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6.

Wenn Maria von der Klosterschule nach Hause kam, stürzte ihr regelmäßig am Kreuzweg der laut kläffende Ami entgegen. An dieser selben Stelle bekam er zweimal am Tage zu hören: »Kusch dich, Ami, ich geh ins Kloster –« und nichts, weder Schläge noch Schelte, kränkte ihn so tief wie dieses Wort, denn es bedeutete für ihn Verlassenheit, Einsamkeit, grenzenlose Langeweile.

Mit Maria aber kam das Leben; so feierlich auch ihre Klostergedanken sie zuweilen stimmten, diesseits des Berges war sie das alte Mariele, das sich mit dem Hund auf der Wiese balgte, daß ihr die Zöpfe flogen, und nach diesen zu haschen, war sein Hauptvergnügen.

Einmal aber kam ein so völlig verändertes Geschöpf den Waldweg daher, daß Ami plötzlich in seinen Freudesprüngen inne hielt und seine Herrin verwundert anschaute.

Sie setzte sich auf einen Stein am Weg nieder, zog die Kniee hoch und legte den Kopf darauf. Ami kam herbei und leckte ihr die Hand; da sagte sie es ihm ins Ohr:

»Meine hat mich nimmer lieb.«

Seit ein paar Tagen besann sie sich unausgesetzt – was war das – warum war Frau Benedikta mit einemmal so ganz anders gegen sie?

Heute war sie ihr auf dem Korridor nachgelaufen, da hatte sich Frau Benedikta umgewandt:

»Du bist jetzt erwachsen, Maria, da muß alles anders werden –«

.

O über das entsetzliche Unglück, erwachsen zu sein!

Maria wußte endlich, nach einigen vergeblichen Versuchen, sich Frau Benedikta zu nähern, es war nicht mehr wie früher, sie hatte keine Rechte mehr – sie stand allein mit ihrem übervollen Herzen. Frau Benedikta beugte sich nicht mehr in der Klasse beim Korrigieren der Zeichnungen mit der leisen Frage über sie: »Was macht denn mein Mariele?«

Sie wich dem sie leidenschaftlich verfolgenden Blick des Kindes aus, sie schien nicht einmal zu merken, mit welcher Sorgfalt, mit welcher Liebe Maria ihre Arbeiten ausführte –

Sie merkte es wohl, und tief schnitt ihr des Lieblings Weh ins Herz! Wenn sie die Klasse verließ und ihr Maria wie immer die Thüre öffnete, nun aber von selbst zurückblieb, ihr nicht zu folgen wagte, vielleicht wartete und ihr nachblickte. – O wie beeilte sich Frau Benedikta, um aus dem Bereiche dieses Blickes zu kommen. – Zwanzigmal im Tage glaubte sie, ihr Vorhaben aufgeben zu müssen – und doch – wie sollte Maria sonst zur Klarheit kommen, daß es nicht ihre Liebe zu Gott, daß es ihre Liebe zur Lehrerin sei, die sie ins Kloster trieb. Mußte sie nicht notgedrungen hart sein, da sonst alles geschah, um Maria ans Kloster zu fesseln?

In der That, die Äbtissin mit ihren allsehenden Augen hatte nicht so bald bemerkt, daß Frau Benedikta sich von dem Mädchen zurückzog, als sie sich auf das eifrigste des in Schmerz aufgelösten Kindes annahm.

Die große allgemeine Ehrfurcht, die Nonnen und Kinder der hohen Frau entgegenbrachten, war auch auf Maria übergegangen wie andre Gebräuche des Klosters; in ihrem tiefsten Innern jedoch hatte sich nie eine Stimme zu Gunsten der Äbtissin erhoben. Indes jede galt etwas in dieser kleinen Welt, wenn die Augen der Vorgesetzten gütiger und länger auf einer ihrer Schutzbefohlenen weilten und sie sich intensiver mit deren Seelenheil beschäftigte als mit dem der andern. Die also Begnadete wurde dann plötzlich zum Gegenstand außergewöhnlicher Huldigungen und innern Neides.

So sah denn Frau Benedikta ihren Liebling immer öfter in dem Privatzimmer der Äbtissin verschwinden.

Maria war jetzt der Schule entwachsen; man hatte jedoch gebeten, daß sie ein Jahr länger bleiben dürfe, und als das Jahr zu Ende ging, wirkte die Äbtissin ein neues aus.

Frau Benedikta sah das ihr entfremdete Mädchen zuweilen verstohlen an; Maria hatte sich verändert; ihr Blick, mit dem sie die Lieblingslehrerin streifte, hatte etwas Scheues angenommen, zuweilen geradezu etwas Feindseliges.

Was war da drinnen, im Zimmer der Äbtissin geschehen?

Die hohe Frau sagte es Frau Benedikta eines Tages selbst.

»Wie gefällt Ihnen Maria jetzt? Die Mühe war nicht klein, diesem leidenschaftlichen Geschöpf begreiflich zu machen, daß es unrecht sei, sein Herz an die Geschöpfe zu hängen. Erst als ich ihr sagte, Sie hätten nur gethan, was Sie mußten und sich längst bei mir über die irdische Liebe beklagt, die Ihnen Maria entgegenbringe – erst dann ging sie plötzlich in sich, von diesem Augenblick an wurde sie eine andere.

Ihr Gewissen kann sich also beruhigen, Frau Benedikta,« fügte die Äbtissin hinzu, »sollte Maria wirklich ins Kloster gehen, so trifft Sie keine Schuld mehr.«

Die Äbtissin selbst aber erlahmte nicht, in Maria eine immer größere Sehnsucht nach jener Welt zu wecken, die sich hinter der das Konvent vom Schulgebäude trennenden Pforte aufthat.

Denn sie war davon durchdrungen, daß Gott keine größere Gnade auf Erden zu verleihen habe, als den Beruf zum Klosterleben.

Aber wenn auch Frau Benedikta schwieg und mit keinem Wort und keinem Blick verriet, was in ihr vorging, der schmerzliche Zug um ihren Mund, der redete doch. – Es half der Äbtissin auch nichts, wenn sie den Anblick der ihr noch vor kurzem so nahe stehenden Frau vermied – das Schweigen zwischen ihnen, die sich früher so viel zu sagen gehabt, sprach eine eindringlichere Sprache als alle Worte.

Und darum, so schwer es der Äbtissin auch wurde, sie wollte Frau Benedikta zeigen, man hielt Maria nicht fest. Das junge Mädchen sollte ein Probejahr in der Welt zubringen, und während dieser Zeit war es ihr verboten, das Kloster zu betreten.

Frau Benedikta war nicht zu finden, als Maria von ihren Lehrerinnen Abschied nahm; sie hatte sich in die kleine Kapelle der schmerzhaften Muttergottes geflüchtet, weil sie fühlte, daß sie nicht die Kraft hatte, das Kind ziehen zu lassen, ohne ihm zu verraten: Was man dir gesagt, ist nicht wahr – ich habe mich nie über deine Liebe beklagt, denn sie war mein Glück.

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