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8.

Schon wenige Tage nach ihrer Flucht von zu Hause trug Maria das weiße Häubchen der Postulantinnen.

Die Äbtissin hatte die Pflegeeltern kommen lassen, und ihrer Beredsamkeit war es gelungen, den alten Berghold über Marias Berufswahl einigermaßen zu beruhigen; sie sagte ihm, es sei fürs erste ja nur ein Versuch, nichts hindere Maria, das Kloster zu jeder Zeit wieder zu verlassen; er möge kommen, so oft er Lust habe, und den Seelenzustand seiner Großnichte beobachten.

Frau Berghold erkundigte sich direkt:

»Und wenn sie drin bleibt, was geschieht dann mit uns?«

Die Äbtissin gab in ihrer ruhigen Würde zur Antwort:

»Das Gut wird nach wie vor die Heimat von Marias Pflegeeltern bleiben.«

Während der ganzen Heimfahrt sprach Frau Berghold ihre Genugthuung über die Antwort der Äbtissin aus.

»Wer war gescheiter, du oder ich? Ich hab das Mädel nit vom Kloster zurückgehalte, und das ist der Dank jetzt – wir könne auf dem Gute bleibe. Mit dem Kloster ist besser rechne, als mit einem Mann; 's hätt einer daher komme könne – zum Beispiel der Markus. – Ja wohl, der, da hätt ich 's Lache halte könne, ein Alter hätt ich wie in der Höll. – Jetzt will ich noch schnell ein Stockwerk aufs Gartehäusle setze lasse, das giebt unser Altersheim, von da kann ich alles sehe, was im Haupthaus vorgeht. Aber schriftlich muß mir's die Äbtissin gebe, so dumm bin ich nit.«

Sie war kreuzfidel; plötzlich hörte sie den Mann seufzen.

»Was giebt's,« fuhr sie auf, »hast dich vielleicht nit grad so viel über das Mädel geärgert wie ich?«

»Dich geht sie nichts an,« gab er zur Antwort, »aber wie soll ich meiner Großmutter wieder vor Augen treten, der ich ihr Haus hab in fremde Händ kommen lassen.«

»Auch dafür giebt's Rat,« meinte die Frau, indem sie bei sich selbst beschloß: das Bild muß weg. –

Die Urgroßmutter war die letzte aus der Familie ihres Mannes, an der er noch hing. Wenn er da oben im Saal war, kam er immer mit einem Gesicht herunter, über das sie sich ärgerte, denn sie mußte sich sagen, daß sie die Gedanken, die ihn beschäftigten, nicht teilen durfte.

Und Frau Berghold atmete tief auf:

›Dann wird's Ruhe gebe, und ich brauch kei Neid mehr habe, wenn alles fort ist.‹ –

Sie irrte sich; die Großnichte war aus dem Hause, und das Bild war aus dem Saale entfernt. – Herr Berghold aber, der vor Marias Eingriffen in seine Bequemlichkeit bei der Gattin Schutz gesucht, fing plötzlich wieder an, diese zu fliehen, und zwar mehr als zuvor.

Und als sie ihm einmal in den Weg trat mit der Frage: »Was hast denn jetzt wieder an mir auszusetze?« gab er ihr zur Antwort:

»Daß du mir alles genommen hast.« –

Jeden ersten Donnerstag im Monat machte er sich auf den Weg ins Kloster, um nachzusehen, ob seine Großnichte glücklich sei. Eine halbe Stunde saß er im Sprechzimmer, wo ihn Maria allein empfangen durfte, und wartete auf ein Wort, auf einen Blick, der ihm sagte: nimm mich wieder heim.

Aber Maria schien sich nicht im geringsten nach ihrem Heim zurückzusehnen.

Es ging ihr nicht wie den meisten Postulantinnen, die unter der Trennung von den Ihrigen leiden und den raschen Übergang, den das Leben in der ihnen neuen Welt mit sich bringt, nur mit großer Anstrengung überwinden.

Maria war gleich zu Hause; sie war zu Hause, weil ihre strahlenden jungen Augen überall freundlichen Blicken begegneten und ihr von allen Seiten ermutigende Worte zu teil wurden bei ihren stoßweisen Versuchen, sich das ihrer neuen Würde entsprechende Benehmen anzueignen. Sogar die Novizenmeisterin, so karg sonst im Leben, gab ihr ein gutes Wort, so oft es Maria gelang, anders als sie selbst zu sein.

Nur Frau Benedikta ermutigte die junge Postulantin nicht in ihren Vervollkommnungsbestrebungen: ihr that es weh, Maria plötzlich in einem Ausbruch der Freude inne halten und den Blick zu Boden senken zu sehen; es war so unnatürlich, wenn das lebhafte Geschöpf einen Einfall, der ihm auf den Lippen schwebte, plötzlich hochrot vor Anstrengung in sich selbst verschloß. Und dann der erzwungene Eifer für die Stunden der Frau Scholastika, und die geheuchelte Gleichgültigkeit für den früher so geliebten Zeichenunterricht! Frau Benedikta wußte ja, daß Maria mit diesem inneren Zwang, den sie sich anthat, dem lieben Gott eine besondere Freude zu machen glaubte, Anwandlungen, die bei einer Postulantin nichts Neues waren; aber daß Maria sich auf diese Weise mehr und mehr von der schönen Einfachheit ihres Wesens entfernte, war für Frau Benedikta ein Schmerz.

Es hatte sie nicht gewundert, das junge Mädchen ins Kloster zurückkehren zu sehen; sie kannte das freudlose Heim des Kindes, wo nichts war, was der verlassenen Seele einen Halt, eine Stütze oder eine Freude hätte geben können. Und nun der große Reiz der Neuheit, der der lebhaften Phantasie Marias eine so willkommene Nahrung bot.

Wie ein neugieriges Kind lief sie durch die breiten, sonnenhellen Korridore, in denen jeder noch so leise Schritt widerhallte. Mit heiligen Schauern betrat sie den Kapitelsaal, wo die Bildnisse der früheren Äbtissinnen des Klosters längs der Wände hingen, ernst und würdig blickende Frauen, den Stab in der Hand, das große Kreuz auf der Brust.

Oder sie vermochte ihres Entzückens nicht Herr zu werden über die gewölbte Decke des Refektoriums, auf deren lichtblauem Untergründe liebliche Engel die Ehre Gottes priesen – ein Deckengemälde aus uralter Zeit, das Maria so mächtig anzog, daß sie nicht selten darüber versäumte, der Heiligenlektüre zuzuhören.

Pia und Charlotte, die mit ihr das Noviziat teilten, jetzt Schwester Veronika und Schwester Franziska, begriffen nicht, wie man über alte Gewölbe, Kreuzgänge und Thorbogen außer sich geraten könne. Sie waren sogar ein wenig skandalisiert über diese Freude an Dingen, die weder etwas mit der Pflicht noch mit dem Seelenheil einer Postulantin zu thun hatten.

Schwester Veronika hatte ein vortreffliches Lehrerinnenexamen gemacht, und es gab kein Datum der Geschichte, das sie nicht wußte. Allein sie stellte ihr Wissen in den Dienst der Demut und schwieg beharrlich, wenn sie nicht zum Sprechen aufgefordert wurde.

Sie hatte ein kluges, nicht eben angenehmes Gesicht, war klein und derb von Gestalt und ließ sich keinen Augenblick im Tage gehen.

Maria, die eine unendliche Mühe hatte, die ihrer natürlichen Lebhaftigkeit so entgegengesetzte klösterliche Ruhe anzunehmen, ging mit Vorliebe hinter Schwester Veronika drein, deren ernster, gemessener Schritt ihr als Richtschnur diente.

Aber manchmal überkam sie plötzlich ein Kindergelüste, den beiden vortrefflichen Wesen einen kleinen Schabernack anzuthun, besonders Schwester Franziska, deren Opferfreudigkeit so weit ging, daß sie sich auf jeden Faden am Boden stürzte, um ihn im Namen Gottes aufzuheben.

Die junge Novize hatte ebenfalls ihr Examen als Arbeits- und Zeichenlehrerin gemacht; sie war eine vortreffliche Schülerin der Frau Benedikta, deren Muster sie mit der peinlichsten Genauigkeit kopierte. Wenn ihr jedoch die Aufgabe gegeben wurde, selbst eine Arbeit zu erfinden, irrten ihre großen blauen Augen hilfesuchend von einem der drei an der Wand des Noviziats hängenden Heiligen zum andern. Es kam ihr aber keiner zu Hilfe. Maria war mitleidiger und gab der Armen zuweilen etwas von ihrem Reichtum ab.

Dann und wann erschien die hohe Gestalt der Äbtissin in der abgeschlossenen Welt des Noviziats, und ihre leise, halbverschleierte Stimme wußte jede Seelenpein, die ein junges Geschöpf in der Abgeschiedenheit des Klosterdaseins heimsuchen konnte, zu erklären und nichtig zu machen, jede unbestimmte Sehnsucht ihres Wehs zu entkleiden und alle Zweifel in Klarheit aufzulösen.

»Es ist nicht so, wie wir alle bei unserm Eintritt ins Kloster glauben – meine Kinder, das Glück erwartet uns nicht an der Schwelle; es wäre auch nicht das richtige. Die große Arbeit kommt zuerst, die Arbeit des Todes und der Auferstehung; wir müssen sterben, unsres Ichs uns entäußern, um wiedergeboren zu werden. – Kinder müssen wir erst werden, wenn wir ins Himmelreich, daß heißt ins klösterliche Leben eingehen wollen. Und dieses hinwiederum ist der Schmelztiegel, wo unsre Seelen geläutert werden, um sich zum Übernatürlichen, durch die Entfernung aller Schlacken, die an der menschlichen Natur haften, aufzuschwingen. Die Süßigkeit aber, welche am Ende Ihrer Kämpfe auf Sie wartet, meine Kinder, ist eine unendliche.«

Nach solchen Reden glühten die Wangen der jungen Aspirantinnen vor innerer Sehnsucht nach jener unendlichen Süßigkeit, und sie kehrten mit erneuter Opferfreudigkeit zu ihren Pflichten zurück.

Dieser Opferfreudigkeit hatte es Maria auch zu verdanken, daß die beiden Novizinnen noch immer zögerten, die Genossin ihrer Zelle bei Frau Scholastika zu verklagen.

Die beiden frommen Seelen huldigten mit gleicher Inbrunst dem heiligen Aloysius von Gonzaga und verrichteten regelmäßig, bevor sie des Abends hinter dem weißen Vorhang ihrer Betten verschwanden, noch ein gemeinsames Gebet angesichts des Bildnisses ihres Lieblingsheiligen.

Eines Abends fuhr Marias Kopf hinter ihrem Bettvorhang hervor mit der Behauptung: »Die heilige Theresia ist viel wunderthätiger. als der heilige Aloysius.«

Schwester Franziska stieß ein O! des Entsetzens aus, während Schwester Veronika sofort sämtliche Wunder ihres Heiligen wie am Schnürchen herunterzählte, und ohne der heiligen Theresia zu nahe treten zu wollen, brachte sie Beweis auf Beweis, daß kein anderer als der heilige Aloysius dem Throne der heiligen Jungfrau am nächsten stehe.

Allein die Reue folgte ihrer Rede auf dem Fuße, und die arme Veronika bestieg ihr Lager mit dem Bewußtsein, dem Gebote des Stillschweigens in der ausgiebigsten Weise zuwidergehandelt zu haben.

Als Maria am folgenden Abend einen erneuten Angriff auf den heiligen Aloysius wagte, merkte sie an der tiefen Stille, die auf ihre Worte folgte, die beiden hatten überwunden und opferten ihre Aufwallung dem lieben Gott.

Da ging sie in sich. Ach, woher kamen ihr nur diese sündhaften Anwandlungen, diese unbändigen Gelüste, ihren Mitschwestern einen Streich zu spielen? Statt sich an ihrem heiligen Eifer zu erbauen, überkam es sie nicht zuweilen, daß sie vor Lachen fast in ihrem Kopfkissen erstickte?

Sie entschloß sich und eröffnete der Novizenmutter ihren Seelenzustand.

Am Abend desselben Tages fand sie ihr Lager in der Zelle der Frau Scholastika aufgeschlagen; diese trat des Abends mit einem »Gelobt sei Jesus Christus« in ihre Zelle, netzte den Finger in dem kleinen Weihwasserkessel an der Thüre, schlug das Kreuz und schlief die ganze Nacht durch bis um fünf in der Frühe.

Maria versuchte vergeblich, durch allerlei kleine Inkorrektheiten Frau Scholastikas Aufmerksamkeit zu erregen, denn alles, selbst das Gezanktwerden, dünkte ihr angenehmer als diese steinerne Ruhe um sie her.

Allein Frau Scholastika, die Marias Bemühungen recht wohl bemerkte, zeigte sich blind und taub und wich nicht um eines Fingers Breite von ihren Gewohnheiten ab.

Die Nähe dieser unlieblichen Natur lastete wie ein Druck auf Maria, und zuweilen war ihr zu Mute, als müsse sie irgend etwas Entsetzliches thun, nur um eine Veränderung herbeizuführen. Einmal als es dunkelte und sie im Noviziat aufzuräumen hatte, machte sie sich dadurch Luft, daß sie wie eine Wahnsinnige über Tische und Stühle sprang.

Nichts aber drückte deutlicher die innere Zerfahrenheit ihres Wesens aus als ihre Zeichnungen; Frau Benedikta wartete nur auf einen Blick, auf eine kleine vertrauliche Annäherung, um an den Liebling die alte Frage zu stellen: »Was hat denn mein Mariele?«

Eines Tages versah Frau Benedikta, die das Amt der Sakristanin hatte, die kleine Kapelle am Ende des Korridors mit frischen Blumen. Die am entgegengesetzten Ende des Korridors liegende Thüre des Noviziats ging auf, und die drei Schwestern spazierten heraus. Voran Veronika, gemessenen Schrittes, tadellos in Ausdruck und Gebärde. Hinter ihr Maria, gerade so steif und gerade so gemessen.

Frau Benedikta, die in der Kapelle ein wenig zur Seite trat, um ihren Liebling zu beobachten, bemerkte plötzlich auf Marias Antlitz alle Anzeichen eines unterdrückten Lachens; sie hielt ein Papier in der Hand, von dem sie fortwährend kleine Stücke riß und zu Boden warf. Hinter ihr, Schwester Franziska, bückte sich unverdrossenem den blanken Boden von diesen Papierfetzchen zu säubern.

Unten an der Kapelle stand plötzlich Frau Benedikta vor der bis in die Stirne erglühenden Missethäterin. Die nichtsahnenden Novizinnen schritten weiter.

»Ja, ich weiß, es ist nicht recht, was ich thue,« stotterte Maria, »aber es kommt manchmal plötzlich so über mich – ach Gott, es ist gar so schwer, immer vernünftig zu sein –«

Sie schlug die Augen zu Frau Benedikta auf, die streng sein wollte, um deren Mund aber ein so gütiges, liebevolles Lächeln zuckte, daß Maria von einer jähen Gewißheit erfaßt wurde.

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»Sie haben sich nie über meine Liebe beklagt,« stammelte sie, »Sie haben das nicht gethan – o nein –«

»Still, mein Kind,« unterbrach sie Frau Benedikta, der ungestümen Fragerin den Mund mit der Hand schließend.

Maria brach in Thränen aus:

»Daß ich nur einen Augenblick hab an Ihnen zweifeln können.«

»Die Pflicht ruft,« mahnte Frau Benedikta, »lassen Sie die Novizenmeisterin nicht warten.«

Maria ging.

Sie wußte wohl, ein weiteres Aussprechen konnte und durfte es nicht für sie geben, denn zwischen ihnen stand die geheiligte Person der Äbtissin.

Aber eine neue Zeit fing für Maria an. All die brachliegenden Kräfte ihrer Seele gewannen wieder Leben, und der Tag erschien ihr nunmehr nur noch in dem Lichte dieser einen Stunde – wenn Frau Benedikta unter der Thür des Noviziats erschien und ihre liebe, sanfte Stimme die trockene, herrische der Novizenmeisterin ablöste.

Sie redeten nicht öfter miteinander wie früher, sie waren nie zusammen außerhalb der Stunden. – Aber in diesen, welch ein unbeschreiblich zarter Rapport bestand zwischen ihren Seelen, die sich, die eine durch ihren Eifer, die andre durch ihre Milde, mehr Liebes sagten, als Worte hätten auszudrücken vermocht.

Die erste selbständige Arbeit der jungen Postulantin, ein in kühnen Zügen und leuchtender Farbenpracht entworfener Altarteppich, erweckte in der Äbtissin den Wunsch, Maria für das kunstgewerbliche Fach heranbilden zu lassen.

Allein die Novizenmeisterin wollte nichts davon wissen und setzte es auch durch, Maria für das Examen der Lehrfächer vorbereiten zu dürfen.

Unter ihrer Leitung, meinte sie während eines Spazierganges im Garten, besonders seit sie die Postulantin immer um sich habe, sei mit dieser eine höchst vorteilhafte Veränderung vor sich gegangen. Sie sei daher nicht gewillt, auf halbem Wege stehen zu bleiben, da sie ein Nachlassen der Strenge bei einer Natur wie Marias von Übel halte. Frau Benedikta habe ja ihre Verdienste, setzte sie hinzu, allein sie habe nie etwas über Maria vermocht.

»Oder wollen Sie das bestreiten?« wandte sich Frau Scholastika an die neben ihr gehende Frau Benedikta.

»Das liegt mir ferne,« wich diese dem Angriff der Novizenmeisterin aus.

Die Äbtissin aber meinte nach einer Pause:

»Ich glaube, unsre liebe Frau Scholastika hat recht; unterbrechen wir nicht ihr Werk; die Opferfreudigkeit und Heiterkeit sieht ja Maria aus den Augen. – Sollten Sie das nicht auch bemerkt haben, meine liebe Frau Benedikta?«

»Ja,« nickte diese, indem sie vermied, der Fragerin ins Antlitz zu sehen.

Sie litt, sie litt wieder unter tausend Zweifeln; es war ja wieder ganz wie früher, ihre Mühen und Kämpfe, alles umsonst! Sie hatte Maria ins Kloster gezogen und jetzt – eben als Maria des Einerleis ihres Lebens überdrüssig werden wollte, hielt sie das unglückselige Geschöpf wiederum fest. –

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