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Zehntes Capitel.
Vorbereitungen

Ein neues Leben begann für Mrs. Branican. Wenn sie die volle Gewißheit von dem Tode ihres Kindes hatte, so hatte sie doch nicht die von dem Tode ihres Mannes. Konnten John und seine Leute nicht den Schiffbruch überlebt und sich auf eine jener zahlreichen Inseln in den Gewässern der Philippinen, von Celebes oder Java gerettet haben? War es denn unmöglich, daß sie in die Gefangenschaft eines dortigen Volkes gerathen waren und nicht die Mittel hatten zu entfliehen?

An diese Hoffnung sollte sich Mrs. Branican von nun an klammern, und zwar mit einer so außerordentlichen Zähigkeit, daß sie bald in ganz San-Diego die allgemeine Meinung über den »Franklin« umstürzte. Nein! Sie glaubte es nicht, sie konnte es nicht glauben, daß John und seine Mannschaft untergegangen wären, und vielleicht war es gerade dieser ausdauernde Gedanke, der sie nicht wieder den Verstand verlieren ließ. Waren auch einige geneigt zu glauben, daß diese ihre Idee nichts anderes als der »Irrsinn einer überspannten Hoffnung« wäre, so war doch keine Störung ihrer geistigen Kräfte vorhanden, wie uns das Folgende zeigen wird. Mrs. Branican war im vollen Besitze ihrer Geisteskräfte und sie hatte jene scharfe Urtheilskraft wieder erlangt, die sie seit jeher ausgezeichnet hatte.

Es schwebte ihr nun nur ein Ziel vor, John wiederzufinden, und sie ging demselben mit einer seltenen Energie entgegen, welche die ganze Lage nur noch erschwerte. Da Gott gestattet hatte, daß Zach Fren sie rettete, daß sie ihren Verstand wieder erlangt und er ihr alle Mittel zur Verfügung gestellt hatte, Nachforschungen anzustellen, so mußte John leben und würde durch sie gerettet werden. Dieses Vermögen würde sie zu steten Nachforschungen, zu Belohnungen und Ausrüstungen verwenden; es sollte keine Insel, kein Felsen, der auf der Route des jungen Capitäns lag, unbeachtet und undurchforscht bleiben. Was Lady Franklin für John Franklin gethan hatte, das wollte Mrs. Branican auch für John Branican thun, und sie würde dort Erfolg haben, wo die Witwe des berühmten Mannes Mißerfolg hatte.

Von jenem Tage an mußten die Freunde Dollys – das sahen sie sofort ein – sie in dieser neuen Phase unterstützen, sie in ihren Plänen ermuthigen, ihre Bemühungen mit denen der Frau vereinigen. Das that auch Mr. William Andrew, obwohl er kaum einen Erfolg von dem Ganzen erhoffte, die Ueberlebenden des Schiffbruches je aufzufinden. Er stand ihr mit Rath und That bei, und auch der Capitän des »Boundary«, der sich damals wegen Ausbesserung seines Schiffes in San-Diego aufhielt, war ihr mit allen seinen Kräften behilflich. Der Capitän Ellis, ein entschlossener Mann, auf den man rechnen konnte, ein ergebener Freund Johns, wurde nun eingeladen, an den Sitzungen der Mrs. Branican und des Mr. William Andrew theilzunehmen.

Seitdem kamen sie oft im Prospect-House zusammen, das Dolly trotz des ungeheuren Reichthums nicht verlassen wollte. Hier hatte John sie bei seinem Scheiden zurückgelassen, hier sollte er sie bei seiner Rückkehr wiederfinden. Nichts sollte in ihrer Lebensweise geändert werden, bevor nicht ihr Gatte nach San-Diego zurückkehre. Sie lebte nun ebenso einfach weiter und gab nichts aus, was nicht zur Auffindung ihres Gatten oder zur Unterstützung von Bedürftigen nöthig war.

Das verbreitete sich bald in der ganzen Stadt, die mit Bewunderung auf diese tapfere Frau blickte, welche nicht die Witwe John Branican's sein wollte. Ohne daß sie die geringste Ahnung hatte, vergötterte man sie förmlich, denn ihr furchtbares Unglück verdiente wohl eine solche Verehrung. Aber viele Leute hatten nicht allein gute Wünsche für das Gelingen des Unternehmens, sondern sie wollten auch daran glauben. Wenn Dolly von den oberen Stadtvierteln die Straßen hinabging, um sich entweder in das Haus des Mr. William Andrew oder zu dem Capitän Ellis zu begeben, und man erblickte diese ernste, schwarz gekleidete Frau, die um zehn Jahre älter aussah – sie war erst fünfundzwanzig Jahre alt – da grüßten sie die Leute ehrerbietigst und verbeugten sich vor ihr. Sie aber sah all diese ihr gezollte Verehrung gar nicht.

In den ersten Sitzungen der Mrs. Branican mit Mr. William Andrew und dem Capitän Ellis handelte es sich vor Allem darum, mit der größten Genauigkeit die Route festzusetzen, welche der »Franklin« hätte nehmen müssen.

Das Haus Andrew hatte sein Schiff nach Indien geschickt, nachdem es in Singapore einen Theil seiner Ladung gelöscht haben würde. Indem der Capitän John westlich von der amerikanischen Küste in die offene See fuhr, war es höchst wahrscheinlich, daß er den Archipel der Sandwichsinseln berührte. Wenn der »Franklin« die Zonen von Mikronesien verließ, sollte er sich gegen die Mariannen und Philippinen wenden, dann durch das Meer von Celebes und die Meerenge von Mahkassar das Javanische Meer durchsegeln, das im Süden von der Insel Sunda begrenzt ist, um so nach Singapore zu kommen. Im äußersten Westen der Meerenge von Malakka, die von der gleichnamigen Halbinsel und der Insel Java gebildet wird, breitet sich der Golf von Bengalen aus, in dem, außer auf den Nicobaren- und Andamaninseln, die Schiffbrüchigen hätten keinen Zufluchtsort mehr finden können. Uebrigens stand es außer allem Zweifel, daß John Branican nicht in diesem Golfe erschienen war, denn in dem Augenblicke, wo er nicht in Singapore landete – was nur allzu sicher war – konnte er nicht die Grenze des Javanischen Meeres und der Sundainseln überschritten haben.

Die Annahme, daß der »Franklin« nicht den Weg über die Malayeninseln genommen und gesucht hätte, durch die Torresstraße, entlang der nördlichen Küste von Australien nach Calcutta zu kommen, würde jeder Seefahrer verworfen haben. Der Capitän Ellis behauptete, daß John Branican nie eine so nutzlose Unvorsichtigkeit hätte begehen können, sich den Gefahren der Meerenge von Torres auszusetzen. Diese Hypothese wurde fallen gelassen, da nur an den malayischen Küsten die Nachforschungen angestellt werden könnten.

In der That zählen in den Gewässern der Carolineninseln und Javas die Inseln und Inselchen nach Tausenden, und nur hier konnte sich die Mannschaft des »Franklin«, wenn sie sich aus dem Schiffbruch gerettet hatte, aufhalten oder von den Eingeborenen gefangen gehalten werden, so daß sie nicht in ihre Heimat zurückkehren konnte.

Auf Grund dieser Feststellungen wurde beschlossen, eine Expedition in das Malayische Meer zu senden. Mrs. Branican machte einen Vorschlag, dem sie große Bedeutung beilegte. Sie fragte nämlich den Capitän Ellis, ob er den Befehl über diese Expedition übernehmen wolle.

Da der »Boundary« in Ausbesserung war, so war der Capitän Ellis frei; und obgleich er durch diesen Antrag überrascht war, zögerte er doch nicht, denselben mit Bewilligung Mr. William Andrew's anzunehmen. Mrs. Branican dankte ihm in bewegten Worten für diese Bereitwilligkeit.

»Ich thue nur meine Pflicht, sagte er, und ich werde Alles, was in meinen Kräften steht, versuchen, die Ueberlebenden des ›Franklin‹ wiederzufinden! ... Wenn der Capitän lebt ...

Es befand sich im Hafen von San-Diego eine große Anzahl von Schiffen.

– John lebt!« rief Mrs. Branican in so überzeugendem Tone aus, daß selbst die Ungläubigsten nicht gewagt hätten, ihr zu widersprechen. Der Capitän Ellis brachte hierauf noch einige sehr wichtige Punkte zur Sprache. Eine Bemannung zusammenzubringen, die seinem Vorhaben gewachsen wäre, würde auf keine Schwierigkeiten stoßen. So blieb nur noch die Frage betreffs des Schiffes offen. Gewiß konnte der »Boundary« dabei nicht in Betracht kommen, da kein Segelschiff, sondern nur ein Dampfschiff für diese Fahrt geeignet wäre. Es befand sich um jene Zeit in dem Hafen von San-Diego eine große Anzahl von Schiffen, die für diese Fahrt ganz gut paßten. Mrs. Branican beauftragte daher Capitän Ellis, das schnellste dieser Dampfschiffe zu erwerben, und stellte ihm eine hinreichende Summe zur Verfügung. Nach einigen Wochen war der Kauf Thatsache geworden und Mrs. Branican war Eigenthümerin des »Davitt«, dessen Name in »Dolly-Hope« (Dolly-Hoffnung) als gutes Omen verändert wurde.

Es war ein Schraubendampfer von neunhundert Tonnen und konnte eine große Menge Kohlen fassen, so daß er nicht sobald wegen Kohlenmangels irgendwo zu landen brauchte. Dieser Dreimaster hatte ein ausgezeichnetes Takelwerk und eine Maschine von tausendzweihundert Pferdekräften, so daß er fünfzehn Knoten in einer Stunde zurücklegen konnte. In Folge dieser großen Schnelligkeit und des großen Tonnengehaltes entsprach der »Dolly-Hope« allen Anforderungen einer Fahrt durch jene Meere, die mit Inseln, Inselchen und Klippen reich besäet waren. Man hätte keine bessere Wahl treffen können.

Man brauchte nur drei Wochen, um den »Dolly-Hope« segelfertig zu machen, seine Kessel zu untersuchen, seine Maschine zu prüfen, sein Takelwerk mit den Segeln auszubessern, die Compasse zu reguliren, Kohlen einzuschiffen und Lebensmittel an Bord zu bringen, die für eine mehr als einjährige Reise hinreichen würden. Der Capitän Ellis war entschlossen, die Breitengrade, wo der »Franklin« verschollen war, nicht eher zu verlassen, bis er alle Zufluchtsorte durchsucht hätte.

Wenn auf einem guten Schiffe eine gute Mannschaft sich befindet, so kann dies nur zum Erfolge beitragen. Ellis konnte sich wirklich zu den Angeboten, die man ihm von allen Seiten aus der Seebevölkerung von San-Diego machte gratuliren. Die tüchtigsten Seeleute boten sich an, unter ihm zu dienen.

Die Bemannung des »Dolly-Hope« bestand aus dem Ober- und Untersteuermann, zwei Officieren und fünfundzwanzig Matrosen, die Maschinisten und Heizer eingerechnet. Der Capitän Ellis wußte, daß er Alles von diesen ergebenen und muthigen Matrosen verlangen könnte, so lange und so anstrengend auch die Fahrt durch die Malayischen Gewässer werden würde.

Es ist selbstverständlich, daß während dieser Vorbereitungen auch Mrs. Branican nicht unthätig blieb. Sie stand dem Capitän überall zur Seite, und wo immer es sich um Geld handelte, gab sie es mit vollen Händen hin, um ja Alles zu thun, was den Erfolg der Expedition verbürgen konnte.

Diese mitleidige Frau hatte aber auch die Familien nicht vergessen, welche durch das Verschwinden des »Franklin« in Noth gerathen waren. In dieser Richtung hin hatte sie nur die schon von dem Hause Andrew getroffenen Maßregeln ergänzt und zu den öffentlichen Subscriptionen ihr Scherflein beigetragen. Unterdessen war für die Angehörigen der Schiffbrüchigen des »Franklin« genügend gesorgt, bis die Expedition der Mrs. Branican die Lieben wieder zurückbringen würde.

Warum konnte sie das gute Werk, welches sie für die so schwer geprüften Familien gethan hatte, nicht auch für Jane Burker thun? Sie erfuhr jetzt, wie gut diese arme Frau sie in ihrer Krankheit gepflegt, daß Jane sie nicht einen Augenblick allein gelassen hatte. Jetzt wäre Jane im Prospect-House, würde ihre Hoffnungen theilen, wenn die betrügerischen Handlungen ihres Gatten sie nicht genöthigt hätten, San-Diego, vielleicht ohne Zweifel sogar die Vereinigten Staaten, zu verlassen. Wie sehr auch Len Burker wegen seines Vorgehens zu verurtheilen war, so war es sicher, daß Jane sich ihr gegenüber als eine aufrichtige, aufopferungswürdige Verwandte gezeigt hatte. Dolly hatte ihr also noch immer die alte Freundschaft bewahrt und bedauerte jetzt, in ihren glänzenden Verhältnissen, daß sie nichts für sie thun konnte, um ihre Dankbarkeit zu bezeugen. Aber trotz der sorgfältigsten Nachforschungen Mr. William Andrew's konnte man nicht erfahren, was aus dem Ehepaare Burker geworden war. Wenn ihr Aufenthaltsort bekannt geworden wäre, so hätte Mrs. Branican sie zwar auch nicht nach San-Diego zurückbringen können, da Len Burker wegen Betrugs verhaftet worden wäre, aber sie hätte Jane schleunigst Hilfsmittel zukommen lassen, deren die Unglückliche sicher sehr bedurfte.

Am 27. Juli war der »Dolly-Hope« zur Abfahrt bereit. Mrs. Branican kam am Morgen dieses Tages an Bord des Schiffes, um dem Capitän Ellis noch einmal ans Herz zu legen, Alles zu versuchen und Nichts zu scheuen, um die Spuren des »Franklin« zu finden. Sie zweifelte übrigens nicht, daß es ihm gelingen werde. Man würde John, man würde die Mannschaft zurückbringen! ... Sie wiederholte diese Worte mit einer solchen Ueberzeugung, daß die Matrosen in die Hände schlugen. Alle theilten ihr Vertrauen, ihre Freunde, ihre Verwandten, Alle, die zur Abfahrt des »Dolly-Hope« herbeigeeilt waren.

Der Capitän Ellis wandte sich Mrs. Branican wie Mr. William Andrew zu, der sie an Bord des Schiffes begleitet hatte, und sagte:

»Vor Ihnen, Mistreß, vor Mr. William Andrew schwöre ich im Namen meiner Officiere und meiner Bemannung, ja, ich schwöre, daß ich vor keiner Gefahr, vor keiner Anstrengung zurückschrecken werde, um den Capitän John und seine Leute wiederzufinden. Das Schiff, welches Sie ausgerüstet haben, heißt ›Dolly-Hope‹ und wird seinen Namen auch rechtfertigen ...

– Mit Gottes Hilfe und mit der Hingebung Derer, die auf ihn vertrauen, erwiderte Mrs. Branican.

– Hurrah! ... Hurrah für John und Dolly Branican!«

Die Rufe pflanzten sich durch die Zuschauermenge fort, die dicht gedrängt auf den Quais des Hafens stand.

Die Anker wurden aufgezogen, der »Dolly-Hope« gehorchte den ersten Drehungen der Schraube und fuhr gegen den Ausgang des Hafens. Sobald er denselben verlassen hatte, nahm er die Richtung nach Süd-West und war unter dem mächtigen Arbeiten seiner großen Maschine bald dem amerikanischen Festlande entschwunden.


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