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Neuntes Kapitel

Über den Atheismus

Birton

Bei Gott! Mein Herr, Sie sollen im Punkte der »Güte« nicht so leichtes Spiel haben, wie Sie es bei der Macht und der Geschicklichkeit hatten. Ich will zuerst von den ungeheuren Mängeln des Erdballes sprechen, die geradezu das Gegenteil dieser so sehr gerühmten Geschicklichkeit darstellen. Dann werde ich Ihnen die Verbrechen und das beständige Unglück seiner Bewohner aufzeigen. Wonach Sie die väterliche Liebe, die der Herr Ihrer Meinung nach für diese Bewohner hegt, beurteilen mögen.

Ich beginne damit, Ihnen zu sagen, daß die Leute in Glocestershire, meiner Heimat, die Pferde ihres Gestütes auf schönen Weiden großziehen, dann ihnen gute Ställe, Hafer und Heu in Überfluß geben; welche Nahrung und welches Obdach hatten aber, bitte, die armen Nordamerikaner, als wir sie nach so viel Jahrhunderten entdeckten? Sie mußten dreißig und vierzig Meilen laufen, um etwas zu essen zu bekommen. Die ganze Nordküste unserer alten Welt leidet ungefähr unter demselben Übel; und vom schwedischen Lappland bis zu den nördlichen Meeren Japans schleppen hundert Völker ihr ebenso kurzes wie unerträgliches Leben mitten in ihrem ewigen Schnee in furchtbaren Hungersnöten hin.

Die schönsten Himmelsstriche sind unaufhörlich zerstörenden Kräften ausgesetzt. Wir gehen dort auf brennenden, mit fruchtbarer Erde bedeckten Abgründen, die nichts als Fallen des Todes sind. Es gibt ohne Zweifel keine andere Hölle, und diese Feuerschlünde haben sich tausendmal unter unseren Füßen geöffnet.

Man erzählt von einer Welt-Sintflut, die physikalisch unmöglich ist, und über die alle vernünftigen Menschen lachen. Doch tröstete man uns wenigstens damit, daß man sagt, sie habe nur zehn Monate gedauert: sie hätte die Feuer löschen sollen, die seitdem so viele blühende Städte zerstört haben. Ihr heiliger Augustin berichtet von hundert Städten, die in Lybien durch ein einziges Erdbeben verbrannt und eingestürzt sind; diese Vulkane haben das ganze schöne Italien erschüttert. Um das Maß voll zu machen: selbst die bedauernswerten Bewohner der Eiszone werden von diesen unterirdischen Schlünden nicht verschont. Die stets bedrohten Isländer sehen den Hunger immer vor sich, hundert Fuß Eis und hundert Fuß Feuer auf ihrem Berge Hekla zur Rechten und Linken; denn alle großen Vulkane sind in diesem scheußlichen Gebirge.

Man kann sich wohl dahin ausreden, daß diese Berge von zweitausend Fuß Höhe nichts seien im Vergleich zur Erde, die dreitausend Meilen Durchmesser hat; daß sie ein kleines Korn einer Orangenhaut auf der Rundung dieser Frucht sind; daß dies auf dreitausend nicht einmal einen Fuß betrage. Ach! was sind denn wir, wenn die hohen Berge auf der Erde nichts darstellen als die Länge eines Fußes auf dreitausend und von vier Zoll auf tausend Fuß? Wir sind demnach verschwindend kleine Tiere; und trotzdem werden wir von allem, was uns umgibt, zermalmt, obgleich unsere unendliche Kleinheit, die so nahe dem Nichts ist, uns vor allen Unfällen schützen sollte. Und was soll man zu der Unzahl der Städte sagen, die wie Ameisenhaufen zerstört, aufgebaut und wieder zerstört werden, oder vollends zu den Sandmeeren, die sich quer durch Afrika ziehen, deren glühende, vom Wind getürmte Wogen ganze Heere verschlungen haben! Wozu dienen die weiten Wüsten an der Küste des schönen Syrien? Wüsten, so furchtbar, so unwohnlich, daß die wilden Tiere, die man »Juden« nennt, sich im irdischen Paradies glaubten, als sie aus diesem Schreckensort in eine Weltecke kamen, auf der man einige Ar Landes bebauen konnte.

Nicht genug, daß der Mensch, dieses edle Geschöpf, während so vieler Jahrhunderte schlecht wohnte, schlecht gekleidet und genährt war; er wird zwischen dem Harn und dem Darmkot geboren, um zwei Tage zu leben; und während dieser zwei Tage, die aus trügerischen Hoffnungen und wirklichem Kummer bestehen, wird sein Körper, der mit unnötiger Kunst gestaltet ist und allen Übeln unterliegt, die eben aus dieser künstlichen Form entstehen, von Pest und Pocken bedroht; der Quell seines Wesens ist vergiftet. Niemand vermag das Verzeichnis aller Krankheiten, die uns verfolgen, im Gedächtnis zu behalten. Und dieser Urindoktor in der Schweiz behauptet, sie alle heilen zu können!

 

Während Birton so sprach, war die Gesellschaft sehr aufmerksam und bewegt. Der gute Paruba sagte: »Laßt uns sehen, wie unser Doktor sich da herausziehen wird.« Sogar Jenni entschlüpften diese leisen Worte: »Meiner Treu, er hat recht; ich war sehr dumm, mich von den Reden meines Vaters rühren zu lassen.« Herr Freind ließ diesen ersten Angriff vorübergehen, der solch tiefen Eindruck machte. Dann sagte er:

 

Ein junger Theologe würde mit Sophismen auf diesen Strom trauriger Wahrheiten antworten, den heiligen Basilius und den heiligen Cyrill anführen, die hier nichts zu tun haben. Was mich betrifft, meine Herren, so gestehe ich ohne Umschweife, daß es viel physisches Unglück auf Erden gibt. Ich will sein Dasein nicht leugnen; aber Herr Birton hat übertrieben. Ich wende mich an Sie, teurer Paruba; Ihr Klima ist für Sie gemacht, es kann nicht so übel sein, da weder Sie noch Ihre Gefährten es je verlassen wollten; ebensowenig wie die Eskimos, Isländer, Lappländer, die Ostjaken und Samojeden das ihre. Die Renntiere, die Gott ihnen zur Nahrung, Kleidung und zum Ziehen gegeben hat, gehen ein, wenn man sie in eine andere Zone bringt. Die Lappen selber sterben in südlicheren Himmelsstrichen: das sibirische Klima ist schon zu heiß für sie; unter unserm Himmelsstrich würden sie zu verbrennen glauben.

Es ist klar, Gott hat jede Tier- und Pflanzenart dem Orte gemäß gestaltet, an dem sie sich fortpflanzt. Die Neger, diese von der unseren so abweichende Menschenart, sind so ausgesprochen für ihre Heimat geschaffen, daß Tausende dieser schwarzen Tiere sich den Tod gegeben haben, als unsere barbarische Habsucht sie wegtransportierte. Das Kamel und der Vogel Strauß leben bequem in der Wüste Afrikas; der Büffel und seine Gefährten weiden fröhlich in den fetten Landstrichen, wo das Gras sich fortwährend erneuert; Zimt und Nelken wachsen nur in Indien; der Weizen ist nur gut in den wenigen Gegenden, wo Gott ihn wachsen läßt. In Ihrem Amerika, von Kalifornien bis zur Meerenge von Lemaire, gibt es wieder andere Nahrungsmittel. In unserem fruchtbaren England kann so wenig wie in Schweden oder Kanada der Weinstock gedeihen. Daher kommt es, daß die, die in manchen Ländern das Wesen ihrer religiösen Riten auf Brot und Wein gründeten, nur an ihr Klima dabei gedacht haben; sie tun sehr wohl daran, Gott für die Speise und den Trank, die er ihnen in seiner Güte gab, zu danken. Und ihr Amerikaner würdet ebenfalls gut tun, ihn für euren Mais, euren Maniok und euer Wurzelbrot zu preisen. Gott hat über die ganze Erde hin die Organe und die Fähigkeiten der Tiere, vom Menschen bis herab zur Schnecke, richtig verteilt, je nach dem Ort, an dem er sie ins Leben rief. Laßt uns also nicht immer die Vorsehung anklagen, da wir ihr so oft Gutes verdanken.

Wir kommen zu den Landplagen, den Überschwemmungen, feuerspeienden Bergen und Erdbeben. Wenn Sie nichts als diese Plagen betrachten und Ihr Augenmerk nur auf die erschreckende Ansammlung all des Unglücks richten, das einige Räder der Weltmaschine betroffen hat, so muß Gott in Ihren Augen ein Tyrann sein. Wenn Sie auf seine unzähligen Wohltaten achten, ist er ein Vater. Sie führen den heiligen Augustin an, den Rhetor, der in seinem Buch der Wunder von hundert verschütteten Städten in Libyen spricht; denken Sie aber daran, daß dieser Afrikaner, der sich sein Leben lang widersprochen hat, in seinen Schriften die Redefigur der Übertreibung angewandt hat; er behandelte Erdbeben wie die wirksame Gnade oder wie die Verdammnis kleiner, ohne Taufe gestorbener Kinder. Hat er nicht in seiner siebenunddreißigsten Predigt behauptet, in Äthiopien eine Menschenrasse gesehen zu haben, mit einem großen Auge mitten in der Stirn, wie die Zyklopen, und Völker ohne Kopf?

Wir, die wir keine Kirchenväter sind, wir dürfen uns nicht so von der Wahrheit entfernen: und diese Wahrheit ist, daß auf hunderttausend Wohnorte in jedem Jahrhundert höchstens ein einziger kommt, der von dem Feuer zerstört ist, das für die Gestaltung unserer Erdkugel so notwendig ist.

Die Kraft des Feuers ist so notwendig für das Weltall, daß es ohne sie auf der Erde weder Tiere, noch Pflanzen, noch Minerale gäbe; so wenig wie Sonne und Sterne im Weltenraum. Dieses Feuer, das unter der obersten Erdrinde glüht, gehorcht den allgemeinen, von Gott selbst errichteten Gesetzen. Es ist unmöglich, daß nicht einige kleine Unfälle daraus entstehen sollten; aber man kann nicht sagen, daß ein Handwerker ein schlechter Arbeiter sei, wenn eine ungeheure, von ihm allein geschaffene Maschine seit so viel Jahrhunderten besteht, ohne auseinanderzugeraten. Wenn ein Mensch eine Wassermaschine erfunden hätte, die ein ganzes Land begösse und fruchtbar machte, würden Sie ihm vorwerfen, daß in dem Wasser, das er spendet, einige Insekten ertrinken?

Ich habe Ihnen bewiesen, daß die Weltmaschine das Werk eines überragend klugen und mächtigen Geistes ist; Sie, die das einsehen, sollten ihn bewundern; Sie, die er mit seinen Wohltaten überhäuft, sollten ihn lieben.

Aber die Unglücklichen, sagen Sie, die ein Leben lang zum Leiden, zu unheilbaren Krankheiten verurteilt sind, können sie ihn bewundern und lieben? Ich sage Ihnen, meine Freunde, daß fast alle Krankheiten durch unsere eigene Schuld oder die unsrer Väter entstehen, die ihre Körper mißbraucht haben, und nicht durch die Schuld des großen Werkmeisters. In ganz Südamerika kannte man keine andere Krankheit als Altersschwäche, bevor wir ihnen jenes Todeswasser brachten, das wir Lebenswasser Eau de vie = Branntwein. nennen und das dem, der zu viel davon trinkt, tausend verschiedene Leiden bringt. Die heimliche Ansteckung der Karaiben, die Ihr jungen Leute pox nennt, war nichts als ein leichtes Übel, dessen Quelle wir nicht kennen, und das man in zwei Tagen entweder durch Guajakholz oder Schildkrötensaft heilte; die Unenthaltsamkeit der Europäer verpflanzte diese Plage in die übrige Welt, wo sie einen furchtbaren Charakter annahm und eine entsetzliche Geißel geworden ist. Wir lesen, daß der Papst Leo X., ein Erzbischof von Mainz, namens Henneberg, und Franz I., König von Frankreich, daran gestorben sind.

Die Pocken kamen aus dem glücklichen Arabien; sie waren ursprünglich nichts als ein schwacher Ausbruch, ein vorübergehender Ausschlag ohne Gefahr, eine einfache Blutunreinigkeit. Sie sind in England wie in anderen Himmelsstrichen eine tödliche Krankheit geworden; unsere Habsucht hat sie in die Neue Welt getragen; sie hat sie entvölkert.

Erinnern wir uns daran, daß in Miltons Gedicht dieser Tölpel Adam den Erzengel Gabriel fragt, ob er lange leben werde. Ja, antwortete der Engel, wenn du die Regel befolgst: »Von nichts zu viel«. Beachten Sie alle diese Regel, meine Freunde; würden Sie wagen, von Gott zu verlangen, daß er Sie ohne Leiden jahrhundertelang leben ließe zum Lohn Ihrer Unmäßigkeit, Trunksucht, Unenthaltsamkeit und Hingabe an schändliche Leidenschaften, die das Blut verderben und notwendig das Leben verkürzen müssen?

Ich stimmte dieser Antwort bei; Paruba war ziemlich befriedigt davon. Aber Birton wurde dadurch nicht wankend gemacht. Jennis Blick zeigte mir, daß er noch sehr unentschieden war. Birton antwortete:

Da Sie nur mit ein paar neuen Ideen gemischte Gemeinplätze vorgebracht haben, werde ich mir ebenfalls einen Gemeinplatz leisten, auf den man noch nie anders als mit Fabeln und Phrasen zu antworten gewußt hat. Wenn es einen so mächtigen und guten Gott gäbe, würde er das Übel nicht in die Welt gebracht und seine Geschöpfe nicht dem Schmerz und dem Verbrechen ausgesetzt haben. Wenn er das Übel nicht verhindern konnte, ist er ohnmächtig; wenn er es nicht verhindern wollte, ist er barbarisch.

Wir haben Annalen nur von ungefähr achttausend Jahren zurück; die Brahmanen haben sie aufbewahrt; bei den Chinesen gibt es nur solche von ungefähr fünftausend Jahren; wir wissen nichts als das Gestern; aber in diesem Gestern ist alles Grauen. Man hat sich von einem Ende der Erde zum anderen abgeschlachtet; und man war blöde genug, die, welche die größte Zahl ihrer Mitmenschen ermorden ließen, große Männer, Helden, Halbgötter, sogar Götter zu nennen. Es blieben in Amerika zwei große zivilisierte Nationen Peruaner und Mexikaner., die anfingen, die Segnungen des Friedens zu genießen: da kommen die Spanier und schlachten zwölf Millionen hin; sie gehen mit Hunden auf die Menschenjagd; und Ferdinand, der König von Kastilien, gibt diesen Hunden eine Pension für ihre treuen Dienste. Die heroischen Besieger der Neuen Welt, die so viel waffenlose, nackte Unschuldige hingeschlachtet haben, lassen sich Männer- und Frauenschenkel, Hinterbacken, Unterarme und Waden als Ragout an ihrer Tafel servieren. Sie lassen den König Gatimozin von Mexiko auf Kohlenbecken braten. Sie ziehen nach Peru, um den König Atabalipa zu bekehren. Ein gewisser Almagro, Priester und Sohn eines Priesters, der als Straßenräuber in Spanien zum Hängen verurteilt worden ist, kommt mit einem gewissen Pizarro zum König. Er verkündet durch den Mund eines andern Priesters, daß ein dritter Priester, namens Alexander VI., ein blutschänderischer Mörder aus eigenem Belieben, proprio motu, und eigener Vollmacht, nicht nur Peru, sondern die Hälfte der Neuen Welt dem König von Spanien geschenkt habe. Er, Atabalipa, müsse sich auf der Stelle unterwerfen, sonst laufe er Gefahr, die heiligen Apostel Petrus und Paulus zu erzürnen. Und da dieser König die lateinische Sprache nicht besser verstand als der Priester, der die Bulle vorlas, wurde er sofort für ungläubig und ketzerisch erklärt: man ließ Atabalipa hängen, wie man Gatimozin verbrannt hatte; man metzelte sein Volk nieder. Und alles dies, um ihnen etwas gelben, erhärteten Schlamm zu rauben, der nur dazu gedient hat, Spanien zu entvölkern und arm zu machen, denn es hat dadurch den wahren Erdschlamm vernachlässigt, der die Menschen nährt, wenn er richtig gepflegt wird.

Ja, mein teurer Herr Freind, könnte das phantastische und lächerliche Wesen, das man Teufel nennt, die Menschen anders gestaltet haben, wenn es sie nach seinem eigenen Bilde hätte formen wollen? Hören Sie also auf, einem Gott solch ein abscheuliches Werk zuzuschreiben.

Dieser Wortschwall brachte die ganze Versammlung auf Birtons Seite. Ich sah Jenni im geheimen triumphieren; alle, selbst die junge Paruba, waren von Entsetzen ergriffen über den Priester Almagro, den Priester, der die lateinische Bulle verlesen hatte, gegen den Priester Alexander VI., gegen alle Christen, die aus Frömmigkeit und Golddurst so viel unfaßliche Verbrechen begangen hatten. Ich gestehe, daß ich für Freind bangte: ich verzweifelte an seiner Sache. Hier folgt, wie er ohne Zagen antwortete:

Freind

Meine Freunde, erinnern Sie sich stets daran, daß es ein höchstes Wesen gibt; ich habe es Ihnen bewiesen, Sie haben es zugestanden, und nachdem Sie gezwungen waren, einzuräumen, daß es ist, bemühen Sie sich, Unvollkommenheiten, Laster und Bosheiten an ihm zu entdecken.

Ich bin weit entfernt, Ihnen, wie gewisse Denker, zu sagen, daß die Leiden im einzelnen das Gute als Ganzes hervorbringen. Diese Überspanntheit ist zu lächerlich. Ich gebe mit Kummer zu, daß es viel moralisches und physisches Leiden gibt, da aber das Dasein Gottes sicher ist, ist es ebenso sicher, daß alle diese Leiden nicht verhindern können, daß Gott ist. Er kann nicht böse sein, denn welchen Grund hätte er, es zu sein? Es gibt entsetzliche Übel, meine Freunde; nun! laßt uns ihre Zahl nicht vergrößern. Es ist unmöglich, daß Gott nicht gut ist; aber die Menschen sind verdorben; sie machen einen abscheulichen Gebrauch von der Freiheit, die dieses große Wesen ihnen gegeben hat und geben mußte; das heißt, von der Macht, ihren Willen auszuführen, ohne welche sie nichts wären als Maschinen, die ein böser Geist gebaut hat, um sie wieder zu zerbrechen.

Alle aufgeklärten Spanier geben zu, daß ein kleiner Teil ihrer Vorfahren diese Freiheit dazu mißbraucht hat, Verbrechen zu begehen, vor denen die Natur sich bäumt. Don Carlos, der zweite seines Namens (dessen Nachfolger der Erzherzog sein möge!) hat, soviel er konnte, die Grausamkeit wiedergutgemacht, welche die Spanier unter Ferdinand und Karl V. verübten.

Meine Freunde, wenn das Verbrechen auf der Erde ist, so ist auch die Tugend da.

Birton

Ha! Ha! Ha! Die Tugend! Das ist doch einmal eine lustige Idee; bei Gott! Ich möchte gern wissen, wie die Tugend aussieht und wo man sie finden kann.

Bei diesen Worten konnte ich mich nicht mehr beherrschen; ich unterbrach Birton. »Sie werden sie bei Herrn Freind, bei dem guten Paruba, bei sich selbst finden,« sagte ich, »wenn Sie Ihr Herz von den Lastern reinigen, die es bedecken.« Er errötete, Jenni ebenfalls; dann senkte Jenni den Blick und schien Gewissensbisse zu haben. Sein Vater sah ihn voll Mitleid an und fuhr in seiner Rede fort.

Freind

Ja, meine teuren Freunde, es gab immer Tugenden, wie es immer Verbrechen geben wird. Athen besaß neben Sokrates einen Anitus; Rom Cato neben Sulla; Caligula und Nero setzten die Welt in Schrecken durch ihre Grausamkeiten, aber Titus, Trajan, Antonin der Fromme, Marc Aurel trösteten sie durch ihre Wohltaten. Mein Freund Sherloc wird dem guten Paruba in ein paar Worten sagen, wer diese Menschen waren. Glücklicherweise habe ich meinen Epiktet in der Tasche: dieser Epiktet war nur ein Sklave, aber durch seine Gefühle im Werte dem Aurel gleich. Hören Sie, ach! Könnten alle, die sich anmaßen, Menschen zu belehren, das hören, was Epiktet zu sich selber sagt: »Ein Gott hat mich geschaffen, ich trage ihn in mir; kann ich es wagen, ihn durch böse Gedanken, verbrecherische Handlungen oder unwürdige Wünsche zu entehren?« Sein Leben entsprach seinen Reden. Marc Aurel, der Europa und zwei andere Weltteile beherrschte, dachte nicht anders als der Sklave Epiktet: der eine ließ sich nicht demütigen durch seinen niederen Stand; der andere nicht blenden durch seine Größe; und als sie ihre Gedanken niederschrieben, taten sie es für sich selbst und für ihre Schüler, aber nicht, um in Zeitungen gelobt zu werden. Und sind, Ihrer Meinung nach, nicht Locke, Newton, Tillotson, Penn, Clarke und der gute Mann, den man »the man of Ross« Jean Kyrl, 1634-1724, von Pope der Mann von Roß genannt. nennt, und so und so viele in und außer unserer Insel, sind diese, sage ich, nicht Meister der Tugenden gewesen?

Sie sprachen, mein Herr, auch von grausamen und ungerechten Kriegen, deren sich so viele Nationen schuldig gemacht haben; Sie schilderten die Schandtaten der Christen in Mexiko und Peru. Sie können die Bartholomäusnacht in Frankreich und die Hinschlachtungen in Irland noch hinzufügen; aber gibt es nicht ganze Völker, die immer Abscheu vor Blutvergießen hatten? Haben die Brahminen nicht zu allen Zeiten der Welt dieses Beispiel gegeben? Und, um bei dem Lande zu bleiben, in dem wir uns befinden: sind wir hier nicht in der Nähe Pennsylvaniens, wo unsere Stammvordern, die man vergebens durch den Namen Quäker herabzusetzen sucht, immer den Krieg verabscheut haben? Haben wir nicht Carolina, wo der große Locke seine Gesetze diktierte? In diesen beiden Heimatländern der Tugend sind alle Bürger gleich, alle Gewissen frei, alle Religionen gut, vorausgesetzt, daß man einen Gott anbetet; alle Menschen sind dort Brüder. Sie sahen, Herr Birton, wie schon der Name eines Nachkommen von Penn die Bewohner der Blauen Berge, die Sie vernichten konnten, die Waffen strecken ließ. Diese fühlten, was Tugend bedeutet, und Sie behaupten, es nicht zu wissen! Wenn die Erde Gifte und Heilmittel hervorbringt, wollen Sie sich nur von Giften nähren?

Birton

Ach! Mein Herr, warum so viel Gifte? Wenn Gott alles gemacht hat, sind auch sie sein Werk; er ist Herr über alles; er tut alles, er führt die Hand Cromwells, der den Tod Karls I. unterschreibt; er leitet den Arm des Henkers, der ihn enthauptet. Nein, ich kann einen Gott, der Menschen mordet, nicht zulassen.

Freind

Ich auch nicht. Hören Sie zu, ich bitte Sie. Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß Gott die Welt durch allgemeine Gesetze regiert. Nach diesen Gesetzen beschloß Cromwell, dieses Ungeheuer an Fanatismus und Heuchelei, den Tod Karls I., und zwar um seines Vorteils willen. Alle Menschen lieben ihren Vorteil, nur verstehen sie nicht alle dasselbe darunter. Nach den Gesetzen der Bewegung, die von Gott selbst stammen, trennte der Henker das Haupt dieses Königs vom Leibe. Aber sicher tötete Gott Karl I. nicht durch einen besonderen Akt seines Willens. Gott war nicht Cromwell, nicht Jeffreys, nicht Ravaillac oder Balthasar Gérard, nicht der Dominikaner Jakob Clément; Gott begeht weder noch befiehlt oder erlaubt er das Verbrechen; aber er hat den Menschen geschaffen und das Gesetz der Bewegung begründet; diesen ewigen Gesetzen der Bewegung unterliegt die Hand des barmherzigen Menschen, der dem Armen beisteht, ebenso wie die Hand des Verbrechers, der seinen Bruder erwürgt. Gleichwie Gott seine Sonne nicht auslöschte und Spanien nicht vom Meer verschlingen ließ, um Cortez, Almagro und Pizarro zu strafen, die einen halben Weltteil mit menschlichem Blut überschwemmt hatten, so schickt er auch nicht eine Schar von Engeln nach London und läßt hunderttausend Tonnen Burgunderwein vom Himmel regnen, um seinen lieben Engländern ein Vergnügen zu bereiten, wenn sie eine gute Handlung getan haben. Seine allgemeine Vorsehung wäre lächerlich, wenn sie jeden Augenblick zu jedem Individuum herabstiege. Und diese Wahrheit ist so greifbar, daß Gott niemals einen Verbrecher auf der Stelle durch eine sichtliche Offenbarung seiner Allmacht straft: er läßt seine Sonne auf Gute und auf Böse scheinen. Wenn etliche Verbrecher unmittelbar nach ihren Missetaten gestorben sind, so geschah dies nach den allgemeinen Gesetzen, die die Welt regieren. Ich las in dem dicken Buch eines Frenchman, namens Mézeroi, daß Gott unseren großen Heinrich V. an einer Mastdarmfistel sterben ließ, weil er es gewagt hatte, sich auf den Thron des allerchristlichsten Königs zu setzen; nein, er starb, weil die allgemeinen Gesetze, die von der Allmacht ausgehen, die Materie so angeordnet hatten, daß eine Mastdarmfistel das Leben dieses Helden enden mußte. Alles Physische einer schlechten Handlung ist die Wirkung der allgemeinen Gesetze, die die Hand Gottes der Materie aufgeprägt hat; alles moralische Übel der verbrecherischen Handlung ist die Wirkung der Freiheit, die der Mensch mißbraucht.

Schließlich brauchen wir, ohne im Nebel der Metaphysik zu versinken, nur daran zu denken, daß das Dasein Gottes bewiesen ist: darüber gibt es keinen Streit mehr. Nehmen Sie Gott aus der Welt, wird dadurch der Mord Karls I. gerechtfertigter? Oder sein Henker liebenswerter? Gott ist, das genügt; und wenn er ist, ist er auch gerecht: seien Sie ebenfalls gerecht.

Birton

Ihr kleines Argument über die Beihilfe Gottes hat Feinheit und Kraft, obgleich es Gott nicht ganz freispricht von der Schuld, Urheber des moralischen und physischen Übels zu sein. Ich sehe, daß die Art, wie Sie Gott entschuldigen, einigen Eindruck auf die Versammlung macht. Konnte er aber seine allgemeinen Gesetze nicht so einrichten, daß sie nicht so viel Unglück im einzelnen nach sich ziehen? Sie haben mir ein ewiges und mächtiges Wesen bewiesen und, Gott verzeihe mir! ich war einen Augenblick sehr besorgt, daß Sie mich an Gott glauben machen würden; aber ich habe furchtbare Einwände dagegen. Auf, Jenni, laß uns Mut fassen; wir wollen uns nicht schlagen lassen.

Und Sie, Herr Freind, da Sie so gut sprechen, haben Sie das Buch mit dem Titel: »Der gesunde Menschenverstand« gelesen?

Freind

Ja, ich habe es gelesen; ich gehöre nicht zu jenen, die alles an ihren Gegnern verdammen. Es sind in diesem Buche sehr gut entwickelte Wahrheiten; aber sie werden durch einen großen Fehler verdorben. Der Verfasser will fortwährend den Gott der Scotus, Albertus, Bonaventura zerstören, den Gott der lächerlichen Scholastiker und der Mönche. Achten Sie darauf, daß er nicht wagt, ein Wort gegen den Gott des Sokrates, des Platon, des Epiktet und Marc Aurel oder gegen den Gott der Newton, Locke und, mit Verlaub zu sagen, gegen meinen Gott zu äußern. Er verliert seine Zeit mit Predigen gegen den sinnlosen und verdammenswerten Aberglauben, dessen Lächerlichkeit und Scheußlichkeit heute alle anständigen Leute empfinden. Das ist, als ob man gegen die Natur schriebe, weil die Wirbel des Descartes sie entstellt haben; als ob man sagte, daß der gute Geschmack nicht existiere, weil die meisten Autoren keinen haben. Der Verfasser des »Gesunden Menschenverstandes« glaubt, Gott angegriffen zu haben; darin geht ihm jeder gesunde Verstand ab; denn er hat nur gegen gewisse alte und moderne Priester geschrieben. Glaubt er, den Meister vernichtet zu haben, weil er wiederholt, daß seine Diener sehr oft Schurken waren?

Birton

Hören Sie, wir können uns näherkommen. Ich würde den Herrn achten, wenn Sie die Diener mir überlassen. Ich liebe die Wahrheit: zeigen Sie sie, und ich bekehre mich zu ihr.


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