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3.

Mutter Klein pflegte von ihrem Markus zu sagen:

»Er hat nur Auge und Mage.«

In Wahrheit, Reden war nicht des Markus Sache, er war von kleinauf ein Mann der That.

Einmal in einer eiskalten Winternacht ertönte die große Feuerwehrtrompete im Dorf, und alle Mannen fuhren aus ihren warmen Betten in die Monturen und eilten auf den Kirchenplatz, wo der Markus stand und mächtig tutete. Und als die Männer, Schreiner Klein an ihrer Spitze, mit der Frage über den Buben herfielen, wo es denn brenne, gab ihnen Markus zur Antwort:

»Brennen thut's gar nit, aber ihr seid alle Woch sechsmal besoffe und weckt in der Nacht die brave Leut aus 'nem Schlaf; jetzt spüre 's auch emal –«

Wenn der Schullehrer nicht gewesen wäre, sie hätten ihn halb tot geschlagen; aber der Schullehrer war Kommandierender der Feuerwehr und befahl: »Loslasse, Kreuzbombeelement, dem Markus sein Schädel ist nit für eure Stöck gewachse, mit dem hat Gottvater noch was Bessres vor –«

»Loslasse!« schrie der Schullehrer – und hatte doch seinerseits genug mit dem Buben auszustehen, der sich, wenn ihm etwas nicht paßte, ohne weiteres in der Klasse erhob mit dem Bemerken:

»Herr Lehrer, das war ebe nit richtig –«

Aber wenn dem Markus dieser Gerechtigkeitsdrang auch ebenso viele Schläge eintrug als seine Klecksereien, er ließ weder das eine noch das andre. Immer war er auf der Jagd nach dem Bösen oder auf der Suche nach Wunderbarem; auch das Komische machte ihm Freude. Des Sonntags hinter dem Bergholdschen Ehepaar drein zu gehen, gehörte zu seinen Hauptgenüssen.

Eines Tages erschien denn auch das Abbild des ungleichen Paares im Bergholdschen Gemüsegarten als Kressensalat unter dem Lattich; die Gestalten zum Sprechen ähnlich in Haltung und Gebärde; die kleine, kugelrunde Frau wie immer voraus, hinter ihr der magere, schiefköpfige Herr Gemahl.

Die Freude unter dem Gesinde war eine unbeschreibliche; sie rannten in den Garten, kamen zurück, kicherten, wollten ersticken und schrieen immer wieder vor Entzücken auf, sobald sie vor dem Salatbeet standen.

Frau Berghold stürzte ins Dorf hinab und holte sich Meister Klein von der Hobelbank weg; und er mußte seinen Buben vor ihren Augen angesichts des Kressenbeetes weidlich abstrafen; allerdings mit Hindernissen, denn Mariele hing sich an des Meisters Arm und war nicht wegzubringen.

Es war der Kummer ihres Lebens, den Spielkameraden stets verfolgt und bestraft zu sehen für Dinge, die ihr doch im höchsten Grade bewundernswert erschienen.

Mit ihr bewunderten ihn alle Kinder des Dorfes; wenn 's Guts-Mariele ihr Abgott war, der Markus war ihr Held, und im Gefolge dieser beiden, o der Wunderdinge, die es zu erleben gab!

Zum Beispiel alljährlich zu Pfingsten, wenn die obern, stets verschlossenen Räume des Gutshauses gelüftet wurden – welch ein Fest, die schönen, in den Augen der Dorfkinder prachtvoll eingerichteten Räume zu betreten, in denen es immer so scharf nach Pfeffer roch, daß sie alle das Nießen bekamen; auch Herr Berghold, der jedesmal mit den Kindern heraufschlich, zum großen Aerger seiner Frau. Denn da oben hingen die Bilder seiner Verwandten, die Herrenleute, zu denen sie nicht zählen sollte, Marieles Eltern, kleine feine Miniaturporträts – und dann – das Entzücken aller: die Urgroßmutter.

Sie trug die Empiretracht, ihrem tief ausgeschnittenen Leibchen entstiegen ihre weichen, edlen Formen in leuchtender Schönheit. Sie trug den Kopf voll kurzer, aschblonder Locken, und der sonnige, lebensprühende Blick ihrer großen, dunkelblauen Augen hielt den Beschauer wie im Banne.

Und weil's der Markus gar so toll trieb und nichts hören und sehen wollte, wenn er vor diesem Bilde stand, belehrte ihn das Mariele eines Tages:

»Du, die Urgroßmutter, das war eine, die ist ihrem Manne davongelaufe und hat einen andern genomme; eine Protestantische ist sie worde. Das war eine Böse, sagt die Tant, vor der muß man 's Kreuz mache –«

»Die eine Böse,« flammte der Markus auf, »das dürfe wir nit leide, das dürfe wir nit auf der Urgroßmutter sitze lasse –«

Und der Onkel, der dabei stand, klopfte dem Buben die Schulter.

Das Gesinde hörte im Laufe des Nachmittags Frau Berghold in der Speisekammer schelten und rumoren, allein dies war nichts Außergewöhnliches; Frau Berghold, die bei ihrem Mann nie Gehör fand, pflegte sich mit Vorliebe in der Speisekammer gegen sich selbst auszusprechen; hier gebrauchte sie ihre Fäuste, damit unter den Schinken und Brotlaiben herumhantierend, als habe sie es mit den Leuten zu thun, die sie geärgert hatten. Es war der Kummer ihres Lebens, daß sie ihre Kraft für sich behalten mußte und nicht dreinschlagen durfte, so toll es ihr zuweilen das Gesinde machte. Aber sie hatte schon siebenmal vor Gericht Ohrfeigengeld zahlen müssen, und ihr Mann hatte gesagt, wenn's noch einmal geschehe, gehe er nicht mehr mit ihr über die Gass'. –

Eben das war's, was sie immer von neuem erboste, daß sie nie das Gefühl einer Gleichberechtigten ihm gegenüber hatte. Als sie noch seine Magd war, hatte sie nie etwas von Hoffärtigkeit an ihm bemerkt; er konnte sogar recht demütig sein, so oft sie ihm mit dem Gehen drohte. Und als sie ihn endlich so weit hatte, daß ihm nichts andres übrig blieb, als sie zu nehmen oder zu verlieren, da mußte sie erfahren, daß sie ihm auch als Frau nicht mehr war als vorher.

Darum, aus dem tiefen Neide ihrer untergeordneten Natur heraus, hatte sie keinen andern Wunsch, als aus Mariele ein rechtes Bauernkind zu machen.

Als sie die Speisekammer verlassen wollte, fand sie zu ihrem Erstaunen die Thüre verschlossen. Sie rief, sie klopfte, kein Mensch hörte sie.

Um zu dem vergitterten Fenster unterhalb des Plafonds zu gelangen, mußte Frau Berghold erst einen Tisch abräumen und auf diesen einen Stuhl stellen.

Es war ganz still im Hof, die Mägde arbeiteten im Garten, aber der Knecht mußte im Stall sein. –

Frau Berghold hub hinter ihrem Fensterchen an zu schreien und zu rufen.

›Schrei du nur,‹ dachte der Knecht, ›saurer Wein macht taub –‹

Die Kuhmagd im Stall nebenan hörte sie auch.

›Brich du meinetwege Hals und Bein, dann hört emal die Schinderei auf mit der Milch –‹

Frau Berghold in ihrer Aufregung und Verzweiflung bemühte sich, den Kopf zwischen das Gitter zu strecken, um sich besser im Hofe umsehen zu können. Es gelang ihr; als sie jedoch den Kopf wieder zurückziehen wollte, war ihre Mühe vergeblich. Vor Angst und Entsetzen schwoll ihr das Gesicht dunkelrot an, und sie brach in ein so mörderliches Geschrei aus, daß das ganze Haus zusammenlief. Auch Herr Berghold kam herbei.

Man suchte und suchte – der Schlüssel war weg; alle Schlüssel des Hauses wurden zusammengeholt, keiner öffnete.

Jemand lief zum Schlosser, und es dauerte eine halbe Stunde, bevor die Frau aus ihrer Lage befreit werden konnte. Sofort hielt sie Gericht.

»Wer hat mich eingeschlosse – ich will wisse, wer mich eingeschlosse hat?«

Sie sah von einem zum andern, und die Knechte und Mägde hatten alle Mühe, ihr Lachen zu verbergen.

»Also ein Uebereinkommen,« schrie die Frau, »und du schämst dich nit, Mann, und zuckst nur alsfort mit den Achseln, statt mit 'em Dreschflegel drein zu schlage – 'Naus mit euch, alle habt ihr's gethan – aus dem Hof, sag ich, euer Sach schmeiß ich auf die Gass' –«

Jetzt verteidigten sich die Leute, und jeder suchte mit lautem Geschrei seine Unschuld zu beweisen.

In diesem Augenblick kehrte Mariele mit einem Arm voll Palmkätzchen seelenvergnügt vom Walde zurück.

Als sie hörte, um was es sich handelte und daß sämtliche Knechte und Mägde aus dem Haus gejagt werden sollten, bekannte sie ohne Umschweife:

» Ich hab den Schlüssel abgezoge – in der Dunggrub liegt er –«

.

Ehe sich's jemand versah, hatte Frau Berghold das Kind bei den Haaren ergriffen; Mariele stieß einen durchdringenden Schrei aus, aber bevor Herr Berghold zu einem Entschluß gekommen war, hing schon der Markus auf dem Rücken der Tant, und sie ließ im ersten Schrecken das Kind los.

»Gelt, du elender Bu –« keuchte sie, » dein Werk ist's wieder –«

Der Markus stand kerzengerad vor ihr:

»Was braucht die Tant so böse Sache über die Urgroßmutter sage? Das war die Straf.«

Herr Berghold stieß sein kurzes Lachen aus und machte sich eilig aus dem Staub; ebenso das Gesinde, während Frau Berghold den Missethäter bei seinem Vater ablieferte und mit Genuß der Strafe beiwohnte.

So war die Zeit herangekommen, und Mariele mußte zur Schule.

Markus hatte schon mit sechs Jahren eingesehen, daß Lernen eine Notwendigkeit sei; Mariele sah gar nichts ein. Als Frau Benedikta ihr das erste Strickzeug anfing und die störrischen Fingerchen zwischen ihren Händen leitete, mißfiel dem Mariele die Sache so gründlich, daß sie ihr Strickzeug auf dem Heimweg in den Bach hinter dem Kloster warf. Sie mußte dafür in der Ecke stehen, und da sie hier allerlei Unfug trieb, suchte ihr Frau Benedikta begreiflich zu machen, daß Mariele sich schämen müsse, was das Traurigste auf der Welt sei.

Des Nachmittags kam Markus mit in die Klosterschule und schritt direkt in die Klasse auf Frau Benedikta zu.

»Habe Sie gewollt, 's Mariele soll sich schäme?«

Frau Benedikta sah den langaufgeschossenen Buben lächelnd an.

»Du bist wohl der Markus, von dem 's Mariele immer spricht?«

Er nickte, indem er die kleine, zarte Frau mit großen, dunklen Augen unverwandt anstarrte.

»Du gehorchst doch gewiß auch in der Schule?« fragte ihn Frau Benedikta.

»Wenn der Lehrer recht hat.«

»Glaubst du denn nicht, daß große Leute klüger sind als kleine?«

»Nein, die Großen sind recht oft dümmer.«

»Du weißt vielleicht nicht, was Mariele gethan hat?«

»Sein Strickzeug in Bach geworfe, da ist's wieder –«

Er zog ein kleines, nasses Bündelchen aus der Tasche und reichte es Frau Benedikta hin, »den Knäul hat 's Wasser mit fort –«

Sie brach über den feierlichen Ernst des Buben in ein herzliches Lachen aus.

Da lächelte auch er.

»Schön sind Sie nit,« meinte er, »aber gut –«

Und von dieser Stunde an, so oft sich Mariele über etwas bei ihm beklagte, gab er ihr stets den Rat:

»Sag's deiner.«

So nannte er Frau Benedikta, der er ebensowenig etwas Böses zutraute, als er der Tant etwas Gutes zugetraut hätte.

Auch Frau Benedikta vergaß den Knaben nicht; das Selbständige, Starke an ihm hatte ihr gar wohl gefallen, Eigenschaften, die ihr selbst so ganz und gar abgingen.

Sie war die Künstlerin des Klosters, die Erfinderin der herrlichen Muster für Altardecken, Meßgewänder und Glasmalereien, und fand in dem Lehren und Ausüben dieser Thätigkeit ihr höchstes Genügen.

Sie war in ihren jungen Jahren ohne vorhergehende Kämpfe und Erlebnisse ins Kloster getreten. Als älteste Tochter einer kinderreichen, vermögenslosen Beamtenfamilie hatte sie keine Mittel zu erwarten, die ihr das Ausbilden ihres Talentes ermöglicht hätten. Was die Familie besaß, wurde an die jüngste Tochter gewendet, die ein wunderschönes, mit herrlicher Stimme begabtes Mädchen war. Daß infolgedessen für die vier übrigen Töchter nichts übrig blieb, fanden diese ganz in der Ordnung. Von jeher war das Glück dieser Jüngsten die Hauptsache im Hause gewesen.

Zehn Jahre nach Benediktas Eintritt ins Kloster begehrte auch ihre jüngste Schwester in demselben Einlaß – das schöne, hochbegabte Mädchen, auf dessen Haupt sich alle Hoffnungen der Familie vereinigt hatten.

In den Beziehungen der beiden Schwestern war jedoch nichts zu bemerken, was den Regeln des Klosters, die völlige Loslösung von allen irdischen Banden verlangten, zuwider gelaufen wäre.

Die Vollkommenste in der Ausübung dieser Abtötung war Frau Cäcilia.

Frau Petronilla sagte einmal von den beiden Schwestern:

»Frau Cäcilia sorgt sich unablässig um die Ehre Gottes in der Höhe und Frau Benedikta um den Frieden der Menschen auf Erden. Da haben wir das ganze Loblied.«

Nun aber kam das Mariele mit seinem Kopf voll krauser Löckchen, seinem ungebändigten Sinn und heißschlagenden Kinderherzen und nahm wie der Sturmwind von Frau Benediktas Liebe Besitz.

Diese war immer die Vertraute der Kinder gewesen, denen sie die Arbeits- und Zeichenstunden erteilte.

Aber so ohne jeden Begriff von dem, was Gehorsam war, hatte noch kein Kind die Klosterschule betreten, wie das Mariele. Es kam, wenn es ihm beliebte, und wollte auch gehen, wenn es ihm beliebte. Wenn Frau Benedikta das Kind schreien hörte, eilte sie mit fliegendem Schleier aus dieser oder jener Klasse, wo sie sich gerade befand, um Marieles Lehrerin zu beschwören, den Vogel fliegen zu lassen.

Sie war in steter Angst um dieses Kind, dessen Eigenart sie mit einer bei ihr ganz seltenen Lebhaftigkeit verteidigte, indem sie immer wieder mahnte:

»Nur Geduld, es wird sich schon geben.«

Nach ein paar Wochen hatte Mariele denn auch Gefallen an der Schule gefunden; man traf sie sogar eines Sonntagnachmittags auf der Steintreppe der verschlossenen Klosterschule, und als eine Laienschwester die Kleine fragte, was sie da wolle, gab sie zur Antwort:

»Zu meiner will ich.«

Frau Benedikta durfte einmal das Kind, von dem sie so viel Ergötzliches zu erzählen wußte, in den Klosterfrauengarten bringen. Mariele sah mit großen Augen all die vielen Nonnen an, die ihr fremd waren und sie im Kreise umstanden.

Plötzlich schrie das Kind laut auf, indem es mit dem Zeigefinger nach der ihm Fratzen schneidenden Frau Petronilla deutete:

»Ein Kasperle, ein Kasperle – grad so hat 's Kasperle auf der Meß ausgeschaut!«

Die Klosterfrauen brachen alle in Lachen aus; am lautesten lachte Frau Petronilla.

Da beugte sich die stets etwas unordentlich aussehende Frau Eulalia über das Kind:

»Und was bin denn ich, meine liebe Kleine?«

»Gar nix,« lautete die prompte Antwort.

»Da ist mir mein Kasperle doch lieber,« frohlockte Frau Petronilla, nahm Mariele bei der Hand und führte sie zu Frau Cäcilia und Scholastika, die gerade beisammen standen.

»Jetzt schau dir mal diese zwei an.«

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»Das ist die Schön' und das ist die Wüst',« erklärte Mariele.

Da trat die Aebtissin einen Schritt aus dem Kreise der sie umringenden Frauen.

»Und was hat denn dies kleine Mädchen mir zu sagen?«

Mariele warf einen kurzen Blick in die kühlen, ins Grünliche schillernden Augen der hohen Frau, dann eilte es mit ausgebreiteten Armen auf Frau Benedikta zu:

»Meine ist die Best' –«

Eine tiefe Stille folgte auf diesen Ausspruch; sämtliche Blicke der Nonnen suchten das Antlitz der Aebtissin, der mächtigen, an absolute Unterthänigkeit, Schmeichelei und Bewunderung gewöhnten Frau.

Sie lächelte indes nur und schritt mit ihren Nonnen weiter, während die bestürzte Frau Benedikta das Kind schnell in den Schulhof zurückbrachte.

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