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X.

Aus den Bekenntnissen.

So habe ich denn mit der Hilfe des Herrn den eitlen und weltlichen Sinn jenes Weibes geläutert, gebeugt und dem Himmel zugewendet. Es war ein schweres Stück Arbeit. Doch habe ich nicht nachgelassen, gegen den bösen Feind sowohl in des Weibes als in meiner eigenen Seele zu Felde zu ziehen: je mehr er mir trotzte, um so hartnäckiger setzte ich ihm zu. Ich habe aber recht die Schwäche des Fleisches erkannt; denn es ist nicht zu sagen, wie das Weib sich an ihre irdische Liebe klammerte, an ihren Mann und an ihr Kind, über denen sie Himmel und Erde vergaß. Und wenn ich dann bedachte, daß dieselbe Sünderin einstmals in schändlicher Leidenschaft für mich, der ich doch ein Gesalbter des Herrn war, entbrannt gewesen, so empörte sich mein Herz gegen sie, und mein Geist entbrannte in heiligem Feuer, in dieser verlorenen Seele das Licht der Erkenntnis anzuzünden.

Sie haben in ihrer Brust gewaltig miteinander gerungen: die himmlische und die irdische Liebe – Gott und der Teufel. Eine Zeit lang bin ich jeden Abend bei Anbruch der Dunkelheit den weiten, beschwerlichen Weg von meiner Klause bis zur Anioschlucht gewandert; dort, in den Trümmern der Villa des heidnischen Kaisers, in dieser höllischen Wildnis, darin der wilde Geist des Scheusals Nero umgeht, habe ich auf Clelia gewartet. Kam sie dann, so haben wir zusammen inbrünstig gebetet, und ich habe in sie hineingesprochen mit aller Gewalt meiner Rede, bis sie vor mir sich zu Gottes Füßen wand, und ihre Seele wie Wachs ward, das im Feuer schmolz. Denn ich hatte das Wort gefunden, mit dem der Himmel mir Macht über sie gab:

»Die Missethaten der Eltern sollen heimgesucht werden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.«

Einmal berichtete sie mir, wie ihr Mann ihr Fortschleichen in der Nacht gemerkt hatte; sie hegte große Furcht, er möchte unsere heiligen Zusammenkünfte entdecken und selbige ihr verbieten. Da brachte ich ihr aus der Klosterapotheke ein Mittel, davon sie abends ihrem Mann einige Tropfen in den Wein schütten sollte, was sie auch that, so daß sie fortan in aller Ruhe sich davonschleichen konnte, bis ich das große Werk an ihr vollendet hatte. Sie leistete ein Gelübde, lediglich in geschwisterlicher Weise mit ihrem Gatten zu leben, und alles thun zu wollen, um die Seele ihres Kindes vor dem ewigen Verderben zu retten. Das war auch für mich eine gute Stunde. Eine Zeit lang sah ich sie darauf nicht, hörte indessen von ihr, daß sie einen überaus christlichen Lebenswandel führte, den ganzen Tag in den Kirchen betete und auch sonst mit aller Inbrunst zu sühnen und zu büßen trachtete. Daran erkannte ich recht, welche Macht über die Seelen der Menschen Gott mir verliehen, und ich ward frohen Mutes, denn Großes werde ich noch vollbringen.

Auch sonst geht es mir wohl. Mein Geist ist ein Simson und hat mit Riesenkraft das Fleisch überwunden. Mein Leib bedarf wenig. Will ich nicht in Schlaf verfallen, so wache ich, und will ich Trank und Speise entbehren, so hungere ich. Ich bin kein Körper mehr – ich bin ein Willen geworden.

Bisweilen beliebt es dem Himmel, mich zu versuchen. Der Himmel macht es alsdann wie Abt Evaristus, der mich häufig zu seiner Tafel ladet und die leckersten Gerichte auftragen läßt: Fisch und Fleisch, süßen Wein und Gebäck. Indessen so heiß mein Verlangen auch sein mag, es hilft meinem klugen Abte doch nichts; nicht einmal, daß ich ihn merken lasse, wie ich darbe, während er schwelgt. Der Himmel zeigt mir das wunderschöne Weib, die Clelia, über deren Seele ich Gewalt besitze wie über meine eigene, und nach der ich nur meine Hand auszustrecken brauchte; aber wie glühend es mich auch darnach gelüsten mag, es ergeht dem Himmel nicht anders als dem Abt. Ich denke, beide werden mit der Zeit ermüden, zu versuchen, mich meinem Willen abspenstig zu machen.

Wie ich es erwartete, hat Abt Evaristus in der Sache mit den Benediktinern nicht gegen mich gehandelt; der Ehre des Ordens und dem Ruhm seines Klosters zu liebe. Er hat noch mehr gethan. Als die Benediktiner sich nach Rom wendeten, um wider mich Klage zu führen, ist Abt Evaristus selber nach Rom gegangen, daselbst im Vatikan mit seiner Person für mich zu zeugen. Er hat es auch durchgesetzt, daß die Benediktiner mit ihrer Klage zurückgewiesen wurden, und hat mir den apostolischen Segen des heiligen Vaters überbracht, worüber im Kloster ein großer Jubel gewesen. Auch berichtete er: ganz Rom wäre davon erfüllt, daß in einem sabinischen Kloster ein ehemaliger Jude Wunder thäte und einen heiligen Lebenswandel führte, nicht anders wie Sankt Franziskus selber. Im Ghetto wüßte ein jedes Kind von Dahiel, dem Konvertiten.

Ich weiß indessen, daß der Haß des Mannes gegen mich gewachsen ist, riesengroß, und daß er nur auf einen Anlaß lauert, mich zu verderben. So bin ich denn auf meiner Hut.

Häufig geschieht es, daß Abt Evaristus mich in meiner Klause aufsucht, um mit mir über heilige Dinge zu reden, und jedesmal sind das Thema der Disputation die Juden, ihre Sündhaftigkeit und ihre Verdammnis. Um für meine Reden einen Zeugen zu haben, läßt er sich von einem Bruder begleiten; wir sitzen alsdann vor meiner Hütte auf den Felsblöcken unter den hohen Erikastauden, und Abt Evaristus müht sich ab, dem Konvertiten Schlingen zu legen. Aber wenn er es arg treibt in seinem christlichen Eifer gegen die Feinde Gottes, so treibe ich es noch ärger mit Verwünschungen und wütenden Reden. Wie könnte ich mich auch dagegen verschließen, daß die Juden schuld sind an großen Uebeln, und es nicht anders verdienen, als von den Christen gehaßt und verachtet, angefeindet und verfolgt, gejagt und vernichtet zu werden.

Mehr und mehr lebe ich streng nach den Regeln Sankt Franziski, mehr und mehr erkennend, in welche Verkommenheit und Entartung der Orden meines lieben Heiligen geraten ist. Und dieses sei ihm gelobt: Franziskus verleihe mir die Macht, und ich werde den Willen und die Kraft haben, sein wankendes Heiligtum zu stützen und die Schächer aus dem Tempel zu treiben; denn mehr und mehr beginne ich die Lüge und Heuchelei der Menschen zu hassen, wie auch mein Widerwille gegen die Welt von Tag zu Tag wächst. Und das ist gewiß: wollte Christus die Welt erlösen, so konnte er es allein auf eine Art vollbringen: indem er in der Welt alles menschliche Leben auslöschte. Denn ob Christ, ob Jude – erlöst wird der Mensch erst sein, wenn er vom Leben erlöst ist.

*

Es hat sich etwas begeben, was ich zu meiner Erläuterung und Erhebung aufzeichnen will.

Ich sitze eines Abends vor meiner Hütte, als ich höre, wie auf dem steinigen Pfade jemand gegangen kommt; doch war es bereits zu finster, um erkennen zu können, wer es sei. Es wird eine Botschaft vom Abt sein, denke ich und kümmere mich nicht weiter um die dunkle Gestalt. Als sie mir nahe gekommen, setzt sie sich auf einen Stein und hebt zu reden an.

Es war aber kein Mönch, sondern das Weib Judäa aus dem Thal der Egeria. Sie sprach:

»Da bin ich wieder.«

Ich entgegnete:

»Was willst Du von mir? Und warum kommst Du nicht bei Tage in meine Hütte?«

Da sprach das Weib:

»Bist doch auch Du bei Nacht zu mir gekommen in die Anioschlucht nach dem Fest der Benediktiner und hast mir eine Botschaft aufgetragen. Da bin ich nun von Rom zurück, Dir Bescheid zu bringen, kann aber wieder gehen, so Du mich nicht anhören willst.«

Damit stand sie auf. Ich rief ihr zu:

»Bleib und sprich!«

»Ich war in Rom und im Ghetto und habe dort nach Deinem Willen verkündigt, daß der Jude Dahiel ein großer Priester der Christen geworden sei, der Wunder thut und auf der Gasse gegen die Juden predigt.«

»Was haben sie im Ghetto dazu gesagt?«

»Sie haben gesagt: das Weib Judäa ist eine Lügnerin! Denn wir haben diesen Dahiel predigen hören im Tempel der Christen wider die Christen. Und sie hätten mich, die ich doch die Wahrheit sprach, am liebsten gestäupt und gesteinigt.«

Ich saß stumm und hörte auf die Worte der argen Frau. Diese fuhr fort:

»Und weiter habe ich nach Deinem Gebote gethan. Ich habe mich in Deiner Eltern Haus geschlichen, woselbst Hannah, Deine Mutter, in schweren Leiden lag, und Dein Vater Simeon als blöder Greis lebt. Ich habe ihnen gesagt, daß ich ihren Sohn Dahiel gesehen, auf den Gassen der sabinischen Stadt den Christen predigend und Wunder vollbringend, und daß ihr Sohn Dahiel ein großer Heiliger und Prophet geworden, der umherzieht im Lande, Jehovah lästernd und die Juden verfluchend.

»Da hat Deine Mutter jammervoll aufgeschrieen und wie die anderen gerufen: ›Das lügst Du, Judäa, schändliches Weib! Das lügst Du von meinem lieben Sohn!‹ Aber Dein Vater Simeon, der kindische Greis, der dagesessen war wie einer, den der Herr geschlagen mit seinem Zorn, hat sich gewaltig aufgerichtet und ist dagestanden, als sei er aus dem Grabe gestiegen. Und er hat seine zitternden Arme ausgereckt und seine blöden Augen haben geleuchtet wie eine Flamme, die der Herr in seiner Seele entzündet; und er hat gelallt und gestammelt, bis die Worte mächtig aus seinem Munde hervorbrachen: ›Was dieses Weib gesprochen, ist lautere Wahrheit gewesen. Also mußte es werden und also ist es geworden! Verderben ist ausgegangen von diesem meinem Erzeugten für Israel, und Verderben wird ausgehen von ihm für das Volk.‹

»Als Hannah, Deine Mutter, Deinen Vater so reden hörte, ist sie dahingefahren voll Herzeleids in die Grube. Dein Vater aber ist von seinem toten Weibe hinweg in die Synagoge gewankt, hat dem Volke gepredigt zum letztenmale und darauf seine Seele ausgehaucht.«

Indessen ich ruhig sitzen blieb und in die Finsternis starrte, erhob sich Judäa, trat auf mich zu und schrie mich an:

»Du sollst nicht töten, spricht der Herr. Ich sehe aber einen, welcher Vater und Mutter gemordet hat, und welcher wird wieder gemordet werden nach Gottes Willen und Gesetz. Hüte Dich, Du Abtrünniger! Wie es ausgeht von Dir, wird es zu Dir zurückkehren.«

Sie wollte fortfahren gegen mich zu toben, aber ich winkte ihr, mich sogleich zu verlassen, und that es mit einer Geberde, daß sie mir gehorsamte und gleich einem bösen, unsauberen Geist sich hinweghob von mir.

Nun war ich allein, wollte etwas denken, indessen die schwarze Nacht lag auf mir wie die Schollen eines Grabes, das über einem Lebendigen zugeschüttet worden. Plötzlich faßte mich eine große Angst; es war mir, als wäre ich der einzige Mensch auf der Welt. Ich sprang in die Höhe und schrie gräßlich auf. »Herr! Herr!« wollte ich ausrufen, aber ich schrie: »Vater! Mutter!«

Da entsetzte ich mich über die Namen, die ich wider meinen Willen genannt hatte, lief hinaus in die Nacht, strauchelte, stürzte hin, daß ich mit dem Kopf gegen einen Stein aufschlug. Obgleich ich ganz wohl bei Besinnung war, blieb ich doch liegen. Ich fühlte, wie das Blut über meine Wangen floß, und wie der Nachtwind über mich hinfuhr. Und ich mußte denken, daß sie, die mich geliebt hatten, nun auch so still dalagen wie ich. Aber das Rauschen des Nachtwindes hörten sie nicht mehr. Dann wiederum war mir's, als ob ich die Stimme meines Vaters vernähme, und dazwischen flüsterte die Mutter, wie sie zu thun pflegte, da ich ein Knabe war. Mein Vater Simeon redete streng und strafend zu mir, doch meine liebe Mutter tröstete mich.

Dann fiel mir ein, daß ich die, welche mich erzeugten, hatte verfluchen müssen.

Warum verfluchen?

Weil sie Juden gewesen.

Und ich ein Christ –

Ich erinnerte mich, daß ich über mein Christentum manches gedacht hatte, was unchristlich war: droben auf dem Berge. Aber damals war ich ein großer Sünder und durch das Leben in der Wildnis gleich einer Bestie geworden. Und wenn ich auch bisweilen immer noch durch allerlei bestialische Gedanken in Versuchung geführt wurde, kannte ich jetzt diesen Höllengeist und erwehrte mich seiner mit aller Macht. So auch in dieser Nacht.

Aber wenn es doch wahr wäre? – Die Juden haben den Gottessohn gekreuzigt und sind darum verdammt in alle Ewigkeit! Sie haben kein seliges Auferstehen, sondern leiden unendliche Qualen. Ich aber ward Christ. Und da ich ein Priester bin und fast einem Heiligen gleichgeachtet, so werden meine Sünden mir wohl vergeben werden, so werde ich vermutlich dereinst das ewige Leben haben und bei denen sein, die zur Rechten Gottes sitzen. Meine Eltern aber, die mich liebten und die ich mordete, sind als Juden und Ungläubige gestorben, werden daher verdammt und bleiben verdammt, während ich selig bin.

Denn es könnte doch sein, daß alles so wäre, wie es geschrieben steht –

Meiner im Unglauben dahingefahrenen Eltern gedenkend, packte mich Entsetzen. Ich schrie laut auf und fuhr in die Höhe. Der Tag graute. Mir war's, als sei das Antlitz der Erde ein Totengesicht.

Ich ging den Pfad zum Kloster; mein Körper war steif, und meine Glieder schmerzten heftig, so daß ich mich kaum von der Stelle brachte; meine Seele schien mir ein ewiges Grab zu sein, darin die eingesargt lagen, welche mir das Leben gegeben hatten. So gelangte ich zum Kloster, woselbst ich mich ohne weiteres zum Abt begab, der in seinem Gemache seine Morgenandacht hielt. Als der Hochwürdige meiner ansichtig ward, fuhr er erschrocken von den Knieen auf.

»Was willst Du von mir?«

Und er begann am ganzen Leibe zu zittern, nicht anders, als ob ich gekommen wäre, ihn zu ermorden. Ich wußte jetzt aber, daß der Abt Evaristus mich fürchtete. Auf seine Frage erwiderte ich ihm:

»Ich hege nichts Uebles gegen Euch im Sinn.«

Er darauf, immer noch voller Mißtrauen:

»Was ist geschehen? Dein Gesicht blutet, und Du siehst aus, als hättest Du jemandem ein Leides zugefügt.«

»Das habe ich auch.«

»Gott sei Dir gnädig! Was hast Du gethan? Du willst mir gewiß Beichte ablegen. Komm in die Kirche. Aber geh Du voraus.«

Ich blieb ruhig stehen.

»Würde ich die Unthat, die ich vollbracht, Euch im Beichtstuhl bekennen, so müßtet Ihr darüber schweigen, wo Ihr doch am liebsten nach Rom ginget, um daselbst auf dem Petersplatz meine Schuld auszurufen. Thut es immerhin! Wißt, daß ich die getötet habe, welche mir das Leben gegeben.«

Aber der Ehrwürdige meinte:

»Das Fieber redet aus Dir. Du hast wieder einmal allzu streng gefastet und zu scharfe Pönitenz gethan. Geh zurück in Deine Zelle, lege Dich nieder und genieße etwas; ich will den Bruder Eusebius mit Mitteln zu Dir senden. Es thut nicht gut, mit Gewalt heilig und Gott wohlgefällig werden zu wollen. Das merke Dir.«

Darauf teilte ich dem Abt in gelassenen Worten den Tod meiner Eltern mit, und woran sie gestorben waren: an Jammer und Trübsal und gebrochenem Herzen; und ich bat den Hochwürdigen, für die Seelen meiner Eltern Messen zu lesen. Abt Evaristus fuhr mich heftig an: Ob ich von Sinnen wäre, die heilige Kirche durch solches Verlangen zu lästern! Wie für tote Juden Messen gelesen werden könnten? Es sei meine Schuld, wenn meine Eltern in die ewige Verdammnis gefahren: warum hätte ich sie nicht zum Christentum bekehrt? Nun könnte ihren Seelen nicht mehr geholfen werden.

Bei solchen Reden des Abtes packte mich von neuem der Gedanke: Wenn es doch wahr wäre? Es könnte doch wahr sein! – Da warf ich mich vor dem Abt nieder, flehte und schrie ihn an, faßte sein Gewand, bat und bettelte; nicht anders, als wäre ich wirklich um meinen Verstand gekommen. Aber ich wollte ja nur eine einzige Messe! Endlich mußte ich wieder gehen.

Nun wußte ich zwar sehr wohl, daß der Abt gar nicht anders handeln konnte, als mit meinem Begehren mich abzuweisen; dennoch trug ich es ihm nach, wie wenn er an mir ein tödliches Unrecht begangen hätte. Es sollte ihm gedacht werden.

*

Viele Tage that ich nichts anderes, als daß ich für die Seelen meiner die ewige Verdammnis erleidenden Eltern den Himmel anschrie. Meine Kniee sind wund, meine Gliedmaßen steif davon, und ich nahm in dieser ganzen Zeit nur so viel Nahrung zu mir, als hinreichte, mich am Leben zu erhalten. Seit meiner Verbannung auf dem Felsengipfel habe ich kein solches jammervolles Dasein geführt. Trotzdem ich dies alles für die Seelen der von mir so oft verfluchten Eltern gethan, weiß ich doch, daß Gott in dieser Sache nicht anders denken wird, wie Abt Evaristus darin denkt: sie sind als Juden gestorben und werden als Juden verdammt sein. So kann ich ihnen denn nicht helfen. Aber es frißt mir meinen Verstand; ich möchte aufschreien gleich einem wilden Tier und mir das Haupt an einem Felsen zerschmettern, wenn ich bedenke, daß ich ihre Seelen hätte erretten können von dem ewigen Verderben, indem ich hingegangen wäre, so lange sie noch lebten, und hätte sie zu Christen gemacht. Ich würde es sicher vollbracht haben; denn ich hätte nicht eher abgelassen, in sie hineinzuschreien, als bis sie mich gehört und erhört haben würden: erfuhr ich doch genugsam, daß der Herr, seitdem ich einen ihm wohlgefälligen Lebenswandel führe, mir große Gewalt über die Gemüter verliehen. Wahrlich, mit Engelszungen würde ich zu meinen Eltern gesprochen haben; Wunder hätte ich vollbracht kraft meiner Liebe, meines Schmerzes, meines Glaubens. Nun ist's damit vorbei. Jene arge Sünderin vermochte ich dem Himmel zu versöhnen, und meine Eltern ließ ich zur Hölle niederfahren, darin ich sie sehen werde, wenn ich sitze zur rechten Hand Gottes, ohne daß ich ihnen einen Tropfen aus dem Born göttlicher Gnade spenden könnte, der für sie nicht strömt. Wehe mir! Dann wird meine ewige Seligkeit ewige Verdammnis sein. O ich Verfluchter!

*

Das muß ich doch aufschreiben; denn es zeugt davon, wohin die Hand Gottes einen Menschen führen kann. Zuerst lief es mir kalt durchs Gebein, da ich bedachte, daß der Herr sich meiner Hand bedient hatte, um dieses Weib in die Nacht des Wahnwitzes zu leiten; jetzt habe ich das Grauen überwunden, denn ich bin nichts anderes als ein Werkzeug, welches der Herr zu dem verwendet, wozu es ihm gut dünkt: ich vollbringe die Arbeit; wozu diese dient und frommt, das ist nicht meine Sorge, und geziemt mir auch nicht, darüber zu sinnen und zu grübeln. Wahrlich, die Kirche Christi thut wohl, wenn sie ihren Dienern als erstes und vornehmstes Gebot das Geheiß gibt: du sollst nicht denken! Indem es wahrlich keine ärgere Sünde gibt, als viele Gedanken zu haben. Auch in dieser Sache, in welcher ich seinerzeit schwer gefrevelt habe, befinde ich mich nun auf dem rechten Wege.

Also: die Clelia ist von Sinnen gekommen und hat in diesem Zustande ihr Kind umgebracht, damit die Missethaten der Mutter an dem Kinde nicht heimgesucht würden, wie ich dem Weibe gesagt hatte, daß es geschrieben stünde, und daß es geschehen würde. Die Clelia ist selber zu mir gekommen, um mir zu sagen, ihr Kind sei nun selig geworden.

Es war in der Nacht. Ich lag in meiner Einsiedelei auf dem Boden, der nun bereits seit vielen Jahren mein Bette ist, schlief und träumte: die Madonna, die ich innigst angefleht hatte, für die Seelen meiner Eltern Fürbitte zu thun, stünde an meinem Lager. Sie hielt den Jesusknaben im Arm, sah streng und zornig auf mich herab und schalt mich heftig, daß ich sie hatte verleiten wollen, für solche verdammten Seelen zu bitten. Darüber erwachte ich. Meine Klause füllte heller Schein – das Mondlicht, wie ich allmälich begriff, und an meiner Ruhestätte stand ein Weib mit einem Kinde im Arm. Ich erkannte sie nicht sogleich, bis sie mich anredete.

»Du bist es, Clelia!« rief ich. »Ich glaubte, es sei die Muttergottes mit dem Jesusknaben. Was suchst Du mit Deiner Tochter bei mir?«

Da sagte sie mit leiser, ruhiger Stimme:

»Das Kind ist tot. Ich bringe es Dir, damit Du Dich mit mir über den Tod des Kindes freuen sollst. Die Madonna wollte es sich nicht holen, da mußte ich es zur Madonna schicken. Freue Dich nur recht darüber.«

Ich war aufgesprungen und voll Grauens aus der Hütte gegangen, denn Clelia hatte die Thür offen gelassen. Sie folgte mir, und als sie, vom Monde hell beschienen, vor mir stand, da sah ich ihr weißes Gesicht, und daß sie über und über mit Blut bedeckt war; desgleichen das Kind. Als das Weib mein Entsetzen gewahrte, schalt sie mich und rief in einem fort:

»Aber so freue Dich doch, Du mußt Dich freuen! Um uns Dreien, Dir und mir und dem Kinde, eine Freude zu machen, habe ich es ja nur gethan. Sieh, wie schön meine Angelika blutet.«

Nachdem ich mich gefaßt und ihren Zustand begriffen hatte, versuchte ich, ihr den blutigen Leichnam zu nehmen. Aber sie wollte ihr totes Kind nicht hergeben, drückte es heftig an sich, bedeckte es mit Küssen und Liebkosungen, geberdete sich so unsinnig, daß alle meine Worte vollständig machtlos waren, und ich auf etwas anderes sinnen mußte; denn ich gedachte, die Wahnwitzige zu schützen, damit sie nicht als Mörderin dem Gesetz verfiel, welches für ein solches Verbrechen die Todesstrafe zuerkannte. Auch hätte die Sache ein übles Gerede gegen mich, der ich doch an dem Tode des Kindes gänzlich unschuldig war, erregen können. In dieser Not fiel mir die Höhle in dem Felsengipfel ein, und daß ich dort die Unsinnige eine Weile verborgen halten könnte, bis ich eine andere Unterkunft für sie gefunden hätte. So redete ich denn eifrig in sie ein, mit mir zu gehen, wozu sie sich auch willig zeigte, wenn ich ihr nur das Kind ließ. Ich bepackte mich eiligst mit allerlei Sachen und wir gingen.

An diese Nacht will ich denken, so lange ich lebe. Ich allein in der Felsenöde mit der wahnsinnigen Mutter, die das von ihr gemordete Kind trug. Wo es anging schritt ich voraus und hörte sie hinter mir tolle Reden führen und mich immerfort anrufen, ich sollte mich freuen! Denn damit ich mich freuen sollte, hätte sie es ja nur gethan. Häufig mußte ich ihr dicht zur Seite bleiben, Sorge tragend, sie möchte mir entweichen oder in den Abgrund stürzen. An solchen gefährlichen Stellen des Weges hieß ich sie vorausgehen und sah sie dann vor meinen Augen mit ihrer blutigen Bürde langsam durch die graue Dämmerung dahinschreiten; und ich mußte denken, wie sie gewesen war, da ich sie zum erstenmal erblickt hatte: halb noch ein Kind und doch schon mit verlorener Seele, in schimmernde Seide gehüllt, mit Blumen und Perlen geschmückt, aus einer silbernen Schale Süßigkeiten naschend, zu Füßen den jungen, bleichen Menschen, dem sie sich mit Leib und Seele verkauft hatte. Und jetzt schritt sie in solcher Weise mit mir durch die Felsenwildnis, zu der Höhle über dem Abgrund, in welcher ich als aufsässiger, frevelhafter Mönch, Priester und sündhafter Mensch so lange gelebt hatte, bis auch ich die Hand des Herrn an meiner Seele rütteln verspürt.

Glücklich erreichte ich mit der Wahnwitzigen die Grotte auf dem Felsengipfel. Ich legte die mitgenommene Decke an den nämlichen Platz, wo auch mein Lager gewesen, stellte den Krug mit dem gewässerten Wein und das Brot nieder und redete sie darauf an, sie herzlich bittend und streng vermahnend, in der Höhle zu verharren, bis ich wieder nach ihr sehen würde, was in Bälde geschehen sollte; dann würde ich ihr eine bessere Unterkunft anweisen können. Sie verstand mich ganz wohl und sagte: ich sollte nur gehen, es gefiele ihr recht gut im Grabe, nur wäre es sehr kalt. Da hüllte ich sie in die Decke, worauf ich nochmals versuchte, ihr die Leiche des Kindes zu nehmen. Aber gleich begann sie zu rasen. Ich ließ also von ihr ab, gab ihr zu trinken und brach für sie von dem Brote; sie nahm es indessen nicht. Als ich sie verließ, kauerte sie mit dem Kinde unter dem Kreuz, an dessen Stamm sie sich mit geschlossenen Augen lehnte. Da schlich ich mich fort.

*

Des Weibes Gatte war bei mir. Zuerst erschrak ich heftig. Nicht weil ich mich fürchtete, oder weil der Mann gegen mich gerast hätte; vielmehr entsetzte ich mich über seine gänzliche Ruhe, welche sogar mir, der ich doch den Menschen abgestreift habe, schier unmenschlich erschien. Er kam zu mir, als ich gerade meine Andacht verrichtete, blieb bescheidentlich an der Thüre stehen und sagte zu mir, der ich bei seinem unerwarteten Anblick in die Höhe fuhr, in aller Gelassenheit:

»Verrichtet in Frieden Eure Gebete, ehrwürdiger Bruder, ich kann mit meinem Anliegen warten, bis Ihr dem Himmel gedient habt.«

Ich forschte:

»Was begehrt Ihr von mir?«

»Ich wollte Euch nach meinem Weibe fragen.«

Daß er darum gekommen war, wußte ich gleich, durfte es mir indessen nicht merken lassen, wie ich denn überhaupt – um des Weibes willen – nicht verraten durfte, daß ich von allem, was in dem Hause des Terenzio geschehen war, Kenntnis besaß. Also wiederholte ich voller Staunen seine Frage:

»Ihr wolltet mich nach Eurem Weibe fragen?«

»Ja. Ob Ihr wißt, wo es ist?«

Da fuhr ich auf:

»Soll ich Eures Weibes Hüter sein?«

Er meinte voller Ruhe und Gelassenheit:

»So wüßtet Ihr es nicht?«

»Nein.«

»Es wäre Euch auch nicht bekannt, daß mein Weib aus meinem Hause entwichen ist?«

»Nein.«

»Und was mein Weib begangen hat?«

Ich zum drittenmale:

»Nein.«

»So muß ich es Euch denn sagen.«

Darauf berichtete er mir den Wahnsinn seines Weibes und den Mord seines Kindes, ohne ein Beben in seiner Stimme, ohne daß er eine Miene verzogen hätte. Gräßlich war aber auch, wie ich seiner Erzählung zuhören mußte, mit allen Zeichen des Grauens und Entsetzens: um seines Weibes willen! Als er geendet hatte, mußte ich den Mund öffnen, um dem unseligen Manne etwas zu sagen. Ich wollte ihm Trost zusprechen und von der Gnade Gottes reden, aber er unterbrach mich gleich anfangs.

»Davon schweigt!«

Er sagte das mit einer Stimme und einer Miene, daß ich wohl still sein mußte. Darauf fragte er mich noch einmal:

»Ihr wißt also in Wahrheit nichts von meinem Weibe?«

Das versetzte mich in Zorn:

»Geht! Euch steh' ich über nichts mehr Rede.«

Er trat hart an mich heran, mit einem Blicke, als ob er mich ermorden wollte, erhob seine Hand gegen mich, der ich nicht vor ihm zurückwich. Da ließ er den Arm sinken, seufzte tief auf, trat von mir fort, wendete sich zum Gehen. Nicht ohne Erbarmen mit ihm zu fühlen, fragte ich ihn:

»Was wollt Ihr thun?«

Er blieb stehen und schaute mich an:

»Suchen will ich sie. Wollt Ihr mir helfen?«

»Ich will für Euch beten, für Euch, für Euer unseliges Weib.«

»Das wird uns nützlich sein: Fürbitte von einem solchen Heiligen wie Ihr seid! – Also Ihr wollt mir wirklich nicht suchen helfen?«

»Mein armer Terenzio, wer weiß, wohin der Himmel Euer Weib geführt hat.«

»Erinnert Ihr Euch, daß Ihr für mein Weib gleich dem Erlöser und Heiland gewesen seid?«

»Davon will ich nichts hören.«

»Das glaube ich wohl; aber ich sehe doch, daß Ihr Euch noch daran erinnert. Dann ist's gut, dann habe ich Euch nichts mehr zu sagen. Lebt wohl.«

»Ich will Euch meinen Segen geben.«

Nochmals blieb er stehen.

»Ihr meint wohl Euren Fluch? Den trage ich auf mir seit dem Tage, an welchem Ihr als heiliger Mann in mein Haus getreten seid.«

Damit ging er und ließ mich in großen Nöten zurück. Herr! Herr! Herr! Als ob ich einst die Menschen nicht heiß geliebt, als ob ich nicht ihr Bestes gewollt hätte, als ob ich um meiner Liebe zur Menschheit willen nicht hundertmal im Geiste gekreuzigt worden wäre?!

Dann mußte ich aber doch darauf bedacht sein, wie ich das Weib vor dem Manne weiter verborgen halten könnte. Denn es war zu befürchten, daß er der Mörderin seines Kindes ein Leides anthun würde; auch war es meine christliche Pflicht, der Wahnsinnigen meinen Schutz angedeihen zu lassen. Nach reiflicher Erwägung schien mir das Beste zu sein, wenn das Leben der wahnwitzigen Mutter der göttlichen Mutter des Herrn zum Opfer gebracht würde. Ich kannte nämlich ein Kloster der Ursulinerinnen, welches in tiefer Abgeschiedenheit nahe bei Arsoli liegt, und dessen Aebtissin mich über Gebühr verehrt. Bevor ich mich indessen nach dem Heiligtum auf den Weg machte, trieb es mich zu dem Felsengipfel hinauf.

Wie würde ich die Clelia finden?

*

Ich bin dem Hochwürdigen begegnet auf dein Wege zur Grotte, im Morgengrauen. Er redete mich an:

»Was thust Du hier oben auf dem Berg zu dieser Stunde?«

Dieselbe Frage hätte ich an den Abt richten können – und wahrlich mit besserem Rechte. Ich hielt indessen an mich und versetzte bescheidentlich, daß ich Verlangen getragen, mich in der Einsamkeit zu ergehen. Der Abt meinte und mich wollte bedünken, daß er es in einem besonderen Tone sagte:

»Du willst gewiß hinauf zur Felsenhöhle?«

Trotzdem diese Frage mich wie ein Blitz durchzuckte, erwiderte ich mit aller Gelassenheit:

»Was sollte ich in jenem Kerker thun?«

»Vielleicht willst Du daselbst Deine Morgenandacht verrichten oder die Sonne aufgehen sehen. Ein Heiliger von Deiner Art trägt häufig seltsame Gelüste.«

Darauf schwieg ich, und der Hochwürdige ging seines Weges; aber er blieb nochmals stehen und schaute aus nach mir, der ich hinter einen Stein getreten war. Plötzlich packte mich eine jähe Angst – um des Weibes willen. Ich wandte mich nach einer andern Richtung und kehrte erst nach einer Weile um, häufig und mit aller Vorsicht um mich blickend. In der Höhle fand ich die Clelia, halb erstarrt von der Kälte, aber noch in ihrem alten Zustand: den Leichnam des Kindes in den Armen. Sie erkannte mich, nannte mich ihren »lieben Bruder Angelikus« und erzählte mir von den Himmelsfreuden ihres gestorbenen Kindes. Ich fuhr sie hart an: ob sie die Höhle verlassen hätte, oder ob jemand bei ihr gewesen wäre. Sie erwiderte mir: Nein, niemand sei bei ihr gewesen. Heftig vermahnte ich sie, sich nicht von der Stelle zu rühren, sonst würde man ihr das Kind nehmen. Darauf versprach sie mir unter Schluchzen und Wimmern, alles zu thun, was ich von ihr verlangen würde.

Wenn der Hochwürdige in die Höhle gekommen wäre, das blutige Weib mit dem Leichnam des Kindes gefunden hätte, und wenn die Wahnsinnige auch zu ihm von ihrem lieben Bruder Angelikus geredet hätte – – Ich verließ sie. Heute noch will ich hinüber nach Arsoli.

*

Die Ursulinerinnen wollen die Clelia bei sich aufnehmen und gegen jedermann über sie schweigen. Morgen nacht bringe ich sie hinüber.

Nochmals bin ich in der Wildnis dem Hochwürdigen begegnet. Er war ganz allein.

*

Abt Evaristus wird vermißt. Da ich für lange Zeit nicht zum Aufzeichnen kommen werde – ich muß für die Seelen meiner Eltern beten – so gedenke ich, diese Schriften an einem heimlichen Ort niederzulegen. Vielleicht auch, daß ich sie vernichte, denn sie dienen zu nichts. Doch könnten sie eines Tages für mich Zeugnis leisten über das unselige Weib, die Clelia, die sich jetzt bei den Ursulinerinnen befindet und an deren Unthaten ich keinen Anteil habe.

Wäre nur erst Abt Evaristus zurückgekehrt! Es wird ihm doch kein Unglück widerfahren sein? Der Mann liebte es, gleich mir die Wildnis und Felsenberge zu durchwandern – ganz allein. Wie oft bin ich nahe daran gewesen, in eine schauerliche Tiefe zu stürzen.

*

Nur noch dieses: Abt Evaristus ist tot. Sie haben ihn in einem Abgrund gefunden, grauenhaft verstümmelt. Ich befand mich unter denjenigen, die ausgezogen waren, den Vermißten zu suchen; ich zuerst sah ihn. Es war ein gräßlicher Anblick, so daß ich laut aufschreien mußte.

Wen werden sie zum Abte wählen – –

*

Sie wählten mich.

.


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