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Siebentes Capitel.
Verschiedene Möglichkeiten

Es kam keine Nachricht von dem »Franklin« bis zu den ersten Monaten des Jahres 1876. Nirgends, weder in den Gewässern der Philippinen, noch in denen von Java, noch nördlich von Australien konnte eine Spur entdeckt werden. Uebrigens, wie konnte man annehmen, daß der Capitän John sich durch die Meerenge von Torres gewagt hätte? Nur einmal wurde nördlich von den Sundainseln, dreißig Meilen von Batavia, ein Stück des Vorderstevens eines Schooners der Vereinigten Staaten aufgefischt und nach San-Diego gebracht, um untersuchen zu lassen, ob es nicht zum »Franklin« gehörte. Aber nach einer sorgfältigen Prüfung ersah man, daß das Stück aus viel älterem Holze bestand, als zum Baue des »Franklin« verwendet worden war.

Ueberhaupt konnte sich dieses Stück nur losgeschlagen haben, wenn das Schiff an eine Klippe geschleudert worden oder zusammengestoßen war. Nun, im letzteren Falle wäre das Geheimniß des Zusammenstoßes nicht so gut bewahrt geblieben, es hätte denn sein müssen, daß beide Schiffe versanken. Aber da man von dem Verschwinden eines anderen Schiffes nichts wußte, wenigstens bis auf zehn Monate zurück, so kam man ganz einfach zu dem Schlusse, daß der »Franklin« in einen jener furchtbaren Wirbelstürme gerathen war, die so häufig in jenen Breitegraden wüthen und denen kein Schiff Widerstand leisten kann.

So war denn ein Jahr vergangen, seitdem der »Franklin« San-Diego verlassen hatte, und er wurde in die Liste der verschollenen oder untergegangenen Schiffe eingetragen, die in den Annalen des Seeverkehrs so zahlreich vertreten sind.

Der Winter des Jahres 1875 bis 1876 war sehr streng, und sogar in jener gesegneten Gegend Süd-Californiens, wo das Klima im Allgemeinen milde ist. Wegen der außerordentlichen Kälte, die bis Ende Februar anhielt, konnte sich Niemand wundern, wenn Mrs. Branican das Prospect-House nicht verließ, nicht einmal um Luft zu schöpfen.

Aber mit der Zeit hätte dies doch der Nachbarschaft auffallen müssen. Man würde sich gesagt haben, wenn die Krankheit der Mrs. Branican sich nicht verschlimmert hatte, so müßte doch Len Burker ein besonderes Interesse haben, sie so gefangen zu halten. Auch das Wort Sequestration wurde nie ausgesprochen. Was Mr. William Andrew anbelangt, so mußte er einen großen Theil des Winters das Zimmer hüten, und er war selbst schon ungeduldig zu sehen, in welchem Zustande sich Dolly befände; er nahm sich daher vor, sobald er ausgehen könnte, sich in das Prospect-House zu begeben.

Nun, in der ersten Woche des Monates März machte Mrs. Branican in Begleitung Janes in der Umgebung von Prospect-House ihre gewohnten Spaziergänge, indem auch die Mulattin dabei war. Kurze Zeit darauf besuchte Mr. William Andrew die junge Frau, und er constatirte mit Freuden, daß ihre Gesundheit zu keiner Beunruhigung Veranlassung gab. Physisch war ihr Zustand zufriedenstellend, so weit es möglich war. Geistig war keine Besserung eingetreten, denn sie hatte noch immer jede Erinnerung verloren und verharrte in ihrem Stumpfsinne. Selbst bei den Spaziergängen, wo sie sich hätte an einige Sachen erinnern können, wenn sie auf der Straße Kindern begegnete, wenn sich ihr Blick auf dem weithin sich ausdehnenden Meere verlor, fiel sie nie mehr in jene Aufregung wie ehemals. Sie suchte nicht zu entfliehen, so daß man sie jetzt mit Jane allein gehen ließ. Jeder Gedanke des Widerstandes, jede Auflehnung war erloschen, sie war gleichgiltig und ergab sich in Alles. Und als Mr. William Andrew Dolly wiedersah, mußte er sich von Neuem sagen, daß ihre geistige Umnachtung unheilbar sei.

Um diese Zeit wurde die Lage Len Burker's immer gefährlicher. Das Geld der Mrs. Branican, welches er angegriffen hatte, war nicht hinreichend, den Abgrund, der sich vor seinen Füßen öffnete, zu füllen. Dieser Kampf, dem er sich mit allen Kräften widersetzte, nahm mit seinen letzten Mitteln ein Ende. Noch einige Monate, vielleicht schon in einigen Wochen, würde er von dem Gerichte verfolgt werden, und es bliebe ihm nichts anderes übrig, als rasch die Hafenstadt zu verlassen.

Nur ein Umstand hätte ihn retten können, aber es schien, als wenn dieser nicht eintreten sollte – wenigstens nicht zur rechten Zeit. Wenn Mrs. Branican lebte, so lebte auch ihr Onkel Edward Starter. Nicht ohne die größte Vorsicht hatte Len Burker über diesen Sonderling, der in den wilden Gegenden des Staates Tennessee wohnte, Erkundigungen eingezogen.

Stark und kräftig, im vollen Besitze seiner geistigen und physischen Fähigkeiten, kaum sechzig Jahre alt, brachte Edward Starter sein Leben im Freien zu, inmitten der Prairien und Wälder dieses ungeheuren Landes. Er jagte in der wildreichen Gegend oder er fischte an den zahlreichen Flüssen, indem er stets zu Fuß oder zu Pferd herumwanderte und seine ungeheuren Besitzungen selbst beaufsichtigte. Gewiß war er einer der zähesten Farmer von Nordamerika, die erst mit hundert Jahren sterben und sich noch dann fragen, warum sie schon so frühzeitig die Erde verlassen sollen.

Man konnte daher für die nächste Zeit noch nicht auf diese Erbschaft rechnen, und nach aller Wahrscheinlichkeit würde der Onkel seine Nichte überleben. Die Hoffnungen, welche Len Burker auf diesen reichen Mann setzte, verschwanden immer mehr und die Katastrophe schien unvermeidlich.

So flossen zwei Monate dahin, während welcher sich seine Lage noch verschlimmerte. Verschiedene beunruhigende Gerüchte liefen in und außerhalb der Stadt um. Viele Leute, die von ihm ihr Geld nicht zurückerhalten konnten, bedrohten ihn. Zum erstenmale erhielt Mr. William Andrew Kenntniß von dem was vorgehe, und da er wegen der Gelder der Mrs. Branican beunruhigt wurde, so faßte er den Entschluß, ihren Curator aufzufordern, Rechnung abzulegen. Wenn es die Umstände erheischten, sollte ein anderer Vormund ernannt werden, obwohl Jane Burker, die ihrer Cousine treu ergeben war, von jedem Vorwurfe frei war.

Schon um diese Zeit waren zwei Drittel des Vermögens der Mrs. Branican verschwunden und Len Burker blieb nur noch ein und ein halbes Tausend Dollars übrig. Mitten in den Geldforderungen, welche von allen Seiten auf ihn hereinstürzten, war diese Summe ein Tropfen im Meere. Aber sie genügte doch, um sich zur rechten Zeit den Verfolgungen entziehen zu können.

Wirklich wurden von verschiedenen Seiten Klagen wegen Betruges bei dem Gerichte anhängig gemacht, und Burker stand bald vor der Verhaftung. Aber als die Polizei in sein Bureau kam, hatte er dasselbe seit dem vorhergehenden Abend nicht mehr betreten.

Die Polizei eilte zu dem Prospect-House hin ... Len Burker hatte die Villa in der Nacht verlassen. Seine Frau, mochte sie wollen oder nicht, wurde gezwungen, ihm zu folgen. Nur die Mulattin war bei Mrs. Branican zurückgeblieben.

Man stellte sofort in San-Diego, in San-Francisco und an verschiedenen Punkten Kaliforniens Nachforschungen an, um die Spur Len Burker's zu finden: diese führten aber zu keinem Resultat.

Mr. William Andrew fragte über die Einfriedigung hinüber.

Sobald seine Flucht in der Stadt bekannt wurde, entstand eine förmliche Aufregung gegen den betrügerischen Handelsagenten, dessen Deficit eine sehr große Höhe erreichte.

An diesem Tage – es war der 17. Mai – begab sich Mr. William Andrew frühzeitig in das Prospect-House und mußte mit Bedauern constatiren, daß Mrs. Branican kein Vermögen mehr hatte.

Der betrügerische Curator hatte der unglücklichen Frau nicht einmal so viel gelassen, wie für ihre einfachsten Bedürfnisse nothwendig war.

Der Onkel Edward Starter starb plötzlich.

Mr. William Andrew traf sofort alle Vorkehrungen, welche nothwendig waren: Mrs. Branican wurde in eine Heilanstalt gebracht, wo sie gut aufgehoben war, und die Mulattin, die ihm wenig Vertrauen einflößte, wurde entlassen.

Wenn also Len Burker gehofft hatte, daß die Mulattin bei Dolly bleiben und ihn so über ihren Zustand und ihre künftigen Vermögensverhältnisse auf dem Laufenden erhalten werde, so täuschte er sich.

Nô, welche sofort das Prospect-House verlassen mußte, reiste noch denselben Tag ab. Die Polizei, welche ahnte, daß sie ihrer Herrschaft nachreisen werde, beobachtete sie durch einige Tage scharf: aber dieses listige Weib führte sie auf eine falsche Spur und war dann auf einmal verschwunden.

Jetzt war das Prospect-House öde, wo John und Dolly glücklich gelebt, wo sie so schön von der Zukunft ihres Kindes geträumt hatten!

Mrs. Branican wurde von Mr. William Andrew in die Heilanstalt des Dr. Brumley gebracht, der sie schon früher behandelt hatte. Würde ihr geistiger Zustand unter dieser Veränderung sich bessern? Man hoffte es vergebens. Sie blieb ebenso gleichgiltig, wie sie es im Prospect-House gewesen war.

Nur manchmal sang sie ein Wiegenlied, als wenn sie ein Kind in ihren Armen einschläfern wollte. Aber der Name ihres Kindes kam nie über ihre Lippen.

Während des Jahres 1876 kam keine Nachricht von John Branican. Die wenigen Personen, welche geglaubt hatten, daß, wenn der »Franklin« nicht zurückkehre, so doch der Capitän und seine Mannschaft zurückkehren würden, mußten diese Vermuthung fallen lassen. So war es auch mit der Hoffnung, die Schiffbrüchigen wieder aufzufinden; bis zum Jahre 1877 hatte man nichts von dem verschollenen Schiffe gehört.

Ebenso verhielt es sich mit dem Ehepaare Burker. Die Nachforschungen blieben fruchtlos, man wußte nicht, wohin die Leute sich geflüchtet hatten, man kannte nicht den Ort, wo sie sich unter falschem Namen aufhielten.

Und in der That hätte dieser Len Burker sich mit Recht über sein Pech beklagen können, denn zwei Jahre nach seiner Flucht verwirklichte sich die Zukunft, auf die er so viele Pläne gesetzt hatte.

Gegen Mitte Juni des Jahres 1878 erhielt Mr. William Andrew einen Brief, der an Dolly Branican adressirt war. Derselbe brachte die Nachricht, daß ihr Onkel Edward Starter plötzlich gestorben war, und zwar durch einen Unglücksfall. Das Gewehr eines seiner Jagdgenossen war unversehens losgegangen, und die Kugel hatte ihn mitten ins Herz getroffen, so daß er sofort starb.

Bei der Eröffnung des Testaments erfuhr man, daß Dolly Starter, die Frau des Capitän Branican, die Universalerbin sei. Der Zustand, in welcher sich die Erbin befand, hatte nichts an dem Testamente ändern können, weil der Verstorbene nicht wußte, daß sie irrsinnig war, und weil er auch nichts von dem verschollenen Schiffe erfahren hatte.

Keine dieser Nachrichten war in die Wildniß des Staates Tennessee gedrungen, in jene unzugängliche Gegend, die nach dem Willen Edward Starter's Briefen und Zeitungen verschlossen war.

Das Vermögen des Verstorbenen bestand in Grundstücken, Wäldern, Heerden, verschiedenen industriellen Einrichtungen und belief sich auf zehn Millionen Francs.

Derart war die Erbschaft, welche der zufällige Tod Edward Starter's seiner Nichte zukommen ließ. Mit welcher Freude hätte San-Diego diesen Reichthum der Familie Branican gepriesen, wenn Dolly noch ihren Mann und ihr Kind gehabt hätte, wenn sie noch im vollen Besitze ihrer geistigen Kräfte gewesen, wenn John hier wäre, um mit ihr diesen Reichthum zu theilen. Welchen Gebrauch hätte die mildthätige Frau davon gemacht! Wie vielen Unglücklichen hätte sie geholfen! Doch nein, dieses Vermögen mußte angelegt werden und vermehrte sich, ohne daß Jemand einen Nutzen davon hatte. Ob Len Burker in dem Orte, wohin er sich geflüchtet hatte, von dem Tode Edward Starter's und dem großen Vermögen, welches er hinterließ, gehört hatte, konnte man nicht sagen.

Mr. William Andrew, Verwalter des Vermögens Dollys, verkaufte die geerbten Besitzungen, da es schwer gewesen wäre, dieselben auf eine so große Entfernung zu verwalten. Da sich zahlreiche Käufer einfanden, so wurde der Besitz zu ausgezeichneten Bedingungen veräußert. Die Beträge dafür wurden in sicheren Werthpapieren angelegt, welche mit denen aus dem Besitze Edward Starter's in die festen Cassen der Bank von San-Diego kamen. Da der Lebensunterhalt der Mrs. Branican in der Heilanstalt des Dr. Brumley nach den vereinbarten Preisen nicht viel kostete, so vermehrte sich das Vermögen derart, daß die Unglückliche zu den reichsten Leuten von Californien gehörte.

Uebrigens wurde die Frage, ob die Kranke wegen der Veränderung der Vermögensverhältnisse aus der Heilanstalt genommen werden sollte, nicht erst aufgeworfen, da das Haus ihr allen Comfort bot und sie die beste Pflege erhielt, die ihr ihre Freunde nur wünschen konnten. Sie blieb also dort, und ohne Zweifel sollte sie daselbst dieses elende Leben vollenden, dem die Zukunft so viel Glücksgüter verheißen und zugeführt hatte.

Aber wenn auch die Zeit dahinfloh, so erinnerte man sich doch stets in San-Diego an das Unglück der Familie Branican, und die Sympathie für sie war ebenso groß und aufrichtig, wie am ersten Tage.

So begann nun das Jahr 1879, doch alle diejenigen, welche glaubten, daß es wieder ohne die geringste Veränderung der Lage verfließen wurde, täuschten sich gründlich.

In den ersten Monaten des neuen Jahres waren Dr. Brumley und die anderen Aerzte der Heilanstalt über die Veränderung des geistigen Zustandes der Mrs. Branican überrascht. Diese verzweifelnde Ruhe, diese apathische Gleichgiltigkeit, welche sie bisher gezeigt hatte, machte einer eigenthümlichen Aufregung Platz. Das war keine Krisis, in der der Geist vollständig in nichts aufging. Nein! Man hätte glauben können, daß Dolly das Bedürfniß in sich fühle, an dem geistigen Leben wieder theilzunehmen, daß ihre Seele trachtete, die Fesseln zu brechen, welche sie hinderten, sich auszudehnen. Die Kinder, welche man ihr zuführte, rangen ihr einen Blick, fast ein Lächeln ab. Es schien, als wäre Dolly ein Mensch, der sich fortwährend fragt, der nachgrübelt und in seinem Gedächtnisse ferne Erinnerungen sucht.

Sollte Mrs. Branican ihren Verstand wieder erhalten? War das eine Art Wiedergeburt, welche in ihr vor sich ging? Sollte ihr das geistige Leben wiedergegeben werden ... Ach, jetzt, wo sie kein Kind, keinen Gatten mehr hatte, war es da zu wünschen, daß diese Heilung, dieses Wunder geschehe, da sie doch nur viel unglücklicher werden würde!

Mochte dies wünschenswerth sein oder nicht, die Aerzte sahen eine Möglichkeit des Erfolges. Es wurde Alles in Bewegung gesetzt, um auf den Geist, auf das Herz der Mrs. Branican heilsamen Einfluß auszuüben. Man beschloß sogar, sie aus der Heilanstalt des Dr. Brumley zu nehmen und sie nach Prospect-House zurückzuführen. Und als dies geschehen war, da war sie sich sicher dieser neuen Veränderung bewußt, sie schien Interesse zu haben, sich in dieser neuen Lage zu befinden.

Mit den ersten Frühlingstagen – es war damals im April – wurden wieder die Spaziergänge in die Umgebung unternommen. Mrs. Branican wurde mehrmals an den Strand der Island-Spitze geführt. Die wenigen Schiffe, welche in der offenen See fuhren, verfolgte sie mit den Blicken, und ihre Hand streckte sich gegen den Horizont aus. Aber sie suchte nicht mehr, wie damals, davonzueilen und dem Dr. Brumley zu entfliehen, der sie begleitete. Sie fürchtete sich nicht vor dem donnernden Brechen der Wogen. Dachte sie daran, wie draußen auf dem Meere der »Franklin« dahinfuhr, als er den Hafen von San-Diego verließ und seine großen Segel hinter den Felsenspitzen verschwanden? ... Ja ... Vielleicht! Und ihre Lippen murmelten eines Tages deutlich den Namen John! ...

Es war klar, daß die Krankheit der Mrs. Branican soeben in ein Stadium getreten war, das mit der größten Sorgfalt studiert sein wollte. Indem sie sich wieder an das Leben im Prospect-House gewöhnte, erkannte sie hier und da die ihr theuren Gegenstände. Eine Photographie des Capitän John, welche an der Wand ihres Zimmers hing, begann ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Jeden Tag sah sie beharrlicher hin, und eine Thräne entrann, noch unbewußt, ihren Augen.

Ja, wenn es nicht sicher wäre, daß der »Franklin« untergegangen war, wenn John hätte wiederkommen können, wenn er plötzlich erschienen wäre, dann hätte Dolly ihren Verstand wieder erhalten! ... Aber auf die Rückkehr Johns konnte man nicht mehr rechnen.

Deshalb beschloß Dr. Brumley, bei der armen Frau eine nervöse Erschütterung hervorzubringen, die nicht ohne Gefahr war. Er wollte dies thun, bevor die beobachtete Besserung wieder schwinde, bevor die Kranke wieder in jenen Stumpfsinn falle, der ihr in den vier Jahren so eigenthümlich war. Da es schien, daß ihre Seele bei dem Hauche der Erinnerungen vibrirte, so sollte sie eine Erschütterung erhalten, mochte sie auch dabei zu Grunde gehen. Ja! Lieber so, als wenn Dolly wieder in das Nichts versank, das so viel ist wie der Tod.

Das war auch die Meinung Mr. William Andrew's, und er ermuthigte den Dr. Brumley, diesen Versuch zu machen.

Eines Tages – es war der 27. Mai – holten Beide Mrs. Branican im Prospect-House ab. Ein Wagen, der sie an der Thür erwartete, führte sie durch die Straßen von San-Diego bis zu den Quais des Hafens und hielt bei der Landungsbrücke, wo ein Schraubendampfer die Passagiere aufnahm, welche nach Loma fahren wollten.

Die Absicht des Dr. Brumley war, nicht die Scene der Katastrophe noch einmal vorzuführen, sondern Mrs. Branican in die Lage zu versetzen, worin sie sich befand, als sie plötzlich wahnsinnig wurde.

In diesem Augenblicke leuchtete das Auge Dollys sonderbar auf. Sie wurde von einer eigenthümlichen Bewegung hingerissen, ein förmliches Zucken ging durch ihren Körper ...

Dr. Brumley und Mr. William Andrew führten sie zu dem Schraubendampfer hin, und kaum hatte sie denselben betreten, so war man von ihrem Benehmen noch mehr überrascht. Sie setzte sich nämlich auf denselben Platz, auf dem sie seinerzeit mit dem Kinde gesessen hatte. Dann sah sie in den Golf hinaus gegen die Spitze von Loma, als wenn sie den »Boundary« gesucht hätte.

Die Passagiere des Schiffes hatten Mrs. Branican erkannt, und wurden von Mr. William Andrew in Kenntniß gesetzt, welche Probe man hier vornehmen wollte, so daß Alle in tiefer Erregung waren. Sollten sie Zeugen der Auferstehungsfeier werden ... nicht der Auferstehung eines Körpers, sondern der einer Seele?

Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß alle Maßregeln getroffen worden waren, damit sich Dolly nicht über Bord ins Meer stürze.

Schon war man eine halbe Meile gefahren, und noch immer sah Dolly nicht auf die Oberfläche des Golfes. Sie schaute noch immer gegen die Spitze von Loma und sah dann der Schwenkung eines Schiffes zu, das mit aufgehißten Segeln auf den Platz der Quarantaine fuhr.

Das Antlitz Dollys war ein ganz anderes ...

Sie drehte sich um, indem sie das Schiff ansah ...

Das war nicht der »Franklin«, und sie täuschte sich nicht. Aber sie schüttelte mit dem Kopfe und sagte:

»John! ... Mein John! ... Auch Du wirst bald zurückkommen ... und ich werde Dich erwarten!«

Plötzlich schienen ihre Blicke das Wasser des Golfes zu durchdringen, den sie soeben erkannt hatte. Sie stieß einen herzzerreißenden Schrei aus und wandte sich dann an Mr. William Andrew:

»Herr Andrew ... Sie ... und er ... mein kleiner Wat ... mein Kind ... mein armes Kind! ... da ... da ... ich erinnere mich! ... ich erinnere mich!«

Und sie fiel auf die Knie und weinte bitterlich.


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