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Drittes Kapitel

Inhalt des theologischen Streites der »Aber« zwischen Herrn Freind und Don Inigo y Medroso y Comodios y Papalamiendo, dem Bakkalaureus von Salamanca

Bakkalaureus

Aber Sie werden zugeben, mein Herr, daß trotz aller schönen Dinge, die Sie mir gesagt haben, Ihre so ehrenwerte anglikanische Kirche nicht vor Don Luther und vor Don Oecolampadius existiert hat. Sie sind ganz neu und gehören sozusagen nicht zur Familie.

Freind

Das ist, als ob man mir sagte, ich sei nicht der Enkel meines Großvaters, weil ein Seitenzweig, der in Italien wohnt, sich seines Testamentes und meiner Ansprüche bemächtigt hat. Ich habe sie nun glücklicherweise wiedergefunden, und es ist klar, daß ich der Enkel meines Großvaters bin. Wir sind beide, Sie und ich, aus derselben Familie, mit dem einzigen Unterschied, daß wir Engländer das Testament unseres Großvaters in unserer eigenen Sprache lesen, und daß es Ihnen verboten ist, dies in der Ihren zu tun. Sie sind Sklaven eines Fremden, und wir sind nur unserer Vernunft untertan.

Bakkalaureus

Aber wenn Ihre Vernunft Sie irreführt? ... da Sie ja nicht einmal an unsere Universität Salamanca glauben, die die Unfehlbarkeit des Papstes und sein unbestreitbares Recht auf Vergangenheit, Gegenwart und alle Zukunft erklärt hat.

Freind

Ach! die Apostel glaubten ebenfalls nicht daran. Es steht geschrieben, daß Petrus, der seinen Herrn Jesus verleugnete, von Paulus streng getadelt wurde. Ich prüfe hier nicht, welcher von beiden unrecht hatte: vielleicht alle beide, wie es bei nahezu allen Streitigkeiten der Fall ist; aber schließlich gibt es nicht eine einzige Stelle in der Apostelgeschichte, in der Petrus als Herr seiner Gefährten und der nahen Zukunft angesehen wird.

Bakkalaureus

Aber gewiß war der heilige Petrus Erzbischof von Rom, denn Sanchez berichtet, daß dieser große Mann dort zur Zeit Neros ankam, und daß er fünfundzwanzig Jahre auf dem erzbischöflichen Throne saß, unter demselben Nero, der nur dreizehn Jahre regierte. Noch mehr ist es Sache des Glaubens – und Don Grillandus, das Vorbild der Inquisition, bestätigt dies (denn wir lesen nie die Heilige Schrift) –, es ist Sache des Glaubens, sage ich, daß der heilige Petrus in einem bestimmten Jahr in Rom war: denn er datiert einen seiner Briefe aus Babylon; da aber Babylon offenbar das Anagramm von Rom ist, wird es klar, daß der Papst durch göttliches Recht der Herr der ganzen Erde ist. Außerdem haben alle Lizentiaten von Salamanca bewiesen, daß Simon Gotteskraft, der erste Zauberer und Ratgeber im Staate des Kaisers Nero, dem heiligen Simon Barjona, mit andern Worten, dem heiligen Petrus, bei seiner Ankunft in Rom Grüße entbieten ließ durch seinen Hund; daß ferner der heilige Petrus, nicht weniger höflich, ebenfalls seinen Hund schickte, um Simon Gotteskraft dafür zu danken, und daß sie schließlich wetteten, wem es zuerst gelänge, einen Vetter Neros vom Tode zu erwecken. Simon Gotteskraft erweckte seinen Toten nur halb; Simon Barjona gewann die Wette, da er den Vetter vollständig ins Leben zurückrief. Gotteskraft suchte sich zu rächen, indem er wie Dädalus in die Lüfte flog; der heilige Petrus brach ihm beide Beine, indem er ihn herabfallen ließ. Deshalb erhielt der heilige Petrus die Märtyrerkrone mit dem Kopfe nach unten und den Beinen oben; so ist es a priori bewiesen, daß unser Heiliger Vater, der Papst, über alle, die Kronen tragen, herrschen soll, und daß er Herr der Vergangenheit, der Gegenwart und aller Zukunft in dieser Welt ist.

Freind

Es ist klar, daß alle diese Dinge zu jener Zeit geschahen, da Herkules mit einem Handschlag die beiden Berge Calpe und Abila trennte und die Meerenge von Gibraltar in seinem »Becher« durchfuhr; aber nicht auf diese Geschichten, so authentisch sie sind, gründen wir unsere Religion: sondern auf das Evangelium.

Bakkalaureus

Aber, mein Herr, auf welche Stellen des Evangeliums? Ich habe einen Teil dieses Evangeliums in unseren Theologieheften gelesen. Vielleicht auf den von den Wolken herabgestiegenen Engel, der Maria verkündete, daß sie vom Heiligen Geiste schwanger würde? Oder auf die Reise der drei Könige und eines Sternes? Auf den bethlehemitischen Kindermord? Auf die Mühe, die sich der Teufel nahm, um Gott in die Wüste zu führen, über den Tempel hinaus auf den Gipfel eines Berges, von dem aus man alle Königreiche der Erde übersah? Oder auf das Wunder des bei einer ländlichen Hochzeit in Wein verwandelten Wassers? Oder auf jenes der zweitausend Schweine, welche der Teufel auf Jesu Befehl in einem See ertränkte? Oder auf ...

Freind

Mein Herr, wir ehren alle diese Dinge, weil sie im Evangelium stehen, aber wir sprechen nie davon, weil sie die menschliche Vernunft übersteigen.

Bakkalaureus

Aber man sagt, daß Sie die heilige Jungfrau nie Mutter Gottes nennen.

Freind

Wir verehren sie, wir lieben sie; aber wir glauben, daß sie sich wenig um die Titel kümmert, die man ihr hier unten gibt. Sie wird im Evangelium niemals Mutter Gottes genannt. Im Jahre 431 war ein großer Streit, auf einem Konzil zu Ephesus, darüber, ob Maria Theotokos sei, und ob es möglich sei, daß sie, da Jesus Christus Gott und ihr Sohn in einem war, zugleich Tochter des Gott-Vaters und Mutter des Gott-Sohnes, die beide nur ein Gott sind, sein könne. Aber wir gehen nicht auf diese ephesischen Streitigkeiten ein, und die Königliche Gesellschaft in London mischt sich nicht in sie.

Bakkalaureus

Aber, mein Herr, Sie sprechen von Theotokos! Was ist, bitte, Theotokos?

Freind

Es bedeutet Mutter Gottes. Wie, Sie sind Bakkalaureus von Salamanca, und Sie verstehen nicht Griechisch?

Bakkalaureus

Aber Griechisch, Griechisch! Zu was braucht ein Spanier Griechisch? Aber, mein Herr, glauben Sie, daß Jesus eine Natur, eine Person und ein Wille ist? Oder zwei Naturen, zwei Personen, zwei Willen? Oder ein Wille, eine Natur und zwei Personen? Oder zwei Willen, zwei Personen und eine Natur? Oder ...

Freind

Das sind ebenfalls Angelegenheiten von Ephesus, um die wir uns nicht kümmern.

Bakkalaureus

Aber um was kümmern Sie sich dann? Denken Sie, daß es drei Personen in einem Gott gibt oder drei Götter in einer Person? Stammt die zweite Person aus der ersten und die dritte aus den beiden andern oder aus der zweiten intrinsecus oder einfach aus der ersten? Hat der Sohn alle Eigenschaften des Vaters außer der Vaterschaft? Und entspringt diese dritte Person der Einflößung, der Gleichsetzung oder der Inspiration?

Freind

Das Evangelium behandelt diese Frage nicht, und der heilige Johannes schreibt niemals den Namen Dreieinigkeit.

Bakkalaureus

Aber Sie sprechen immer vom Evangelium und nie von Bonaventura, Albert dem Großen, Tamburini noch von Grillandus oder Escobar.

Freind

Das kommt, weil ich weder Dominikaner noch Franziskaner oder Jesuit bin; ich bin nichts als Christ.

Bakkalaureus

Aber wenn Sie Christ sind, sagen Sie mir aufs Gewissen, glauben Sie, daß alle übrigen Menschen ewig verdammt sein müssen?

Freind

Es ist nicht meine Sache, Gottes Gerechtigkeit und Gnade zu ermessen.

Bakkalaureus

Aber schließlich, wenn Sie Christ sind, was glauben Sie eigentlich?

Freind

Ich glaube mit Jesus Christus, daß man Gott und seinen Nächsten lieben muß, Beleidigungen vergeben und Unrecht gutmachen. Glauben Sie mir, beten Sie Gott an, seien Sie gerecht und wohltätig: darin ist alles Menschliche enthalten. Das sind Jesu Lehren. Sie sind so wahr, daß kein Gesetzgeber, kein Philosoph vor ihm je andere Grundsätze gehabt hat, und daß es unmöglich andere geben wird. Diese Wahrheiten hatten nie andere Widersacher als unsere Leidenschaften und können keine andern haben.

Bakkalaureus

Aber ... ah! ah! weil Sie gerade von Leidenschaften sprechen – ist es wahr, daß Ihre Bischöfe, Priester, Diakone, alle verheiratet sind?

Freind

Dies ist wahr. Der heilige Joseph, der als Vater Jesu gilt, war verheiratet. Sein Sohn war Jakob der Jüngere, mit dem Zunamen Oblia, der Bruder unseres Herrn; der nach dem Tode Jesu sein Leben im Tempel zubrachte. Paulus, der große heilige Paulus, war verheiratet.

Bakkalaureus

Aber Grillandus und Molina behaupten das Gegenteil.

Freind

Molina und Grillandus mögen sagen, was sie wollen; ich ziehe vor, dem heiligen Paulus selber zu glauben, denn er sagt im Ersten Brief an die Korinther: »Haben wir nicht das Recht, auf unsere Kosten zu essen und zu trinken? Haben wir nicht das Recht, unsere Weiber, unsere Schwestern mit umherzuführen wie die andern Apostel und des Herrn Brüder und Kephas? Wer zieht jemals in den Krieg auf seine eigenen Kosten? Wer pflanzt einen Weinberg und ißt nicht von seiner Frucht?« Und so fort.

Bakkalaureus

Aber, mein Herr, ist es auch wirklich wahr, daß der heilige Paulus dies gesagt hat?

Freind

Ja, er hat es gesagt, und er hat noch viel mehr darüber gesagt.

Bakkalaureus

Aber wie! dies Wunder, dies Beispiel der wirksamen Gnade! ...

Freind

Es ist wahr, mein Herr, seine Bekehrung war ein hohes Wunder. Ich gebe zu, daß er nach der Apostelgeschichte der grausamste Trabant der Feinde Jesu war. Es wird dort erzählt, daß er bei der Steinigung des heiligen Stephan mithalf; er selbst sagt, daß, wenn die Juden einen Begleiter Jesu töten ließen, er es gewesen sei, der das Urteil fällte: detuli sententiam. Ich gebe ebenfalls zu, daß sein Schüler Abdias und sein Übersetzer Julius Africanus ihn anklagen, auch Jakob Oblia, den Bruder unseres Herrn, getötet zu haben; aber seine Missetaten machen seine Bekehrung um so bewundernswerter; sie haben ihn auch nicht verhindert, eine Frau zu finden. Er war verheiratet, sage ich, wie auch der heilige Clemens von Alexandrien ausdrücklich erklärt.

Bakkalaureus

Aber das war ja ein würdiger und tapferer Mann, dieser heilige Paulus! Es kränkt mich nur, daß er den heiligen Jakob und den heiligen Stefan ermordet hat, und ich bin überrascht, daß er in den dritten Himmel kam; aber ich bitte Sie, fahren Sie fort.

Freind

Der heilige Petrus hatte, nach dem Bericht des heiligen Clemens von Alexandrien, Kinder, unter ihnen sogar eine Heilige: Petronilla. Eusebius erzählt in seiner Kirchengeschichte, daß der heilige Nicolaus, einer der ersten Jünger, eine sehr schöne Frau hatte, und daß die Apostel ihm vorwarfen, zu sehr mit ihr beschäftigt und eifersüchtig auf sie zu sein ... »Meine Herren,« sagte er zu ihnen, »nehme sie wer will, ich gebe sie her.«

Im jüdischen Gesetz, das ewig dauern sollte, und dem trotzdem das christliche gefolgt ist, wurde die Ehe nicht nur erlaubt, sondern den Priestern ausdrücklich befohlen, da sie aus dem gleichen Stamm sein sollten. Das Zölibat war eine Art Schandfleck.

Bei den ersten Christen scheint das Zölibat auch nicht als ein sehr reiner und ehrenwerter Zustand angesehen worden zu sein, da unter den mit dem Kirchenbann belegten Ketzern der ersten Konzilien sich die meisten Feinde der Priesterehe befinden, wie die Saturnier, Basilidier, Montanisten, Enkratisten und andere Isten. Deshalb gebar auch die Frau eines heiligen Gregor von Nazianz wieder einen heiligen Gregor von Nazianz und hatte so das unschätzbare Glück, zugleich Frau und Mutter eines Heiligen zu sein, was nicht einmal der heiligen Monika, der Mutter des heiligen Augustin, geschah.

So könnte ich Ihnen ebenso viele und noch mehr alte Bischöfe nennen, die verheiratet waren, während Sie immer in wilder Ehe lebende, ehebrecherische oder päderastische Bischöfe und Päpste hatten, die man heute in keinem Lande mehr findet. Deshalb will auch die griechische Kirche, die Mutter der lateinischen, daß die Geistlichen verheiratet seien. Deshalb endlich bin auch ich, der hier mit Ihnen spricht, verheiratet und habe das schönste Kind der Welt.

Und sagen Sie mir, mein lieber Bakkalaureus, haben Sie nicht in Ihrer Kirche sieben Sakramente, die alle sichtbare Zeichen einer unsichtbaren Sache sind? Ein Bakkalaureus von Salamanca genießt die Wohltat des Sakramentes, sobald er geboren ist; die Konfirmation, sobald er Hosen trägt; die Beichte, sobald er einige Streiche gemacht hat; die Kommunion, wenn auch ein wenig verschieden von der unseren, sobald er dreizehn oder vierzehn Jahre ist; die Aufnahme in den Orden, wenn er geschoren ist und man ihm eine Pfründe von zwanzig-, dreißig- oder vierzigtausend Piastern Rente gibt; endlich die letzte Ölung, wenn er krank ist. Soll man ihm das Sakrament der Ehe vorenthalten, wenn er sich wohl fühlt? Besonders da doch Gott selbst Adam und Eva verheiratet hat; Adam, den ersten Bakkalaureus der Welt, da er das angeborene Wissen hatte, wie Ihre Schule sagt; Eva, die erste Bakkalaureatin, da sie vor ihrem Gemahl vom Baume der Erkenntnis pflückte.

Bakkalaureus

Aber, wenn dem so ist, will ich nicht mehr »aber« sagen. Es ist vollbracht: ich bekenne mich zu Ihrer Religion; ich werde anglikanisch. Ich werde mich mit einer ehrbaren Frau verheiraten, die mich lieben wird, solange ich jung bin, mich pflegen in meinem Alter und die ich ordentlich begraben lassen werde, wenn ich sie überlebe. Das ist besser, als Männer verbrennen und Frauen entehren, wie es mein Vetter Don Caracucarador, der Inquisitor, des Glaubens wegen, getan hat.

 

Dies ist die getreue Wiedergabe des Gesprächs zwischen dem Doktor Freind und dem Bakkalaureus Don Papalamiendo, der seitdem von uns Papa Dexando genannt wurde. Diese seltsame Unterhaltung wurde zu Papier gebracht von Jakob Hulf, einem der Sekretäre des Mylord.

Nach dieser Unterhaltung zog mich der Bakkalaureus beiseite und sagte: »Es scheint, daß dieser Engländer, den ich zuerst für einen Menschenfresser gehalten habe, ein sehr guter Mann ist, denn er ist Theologe und hat mir trotzdem keine Beleidigungen gesagt.« Ich sagte ihm, daß Herr Freind sehr duldsam sei, und daß er von der Tochter William Penns abstamme, des duldsamsten aller Menschen, des Gründers von Philadelphia. »Duldsam und Philadelphia!« rief er; »niemals habe ich von diesen Sekten etwas gehört.« Ich klärte ihn auf: er konnte mir kaum glauben, er dachte, er sei in einer andern Welt, und er hatte recht.


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