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Fünftes Capitel.
Drei Monate verfließen

Wie kann man den Eindruck beschreiben, den diese Katastrophe auf ganz San-Diego gemacht hatte? ... Der Tod des Kindes ... der Wahnsinn der Mutter! Man weiß, welche Sympathie die Bevölkerung für die Familie Branican hegte, welches Interesse der junge Capitän des »Franklin« Allen einflößte. Er war kaum vierzehn Tage fort ... und war nicht mehr Vater ... Bei der Rückkehr würde er in seinem Hause weder das lustige Lachen des kleinen Wat, noch die Zärtlichkeit Dollys wiederfinden, die ihn nicht mehr erkennen würde ... An dem Tage, wo er einst in den Hafen einfuhr, da würde er mit keinem Hurrah begrüßt werden!

Aber man brauchte nicht erst auf die Heimkehr John Branican's zu warten, daß er diese furchtbare Katastrophe erfahre, denn Mr. William Andrew konnte nicht umhin, den jungen Capitän von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen. Es mußte sofort eine Depesche an einen der Correspondenten in Singapore abgehen, und auf diese Weise würde John die schreckliche Wahrheit vor seiner Ankunft in Indien vernehmen.

Doch wollte Mr. William Andrew nicht sofort die Depesche absenden. Vielleicht ist Dolly heilbar! Wußte man, ob die Pflege, die man ihr angedeihen ließ, sie nicht wieder in den Besitz ihrer geistigen Kräfte bringen konnte? ... Warum John einen doppelten Schlag versetzen, der Tod des Kindes und der Wahnsinn seiner Frau, wenn letztere in einer bestimmten Zeit zu heilen ist?

Nachdem er sich darüber mit Len und Jane Burker ins Einvernehmen gesetzt hatte, wartete er den definitiven Ausspruch der Aerzte über den geistigen Zustand Dollys ab.

Unterdessen war die ganze Stadt in tiefer Bestürzung. Menschenmassen zogen zu dem Hause in der Fleet Street hin, um etwas über Mrs. Branican zu hören. In dieser Zeit wurden auch sorgfältige Nachforschungen angestellt, um die Leiche des Kindes zu finden. Vergebens! Wahrscheinlich war dieser Leichnam von der Ebbe in die offene See getrieben worden. Der arme Kleine hatte nicht einmal ein Grab, auf dem seine Mutter hätte beten können, wenn sie gesund sein würde.

Zuerst konnten die Aerzte constatiren, daß der geistige Zustand Dollys nur in einer leichten Melancholie bestehe. Keine nervöse Krise, keine jener Tobsuchtsanfälle, zwingen zu der vollständigen Isolirung der Kranken. Dolly war nur ein Körper ohne Seele, ein Geist, in dem keine Erinnerung an dieses furchtbare Unglück haftete. Ihre Augen waren trocken, ihr Blick erloschen: sie schien nichts zu sehen, sie schien nichts zu hören: sie gehörte nicht mehr dieser Welt an.

So war der Zustand der Mrs. Branican in dem ersten Monate nach diesem Unglücke. Man hatte die Frage aufgeworfen, ob es besser wäre, sie in eine Heilanstalt zu geben oder ihr eine besondere Pflege zutheil werden zu lassen. Das war die Meinung Mr. William Andrew's, und man hätte sie auch befolgt, wenn nicht Len Burker einen anderen Vorschlag gemacht hätte.

Len Burker besuchte Mr. William Andrew in seinem Bureau und sagte zu ihm:

»Wir sind jetzt fest überzeugt, daß der geistige Zustand Dollys keinen gefährlichen Charakter hat, der uns zwingen würde, sie einzusperren; weil sie keine anderen Verwandten hat wie uns, so bieten wir uns an, sie zu pflegen. Dolly hat meine Frau ungemein gern; wer weiß, ob die Pflege von ihr nicht besser auf sie einwirken wird als die Fremder? Wenn später eine Krisis eintreten sollte, so ist es ja immer noch Zeit, weitere Maßregeln zu treffen. Was meinen Sie dazu, Herr Andrew?«

Dieser antwortete nicht ohne ein gewisses Zögern, denn er hatte eine geheime Antipathie gegen Len Burker, obgleich er damals noch nichts von seiner Lage wußte und auch seine Ehrlichkeit nicht bezweifelte. Nach Allem war die Freundschaft, welche die beiden Frauen verband, eine tiefe, und da Mrs. Burker ihre einzige Verwandte war, so würde es schon besser sein, sie bliebe in häuslicher Pflege. Das Wichtigste war, daß die unglückliche Frau beständig und liebreich gepflegt werde, wie dies ihr Zustand erheische.

»Da Sie sich dieser Aufgabe unterziehen wollen, erwiderte Mr. William Andrew, so sehe ich nichts Ungehöriges darin, Herr Burker, daß Dolly ihrer Cousine übergeben werde, deren Ergebenheit außer allem Zweifel steht.

– Ja, für immer soll sie gepflegt werden!« fügte Len Burker hinzu.

Aber er sagte dies in seinem gewohnten kühlen, frostigen Tone.

»Ihre Absicht ist aller Ehren werth, sagte William Andrew. Nur noch eine Bemerkung: Ich frage mich, ob in Ihrem Hause in der Fleet Street, inmitten des Lärmens auf der Gasse, die arme Dolly gut aufgehoben sei, da sie dies doch gar nicht gewohnt ist. Sie braucht Ruhe, frische Luft ...

Dolly! ... Dolly! ... rief Jane

– Unsere Absicht ist es auch, erwiderte Len Burker, sie nach Prospect-House zu bringen und dort mit ihr zu wohnen. Dieses Haus ist ihr Heim, und der Anblick der ihr bekannten Sachen wird von heilsamem Einfluß auf sie sein. Dort wird sie nicht gestört werden ... Das Freie ist gleich vor der Thüre ... Jane wird sie einige Spaziergänge in der Umgebung machen lassen, die sie kennt, die sie mit ihrem Kinde gemacht hat ... Das schlage ich vor ... Würde dies John nicht billigen, wenn er da wäre? ... Und was müßte er sich bei seiner Rückkehr denken, wenn er seine Frau in einer Heilanstalt, in den Händen bezahlter Leute fände? ... Herr Andrew, man darf nichts außeracht lassen, um einen heilsamen Einfluß auf ihren Geist auszuüben.«

Dieser Antwort lagen scheinbar ganz hübsche Gefühle zu Grunde. Aber warum schienen die Worte dieses Mannes kein Vertrauen einzuflößen?

Wie dem auch sein mochte, sein Vorschlag mußte angenommen werden, und Mr. William Andrew konnte ihm nur danken, indem er hinzufügte, daß John ihm auch zu tiefem Danke verpflichtet sei.

Am 27. April wurde Mrs. Branican in das Prospect-House gebracht, wo Jane und Len Burker an dem Abend desselben Tages sich auch einlogirten. Dieser Entschluß fand allgemeine Billigung.

Man erräth, welchen Motiven Len Burker gehorchte. Eben an dem Tage der Katastrophe hatte er, wie wir wissen, die Absicht gehabt, mit Dolly über eine gewisse Angelegenheit zu sprechen. Diese bestand darin, sich von ihr eine ansehnliche Summe Geldes zu borgen. Aber seitdem hatte sich die Lage geändert. Es war wahrscheinlich, daß Len Burker mit der Verwaltung des Vermögens seiner Verwandten, vielleicht als Curator, betraut werde, und in dieser Eigenschaft konnte er sich einige Hilfsquellen – wenn auch versiegbare – verschaffen, wodurch er wenigstens von neuem Zeit gewann. Das sah auch Jane voraus, und wenn sie glücklich war, sich ganz der Pflege Dollys widmen zu können, so zitterte sie doch, weil sie die geheimen Pläne ihres Mannes durchschaute, die dieser unter dem Mantel der Humanität verbarg.

Der Aufenthalt im Prospect-House wurde nun folgendermaßen eingerichtet: Man brachte Dolly in jenes Zimmer, das sie verlassen hatte, um so namenlosem Unglück entgegenzugehen. Es war nicht mehr die Mutter, die dahin zurückkehrte, es war ein Wesen, beraubt der Vernunft. Das so geliebte Heim, der Salon, wo einige Photographien des Abwesenden hingen, der Garten, wo sie Beide so glückliche Tage zugebracht hatten, nichts erinnerte sie mehr an das frühere Leben. Jane bewohnte ein Zimmer, das an das Dollys stieß, und Len Burker hatte das seinige in dem Erdgeschosse gewählt, das seinerzeit dem Capitän John gehörte.

Von jenem Tage an ging Len Burker seinen gewöhnlichen Geschäften wieder nach. Jeden Morgen begab er sich nach San-Diego hinab, in sein Bureau in der Fleet Street, wo er seine Geschäfte abwickelte. Aber was man besonders hätte bemerken können, war, daß er es nie unterließ, jeden Abend wieder nach Prospect-House zurückzukehren; er verreiste auch bald nicht mehr.

Wir müssen noch nachtragen, daß die Mulattin ihrem Herrn auch in die neue Wohnung gefolgt war, wo sie bald das war, was sie immer und überall gewesen war, eine Person, auf deren Ergebung man rechnen konnte. Die Amme des kleinen Wat war entlassen worden, obwohl sie sich angetragen hatte, ihre Dienste Mrs. Branican zu weihen. Was die Dienerin anbelangt, so wurde dieselbe unterdessen provisorisch für die Dienste behalten, die Nô allein kaum hätte leisten können.

Uebrigens wäre Niemand in der sorgsamen Pflege Jane gleichgekommen, die Alles that, was der Zustand Dollys erforderte. Ihre Freundschaft hatte sich, wenn es möglich war, nach dem Tode des Kindes noch vergrößert, da sie sich als die Ursache des Unglückes ansah. Wenn sie nicht Dolly in dem Prospect-House besucht und die Frau auf den Gedanken gebracht hätte, den Capitän des »Boundary« zu besuchen, so wäre das Kind heute noch bei seiner Mutter und würde die langen Stunden der Abwesenheit des Gatten vertreiben! ... Dolly hätte nicht den Verstand verloren!

Es war ohne Zweifel Len Burker's Absicht, daß die Pflege Janes Allen, die sich für Mrs. Branican interessirten, vollständig genüge. Mr. William Andrew mußte selbst anerkennen, daß die arme Frau in keinen besseren Händen hätte sein können. So oft er seine Besuche machte, beobachtete er, ob sich der Zustand der Kranken nicht zum Bessern wende. Er wollte noch immer hoffen, daß die erste Depesche, die an den Capitän John nach Singapore und Indien abgeschickt werde, nicht ein doppeltes Unglück melde, sein Kind todt ... seine Frau ... War es nicht gerade so, als wenn seine Frau auch gestorben wäre? Allerdings nicht! Er konnte nicht glauben, daß Dolly in der Kraft ihrer Jugend, bei ihrem regen Geiste und energischen Charakter für immer des Verstandes beraubt wäre! War es vielleicht nur ein Feuer, das unter der Asche weiterglomm? ... Würde es nicht eines Tages ein Funke wieder anfachen? ... Und doch waren schon fünf Wochen verflossen, ohne daß eine Hoffnung diese Dunkelheit erleuchtet hätte. Bei einem solch ruhigen Irrsinne, den nicht der geringste Anfall steigerte, schienen die Aerzte nicht die geringste Hoffnung zu haben und stellten bald ihre Besuche ein. Bald kam auch Mr. William Andrew, der an einer Heilung verzweifelte, nur noch selten in das Prospect-House – so leid that es ihm, wenn er sich bei dieser Unglücklichen und zugleich geistig Kranken befand.

Wenn Len Burker aus irgend einem Grunde einen Tag außerhalb der Stadt zubringen mußte, so hatte die Mulattin den Auftrag, Mrs. Branican zu bewachen. Diese ließ sie dann keinen Augenblick allein, ohne sich übrigens um die Pflege Janes zu kümmern, und berichtigte dann getreulich ihrem Herrn von Allem, was sie in dem Zustande der Kranken bemerkt hatte. Sie ließ sogar die Personen, welche zum Besuche kamen, nicht herein, indem sie erklärte, es wäre gegen die ärztlichen Vorschriften ... Die Kranke bedürfe der absoluten Ruhe ... Diese Störungen könnten eine Krisis herbeiführen ... Und Mrs. Burker gab selbst zu, Nô habe Recht, wenn sie die Besuche als lästig abwies, die im Prospect-House nichts zu suchen hätten. So wurde Mrs. Branican ganz isolirt.

»Arme Dolly, dachte Jane, wenn sich ihr Zustand verschlimmern oder ihr Irrsinn sich zur Tobsucht steigern sollte ... so würde man sie entfernen ... sie in eine Heilanstalt sperren ... Sie wäre für mich für immer verloren ... Nein, Gott soll mir sie nur hier lassen ... Wie gern würde ich sie noch mehr pflegen!«

In der dritten Woche des Monates Mai wollte Jane einige Spaziergänge in der Umgebung versuchen, indem sie glaubte, daß Dolly dies zuträglich sein würde. Len Burker war nicht dagegen, aber unter der Bedingung, daß Nô Dolly und seine Frau begleite. Das war übrigens nur eine Vorsicht. Der Weg, die frische Luft konnten bei Dolly einen Anfall hervorrufen, vielleicht in ihr einen Fluchtgedanken erregen, und Jane hätte nicht die Kraft gehabt, sie aufzuhalten. Man muß bei einer Irrsinnigen Alles voraussetzen ... Man darf sie nicht in ein neues Unglück treiben ...

Eines Tages ging Mrs. Branican aus, gestützt auf den Arm Janes. Sie ließ sich wie ein theilnahmsloses Wesen führen, ging, wohin man sie führte, ohne das geringste Interesse zu nehmen.

Im Anfange dieser Spaziergänge machte sich Alles gut. Doch bemerkte die Mulattin bald, daß der Zustand Dollys ein anderer wurde, indem ihrer gewohnten Ruhe eine gewisse Aufregung folgte, die schwere Anfälle nach sich ziehen konnte. Manchmal rief der Anblick von Kindern, denen sie begegneten, bei ihr eine nervöse Aufregung hervor ... Erinnerte sie sich vielleicht an das, was sie verloren hatte? ... Fiel ihr Wat ein? Wie dem auch sein mochte, wenn man darin ein günstiges Symptom erblicken konnte, so folgte doch gewöhnlich eine heftige nervöse Aufregung, die von Natur aus das Uebel nur vergrößern mußte.

Eines Tages hatten Jane und die Mulattin die Kranke auf die Anhöhe des Knob Hill geführt. Dolly hatte sich niedergesetzt und sah gegen den Horizont des Meeres, aber sie schien gedankenlos zu sein, wie ihre Augen leer von jedem Blicke waren.

Plötzlich belebte sich ihr Gesicht, ein heftiges Zittern durchzuckte ihren Körper, ihr Auge erhielt einen eigenthümlichen Glanz, und mit zitternder Hand zeigte sie auf einen Punkt in der Ferne.

»Dort! ... Dort! ...« rief sie.

Es war ein Segelschiff am Horizonte, dessen helle Weiße ein Sonnenstrahl erglänzen ließ.

»Dort! ... Dort! ...« wiederholte Dolly.

Und ihre tieferregte Stimme schien nur noch einem menschlichen Wesen zu gelten.

Während Jane sie mit Schrecken ansah, schüttelte die Mulattin mit dem Kopfe. Sie nahm Dolly schnell bei dem Arme und rief:

»Kommen Sie! ... Kommen Sie!«

Dolly hörte sie nicht.

»Komm, liebe Dolly, komm! ...« sagte Jane.

Sie suchte sie fortzuziehen, ihre Blicke von dem Horizonte abzubringen, wo ein Schiff deutlich erschien.

Dolly widersetzte sich.

»Nein ... Nein!« rief sie.

Mit diesem Ausrufe stieß sie die Mulattin mit einer Kraft zurück, die man ihr gar nicht zugetraut hätte.

Mrs. Burker und Nô fühlten sich ungemein beunruhigt. Sie konnten fürchten, daß Dolly ihnen entlaufe – da sie diese Erscheinung mächtig anzog, weil sie sich an John erinnerte – daß sie die Abhänge des Knob Hill hinabeile und sich in das Meer stürze.

Aber plötzlich legte sich diese Aufregung wieder. Die Sonne war eben hinter einer Wolke verschwunden und das Segel war nicht mehr zu sehen.

Dolly fiel wieder in ihre Theilnahmslosigkeit zurück, ihr Blick erlosch, sie wußte nichts mehr von ihrer Lage. Das Stöhnen, welches sie ausgestoßen hatte, war verschwunden, wie wenn das Leben sich wieder in ihre Brust zurückgezogen hätte. Nun nahm Jane sie bei der Hand; sie ließ sich ohne Widerstand fortführen und ging ruhig in das Prospect-House.

Von jenem Tage an beschloß Len Burker, Dolly nicht mehr außer dem Hause spazieren gehen zu lassen, und Jane mußte damit einverstanden sein.

Um diese Zeit war es, daß Mr. William Andrew beschloß, den Capitän John von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen, da der Zustand der Mrs. Branican keine Besserung hoffen ließ. Er schickte die Depesche nicht nach Singapore, das der Franklin schon verlassen haben mußte, sondern nach Calcutta, so daß John dieselbe bei seiner Ankunft in Indien vorfinden würde.

Unterdessen war aber, obwohl Mr. William Andrew nach dem Ausspruche der Aerzte keine Hoffnung mehr auf Besserung Dollys hatte, doch noch eine solche möglich, wenn sie einer heftigen Erschütterung ausgesetzt wurde, z. B. an dem Tage, wo ihr Gatte vor ihr stehen würde. Dieser Hoffnungsstrahl, es ist wahr, war der einzige, der übrig blieb, und so schwach er auch war, so wollte ihn doch Mr. William Andrew in der langen Depesche an John nicht verschweigen. Indem er ihn tröstete und ihn bat, nicht ganz zu verzweifeln, gab er ihm die Berechtigung, das Commando Harry Felton zu übergeben und so schnell wie möglich nach San-Diego zurückzukehren. Dieser ehrliche Mann hätte seine theuersten Interessen geopfert, um den letzten Versuch mit Dolly zu machen, und er forderte den jungen Capitän auf, ihm telegraphisch mitzutheilen, was er zu thun gedenke.

Als Len Burker von dieser Depesche Kenntniß erhielt, welche Mr. William Andrew ihm mittheilen zu sollen glaubte, billigte er sie, indem er zugleich die Furcht aussprach, daß die Rückkehr Johns wohl gar keinen heilsamen Einfluß auf den Zustand Dollys hervorrufen werde. Aber Jane klammerte sich an diese Hoffnung, daß die Rückkehr Johns Dolly den Verstand wiedergeben könnte, und Len Burker versprach ihm zu schreiben, damit er seine Reise nach San-Diego nicht verzögere – ein Versprechen, das er übrigens nicht hielt.

Während der folgenden Wochen machte sich keine Veränderung in dem Zustande der Mrs. Branican bemerkbar. Wenn auch das physische Leben in ihr durch nichts gestört wurde und ihre Gesundheit nichts zu wünschen übrig ließ, so war doch die Veränderung deutlich auf ihrem Gesichte bemerkbar. Das war nicht mehr die Frau, welche noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, mit diesem bleichen Aussehen, den starren Blicken, als wenn das Feuer der Seele in ihr erloschen wäre. Uebrigens konnte man sie nur selten sehen, wenigstens nur in dem Garten, wo sie entweder auf einer Bank saß oder am Arme Janes spazieren ging.

Len Burker besuchte Mr. William Andrew in seinem Bureau.

Zu Anfang Juni waren es zwei und ein halber Monat, seit der »Franklin« den Hafen von San-Diego verlassen hatte. Seit seiner Begegnung mit dem »Boundary« hatte man nichts mehr von ihm gehört. Vorausgesetzt, daß ihm kein Unfall zugestoßen war, mußte er jetzt nach einer ungefähren Berechnung nach Calcutta kommen. Weder aus dem Stillen Ocean noch aus dem Indischen Meere war schlechtes Wetter signalisirt worden, das den Lauf eines so großen Segelschiffes hätte aufhalten können.

»Komm, liebe Dolly, komm!« sagte Jane.

Unterdessen war Mr. William Andrew doch überrascht, daß er gar nichts von dem Schiffe hörte. Er konnte es sich nicht erklären, daß sein Correspondent ihm nicht die Abfahrt des »Franklin« von Singapore mitgetheilt habe. Wieso war es anzunehmen, daß der »Franklin« dort nicht gelandet wäre, nachdem John diesbezüglich stricte Befehle erhalten hatte? Nun, man mußte ja in einigen Tagen etwas hören, sobald der ›Franklin‹ würde in Calcutta angekommen sein.

Eine Woche verfloß. Am 15. Juli war noch keine Nachricht da. Nun wurde sofort eine Depesche an den Correspondenten des Hauses Andrew abgesendet und um sofortige Antwort bezüglich des »Franklin« und John Branican's ersucht.

Diese Antwort traf nach zwei Tagen ein.

Man wußte nichts von dem »Franklin« in Calcutta. Der amerikanische Dreimaster war um diese Zeit nicht einmal in dem Bengalischen Meerbusen gesehen worden.

Die Ueberraschung Mr. William Andrew's wurde zur Unruhe, und da ein Telegramm unmöglich verschwiegen bleiben kann, so verbreitete sich bald in San-Diego das Gerücht, daß der »Franklin« weder in Singapore noch in Calcutta angekommen sei.

Sollte also die Familie Branican von einem neuen Schicksalsschlage betroffen worden sein – ein Schicksalsschlag, der auch die Familien von San-Diego, denen die Bemannung des »Franklin« angehörte, traf? Len Burker trug keine große Beunruhigung zur Schau, als er diese alarmirenden Nachrichten vernahm. Waren doch seine Gefühle für John stets nur scheinbar und war er doch ein Mensch, der sich blutwenig um das Unglück Anderer kümmerte. Wie dem auch war, von dem Tage an, wo man sich über das Schicksal des »Franklin« beunruhigen konnte, erschien er düsterer, verschlossener zu sein – selbst in seinen Geschäften. Man sah ihn nur selten in den Straßen von San-Diego und in seiner Kanzlei in der Fleet Street, so daß es schien, als wollte er sich ganz in das Prospect-House einsperren.

Um diese Zeit ging in diesem Hause eine Veränderung vor. Len Burker entließ die Dienerin, die man bisher behalten hatte und deren Dienste nichts zu wünschen übrig ließen.

Die Mulattin hatte nun die ganze Hauswirthschaft zu führen. Mit Ausnahme von ihr und Jane hatte Niemand Zutritt zu Mrs. Branican. Mr. William Andrew, dessen Gesundheit in Folge dieser Schicksalsschläge nicht die beste war, mußte seine Besuche in dem Prospect-House aufgeben. Da noch dazu der wahrscheinliche Untergang des »Franklin« kam, was hätte er auch dort zu thun gehabt? Uebrigens wußte er, daß Dolly, seitdem sie nicht mehr spazieren ging, ruhiger geworden war und keinen nervösen Anfall mehr gehabt hatte. Sie lebte, sie vegetirte mehr in einem Zustande geistiger Abwesenheit, was eine Eigenthümlichkeit ihres Irrsinns war; aber ihre Gesundheit verlangte keine besondere Pflege.

Gegen Ende Juni erhielt William Andrew eine neue Depesche aus Calcutta. Die Seecorrespondenzen signalisirten den »Franklin« von keinem Punkte der Route, die er auf seiner Fahrt an den Philippinen und Celebes vorüber, durch das Meer von Java und den Indischen Ocean hätte berühren müssen. Da dieses Schiff seit drei Monaten den Hafen von San-Diego verlassen hatte, so war anzunehmen, daß es mit Mann und Maus untergegangen war, sei es durch Schiffbruch, sei es durch Zusammenstoß, und zwar noch vor der Ankunft in Singapore.


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