Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Capitel.
Die Fahrt in die See von Timor

Der ›Dolly-Hope‹ verließ am 3. April 1882 den Hafen von San-Diego, und der Capitän nahm mehr eine Richtung nach Südwest, denn er wollte auf dem kürzesten Wege durch die Meerenge von Torres in die See von Arafoura kommen, jenseits deren das Bruchstück des ›Franklin‹ gefunden worden war.

Am 26. April hatte man die Gilbertinseln in Sicht, welche in jenen Breitegraden zerstreut liegen, wo die Windstillen des Großen Oceans den Segelschiffen so lästig sind. Nachdem Capitän Ellis die zwei Inselgruppen Scarborough und Kingsmill seitwärts gelassen hatte, durchschnitt er die Inselgruppe Vanikoro.

Zweihundert Meilen weiter durchkreuzte der ›Dolly-Hope‹ den Salomon-Archipel, der aus ungefähr einem Dutzend großer Inseln besteht. Er fuhr weiter und beeilte sich in die Meerenge von Torres zu kommen, da der Capitän nicht weniger ungeduldig war als Zach Fren, den Theil des Meeres von Arafoura zu erreichen, wo das Stück Holz gefunden wurde. Von hier aus sollten dann mit unermüdlicher Ausdauer die sorgfältigsten Nachforschungen angestellt werden, die vielleicht von Erfolg begleitet sein würden.

Einige Tage später, nachdem sie den Salomon-Archipel durchfahren hatten, gelangten sie an den Inseln Rossel, Trobriand und einer großen Anzahl Inselchen vorüber.

Nach dreiwöchentlicher Fahrt hatten sie Neu-Guinea in Sicht, dann das Cap York, die nördliche und südliche Grenze der Meerenge von Torres,

Letztere ist ungemein gefährlich für die Schifffahrt, und kein Capitän wagt es, dieselbe zu durchsegeln, weil die Versicherungsgesellschaften der Schiffe für diese Gegend keine Garantie übernehmen.

Fortwährende Sturzwellen, welche von Osten nach Westen gehen, schleudern die Gewässer des Stillen Oceans in den Indischen. Man kann sich nur durch einige Stunden des Tages, wo die Stellung der Sonne das Brechen der Wogen an den Klippen erkennen läßt, dorthin wagen.

Als man diese Meerenge vor sich hatte, fragte der Capitän seinen Hochbootsmann Zach Fren:

»Also auf der Höhe von Melville hat der ›Californian‹ das Stück Holz aufgefischt?

– Ja.

– Man kann also sagen, ungefähr fünfhundert Meilen von hier?

– Ja, Capitän, und ich verstehe Sie: Da die Strömung regelmäßig von Osten nach Westen geht und dieses Holz auf der Höhe von Melville aufgefangen wurde, so muß der ›Franklin‹ am Eingange der Meerenge von Torres gescheitert sein.

– Ohne Zweifel, Zach Fren, und man müßte daraus schließen, daß Capitän John diesen gefährlichen Weg nach Singapore eingeschlagen hat. Das werde ich nie glauben. Im Gegentheil, er hat das Malayische Meer durchfahren, weil er das letztemal auf der Anhöhe von Celebes gesehen worden ist.

– Und da dies feststeht, bemerkte der Obersteuermann, so folgt daraus, daß der Capitän Branican, wenn er in die See von Timor vorgedrungen ist, nur durch eine der Meerengen dahin gelangen konnte, welche die Sundainseln trennen.

– Das ist unbestreitbar, erwiderte der Capitän.

– Und ich verstehe nicht mehr, warum der »Franklin« nach Osten getrieben werden konnte, versetzte der Obersteuermann.

... und die Eingeborenen in Respect zu halten.

– Ich kann mir nur denken, daß nach dem Holze, welches in dem Indischen Meere gefunden wurde, der Schiffbruch in der Nähe der Sundainseln oder an der westlichen Küste von Australien stattgefunden hat.

– Da das Holz auf der Höhe von Melville aufgefischt wurde, erwiderte der Capitän, so glaube ich, daß der »Franklin« in dem Theile des Meeres von Arafoura, der an die Meerenge von Torres grenzt, oder in dieser selbst gescheitert ist.

– Vielleicht, bemerkte Zach Fren, sind entlang der Küste Australiens Strömungen, welche den »Franklin« gegen die Meerenge getrieben haben. In diesem Falle müßte der Schiffbruch im Westen von dem Meere von Arafoura stattgefunden haben.

»Das ist sonderbar«, bemerkte Zach Fren.

– Wir werden's ja sehen, sagte der Capitän. Unterdessen aber fahren wir so, als wenn der »Franklin« an den Klippen von Torres gescheitert wäre ...

– Und wenn wir gut fahren, wiederholte Zach Fren, so werden wir den Capitän John auch finden.«

So war es im Ganzen das Beste und so wurde es auch durchgeführt.

Die Breite der Meerenge von Torres beträgt ungefähr dreißig Meilen. Man kann sich schwer einen Begriff von den Inselchen und Klippen in diesem Wasser machen, die auf den besten Karten nicht richtig dargestellt sind.

Man zählt deren ungefähr neunhundert, deren bedeutendste kaum einen Flächeninhalt von drei bis vier Meilen haben. Ihre Bewohner sind die Andamenenstämme, die den Schiffen, welche in ihre Hände fallen, sehr gefährlich werden können, wie dies die Ermordung der Matrosen des »Chesterfield« und ›Hormuzier‹ beweist.

In ihren leichten Booten können diese Eingeborenen ohne Mühe von Neu-Guinea nach Australien und von Australien nach Neu-Guinea fahren. Wenn sich daher John und seine Gefährten auf eine dieser Inselchen geflüchtet hatten, so wäre es ihnen etwas Leichtes gewesen, die australische Küste, dann irgend einen Vorsprung des Golfes von Carpentaria oder der Halbinsel York zu erreichen und ihre Rückkehr wäre nicht mehr schwierig gewesen. Da aber Alle verschollen waren, so waren sie wahrscheinlich in die Hände jener Eingeborenen gefallen, von denen sie dann nicht viel Schonung erwarten konnten. Diese Wilden tödten ihre Gefangenen und fressen sie. Wo hätte man dann eine Spur von solchen blutigen Katastrophen finden können?

So dachte es sich der Capitän Ellis, so sagten es die Matrosen vom »Dolly-Hope«. Ein solches Schicksal mußten die Ueberlebenden des »Franklin« gefunden haben, wenn sie in die Meerenge von Torres gerathen waren ... Zwar blieb noch die Möglichkeit, daß sie eben nicht durch diese Meerenge gefahren waren; aber wie kam dann das Stück Holz zur Insel Melville?

Unerschrocken fuhr der Capitän Ellis in diese gefährlichen Gewässer ein, indem er alle von der Klugheit gebotenen Maßregeln traf. Da er ein gutes Dampfschiff, wachsame Officiere und eine muthige und kaltblütige Mannschaft hatte, so hoffte er glücklich durch dieses Klippenlabyrinth zu kommen und die Eingeborenen, die einen Angriff versuchen würden, in Respect zu halten.

Die Schiffe, welche in die Meerenge von Torres eindringen, deren Oeffnung auf der Seite gegen den Stillen Ocean reich an Korallenbänken ist, fahren mit Vorliebe der australischen Küste entlang. Da sich aber im Süden von Papouasien eine ziemlich große Insel, Namens Murray, befindet, so fuhr der »Dolly-Hope« zwischen den zwei berühmten Riffen Eastern-Fields und Boot-Reef hindurch. Letzteres machte durch die eigenthümliche Gestalt seiner Felsen den Eindruck, als läge ein Schiff auf denselben. Die Schaluppe wurde rasch ausgesetzt, doch wurde man ebenso schnell gewahr, daß man sich getäuscht hatte.

Manchmal umkreisten mehrere einfache Boote der Eingeborenen das Schiff, doch dieses konnte ganz um die Insel herumfahren, ohne von ihnen angegriffen zu werden.

Nachdem der »Dolly-Hope« in Somerset, einem Hafen von Nordaustralien, seine Vorräthe ergänzt hatte, durchsuchte der Capitän sorgfältig die Inseln zwischen dem Golfe von Carpentaria und Neu-Guinea.

Nach mehreren Versuchen gelang es dem Capitän, mit einigen Mados oder Häuptlingen auf diesen Inseln in Verbindung zu treten. Da man sich aber sehr schwer verständlich machen konnte, so gelang es nicht zu erfahren, ob diese Andamenen von einem Schiffbruche Kenntniß hatten, der mit der Zeit des Verschwindens des »Franklin« übereinstimmte. In jedem Falle schien es nicht, daß sie Gegenstände amerikanischer Abkunft besaßen, denn man fand bei ihnen weder Eisen noch Leinenstücke, oder Holztheile von Raaen- und Mastbäumen, die von einem Schiffe herrühren konnten. Als nun Ellis die Inseln der Meerenge von Torres verließ, da konnte er sich sagen, daß er keine Spur von dem Untergange des »Franklin« gefunden habe, wenn es sich auch nicht ganz bestimmt behaupten ließ, daß er hier nicht gescheitert sei.

Es handelte sich jetzt nun darum, das Meer von Arafoura, eine Fortsetzung dessen von Timor, zu durchforschen, das sich zwischen den kleinen Sundainseln im Norden und der australischen Küste im Süden ausdehnt. Hier wollte er zuerst das »Arnheimland« und dann die zahlreichen Inseldurchgänge durchforschen. Auch hier suchte man mit einem Eifer und einer Kühnheit, die nichts entmuthigen konnte. Aber man fand nirgends die Spur eines gescheiterten Schiffes, und weder die Eingeborenen, noch die Chinesen, welche in diesen Gewässern lebhaften Handel treiben, wußten etwas von einem Schiffbruche. Ueberdies, wäre die Bemannung des »Franklin« hier von den australischen Stämmen gefangen genommen worden, so wäre Keiner diesen Cannibalen entkommen.

Am 11. Juli begann Ellis die Inseln Melville und Bathurst, die nur durch einen schmalen Streifen getrennt sind, zu durchforschen. Da zehn Meilen von dieser Inselgruppe das Holz vom »Franklin« gefunden wurde und es nicht mehr weiter nach Westen getrieben worden war, so mußten die Wellen es erst kurz vor der Ankunft des »Californian« von den Klippen weggespült haben. Es war daher möglich, daß der Schauplatz der Katastrophe nicht sehr weit entfernt war.

Diese Durchforschung dauerte ungefähr vier Monate, denn sie umfaßte nicht nur die beiden Inseln, sondern auch die Küsten des »Arnheimlandes« bis zum Queens-Canal und sogar bis zur Mündung des Victoria-River.

Es war sehr schwer, auch das Innere zu durchsuchen, da die Eingeborenen Cannibalen sind und sie stets ihre Gefangenen fressen. Wenn Ellis daher auch verzichten mußte zu erfahren, wo und wann die Bemannung des »Franklin« in die Hände der Wilden gefallen war, so würde es ihm vielleicht doch gelingen, eine Spur von dem Schiffbruche zu finden. Das konnte er umsomehr hoffen, als erst acht Monate seit der Auffischung des Holzes durch den »Californian« verflossen waren, doch trotz der eifrigsten Nachforschungen wurde nichts entdeckt.

Was sollte nun Ellis jetzt beginnen? Sah er seine Fahrt als abgeschlossen an, wenigstens was die australische Küste und die dazugehörigen Inseln anbelangte? Sollte er an die Rückkehr denken, nachdem er noch die kleinen Sundainseln durchforscht haben würde? Kurz, konnte er mit gutem Gewissen sagen, daß er Alles gethan habe, was in seiner Macht stand? Der brave Seemann zögerte, sich zu sagen, daß er Alles gethan habe, obwohl er bis zu den Küsten Australiens vorgedrungen war.

Ein Ereigniß machte diesem Zögern ein plötzliches Ende.

Am Morgen des 4. November ging der Capitän mit Zach Fren auf dem Hinterdeck des Dampfers umher, als der Hochbootsmann ihn auf einige Gegenstände aufmerksam machte, die in der Entfernung von einer halben Meile herumschwammen. Es waren keine Holzstücke oder Baumstämme, sondern ungeheure Haufen Gräser, gelbliche Tange, die aus der Tiefe des Meeres emporgerissen worden waren.

»Das ist sonderbar, bemerkte Zach Fren. Ich will nicht Zach Fren heißen, wenn diese Gräser nicht aus dem Westen oder sogar aus dem Südwesten kommen! Da ist gewiß eine Strömung, die sie von der Seite der Meerenge dahertreibt.

– Ja, erwiderte der Capitän, und das muß eine locale Strömung sein, die nach Osten geht, wenigstens, wenn keine Fluth ist.

– Das glaube ich nicht, erwiderte Zach Fren, denn ich erinnere mich ganz genau – ich sah schon zeitlich früh eine Menge dieser Tange dahintreiben.

– Das ist wirklich wahr?

– So wahr, als wir schließlich den Capitän John finden werden!

– Nun, wenn die Strömung da ist, so könnte es möglich sein, daß das Holz des »Franklin« aus dem Westen kam und entlang der australischen Küste schwamm.

– Das ist auch meine Meinung, versetzte Zach Fren.

– Dann haben wir nicht zu zögern. Wir müssen noch die Küsten an dem Meere von Timor bis zu der äußersten Spitze von West-Australien durchsuchen.

– Ich war nie mehr davon überzeugt, da außer allem Zweifel eine Strömung, deren Lauf deutlich wahrzunehmen ist, die Insel Melville berührt. Wenn daher Capitän Branican in den westlichen Gewässern verschollen ist, so würde es sich deutlich daraus ergeben, daß ein Stück Holz seines Schiffes in die Gegenden getrieben wurde, wo es von dem ›Californian‹ aufgefischt wurde.«

Der Capitän ließ seinen Obersteuermann rufen und fragte ihn, ob sie die Fahrt mehr nach Westen fortsetzen sollten. Dieser war der Meinung, man sollte jene locale Strömung wenigstens bis zu ihrem Anfang verfolgen.

»Gut, fahren wir nach Westen, erwiderte der Capitän. Jetzt müssen wir keinen Zweifel, sondern Gewißheit nach San-Diego bringen. Die Gewißheit, daß von dem ›Franklin‹, wenn er an der australischen Küste gescheitert ist, nichts übrig geblieben ist.«

So fuhr denn der »Dolly-Hope« bis zur Spitze der Insel Timor, um seine Kohlen zu erneuern. Nach einem Aufenthalte von vierundzwanzig Stunden fuhr er auf das Cap von Londonderry zu, das sich an der Westspitze von Australien befindet. Bei dem Verlassen des Queens-Canals fuhr der Capitän so weit wie möglich dem Festland entlang und bemerkte von Turtle Point aus genau, wie die Strömung von Westen nach Osten hin verlief.

Das war keine jener Strömungen, die von der Ebbe und Fluth abhängig war, sondern ein steter Zufluß von Wasser in den südlichen Theil des Meeres von Timor. Nun konnte man die Riffe und Klippen durchsuchen, so lange sich das Schiff an der Grenze des Indischen Oceans nicht auf hoher See befand.

Im Golf von Cambridge eingetroffen, erklärte Ellis, daß es sehr unvorsichtig wäre, sich mit seinem Schiffe in diese klippenreiche und von wilden Stämmen bewohnte Gegend zu wagen. Es wurde daher die Dampfschaluppe von einem halben Dutzend wohlbewaffneter Matrosen bestiegen, um unter dem Befehle Zach Fren's das Innere zu untersuchen.

»Wenn John Branican in die Hände der Eingeborenen dieser Gegenden gefallen ist, bemerkte Ellis ihm gegenüber, so werden die Armen kaum am Leben geblieben sein. Aber uns handelt es sich darum zu wissen, ob einige Trümmer von dem ›Franklin‹ noch vorhanden sind, im Fall die Australier ihn hier angegriffen haben ...

– Das würde mich von diesen Schurken gar nicht wundern,« erwiderte Zach Fren.

Die Vorsicht des Hochbootsmannes war ganz gerechtfertigt und er hielt stets gut Umschau. Er fuhr mit der Schaluppe bis zur Insel Adolphus, dann um sie herum, ohne etwas zu entdecken, was ihn zu weiteren Nachforschungen veranlaßt hätte.

Der »Dolly-Hope« fuhr nun jenseits des Golfes von Cambridge weiter, umschiffte das Cap Dusséjour und fuhr dann gegen Nordwesten der Küste von Westaustralien entlang. Auch hier wurde die unermüdliche Mannschaft durch keinen Erfolg belohnt. Die Anstrengungen und Gefahren wurden jetzt in diesen Gegenden viel größer, weil das Schiff an dieser Küste direct von den heftigen Wirbelstürmen des Indischen Oceans belästigt wurde und es wenig Zufluchtsstellen für ein Segelschiff gab. Ein Dampfer ist immer von seiner Maschine abhängig, welche ihm aber nicht helfen kann, wenn das Meer so furchtbar aufgewühlt wird. Man fuhr nun an Hunderten von kleinen Inseln vorüber, durchsuchte sie ... Alles vergebens.

Gegen Ende des Monats Januar 1883 wurde die Dampfschaluppe an der Mündung des Fitz-Roy im Kingsund von den Eingeborenen angegriffen, wobei zwei Matrosen leicht verletzt wurden. Dank der Kaltblütigkeit des Capitäns war dieser Angriff von keinen weiteren unheilvollen Folgen begleitet.

Der »Dolly-Hope« legte nun auf der Höhe von Lévêque an und der Capitän hielt mit seinem Steuermann und Hochbootsmann eine Besprechung ab, in der man nach sorgfältigem Studium der Karten zu dem Resultate kam, hier an der Grenze des 18. Breitegrades der südlichen Hemisphäre die Expedition zu beendigen. Jenseits des Kingsund ist die Küste ziemlich frei von Inseln und dieser Theil von Tasmanien, der an das Indische Meer grenzt, ist noch immer auf der Karte ein weißer Fleck.

Da dem »Dolly-Hope« auch die Kohlen bald ausgingen, wollte man direct nach Batavia fahren, hier dieselben ergänzen und durch die See von Timor, entlang der Sundainseln, wieder in den Stillen Ocean zurückkehren.


 << zurück weiter >>