. Die Hunde, von denen die Ansiedlung der Ebräer bewacht wurde, begrüßten die liebliche Herrin des Lagers mit einem Freudengeheul, sprangen gleich einer Schar weißer, zottiger Unholde an der schlanken Gestalt empor, dieselbe mit ihren unbändigen Liebkosungen beinahe zu Boden reißend. Eine Weile duldete Myrrha ihre wilden Freunde, ermahnte sie schließlich zur Ruhe und ging dann langsam ihres Weges. Die Sterne leuchteten, daß sie die Stätten ihrer Kindheit, welche sie zum letztenmal durchwandelte, in einem milden Schimmer erblickte, und so blieb das Bild ihrer wilden Heimat in Myrrhas Seele.

Sie erstieg den Hügel, an dessen Fuß die Ansiedlung der Judengemeinde lag; auf der Höhe angelangt, erstreckte sich die Flur unter ihr wie ein Schneegefilde, weiß von Tazetten. Mvrrha ging bis zur Gräberstraße und wandelte auf dieser dem Gebirge entgegen.

»... Da wir noch Kinder waren und von der Welt nichts wußten, schritten wir oft diese Straße zwischen den Reihen der Gräber dem schönen Gebirge zu. Jeden Morgen kam er den weiten Weg gelaufen, vom Ghetto bis hieher, wo die Tochter des verfehmten Volkes auf ihn wartete. Wenn er sie sah, leuchteten seine Augen. Das Mädchen war dem Knaben lieber als Vater und Mutter, als Himmel und Erde. Wenn er mich aber fragte: ›Hast Du mich lieb?‹ so verstand ich ihn nicht.

Wenn er mich jetzt fragen würde – –

Jetzt ist er ein großer Priester der Christen, und ich bin eines jüdischen Mannes Weib.

Wie eine vom Stamme Asra würde ich sterben müssen, wenn ich liebte.

Wie ist mir nur, Herr, Herr, wie ist mir nur? Seitdem ich eines Mannes Weib geworden, trage ich es in mir wie eine Flamme, die mich verzehrt, und die ich nicht löschen kann, und überfluteten mich auch alle Wasser des Himmels. O Mose, Mose, was hast Du mir angethan mit Deinem Kusse ...«

Das junge Weib preßte die Hand auf ihr Herz, seufzte jammervoll und fuhr fort, vor sich hin zu reden:

»... Sie hassen ihn und fluchen ihm: er habe sein Volk verraten, seinen Glauben abgeschworen, seinen Gott verlassen. Als wüßten sie nicht, warum er also gethan: aus Liebe, aus herrlicher, heiliger Liebe! Weil er sein Volk liebte und eine seines Volkes, um sein Volk und eine seines Volkes zu erlösen. Als wüßte ich nicht, wie elend er ist, und daß jemand kommen müßte, ihn zu erlösen durch heilige Liebe.

Herr, Herr, was ward aus mir! Ich bin einer Jüdin Tochter und eines Juden Weib, und sehne mich nach herrlicher und heiliger, nach erlösender Liebe!

Und möchte sterben darum ...«

Sie hob ihr Antlitz auf, streckte beide Arme empor, als ob sie die so heiß von ihr ersehnte Liebe – als ob sie den Tod von dem gestirnten Himmel herabziehen wollte. Sie flüsterte:

»... Ich weiß, daß Du Qualen leidest. Aber wenn ich zu Dir käme und mein Haupt an Deine Brust legte und Dich auf den Mund küßte – ach, wie würde Dir dann so wohl sein, wie wärest Du dann so selig, so erlöst! Was kümmert es mich, daß Du Christ bist, und ich Jüdin bin, was kümmert das den Himmel? Wenn wir nur die Liebe haben ...«

Endlich wandte sie sich und ging zurück, langsam, wie in tiefer Ermattung. Beim Grabmal der Metella blieb sie stehen. Immer noch befand sich in dem mächtigen Bau der Spalt, durch den sie in ihrer Kinderzeit mit dem Freunde eingedrungen war in die düstere Wohnung der Toten. Sie schloß die Augen. Da sah sie sich selbst sitzen unter dem Marmorsarkophag, von dem die Bildnisse der im Tode vereinigten Gatten auf sie herabglänzten. Sie hatte den Schoß voller Strahlen, daraus sie für Dahiel einen Kranz winden wollte. Aber sie konnte den Glanz nicht haschen. Mit einem Seufzer erwachte sie aus ihrem Traum. Traurig ging sie weiter.

Ehe sie in die Tiefe zum Lager hinabstieg, suchte sie die Stelle auf, wo damals am Rande des Steineichenhains ihr Freund und Mose vor ihren Augen miteinander um ihr Leben gerungen. – Wenn ihr Gatte die Gedanken seines Weibes in dieser Nacht wüßte, so würde er in der nächsten sie erwürgen. Aber nicht mit einem Laut hätte sie ihn um ihr Leben gebeten.

Es war noch tiefe Nacht, als Myrrha in die Hütte zurückkehrte und sich an ihres Mannes Seite niederlegte. Mose schlief unruhig, sprach im Traum, seufzte, murmelte, griff wild um sich.

»... Wenn er es wüßte, so würde er mich töten.«

Aber es graute ihr nicht; und bald war sie fest eingeschlafen.

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