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7.

Maria hatte sich unter dem Einfluß der Äbtissin an große seelische Erregungen gewöhnt. Die ehrwürdige Mutter betonte immer wieder, daß das Klosterleben nicht nur ein Kreuzgang sei, daß es nicht nur Bitterkeit, Kampf und Trauer mit sich bringe, sondern daß ein vollkommenes Leben auch ein vollkommenes Glück in sich berge und denen, die Gott angehörten, sich Wonnen offenbarten, von denen die Weltmenschen keinen Begriff hätten –

All diese Reden erweckten in Marias Seele eine leidenschaftliche Sehnsucht nach Vollkommenheit; ja, es gelang ihr zuweilen wirklich, bei einem Tadel das Aufbäumen ihres Trotzes hinter jenem gottergebenen Lächeln zu verbergen, das sie an allen Nonnen bis hinab zur letzten Laienschwester bewunderte.

Zu Hause kam sie mit ihren Vervollkommnungsgelüsten sofort heraus; alles sollte anders werden, die Gebote der Kirche viel strenger beobachtet, auf das Seelenheil viel mehr Zeit verwendet werden als früher.

Der alte Herr, dem nichts schrecklicher war als ein Eingriff in seine Gewohnheiten, wußte sich vor dem heiligen Eifer der Großnichte nicht anders zu retten, als indem er sich hinter die Gattin flüchtete.

So war das Ehepaar zum erstenmal einig; die Tant verteidigte ihres Mannes Bequemlichkeit auf Tod und Leben, und Maria zog sich schließlich als eine völlig Geschlagene in das Stübchen zurück, das sie schon als Kind inne gehabt hatte.

Allein sie entfernte alles daraus, was den kleinen Raum zu einem behaglichen machte. Schon jetzt sollte alles um sie her ihrem künftigen Gelübde der Armut entsprechen.

Über ihrem Bett hing das Bild der heiligen Theresia, das ihr die ehrwürdige Mutter mit in die Verbannung gegeben, und da wo sich früher der Spiegel befand, hatten die Bilder der Herzen Jesu und Mariä Platz gefunden; zwischen ihnen hing freilich eine kleine Bleistiftskizze des Markus – Mariele, wie es mit seinen nackten Füßchen durch den Dorfbach watete, den Kopf voll kurzer, krauser Locken –

Der Jugendgespiele hatte dieses kleine Bildchen selbst an diese Stelle festgenagelt, und Maria kam es nicht zum Bewußtsein, wie seltsam sich das heitere Kinderbildchen in dieser heiligen Umgebung ausnahm.

Sie versank zuweilen in Gedanken vor dem kleinen Bilde; wie herzlich dieses Kind hier lachte –

Jetzt lag sie stundenlang vor der heiligen Theresia auf den Knieen, die Heilige um jenen tiefen Ernst, jenen hinreißenden Wunsch anflehend, ganz wie sie in Christus aufgehen zu können.

Aber immer wieder wurde sie aus ihren Betrachtungen herausgerissen; bald durch die Tant, die verlangte, sie solle schöne städtische Kleider tragen, sonst heiße es im Dorf, die Pflegemutter gönne ihr nichts; bald durch den Großonkel, der wollte, daß Maria, nun der Schule entlassen, die oberen Räume des Hauses, die ihre Eltern bewohnt hatten, beziehe.

Allein Maria wagte nicht einmal, an jene Zimmer zu denken. Sie fürchtete, es könnten irdische Wünsche und Gedanken in ihr erwachen, wenn sie jene Räume betrat, die früher ihr ganzes Entzücken ausgemacht hatten. Besonders vor dem Bilde der Urgroßmutter scheute sie sich; sie wußte jetzt, wenn die Klosterfrauen dieses Bild sehen würden, Entsetzen müßte sie ergreifen.

Die Tant hatte nicht so bald bemerkt, daß sich Maria vor jenen obern Räumen scheute, als sie sich ein besonderes Vergnügen daraus machte, Maria immer wieder in den Saal zu schicken, wo sie bald dies, bald jenes holen, bald die Laden öffnen, bald sie schließen sollte.

Weigerte sich das junge Mädchen, den Wünschen der Tant nachzukommen, gab's ein Geschrei im Hause, daß man's auf der Gasse hörte; wandte sich Maria an ihren Großonkel, so meinte dieser, daß sie nichts von den Zimmern ihrer Eltern wissen wolle, sei eine Schrulle, und die Tant sei im Recht, aufzubegehren.

So kam's, daß sie zuweilen vor innerem Weh über ihr unglückliches Leben nicht wußte wo aus und ein. Wenn sie es gar nicht mehr aushielt, eilte sie auf den Berg, um von dort in den Klostergarten zu schauen, der so still und weltabgewandt in seinem Thalwinkel lag.

Welche Seligkeit, wenn ihr spähendes Auge die weißen Gewänder der Nonnen zwischen den Blättern des Laubganges durchschimmern sah! Ja, dort war das Glück, dort war die Vollkommenheit! Sie vergoß Thränen der Sehnsucht nach jener Gemeinschaft, in der auch sie ihr Glück finden würde. Dann waren jene Räume, die kein weltlicher Fuß betreten durfte, auch ihre Heimat, alle jene nach dem Garten liegenden Zellen, der Turm mit der kleinen Kapelle der schmerzhaften Muttergottes, darüber die Klosterbibliothek, das Noviziat –

O die Glücklichen! Pia und Charlotte, die sie in ihrem kindischen Unverstand nicht hatte leiden können, sie hatten ihre Postulantenzeit hinter sich und waren jetzt Novizinnen –

Sie war ein dummes Kind gewesen, blind in ihren Neigungen und Abneigungen. Was hatte sie an Frau Benedikta erleben müssen – o der schmerzenden Wunde, die dies Erlebnis in ihrem Herzen zurückgelassen – Frau Benedikta, die sich über ihre Liebe beklagte und nicht einmal ein Abschiedswort für ihr Kind hatte! – Vielleicht auch mußte es so sein, vielleicht war es eine heilsame Vorbereitung zu jener Selbstentäußerung, die das Klosterleben verlangte. – Und doch – hatten ihr nicht alle andern Lehrerinnen lebewohl gesagt – und gerade jene Frauen, zu denen sie sich früher nicht so sehr hingezogen gefühlt hatte – die Äbtissin und Frau Scholastika, mit welcher Liebe gaben sie dem weinenden Mädchen das Geleite. –

Unendlich eifrig kehrte Maria von diesem Berggang jedesmal nach Hause zurück.

Entweder sie saß in ihrem Stübchen und verfertigte Kleider für die Armen, oder sie war draußen und zeichnete mit ihren farbigen Bleistiften alle möglichen Blumen, Pflanzen und Blätter, alles getreu nach der Natur, um diese Studien später für ihre Arbeiten zu verwerten. Mit liebevoller Hast machte sie sich alles, was ihr schön und eigenartig vorkam, zu eigen, und dies waren ihre glücklichsten Stunden, da quälte sie nichts, da gab sie sich ganz ihrer Aufgabe hin, und ihre Augen fanden wieder ihren alten, kindlich strahlenden Ausdruck.

Aber die langen, einsamen Abende, an denen sich kein Mensch um sie kümmerte –

Sie kam auf den Einfall, Mutter Klein in ihrer Küche aufzusuchen.

Der Meister war gestorben, die Werkstätte vermietet.

»Wie oft, wenn 's da nebe hobelt, muß ich an seine Worte selig denke,« seufzte die Frau. »›Wenn dich emal unser Herrgott holt,‹ hat er gesagt, ›ich möcht nit an deiner Stell sein.‹ Gott verzeih mir die Sünd, ich auch nit an seiner; ich bin fürs Lebe gern noch eine Weil da. Ja, Mariele, mei Markus, ist das ein Glück, ein großmächtiges! Viele Grüße soll ich dir sage; der vergißt sei Mariele nit. Im Anfang ist 's ihm arg schlecht gange; 's Vieh hat er gehüt' und nix zu esse hat er kriegt, und nachts hat er oft kei Unterschlupf gehabt. Dann hat er eine Weil bei einem Uhrenmacher gearbeit', aber das war nit 's recht, und er ist zu einem Kunstschreiner; da hat er alsfort Engel schnitze müsse, und der Schreiner hat ihn 'nausgeschmisse, weil er die Dorfbube abkonterfeit hat und nit die richtige Kircheengel. Hernach hat er bei einem Tüncher den ganze Tag Schilder gemalt, und die sind so schön gewese, daß ihm der Meister zehn Mark Lohn im Monat gebe hat und 's ganz Dorf hat wolle frische Schilder. 's Geld hat er sich gespart und ist in die Residenz, und da war's Gottes Wille, und er hat den rechte Mann gefunde. Jetzt ist er Kunstschüler mit einem Stipendium. Ich hab's ja gewußt, ich hab's immer gewußt. Wann ich so im Dustere gesesse bin, und die Leut habe den Kopf ins Küchele gestreckt und gefragt: ›Mutter Klein, warum sitzener auch immer im Duschtere?‹ O wann ihr wüßtet, hab ich denkt, was für helle Bilder um mich 'rum wachse; man muß sie nur sehe – der Mann hat sie auch nit gesehe; in den fünfundzwanzig Jahr, daß mir verheiratet ware, nur ein einzigsmal ist er zufriede gewese – sellmal, wie sie ihn zum Gemeinderat gewählt habe; da ist er heimkomme und hat gelacht und hat gesagt: ›Frau, ich bin jetzt Gemeinderat‹ – Aber gleich darauf hat er wieder sein Gesicht gemacht und im Markus gedroht: ›Jetzt daß mir nur du kein Schand machst –‹«

Und Maria saß auf dem alten, kleinen Schemel in der Ecke und lauschte der gedämpften Stimme der Frau, aus deren Augen die Zuversicht wie eine Leuchte glühte. Auch sie, die Gespielin, hatte es immer gewußt, der Markus macht seinen Weg weit übers Dorf hinaus, weit in die blaue Ferne. O ja, auch sie, Maria, hatte Augen, die sahen; obwohl in der kleinen Küche Dämmerung herrschte, sie sah sie alle, die Gebilde, mit denen des Markus jugendliche Phantasie die Wände bemalt.

Sie fuhr plötzlich auf:

»Mutter Klein,« bat sie, »so macht doch Licht, ich möcht mir die letzte Arbeit vom Markus einmal recht genau ansehen. –«

Die Frau nahm ihre Lampe und hielt sie hoch, daß das Licht voll auf die Zeichnungen der Thüre fiel; es waren weiße Lilien, die aus einem Gestrüpp von Dornen und Unkraut sieghaft in die Höhe wuchsen.

Welch ein Vorwurf für ein Meßgewand! Maria konnte sich nicht satt sehen, während Mutter Klein erzählte:

»Das hat er da hinte gesehe, im Gärtle vom Taglöhner Marbel; ›Mutter‹, hat er gesagt, ›das sind Gottesblume, die sind aufgewachse wie's Mariele, grad so schön, ohne daß sich ein Mensch drum kümmert hat? Gelt, ich hab dir's gesagt, daß er dich tausendmal grüße laßt, und gelt, ist nit wahr mit dem Geschwätz, du thust ihm das Leid nit an und gehst ins Kloster? Er thät's nimmer verwinde –«

Das junge Mädchen erschrak; warum klopfte ihr das Herz bis hoch in den Hals? Was ging sie, die Braut Christi, der Markus noch an?

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Nein, sie durfte nie wieder Mutter Kleins Küche betreten. Sie nahm sich das vor, aber sie merkte plötzlich – großer Gott, es trieb sie hin wie mit Gewalt; sowie der Abend kam, bemächtigte sich ihrer eine nicht zu beschreibende Unruhe, als könne irgend etwas geschehen, und sie müsse dabei sein. Manchmal war sie schon auf der Gasse und kehrte wieder um; und einmal warf sie sich auf den Fußboden und weinte wie ein Kind.

Eines Tages kam ihr das Unwürdige ihres Betragens plötzlich zum Bewußtsein. Wenn sie im Kloster wüßten, wie sie's trieb. –

Da fiel ihr ein – hatte sich nicht die heilige Theresia kasteit, um den Anforderungen ihres Körpers Herr zu werden?

Und Maria begann zu fasten, indem sie ein paar Tage von weiter nichts als trockenem Brot und Wasser lebte. Das half, die Unruhe, die Sehnsucht in ihr ließ nach; ja, es war, als seien plötzlich alle Wünsche in ihr erstorben; auch alle Lebensfreude.

Sie schlich traurig herum, bei der geringsten Veranlassung in Thränen ausbrechend.

Als sie ihre Pflegeeltern an einem Freitag Fleisch essen sah, sprang sie vom Tische auf mit den Worten:

»Euch ist die ewige Verdammnis gewiß!«

»Du machst uns die Höll schon da unten heiß genug,« rief ihr die Tant nach.

Da faßte sich Maria:

»Es wird nicht lange mehr dauern, wenn das Jahr herum ist, gehe ich ins Kloster.«

Sie verließ die Stube, und Frau Berghold sah ihren Mann an, in dem plötzlich ein Gefühl der Verantwortlichkeit erwachte:

»Das leid ich nicht,« sagte er, »ich fahr zum Anwalt morgen in die Stadt; der soll mir sagen, was ich thun muß – der soll mir helfen. –«

Am andern Tag verschob er sein Vorhaben, und Frau Berghold lachte sich ins Fäustchen. Denn sie wußte recht wohl, der Mann kam nicht fort, wenn sie nicht anspannen ließ und die Zügel in die Hand nahm.

Aber es war doch eine gewisse Unruhe über ihn gekommen; er sah öfter nach der Großnichte als früher, und wenn sie ein wenig lang ausblieb, schickte er das Gesinde nach ihr aus.

Maria aber kam auf die wunderlichsten Einfälle, sie wußte sich nicht zu lassen vor Glück über ihre Fortschritte in der Selbstüberwindung; nicht nur daß sie ihre Besuche bei des Markus Mutter eingestellt hatte; die Tant hatte Frau Klein, die zweimal gekommen war, auf Marias Bitte wieder nach Hause schicken müssen.

Wem anders aber als der Fürbitte der heiligen Theresia dankte das junge Mädchen diese ihre plötzliche Willenskraft? Das Herz entbrannte ihr vor Andacht zu der Heiligen, und die leidenschaftlichste Sehnsucht, ihr zu gleichen, bemächtigte sich ihrer von neuem. Voll des Eifers verfertigte sie sich ein Klostergewand, genau wie es die heilige Theresia trug.

Mit heiligen Schauern legte Maria des Abends, wenn sie allein war, dieses Gewand an; wie war ihr zu Mute, wenn sie, ein Licht in der Hand, mit bloßen Füßen lautlos in dem totenstillen Hause herumging. Sie wurde von einer solchen Opferfreudigkeit durchdrungen, daß es sie oft wie Furcht überkam, das Klosterleben jenseits des Berges könnte ein zu leichtes, zu liebliches für sie sein. Sollte sie nicht lieber zu den Karmeliterinnen gehen, zu jenen Frauen, aus deren Mitte eine heilige Theresia hervorgegangen war, die ein Buch geschrieben, worin sie schilderte, wie sich die Seele aus sich selbst stufenweise bis in den siebenten Himmel, in das Himmelsschloß ihres Bräutigams Christus, erheben kann. –

Einmal, in einer wunderbaren, klaren Mondnacht, glaubte Maria wirklich, überirdische Regungen in ihrem Innern zu fühlen; ihr war, als erbarme sich die heilige Theresia endlich ihrer in Demut harrenden Tochter und steige lichtumflossen aus dem engen Rahmen des Bildes zu ihr hernieder.–

Marias Ekstase wurde aber jählings durch ein jammervolles Winseln unterbrochen, und das junge Mädchen, der sich plötzlich in ihr regenden Liebe zur Kreatur folgend, eilte zum Fenster, um nach dem in letzter Zeit so sehr vernachlässigten Ami zu sehen.

Er bellte bei ihrem Anblick freudig auf, stellte sich auf die Hinterfüße, drehte sich im Kreise, rannte ein Stück in die Wiese hinein und kehrte wieder zurück.

Mitleidig schüttelte Maria das Haupt:

»Nein, Ami, damit ist's aus!«

Er wollte es nicht glauben, hielt den Kopf schief wie ein schelmisches Kind; sein Winseln hatte etwas Unwiderstehliches.

Da ging sie zu ihm hinaus; er that ihr so leid; sie wollte ein wenig mit ihm spazieren gehen.

Als sie mit ihren bloßen Füßen über die feuchte Wiese schritt, überkam sie plötzlich jenes eigene, beflügelte Gefühl wie zur Zeit ihrer Kindheit, wenn sie barfuß ging, und sie hatte ordentlich Mühe, nicht in einen rascheren Schritt zu verfallen.

Ami, als ahne er, daß es mit dem schleppenden Gewande seiner Herrin besondere Bewandtnis habe, ging eine Weile in musterhafter Ernsthaftigkeit neben ihr her.

Mit eins zupfte er sie ein wenig an einer Rockfalte.

»Pst!« wehrte Maria.

Nun fing er an zu laufen, kehrte zurück und machte die drolligsten Sätze; sie mußte lachen, haschte nach ihm, und im nächsten Augenblick ging die alte Jagd los. Maria vergaß ihres heiligen Gewandes sowie ihrer sämtlichen Vorsätze; die jungen, kräftigen Glieder hatten zu lang gefeiert, sie jauchzte vor Lust, und Ami, der sein altes Spiel mit ihren Zöpfen treiben wollte, geriet in Wut über den Schleier, nach dem er eifrig schnappte.

Maria wehrte und schalt, aber Ami war nun einmal in der Rage – ein neuer Sprung, und er sauste mit dem eroberten Schleier über die Wiese hin.

Maria eilte mit fliegenden Zöpfen hinter ihm drein, sie fiel über ihren langen Rock, und Ami ließ den übel zugerichteten Schleier fahren und machte sich über Marias Zöpfe her.

Schließlich saßen sich die beiden völlig erschöpft gegenüber, der Hund mit weit heraushängender Zunge, Maria hochrot im Gesicht mit offenen, wirren Haaren. Sie hielt ihren zerfetzten Schleier in der Hand, und eine tiefe Scham erfaßte sie.

Wie war das nur möglich gewesen? – Sie, die sich noch vor wenigen Augenblicken eingebildet hatte, der heiligen Theresia ähnlich zu werden. –

Helle Verzweiflung im Herzen ging sie ins Haus zurück.

Im Flur empfing sie die Tante mit hocherhobenem Leuchter, auch Herr Berghold erschien, bis an die Nase in seine Bettdecke gehüllt.

Amis Bellen hatte die beiden geweckt; als sie Maria im Klostergewand sahen, waren sie überzeugt, sie habe fliehen wollen.

»Hinauf mit ihr in den zweiten Stock,« schrie Herr Berghold, der ganz außer sich war, »sperr sie ein – morgen muß der Anwalt her – und wenn ich sie bis ans End der Welt bringen muß – ins Kloster darf sie nicht –«

Ehe Maria recht wußte, wie ihr geschah, stand sie droben im stockfinstern Saale; die Tante hatte ihr eine Decke auf das Kanapee geworfen:

»Gege's Kloster hab ich nix,« sagte sie, »aber bei Nacht und Nebel laufst mir nit aus dem Haus, daß die Leut meine, ich hätt dir's schlecht gemacht daheim.« –

Maria tappte sich zum Fenster und riß den Laden auf. Herein flutete der Mond und erfüllte den ganzen Raum mit Glanz.

Als Maria sich umwandte, stand sie wie erstarrt.

In leuchtender Schönheit hob sich der Urgroßmutter Bild von dem dunklen Hintergrund.

Nein, sie wollte es nicht ansehen, sie durfte nicht – in die hinterste Ecke des Saales flüchtete sie – aber selbst als sie die Augen schloß, immer sah sie diesen einen leuchtenden Punkt, dieses wunderbar glückliche Gesicht. – Und welch ein Blick, welch ein lebensvoller, lebensfroher Blick! – lud er nicht ein: nimm sie hin, die Freude, die Lust dieser Welt. –

War's nicht, als ziehe er mit geheimnisvoller Gewalt das zagende Mädchen aus seiner dunklen Ecke – näher kam sie, immer näher, heißaufsteigende Sehnsucht im Herzen, und in den Augen die bange Frage: ›Ist's denn nicht Sünde, dich zu lieben?‹ –

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In diesem Augenblick erhob die alte Klosterglocke jenseits des Berges ihre Stimme, und ihre festen, gewaltigen Schläge trafen Maria mitten in die Seele. Sie fuhr zusammen: Hier bleiben – und sie war verloren – die Urgroßmutter zog sie mächtiger an als die heilige Theresia, zu deren Füßen sie stundenlang beten und flehen mußte, bis ihre Seele sich den Schauern der Frömmigkeit erschloß. – Ein einziger Blick aber in die Augen der Urgroßmutter reichte hin, um in der Urenkelin Seele eine Welt der Wonnen wach zu rufen. –

Und sie wußte jetzt, sie war nicht stark, sie brauchte Hilfe, Leitung – sie strauchelte allein, sie fiel. –

Was lag an der verschlossenen Thüre – sie fand ihren Weg – hatte die Tant vergessen, daß sich eine wilde Dorfrange immer zu helfen weiß? – Wohl ihr, daß ihr einst kein Baum zu hoch, kein Sprung zu gewagt erschien – sie hatte das alles lernen müssen, um jetzt, im gegebenen Augenblick, ihre Seele vor dem ewigen Untergang zu retten.

Ohne sich zu besinnen, schwang sie sich über das Fensterkreuz und glitt am Kandel hinab auf die Wiese.

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