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15.

Maria schritt hinter den Klosterfrauen im Garten; alle lauschten den Worten der Äbtissin, die schöne Dinge über die Ewigkeit sprach.

Maria litt unter dem langsamen Gehen; sie hätte mögen ausschreiten, ihr ganzes Wesen war erfüllt von einem freudigen Rhythmus.

Zweimal schon hatte sie den vor ihr gehenden Nonnen auf die Ferse getreten. Und immer wieder vergaß sie sich –

›Einmal den Frühling da draußen sehen – den Frühling daheim‹, schoß es ihr durch den Kopf, ›laufen, laufen, laufen, bergauf und bergab – Und ich muß schleichen wie eine alte Frau‹ –

Plötzlich machte sie Kehrt und lief spornstreichs zwischen den Beeten hin nach dem kleinen Platze, wo Frau Benedikta saß.

»Er ist gut, ist er nicht gut?« rief sie in jubelndem Tone der mütterlichen Freundin entgegen.

Diese nickte überrascht:

»Gut und brav und ehrlich.«

»Ach so ehrlich,« seufzte Maria auf, »wenn wir doch auch so wären – doch auch so sein dürften!«

»Könntest du eine Nonne sein, wenn du dein wahres Wesen zeigtest?«

Maria sah die Sprecherin mit dem Ausdruck tiefsten Schreckens an.

»Ich glaube, du könntest es nicht,« flüsterte Frau Benedikta, »denke einmal darüber nach –«

Frau Petronilla kam eben angekeucht und Maria eilte davon.

Nachdenken sollte sie?

Sie stand auf einer Anhöhe und that, als betrachte sie die Blumen im Gras und heiße Thränen flossen ihr unaufhaltsam über die Wangen. Was konnte sie andres denken als das eine: ›O mein Gott, warum ist er wieder gekommen?‹

Frau Petronilla aber erzählte:

»Denken Sie, liebe Frau Benedikta, neulich komm ich dazu, wie unser Paulinchen in der Tenne auf dem Stroh liegt und die Mägde dreschen auf sie ein. ›Sie wird's redlich verdient haben‹, sag ich mir und laß es geschehen; frag aber dann die Obermagd: ›Meine Liebe, warum habt ihr mir Schwester Pauline gedroschen?‹ ›Hm,‹ macht die Alte, ›das hat ihr halt gehört; zuerst hat sie über Sie geschimpft, wenn sie nur eins von uns gesehen hat, und dann ist sie mit dem Vorschlag rausgerückt – mir solle all mitnander gege Sie zusamme halte. Da habe wir sie genomme und habe sie drescht‹« –

Frau Petronilla lachte, daß es durch den Garten schallte.

»Jetzt spielt sie die Märtyrerin; sie weiß jetzt, was ihr bevorsteht, wenn sie ihre Hetzereien nicht sein läßt, nun will sie zeigen: ›da seht einmal, was ich für eine bin‹ – und ich hab Müh und Not, mich ihres Eifers zu erwehren. Was meinen Sie, Frau Benedikta, so ein rechter Teufel von einem Mann, das wär gewiß das Beste für unser Paulinchen gewesen?«

Frau Benedikta schüttelte den Kopf:

»Und die armen Kinder? Unglückliche Kinder, das ist das Ärgste; da ist's noch besser, sie ist im Kloster. Wer weiß, unsre braven Mägde in ihrer kräftigen Entrüstung erziehen die Unglückliche vielleicht noch am ersten. Für jeden das Richtige finden, jedem das Richtige geben – wenn man das könnte –«

Sie seufzte: »Die Zeit vergeht und es geschieht nichts – und da oben im Chor wartet einer mit Sehnsucht, daß etwas geschehe –«

»Und Sie gehen mir zu Grund an der Geschichte,« brummte Frau Petronilla, »ja wohl, so kommt's, und das sind mir die Zwei noch lang nicht wert –«

»Aber meine gute Petronilla –«

»Nein,« beharrte diese, »sie sind mir's nicht wert, aber wenn's sein muß – Ihnen zu lieb – sollen sie sich meinetwegen haben; die Zeiten sind ja günstig – wenn eine gehen will, kann sie jetzt gehen – Ach du meine Güte,« seufzte sie, »Sie waren gesund, und ich war vergnügt – da hat der liebe Gott diese Maria ins Kloster schicken müssen ... Manchmal versteh ich ihn wirklich nicht recht.«

Frau Benedikta nickte:

»Ich glaube ihn zu verstehen.«

Im Chor war nur noch wenig zu thun.

Maria hatte ihre Aufgabe beendet und die der Frau Benedikta übernommen. Diese vermochte, ihrer zunehmenden Atemnot wegen, keine Treppen mehr zu steigen. Markus malte wenige Schritte von Maria entfernt an dem Gewande der heiligen Jungfrau.

Frau Franziska, die mit ihrer Arbeit fertig war, aber, zur weitern Ausbildung ihrer Fähigkeiten im Chor verweilen durfte, ging, die Hände in den weiten Ärmeln ihres Gewandes, hinter den Arbeitenden auf und ab, auf den Lippen jenes Lächeln tiefinnerster Genugthuung über ihre eigene Vortrefflichkeit.

»Sie lassen sich Zeit,« sagte sie im Vorübergehen zu Maria.

Diese erschrak.

Wie schwer war ihr ums Herz, wie grenzenlos schwer; es ging nicht anders, sie mußte heute fertig werden – und dann? Ja dann –

Vielleicht, wenn sie den Pinsel niedergelegt hatte, reichte Markus ihr und den Frauen die Hand und sagte:

»Leben Sie wohl.«

Und des Abends ging er über den Berg heim in sein Dorf.

Ach, was hatte sie gethan! Warum war sie ins Kloster gegangen? Nun gab's keinen Frieden mehr für sie, keine Ruhe. Sie mußte sich das Sterben erbeten, weil ihr das Leben eine Qual war. Und er ging und wußte nichts davon.

Er hatte ja noch eben gelacht über die Frage der Frau Franziska, ob es ihm nicht schwer falle, nun wieder Weltmenschen malen zu müssen, nachdem er sich wochenlang nur mit Heiligen abgegeben habe.

Aber dies Lachen war nicht froh gewesen, es that weh.

›Warum nur that's so weh?‹ fragte sich Maria.

Noch zwei Passionsblumen in ihrem Kranze, und sie war zu Ende.

»Du heiliger Gott –«

Die Äbtissin kam und drückte ihre Verwunderung darüber aus, daß sowohl die Muttergottes mit dem Kind, als die Pietà noch immer kein Gesicht hatten.

»Das ist meine Arbeit für die letzten Tage, wenn ich allein bin; ich möchte dann ungestört sein.«

»Ich besitze ein wunderschönes Bild der Muttergottes von Einsiedeln,« bemerkte die Äbtissin, »das müssen Sie sich ansehen und danach –«

»Erlauben Sie,« unterbrach sie Markus, »ich bin mit meiner Aufgabe schon im reinen, und wenn Sie mir Vertrauen schenken wollen, Frau Äbtissin –«

Sie neigte freundlich das Haupt gegen ihn: »Ihre beiden fertigen Bilder ermächtigen mich zu keinem Mißtrauen –«

Er ließ sie kaum ausreden.

»Es schwebt mir ein Gesicht vor, ein wunderbares Bild; meine Mutter hat es bei einem Trödler gekauft. Ich habe dieses Bild schon als Knabe angestaunt, und als ich es bei meiner Rückkehr im Häuschen der Mutter vorfand, entzückte mich dieses Gesicht mehr noch wie früher –«

»Es ist aber vielleicht ein zu weltliches Gesicht,« unterbrach ihn die Äbtissin.

Er lächelte: »Glauben Sie, daß die heilige Jungfrau vom Himmel gestiegen ist, um Raphael zu sitzen? Schöne Frauen aus dem Volke sind seine Modelle gewesen –«

»Jedenfalls,« fiel ihm die Äbtissin, die so etwas nicht gern hörte, in die Rede, »jedenfalls möchte ich für unsre Madonna –«

»Sie dürfen ganz ruhig sein, Frau Äbtissin,« unterbrach sie Markus, »das Gesicht, das mir vorschwebt, ist voll der lautersten Wahrhaftigkeit, und giebt es etwas Heiligeres, als eine wahrhaftige Seele? Eine Seele, die nichts verbirgt, die wie ein klarer Wassertropfen vor unsern Augen liegt – die nie gelogen, nie etwas Falsches oder Unrechtes in sich aufgenommen –«

Seine Stimme bebte, er brach plötzlich ab.

Auch die Frauen schwiegen.

Verstanden hatte ihn aber nur eine; die Hand, die den Pinsel geführt, war an ihr niedergesunken und ein paar große, heiße Augen hefteten sich an eine Stelle der Wand, als ob sie töne und spreche.

Frau Franziska aber sagte mitten in die tiefe Stille hinein:

»Erlahmen Sie an Ihrem letzten Blatt, Frau Theresia?«

Und Frau Theresia erhob die Rechte und brachte dieses letzte Blatt zu Ende.

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