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Sechstes Kapitel

Entsetzliches Erlebnis

Alles war vorbereitet, um die Vereinigung der schönen Primerose mit dem schönen Jenni zu vollziehen. Unser Freund Freind hatte nie eine reinere Freude empfunden; ich teilte sie. Man wird sehen, wie sie sich in ein Unglück wandelte, das ich noch kaum fassen kann.

Die Clive-Hart liebte Jenni, obgleich sie fortwährend untreu gegen ihn war. Man sagt, es sei das Schicksal aller Frauen, die, zu sehr die Scham verachtend, sich der Redlichkeit entäußert haben. Sie betrog ihren geliebten Jenni vor allem mit ihrem geliebten Birton und einem andern Lüstling vom selben Schlage. Sie schwelgten zusammen; und – was vielleicht nur in unserer Nation möglich ist – sie hatten alle Geist und waren von Stand. Unglücklicherweise war ihr Geist besonders stark, wenn es gegen Gott ging. Das Haus der Mrs. Clive-Hart war Treffpunkt der Atheisten. Wenn es wenigstens noch ehrliche Atheisten gewesen wären wie Epikur und Leontium, Lukrez und Memmius, wie Spinoza, von dem man sagt, er sei einer der größten Männer Hollands gewesen; oder wie Hobbes, der seinem unglücklichen Monarchen Karl I. so treu war ... Aber! ...

Wie dem auch sei: die Clive-Hart war eifersüchtig auf die zarte und unschuldige Primerose, ohne Jenni treu zu sein; sie konnte die Idee dieser glücklichen Heirat nicht ertragen. Sie sann eine Rache aus, für die es, wie ich glaube, in ganz London, wo doch unsere Väter so viele Verbrechen aller Art gesehen haben, kein Beispiel gibt.

Sie wußte, daß die Primerose auf dem Rückweg von der Stadt, in der die junge Dame mit ihrer Kammerfrau Einkäufe besorgt hatte, an ihrer Türe vorbeikommen mußte. Sie benützte diese Zeit, um einen kleinen, unterirdischen Kanal graben zu lassen, der Wasser in die unteren Gemächer leitete.

Der Wagen der Primerose war bei ihrer Rückkehr gezwungen, mitten in dieser Verwirrung zu halten. Die Clive-Hart stellt sich ihr vor, bittet sie, abzusteigen, sich auszuruhen und – bis der Weg frei werde – einige Erfrischungen anzunehmen. Die schöne Primerose bebte bei diesem Vorschlag; aber Jenni stand im Vestibül. Eine unwillkürliche Regung, die stärker war als alles Nachdenken, ließ sie absteigen. Jenni kam ihr entgegen und reichte ihr die Hand. Sie tritt ein; der Gatte der Clive-Hart war ein schwachsinniger Trunkenbold, seiner Frau ebenso verhaßt wie er ihr unterworfen war, lästig selbst durch seine Gefälligkeiten. Stotternd bietet er dem jungen Mädchen, das sein Haus beehrt, Erfrischungen an. Er trinkt nach ihr davon. Darauf trägt die Clive-Hart die Getränke weg und läßt andere bringen. Inzwischen ist die Straße wieder frei. Primerose steigt in den Wagen und kehrt zu ihrer Mutter zurück.

Eine Viertelstunde darauf klagt sie über Herzweh und Benommenheit. Man hält dieses kleine Unwohlsein für die Folge der Wagenerschütterung. Aber das Übel verschlimmert sich von Augenblick zu Augenblick; am nächsten Morgen war sie dem Tode nahe. Freind und ich eilten zu ihr. Wir fanden das reizende Geschöpf bleich, bleifarben, von Krämpfen geschüttelt, die Lippen hochgezogen, die Augen bald erlöschend, bald auflebend, aber immer starr. Schwarze Flecken entstellten ihren schönen Nacken und das liebliche Gesicht. Ihre Mutter lag ohnmächtig neben ihrem Bett. Der hilfreiche Cheselden wandte vergebens alle Mittel seiner Kunst an. Ich will Ihnen nicht Freinds Verzweiflung schildern; sie war unaussprechlich. Ich fliege in die Wohnung der Clive-Hart. Ich erfahre, daß ihr Gatte soeben gestorben sei und seine Frau das Haus verlassen habe. Ich suche Jenni; man findet ihn nicht. Eine Dienerin sagt mir, daß seine Geliebte sich Jenni zu Füßen geworfen und ihn beschworen habe, sie in ihrem Unglück nicht zu verlassen; sie sei mit Jenni und Birten abgereist, niemand wisse, wohin.

Niedergeschmettert von so vielen und schnellen Schlägen, erfüllt von einem furchtbaren Verdacht, den ich umsonst wegzujagen suchte, schleppe ich mich in das Haus der Sterbenden. »Wenn diese entsetzliche Frau«, sagte ich mir, »sich Jenni zu Füßen geworfen und ihn gebeten hat, Mitleid mit ihr zu haben, ist er nicht ihr Mitschuldiger. Jenni ist dieses feigen und furchtbaren Verbrechens unfähig. Er hatte kein Interesse, keinen Grund, diese Tat zu begehen, die ihn einer anbetungswürdigen Frau und deren Vermögen berauben und ihn in den Augen der Menschheit verächtlich machen müßte. Ein Schwächling ist er, der sich von einer Unseligen, deren schwarze Seele er nicht kennt, unterjochen ließ. Hätte er wie ich die sterbende Primerose gesehen: er würde nie das Kopfende ihres Bettes verlassen haben, um der Giftmörderin seiner Frau zu folgen.« Von solchen Gedanken zerquält, trete ich fröstelnd bei ihr ein, die ich nicht mehr am Leben zu finden fürchtete: sie atmete noch. Der alte Clive-Hart war schnell unterlegen, weil sein Körper durch Ausschweifungen verbraucht war. Die junge Primerose hielt sich aufrecht durch ihre Natur, die so gesund wie ihre Seele rein war. Sie sah mich und fragte mit zärtlicher Stimme nach Jenni. Ich gestehe, daß bei diesem Namen ein Strom von Tränen aus meinen Augen stürzte. Ich konnte ihr nicht antworten. Ich konnte nicht mit dem Vater reden. Man mußte sie schließlich den treuen Händen überlassen, die sie pflegten.

Wir gingen zu Mylord, um ihn von dem Unglück zu unterrichten. Sie kennen sein Herz: er ist ebenso zärtlich gegen seine Freunde wie furchtbar gegen seine Feinde. Nie war ein Mann mit solch hartem Ausdruck teilnehmender. Er gab sich ebensoviel Mühe, der Sterbenden beizustehen und den Aufenthalt Jennis und der Verbrecherin ausfindig zu machen, als er sich gegeben hatte, Spanien für den Erzherzog zu erobern. Alles Suchen war vergebens. Ich glaubte, Freind würde daran sterben. Wir flogen bald zur Primerose, deren Todeskampf lange dauerte, bald nach Rochester, Dover, Portsmouth; überallhin schickte man Kuriere, überall war man und irrte aufs Geratewohl umher wie Jagdhunde, die die Spur verloren haben. Inzwischen sah die verzweifelte Mutter der unglücklichen Primerose den Tod der Tochter immer näher kommen. Endlich erfuhren wir, daß eine junge, schöne Frau in Begleitung von drei jungen Leuten und mehreren Dienern in Newport in der Grafschaft Pembroke auf einem kleinen Schmugglerschiff, das gerade auf der Reede lag, sich eingeschifft habe. Das Fahrzeug sei nach Nordamerika gefahren.

Bei dieser Nachricht stieß Freind einen tiefen Seufzer aus; dann faßte er sich plötzlich, preßte meine Hand und sagte: »Ich muß nach Amerika.« Voll Bewunderung antwortete ich weinend: »Ich werde Sie nicht verlassen; aber was können Sie tun?«

»Entweder meinen einzigen Sohn seinem Vaterland und der Tugend zurückgeben oder mich neben ihm begraben.« Wir konnten in der Tat nach allen Angaben nicht zweifeln, daß es Jenni war, der sich mit dieser entsetzlichen Frau, Birton und dem ganzen nichtsnutzigen Gefolge eingeschifft hatte.

Nachdem dieser gute Vater seinen Entschluß gefaßt hatte, verabschiedete er sich von Mylord Peterborough, der bald darauf nach Katalonien zurückkehrte. Wir mieteten in Bristol ein Schiff nach dem Delawarefluß und der Bucht von Maryland. Freind nahm an, daß er in dieser Richtung segeln müsse, da diese Gewässer inmitten der englischen Besitzungen sind und sein Sohn sich dorthin, entweder südlich oder nördlich, gewandt haben mußte. Er versah sich mit Geld, Wechselbriefen, Lebensmitteln, nachdem er in London einen vertrauten Diener gelassen hatte mit dem Auftrage, ihm Nachrichten durch die Schiffe zu senden, die jede Woche nach Maryland und Pennsylvanien fuhren.

Wir reisten ab; die Schiffsmannschaft, welche die heitere Klarheit auf dem Gesichte Freinds sah, glaubte, wir gingen auf eine Vergnügungsreise. Aber wenn wir allein waren, zeigten mir seine Seufzer seinen tiefen Schmerz zur Genüge. Ich beglückwünschte mich oft im stillen, eine so schöne Seele trösten zu dürfen. Ein Ostwind hielt uns lange auf der Höhe der Sorlingues fest. Wir mußten unseren Weg nach Neu-England nehmen. Wie viele Erkundigungen holten wir längs der ganzen Küste ein! Wie viele verlorene Stunden und Tage! Endlich erhob sich ein Nordostwind, und wir segelten auf Maryland zu. Dort war es, wo man uns Jenni, die Clive-Hart und ihre Begleiter genau schilderte.

Mehr als einen Monat hatten sie sich an der Küste aufgehalten und die ganze Kolonie in Erstaunen versetzt durch Schwelgereien und Festlichkeiten, die in diesem Weltteil bis dahin unbekannt gewesen waren. Dann waren sie plötzlich verschwunden, und niemand wußte irgend etwas von ihnen.

Wir drangen weiter in die Bucht in der Absicht, bis nach Baltimore zu gehen, um neue Erkundigungen einzuziehen.


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