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10.

Die alte Supriorin war gestorben und Frau Benedikta zu ihrer Nachfolgerin ernannt worden.

Die Äbtissin hielt bei dieser Gelegenheit eine ihrer schönsten Reden, in der sie betonte, daß abgebüßte Fehler aus ihrem Gedächtnis wie weggetilgt seien.

Aber sie wußte auch, daß sie dem Konvent gegenüber Frau Benedikta nicht gut hätte umgehen können.

Für diese brachte die neue Stellung eine etwas größere Freiheit; sie wurde des Unterrichts in den Schulen enthoben, und ihre Befehle galten gleich denen der Äbtissin, wenn diese nicht zugegen war.

Sie machte jedoch in dieser neuen Stellung nicht mehr Aufhebens von sich als früher, nur brauchte sie nicht länger vor Frau Scholastika auf der Hut zu sein, was ihr um ihres Lieblings willen von Wichtigkeit war.

Maria stand vor ihrem Lehrerinnenexamen, nach welchem sie zur Ablegung ihrer ersten Gelübde zugelassen werden sollte.

Frau Benedikta merkte seit einiger Zeit, das Mädchen ging ihr aus dem Wege; Maria lernte eifrig, es wurden keine Streiche mehr von ihr erzählt; aber sie sah auch nichts weniger als fröhlich aus.

Eines Abends, es war im April, eilte Frau Benedikta mit ihren kurzen, raschen Schrittchen durch den Korridor; plötzlich blieb sie stehen – weinte da nicht jemand? Frau Benedikta beflügelte ihre Schritte. Unter der Thüre des Noviziats stürzte ihr Maria mit einem lauten Aufschrei um den Hals. Sie konnte nicht sprechen, sie bebte und schluchzte.

Frau Benedikta hielt still und wartete. Da lag ja wieder das alte Mariele an ihrem Herzen, nichts weniger als gezähmt – ach nichts weniger –

»Komm, rede,« sprach sie leise, »sage mir, was dir fehlt –«

Maria faßte sich:

»Ich wollt's nicht,« stieß sie hervor, »ich hab's nicht aufkommen lassen wollen, ich hab gebetet – o gebetet – aber ich kann nicht mehr – es ist stärker als ich – ich muß heim – nur für eine Stunde, nur ganz kurz – einmal nur über den Berg weg – ich will mich ins Haus schleichen – in der Früh wenn noch alles schläft – in einer Stunde bin ich wieder zurück. – Es läßt mir keine Ruh mehr – ich will zu meinen Eltern; meine Eltern hängen im Saal – ich war ein Kind, ich dachte nicht viel an sie – jetzt mein' ich, ich könnt keine Ruhe finden – ich müßt die Bilder noch einmal sehen, und die Stuben und alles – ich kann nicht mehr schlafen – es pocht an die Thür – es ruft, kein Beten hilft –«

Sie lag auf der Erde, Frau Benediktas Kniee mit leidenschaftlicher Heftigkeit umfassend.

»Ich muß über den Berg – in einer Stunde bin ich wieder da – o du meine Mutter, hilf mir hinaus –«

Ihr Blick hing voll Todesangst an Frau Benediktas Zügen.

Diese rang die Hände.

»Ich darf nicht, mein Kind –«

»Du mußt –« schrie Maria, »ich weiß sonst nicht, was ich thu – soll ich zu Grund gehen an diesem Schmerz – laß mich hinaus –«

Frau Benedikta weinte: »Siehst du denn nicht ein – ich richte ja dich und mich zu Grunde, wenn ich thu, was du verlangst – wir wollen miteinander zur Frau Äbtissin gehen –«

»Nein, nein,« unterbrach sie Maria, »dann geschieht's nicht; wenn Sie mir nicht helfen wollen, dann helf ich mir allein –«

»So warte, warte noch diese eine Nacht –« bat Frau Benedikta, »du hast mich so erschreckt, ich kann nicht klar denken jetzt, ich brauche Zeit. Willst du mir versprechen, noch diese eine Nacht Geduld zu haben?«

»Ja.«

Frau Benedikta blieb unter der Thüre stehen und sah zu, wie Maria ihre Arbeit wieder aufnahm, und der Anblick ihres jungen, schmerzverzerrten Gesichtes trieb ihr von neuem die Thränen in die Augen. Sie begab sich in die kleine Kapelle der schmerzhaften Muttergottes, aber so inbrünstig sie auch betete, es kam kein Fingerzeig von oben, um ihr den Weg zu zeigen, den sie einschlagen sollte.

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Durch die farbigen Fenster sah sie die Äbtissin, welche draußen im Garten ihren Rosenkranz betete.

›Ich müßte vor sie hintreten,‹ sagte sich Frau Benedikta, ›und so mächtig wie aus diesem Kind die Sehnsucht sprach, so mächtig müßten aus mir die Worte kommen, die ihr die Freiheit erwirkten. – Aber ich bin nichts, ich habe keinen Mut – warum, o Gott, hast du keine Stärkere zu diesem Kampf erwählt –‹

Sie trat in den Garten; zagenden Schrittes ging sie der betenden Frau entgegen; sie sahen sich an, neigten das Haupt und gingen schweigend aneinander vorüber.

Nie war es Frau Benedikta klarer gewesen, als in diesem Augenblick: hier gab es weder Hilfe noch Verständnis! Und sie wußte plötzlich auch warum – es war nicht böser Wille bei der Äbtissin, es war ihr Unvermögen, sich in die Seele eines andern zu versetzen. Sie begriff die Schwächen nicht, die außerhalb ihres Gesichtskreises lagen; die leidenschaftliche Notburga war daran zu Grunde gegangen, daß sie dem Maße, mit dem alle gemessen wurden, nicht entsprach.

Wie jetzt bei Maria, so hatte es bei Notburga angefangen – ein zeitweiliges Aufbäumen, eine plötzliche Störrigkeit, wobei sie mit Lust ihre Umgebung quälte; dann die Reue, der leidenschaftliche Eifer, ihre Fehler wieder gut zu machen – Frau Benedikta blieb stehen:

»Wenn ich den ganzen Konvent zum Schiedsrichter anrufen würde – ich hätte das Recht als Superiorin –«

Sie fuhr zusammen:

»Ich gegen alle –«

Sie stand jetzt vor dem Gitter des sich an den Garten schließenden Hühnerhofes.

Hier befanden sich die mit der Rückseite in den vordern Klosterhof mündenden Ökonomiegebäude. Man war in der That auf dem Lande in Frau Petronillas Reich, der unumschränkten Gebieterin über sämtliche Gemüse-, Obstgärten und Viehställe.

Sie schalt eben mit ein paar Mägden und zwar ohne Wahl der Ausdrücke; einer versprach sie sogar eine Ohrfeige. Sie trug das weiße Gewand hoch über dem Arm und stampfte mit großen, derben Holzschuhen im Schmutz herum. Sie war nicht heikel in den Freiheiten, die sie sich nahm.

An heißen Sommerabenden hing sie Skapulier und Schleier an einen Nagel an der Stallthüre und spazierte mit bloßen Füßen über das Wiesenland, auf dem Kopf einen mit Eis gefüllten Lederbeutel. Und dazu betete sie voll des Eifers ihren Rosenkranz, wohl wissend, daß sie in diesem ihrem seltsamen Aufzug dem lieben Gott kein angenehmer Anblick war und daher der Fürbitte der Jungfrau Maria recht wohl bedurfte.

Die Nonne war im Stall verschwunden, aus dem sie sich einen Knecht am Ohr herausholte.

»Für rohe Behandlung wieder Roheit,« schrie sie ihn an, »das Tier blutet, so hast du's gehauen, Unmensch, elender, miserabler! Ich werd dir aufpassen und geschieht's noch einmal, dann fliegst du mit einem Fußtritt zum Kloster hinaus.«

Der Mann stand wie ein zitterndes Weib vor ihr.

»Bring sie her!« herrschte sie ihn an.

Der Knecht brachte die Kuh zum Brunnen, und Frau Petronilla streifte ihre Ärmel bis über die Ellenbogen zurück und wusch der Kuh die Wunde aus.

Dabei schalt sie ununterbrochen und erteilte Befehle, daß Knechte und Mägde nur so um sie herumflogen.

Frau Benedikta sah dem kräftigen Treiben eine Weile zu; auf dem Tisch vor dem Stallgebäude stand das Vesperbrot der Leute, Krüge mit Apfelmost, Schwarzbrot und Käse.

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Frau Petronilla griff im Vorbeigehen nach einem Kruge und that einen mächtigen Zug. Auch das war nicht Klosterregel; außerhalb des Refektoriums durfte nichts genossen werden, nicht eine Beere im Garten.

»Wenn ich dieser unerschrockenen Seele mein Anliegen mitteilte?« fragte sich Frau Benedikta.

In diesem Augenblick hörte sie den großen Hofhund laut aufheulen; die Katze, die Junge hatte, war ihm ins Gesicht gesprungen; er rettete sich zu Frau Petronilla, die ihn von der Katze befreite und sich dabei über den laut jammernden Hund totlachen wollte. Knechte und Mägde, alles im Hof lachte, froh die Gebieterin heiter zu sehen.

Da schritt Frau Benedikta in Gedanken verloren ihren Weg zurück. Diese Katzenmutter gab ihr zu denken; sie sprang der Gefahr, die ihren Jungen drohte, mutig ins Gesicht –

›Ich bin eine schlechte Mutter,‹ sagte sich Frau Benedikta, ›ich wage nichts für mein Kind, statt selbst zu handeln geh ich herum und suche nach Hilfe – Und es wäre doch eine Feigheit, andre in diesen Kampf hinein zu ziehen –‹

In der Rekreationsstunde blieb sie ein wenig zurück und winkte Maria an ihre Seite:

»Hast du noch den gleichen Wunsch?«

»Ja.«

»So poche morgen früh um die Dämmerung an meine Thüre.«

Eine tiefe Stille folgte auf ihre Worte, Maria wagte nicht zu atmen, und doch war ihr, als müsse sie aufschreien, aufjubeln, als stände sie schon mitten im Wald, unter dem freien Himmel Gottes – Sie hörte nicht den tiefen Seufzer der Frau Benedikta, die sich mit Schaudern fragte: ›Welch ein Schicksal beschwöre ich über mich und dieses Kind herauf?‹

In der Nacht, in ihrer Zelle, lag sie auf den Knieen und betete: »Schicke ihr Schlaf, laß es nicht dazu kommen, mein Herr und mein Gott –«

Eine immer größere Angst, ein immer größeres Entsetzen erfaßte sie, denn war sie nicht im Begriffe, im Sinne des Klosters ein Verbrechen zu begehen?

Es schlug Mitternacht, sie betete noch; endlich legte sie sich, überwältigt von Müdigkeit, angekleidet aufs Lager; aber sie schlief nicht, ihr Blick suchte immer wieder das Fenster, nach dem ersten Schimmer des Tages spähend hinter dem dunklen Tannenwald –

Eben versuchte eine Amsel, ihr Morgenlied anzustimmen, da pochte es.

Frau Benedikta öffnete; Maria stand auf der Schwelle; ohne ein Wort zu wechseln, glitten die beiden durch den noch völlig dunklen Korridor.

Unten vor der Thüre der Pförtnerin machten sie Halt; Frau Benedikta holte den Schlüssel zur Kirchenthüre; Schwester Mariann fragte nicht wozu und weshalb – es war die Superiorin, die den Schlüssel holte –

»Ich warte hier,« sagte Frau Benedikta unter der Pforte der Kirche; Maria flog davon; über den Hof flog sie, durch den hohen Thorbogen der hintern Klostermauer, über die kleine Brücke hinauf in den Wald. Mit demselben stürmisch bewegten Herzen eilte sie zwischen den dunklen Tannen der Heimat zu, wie sie vor noch nicht drei Jahren dem Kloster zugeeilt war. Was erwartete sie – was trieb sie so unaufhaltsam der Heimat zu? Ach dieses erste, leise Zwitschern der Vögel im Grauen des jungen Morgens – Thränen der Wonne entlockte es ihr –

Sie stand jetzt oben, erhitzt vom raschen Lauf – o Gott – wie schön war die Welt, sie hatte es ganz vergessen! Im Osten fing es an, sich zu röten, und das ganze Thal war weiß besät von blühenden Bäumen. Im Kloster blühten sie auch, aber so nicht; die Bäume da unten waren ja alle liebe alte Bekannte – Ach Gott und die Wiese – eine so wunderbare Wiese gab's auf der ganzen Welt nicht mehr –

Maria lief hinunter, sie lachte und weinte, es war ihr zu Mute, als erwartete sie das ganze Thal, als streckten sich unendlich liebevolle, sehnsüchtige Arme nach ihr aus –

»Ich komme, ich komme!« schrie sie.

Plötzlich horchte sie auf, ein Bellen tönte ihr entgegen, ein immer näher kommendes Winseln und Keuchen. – Wahrhaftig, der treue Geselle – hatten ihm die Lüfte Kunde gebracht von ihrem Kommen?

Das war ein Wiedersehen! Wie verrückt thaten sie – dann ging's die Dorfstraße entlang, Seite an Seite – die liebe alte Dorfstraße – Aber was saß da Schwarzes mitten auf der Gasse, geduckt, wie zum Sprunge bereit – Ami stieß einen kläglichen Laut aus – der Metzgerhund war's, der sich immer von Zeit zu Zeit in der Nacht losriß, um sich an einer Rauferei zu verlustieren. Wie ein Klotz fuhr er über Ami her. Maria schlug auf den alten Gesellen ein, sie zog ihn an den Ohren, es machte keinen Eindruck. Da nahm sie einen ihrer Schuhe und schlug mit dem Absatz auf den Schädel des Hundes los. Das war ihm empfindlich, er wandte sich um, schnappte nach Marias Rock und riß ihn in Fetzen. Ami biß ihn dafür ins Bein, und als sich das große Tier wutschnaubend auf ihn stürzen wollte, erfaßte Maria das dem Hunde am Hals hängende Seilende und befestigte es am nächsten Baum.

Ami aber eilte mit Marias Schuh über die Wiese hin, und sie lief ihm lachend nach, der Kampf hatte ihr wohlgethan; sie sah nicht, daß ihr Rock in Fetzen war und das Häubchen ihr im Nacken hing.

Vor dem Hause erst machte sie Halt, befahl Ami, draußen zu bleiben und schlüpfte durch die unverschlossene Stallthüre.

In der Küche hing der Schlüssel zum Saal; drinnen öffnete sie einen Laden, und das erste, was sie bemerkte war, daß das Bild der Urgroßmutter nicht mehr an seinem Platze hing. – Wie aus den Wolken gefallen, starrte Maria nach der leeren Stelle – hing es vielleicht wo anders? – Nein, es war nicht im Saale. Was hatten sie mit dem Bilde angefangen – wo war die Urgroßmutter hingekommen? –

Maria wollte es wissen – sie mußte es wissen. – Vielleicht war die Tant in der Milchkammer – sie stand ja gewöhnlich schon vor vier Uhr auf und reinigte ihre Kannen.

Richtig, die Thüre war angelehnt, und die Tant rumorte drinnen herum, sie sprach wie immer mit sich selbst –

»Du meine Güt, muß ich nit jede Nacht träumen, das Mädel kommt wieder heim. – Nur das nit – lieber Herrgott im Himmel, behalt dir den Satan im Kloster – kei Mensch hätt e Freud, wenn das Mädel wieder käm – nit emal er – sei Ruh ist ihm lieber –«

Maria schlich davon; plötzlich, mit entsetzlicher Deutlichkeit, stand's ihr vor Augen: ›du hast keine Heimat mehr – niemand braucht dich hier – niemand sehnt sich nach deinem Kommen – du hast nur einen Menschen auf der Welt, der dich lieb hat – Frau Benedikta –‹

Warum hatte sie nur das Kloster verlassen? Sie begriff es nicht mehr –

Langsam schritt sie durch die noch immer stille Dorfgasse; vor Mutter Kleins Häuschen blieb sie stehen; das Fenster des Spielkameraden stand offen.

»Sei Fenster muß immer offe sein,« hatte Mutter Klein einmal gesagt, »daß er gleich rein kann, wenn er in der Nacht einmal kommt –«

»Der hat's gut,« sagte sich Maria; plötzlich riß sie die Augen weit auf – dem Fenster gegenüber in der Helle hing das Bild der Urgroßmutter –

Wie schrak sie zusammen, welch ein Durcheinander der widersprechendsten Gefühle drang auf sie ein –

Hier hing das Bild – und wenn der Markus heim kam, so war es sein eigen. – Wie wunderbar – ach und was war das für eine Freude, die sie plötzlich erfaßte?

Immer wenn sie dieses Bild sah, überkam sie's so eigen, als wäre alles andre nichts – als verspreche ihr diese schöne Frau mit ihrem sieghaften Lächeln alle Freuden und Herrlichkeiten der Welt. – Aber hatte nicht auch der Teufel den Heiland auf einen hohen Berg geführt und ihm alle Reiche der Welt gezeigt? –

In einer Stunde, hatte Maria versprochen, sei sie wieder zurück –

Die Stunde war vorüber – Frau Benedikta atmete auf; in die Ecke einer Bank geschmiegt, saß sie in der allmählich aus dem Dunkel erwachenden Kirche und lauschte nach der nahen Pforte.

Wenn der liebe Gott sie draußen festhielte, da wo sie ihrer Natur gemäß hingehörte –

»O mein Gott,« betete sie laut, »keine Strafe soll mir zu schwer sein, wenn das Kind gerettet ist –«

Gerettet? sie erstaunte über sich selbst; hatte sie nicht früher in der Welt mit ihren Gefahren und ihrer Verderbnis einen Aufenthalt des Schreckens gesehen, und nun hielt sie Maria für gerettet in eben dieser Welt –

Für sie selbst hatte es nie eine Stunde gegeben, in der ihr die Klosterzelle zu eng und die Welt verlockend erschienen wäre. – Wenn sie aber Maria daherkommen sah mit ihrer herrlich erblühten Gestalt, war es nicht, als müsse mit einem einzigen Heben dieser Arme die engen Klostermauern gesprengt werden, oder als müsse dieses lebensvolle Geschöpf im Kampfe mit Dingen unter seiner Kraft zu Grunde gehen?

Es pochte; es hatte schon zweimal an der Kirchenthür gepocht; Frau Benedikta fuhr aus ihren Gedanken. Ach wie schwer wurde ihr das Aufschließen der Pforte!

Maria trat in die Kirche, gesenkten Hauptes, das Häubchen im Nacken, den Rock in Fetzen –

»Hat es dir nicht mehr draußen gefallen?« fragte Frau Benedikta.

Maria schüttelte das Haupt: »Sie sind ja froh, daß ich fort bin – es will mich niemand – ich weiß jetzt: nur hier ist meine Heimat.«

»Gottes Wille geschehe,« seufzte Frau Benedikta. – –

Noch in derselben Stunde klagte sie sich bei der Äbtissin ihres schweren Vergehens an.

Die hohe Frau traute ihren Ohren nicht; Frau Benedikta stand vor ihr, ein Bild der Schwäche, ihre Hände zitterten, die Kniee schienen sie kaum zu tragen –

Und diese Frau hatte so Unerhörtes gewagt –

»Die Superiorin unsres Hauses, die Superiorin –« hauchte die Äbtissin.

Sie hatte sich von ihrem Stuhl erhoben und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

»Und die Ehre unseres Hauses,« wandte sie sich an Frau Benedikta, »Ihre Pflichten?«

»Ich dachte nur an Marias Rettung,« lautete die leise, in tiefster Demut gegebene Antwort.

Die Äbtissin ließ Maria kommen.

»Mein Kind, die Thüre steht Ihnen offen, niemand hält Sie; Sie können noch in dieser Stunde gehen. Warum sind Sie nicht zu mir gekommen und haben mir Ihr Herz geöffnet? Nun ist viel Unheil geschehen.«

Maria warf einen Blick auf Frau Benedikta, und die ganze Tragweite des Geschehenen wurde ihr klar.

Sie umschloß die kleine, demütige Gestalt mit ihren beiden Armen.

»Es darf ihr nichts geschehen – ich bin schuld – mir die Strafe – o daß mei'm Mutterle nichts geschieht – es wär schlecht – Gott kann das nicht wollen –«

»Lassen Sie Gott aus dem Spiel, mein Kind,« unterbrach sie die Äbtissin, »Sie wissen nichts von Gott, Sie wissen nur von den Geschöpfen; verlassen Sie uns, verlassen Sie das Kloster noch heute –«

Maria schrie auf: »Wo soll ich denn hin?«

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Mit ruhiger Würde wies ihr die Äbtissin die Thüre, und Maria zuckte unter dem zürnenden Blick der hohen Frau zusammen und ging.

»Möge Ihnen Gott verzeihen, Frau Superiorin,« wandte sich die Äbtissin an Frau Benedikta, »in weniger als einer Stunde weiß das ganze Kloster, was geschehen, und die Augen aller werden an mir haften, ob ich nicht versäume, was meines Amtes ist. Schwerer ist mir nie eine Strafe geworden, meine arme, verblendete Schwester, als die, welche ich gezwungen sein werde, an Ihnen zu vollziehen. Gehen Sie auf Ihre Zelle, und beten wir beide zu Gott, auf daß er uns erleuchte.«

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