Jules Verne
Die Eissphinx. Erster Band
Jules Verne

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VIII. Auf dem Wege nach den Falklands-Insel«

Am Abend des 8. September hatte ich von Seiner Excellenz dem Generalgouverneur des Archipels von Tristan d'Acunha – so lautete der officielle Titel – von dem braven Glaß, dem Ex-Corporal der britischen Artillerie, Abschied genommen. Am folgenden Tage ging die »Halbrane« frühzeitig unter Segel.

Selbstverständlich hatte ich von Kapitän Guy Erlaubnis erhalten, bis nach den Falklands-Inseln mitzufahren. Es handelte sich dabei um eine Strecke von zweitausend Seemeilen, die in etwa vierzehn Tagen zurückgelegt werden konnte, wenn unsre Fahrt jetzt ebenso wie zwischen den Kerguelen und Tristan d'Acunha von Wind und Wetter begünstigt wurde. Den Kapitän Len Guy schien mein Gesuch gar nicht zu überraschen, er schien es vielmehr erwartet zu haben. Ich selbst erwartete dagegen, daß er gelegentlich wieder auf Arthur Pym zu sprechen käme, von welchem Thema er mir gegenüber hartnäckiges Schweigen bewahrte, seit die Auffindung des unglücklichen Patterson ihm gegen meine Auffassung des Werkes Edgar Poë's so handgreiflich Recht gegeben hatte.

Doch wenn er das bisher vermied, so behielt er sich wohl nur vor, es bei passender Gelegenheit zu thun. Uebrigens blieb das ja ohne Einfluß auf seine letzten Pläne und er war gewiß entschlossen, die »Halbrane« nach den weitentlegenen Gebieten zu führen, wo die »Jane« einst untergegangen war.

Nach Umschiffung der Herald-Spitze verschwanden die wenigen Häuschen von Ansiedlung hinter jenem Landvorsprunge neben der Falmouth-Bai. Bei der Richtung des Schiffes nach Nordwesten gestattete eine leichte Brise alle Segel zu entfalten.

Im Laufe der Vormittags ließen wir die Elephanten-Bai, Hardy-Rock, West-Point, Cotton-Bai und zuletzt das Vorgebirge Daley hinter uns. Es bedurfte nicht einmal des ganzen Tages, um auch den achttausend Fuß hohen Vulcan aus den Augen zu verlieren, da uns schon die Abenddämmerung seinen schneeigen Gipfel verbarg.

Die ganze Woche hindurch verlief die Fahrt unter den günstigsten Verhältnissen, und wenn das so fortging, konnte der September noch nicht zu Ende sein, wenn wir die ersten Höhen der Gruppe der Falklands-Inseln zu Gesicht bekamen. Diese Ueberfahrt sollte uns schon weit nach Süden hinab bringen, da die Goëlette vom achtunddreißigsten bis zum fünfundfünfzigsten Breitengrade hinunter steuern mußte.

Da nun der Kapitän Len Guy bestimmt die Absicht hat, tief in die antarktischen Gebiete vorzudringen, erscheint es hier angezeigt, sogar unumgänglich, auszugsweise die Versuche anzuführen, die zur Erreichung des Südpols oder doch des großen Festlands, in dem dieser Centralpunkt liegen mochte, gemacht worden sind. Len Guy hatte mir die Bücher zur Verfügung gestellt, worin alle jene Unternehmungen sehr ins Einzelne geschildert sind, darunter auch das große Werk Edgar Poë's, »Außerordentliche Geschichten« betitelt, das ich unter dem Eindruck meiner bisherigen merkwürdigen Erfahrungen mit wirklicher Leidenschaft durchstudierte.

Wenn Arthur Pym sich auch verpflichtet glaubte, die wichtigsten Entdeckungen der ersten Seefahrer zu erwähnen, so mußte er doch vor jenen nach dem Jahre 1828 selbstverständlich Halt machen. Da ich nun zwölf Jahre nach ihm schreibe, liegt es mir ob, das mitzutheilen, was seine Nachfolger bis zur jetzigen Fahrt der »Halbrane«, 1839 bis 1840, erzielt hatten.

Das Gebiet, das man geographisch als das antarktische bezeichnen darf, scheint etwa vom sechzigsten Grade südlicher Breite eingeschlossen zu sein.

Im Jahre 1772 trafen die »Resolution«, Kapitän Cook, und die »Adventure«, Kapitän Fourneaux, am achtundfünfzigsten Grade das Eis, dessen Rand etwa von Nordwest nach Südost verlief. Die beiden Schiffe erreichten, während sie unter den schlimmsten Gefahren zwischen ungeheuern Eismassen hindurchschlüpften, Mitte December den vierundsechzigsten Breitengrad, überschritten im Januar den Polarkreis und wurden schließlich von acht bis zwanzig Fuß hoch frei aufragenden Eismassen unter 67°17', also nahe dem südlichen Polarkreise (66°32'3"), aufgehalten.

Im folgenden Jahre versuchte es Kapitän Cook im Monat November noch einmal, weiter vorzudringen. Unterstützt von einer kräftigen Strömung und dem Nebel, den Stürmen und einer recht strengen Kälte trotzend, gelangte er ein wenig über den einundsiebzigsten Breitengrad hinaus, sah sich hier aber endgiltig aufgehalten durch unüberwindliches Packeis, durch feste zwei- bis dreihundert Fuß hohe, an ihren Rändern verlöthete Massen, die bei 71°10' südlicher Breite und 106°54' westlicher Länge noch von riesigen Eisbergen überragt wurden.

Weiter sollte der unerschrockne englische Kapitän auf den antarktischen Meeren nicht vordringen.

Dreißig Jahre später, 1803, sollte die russische Expedition der Kapitäne Krusenstern und Lisiansky, die von Südwinden zurückgetrieben wurden, nur bis 59°52' südlicher Breite und 70°15' westlicher Länge gelangen, obwohl die im März unternommene Fahrt vom Eise nicht behindert wurde.

Im Jahre 1818 entdeckten William Smith und nach ihm Barnesfield die South-Shetlands-Inseln; ferner Botwell, 1820, die South-Orkneys, und Palmer und andere Robbenjäger kamen bis in Sicht des Trinitätslandes, wagten sich über dieses aber nicht hinaus.

Im Jahre 1819 drangen die »Vostock« und die »Mirni« von der russischen Marine, unter dem Befehle des Kapitän Bellingshausen und des Lieutenant Lazarew, nachdem sie an der Insel Georgia vorübergekommen waren und das Sandwichland umschifft hatten, sechshundert Seemeilen nach Süden vor und erreichten dabei auch den siebzigsten Grad der Breite. Ein zweiter Versuch unter 160° östlicher Länge gestattete ihnen ebenfalls nicht weiter zum Pole hin vorzudringen. Sie entdeckten bei dieser Gelegenheit aber die Inseln Peters I. und Alexanders I., die jedoch wahrscheinlich mit den von dem Amerikaner Palmer gesehenen Lande zusammenhängen.

Erst 1822 kam der Kapitän James Weddell von der englischen Flotte, wenn sein Bericht nicht Uebertreibungen enthält, bis 74°15' südlicher Breite hinauf, wo er ein eisfreies Meer antraf, was ihn veranlaßte, das Vorhandensein eines polaren Festlands zu leugnen. Ich bemerke hierzu, daß die Route dieses Seefahrers dieselbe ist, der sechs Jahre später auch die »Jane« Arthur Pym's folgen sollte.

Im Jahre 1823 unternahm der Amerikaner Benjamin Morrel auf der Goëlette »Wash« im März eine erste Erforschungsfahrt, die ihn erst bis 69°15' südlicher Breite, später unter 70°14' nach einem offnen Meere brachte, über dem die Lufttemperatur siebenundvierzig Grad Fahrenheit (+8,33°C) und die Wassertemperatur vierundvierzig Grad (+6,67°C) betrug – Beobachtungen, die mit den an Bord der »Jane« und neben der Insel Tsalal gemachten vollkommen übereinstimmen. Hätte es ihm nicht an Proviant gefehlt, so versichert der Kapitän Morell, daß er, wenn auch nicht den Südpol selbst, doch wenigstens den fünfundachtzigsten Breitengrad hätte erreichen können. In den Jahren 1829 und 1830 brachte ihn eine Expedition auf der »Antarktique« unter 116° der Länge ohne bemerkenswerthe Hindernisse bis 70°30', wobei er Süd-Grönland entdeckte.

Genau zu der Zeit, wo Arthur Pym und Dirk Peters weiter als alle ihre Vorgänger hinaufdrangen, überschritten die Engländer Förster und Kendal, von der Admiralität zur Bestimmung der Gestalt der Erde mittelst Beobachtung der Pendelschwingungen an verschiedenen Punkten beauftragt, nicht einmal 64°45'

Im Jahre 1830 wurde John Biscoë, der Befehlshaber der »Tuba« und des »Lively« (Eigenthümer die Brüder Enderby) beauftragt, bei der Jagd auf Walfische und Seehunde, die südlichen Gebiete zu erforschen. Im Januar 1831 segelte der Genannte über den sechzigsten Breitengrad, erreichte 68°51' unter 10° östlicher Länge, mußte dann vor undurchdringlichem Eise Halt machen, entdeckte jedoch unter 65°57' südlicher Breite und 45° östlicher Länge ein großes Land, das er Enderby-Land taufte, leider aber nicht anlaufen konnte. Bei einer zweiten Fahrt, 1832, kam er über den sechsundsechzigsten Grad nur noch siebenundzwanzig Minuten weit hinaus. Er entdeckte jedoch und taufte die Insel Adelaide vor einem hohen und sich weithin fortsetzenden Lande, das Graham-Land genannt wurde. Aus den Ergebnissen dieser Fahrt schloß die Königliche geographische Gesellschaft, daß zwischen dem siebenundvierzigsten und neunundsechzigsten Grade östlicher Länge unter dem sechsundsechzigsten und siebenundsechzigsten Grade der Breite ein großes Festland liegen werde. Arthur Pym hatte aber jedenfalls recht gehabt mit seiner Behauptung, daß das ein Fehlschluß sein müsse, da Weddell über jenes angebliche Land hingesegelt und die »Jane« derselben Richtung weit über den vierundsiebzigsten Breitengrad hinaus gefolgt war.

Im Jahre 1835 verließ der englische Lieutenant Kemp die Kerguelen. Nachdem er unter 70° östlicher Länge Anzeichen von Land beobachtet, fuhr er bis zum sechsundsechzigsten Grade hinauf, entdeckte auch eine Küste, die wahrscheinlich mit Enderby-Land zusammenhing, drang aber nicht weiter nach Süden vor.

Endlich, zu Anfang dieses Jahres (1839) überschritt der Kapitän Balleny mit dem Schiffe »Elisabeth Scott« am 7. Februar 67°7' der Breite unter 104°25' westlicher Länge und entdeckte dabei den Rosenkranz von Inseln, der seinen Namen führt, im März peilte er dann unter 65°10' der Breite und 116°10' östlicher Länge das Land, dem er den Namen Sabrina beilegte. Dieser Seemann, ein einfacher Walfänger – wie ich später erfuhr – hatte hiermit genaue Angaben gemacht, die wenigstens in dieser Gegend des südlichen Eismeers das Vorhandensein eines polaren Festlandes vermuthen ließen.

Ueberdies suchte – wie ich bereits zu Anfang dieses Berichts bemerkte – zur Zeit, wo die »Halbrane« ihre Fahrt begann, die sie weiter hinauf als alle Seefahrer im Zeiträume von 1772 bis 1839 führen sollte, der Lieutenant Charles Wilkes von der Flotte der Vereinigten Staaten als Befehlshaber eines Geschwaders von vier Schiffen, der »Vincennes« dem »Peacock«, der »Porpoise«, dem »Flying-Fish«, nebst einigen Begleitschiffen, sich Bahn nach dem Südpole unter dem hundertzweiten Grade östlicher Länge zu brechen. Jener Zeit waren noch nahezu fünf Millionen Quadratseemeilen (17½ Millionen Quadrat-Kilometer) des antarktischen Gebietes unentdeckt.

Das sind die Fahrten, die im südlichen Polarmeere der der Goëlette »Halbrane« unter Befehl des Kapitän Len Guy vorangingen. Die kühnsten, oder, wenn man will, die vom Glück am meisten begünstigten Entdecker waren nicht weiter vorgedrungen als: Kemp bis zum sechsundsechzigsten Breitengrade, Balleny bis zum siebenundsechzigsten, Biscoë bis zum achtundsechzigsten, Bellingshausen und Morell bis zum siebzigsten, Cook bis zum einundsiebzigsten und Wedell bis zum vierundsiebzigsten Grade. Jetzt galt es aber bis zum dreiundachtzigsten, fast fünfhundertfünfzig Seemeilen weiter, hinaufzugehen, wenn den Ueberlebenden von der »Jane« Hilfe gebracht werden sollte.

Ich muß gestehen, daß ich trotz meines nüchternen Charakters und meiner wenig schwärmerisch veranlagten Natur seit der Auffindung der Eisscholle mit dem armen Patterson doch ganz sonderbar erregt war. Eine gewisse Nervosität ließ mir keine Ruhe mehr. Immer gaukelten mir die Gestalten Arthur Pym's und seiner inmitten der Einöden des Polarmeeres zurückgebliebenen Gefährten vor den Augen umher, und in mir erwachte der lebhafte Wunsch, an der vom Kapitän Len Guy geplanten Fahrt theilzunehmen. Ich dachte ohne Unterlaß daran. Eigentlich rief mich ja nichts nach Amerika zurück, und ob mein Fernbleiben sich um sechs oder zwölf Monate verlängerte, das verschlug sehr wenig. Freilich mußte ich mir die Zustimmung des Befehlshabers der »Halbrane« erwirken. Doch warum sollte er sich weigern, mich auch noch länger als Passagier zu behalten? Müßte es ihm nicht vielmehr eine ganz menschliche Befriedigung gewähren, recht »handgreiflich« nachzuweisen, daß er mir gegenüber Recht gehabt, mich nach dem Schauplatz einer Katastrophe zu führen, die ich als erdichtet betrachtet hatte, mir die Ueberreste der »Jane« bei der Insel Tsalal zu zeigen, mich an dieser Insel, deren Vorhandensein ich geleugnet hatte, ans Land zu setzen, mich seinem Bruder William und überhaupt sozusagen Auge in Auge der tatsächlichen Wahrheit gegenüberzustellen?

Ich beschloß aber mit Herbeiführung einer endgiltigen Entscheidung zu warten, bis sich eine passende Gelegenheit bot, den Kapitän Len Guy deshalb anzusprechen.

Die Sache drängte ja noch nicht so sehr. Nach einem »Wetter nach Wunsch« in den zehn Tagen, die unserer Abfahrt von Tristan d'Acunha folgten, stellte sich eine vierundzwanzigstündige völlige Windstille ein. Nachher sprang der Wind mehr nach Süden um, und die sehr scharf daran hinsegelnde »Halbrane« mußte viel Leinwand einziehen, da es bald recht heftig wehte. Jetzt war auf die hundert Seemeilen, die wir von einem Sonnenaufgang zum andern durchschnittlich zurückgelegt hatten, nicht mehr zu rechnen. Die Dauer die Ueberfahrt mußte sich deshalb wohl verdoppeln, und dann durfte uns immer noch kein Sturm überraschen, der ein Schiff etwa zwang, sich ihm ganz gerade entgegen zu halten oder ihm mit dem Wind im Rücken zu entfliehen.

Zum Glück erwies sich die Goëlette – ich konnte mich selbst davon überzeugen – als ungemein seetüchtig. Für ihr solides Mastwerk war nichts zu fürchten, wenn sie auch alle Leinwand trug. Ueberdies ließ der Lieutenant, ein so kühner und meererprobter Seemann er auch war, sofort die Segel reefen, wenn die Gewalt des Sturmes sein Schiff irgendwie zu gefährden drohte . . . Vor einer Unklugheit oder Ungeschicktheit Jem West's brauchte uns gewiß nicht bange zu sein.

Vom 22. September bis 3. Oktober, also zwölf Tage lang, kamen wir nur sehr wenig vorwärts. Der Abtrieb nach der amerikanischen Küste zu war so bemerkbar, daß wir ohne eine Strömung, die die Goëlette von unten her gegen den Wind halten half, wahrscheinlich noch mit Patagonien Bekanntschaft gemacht hätten.

Während dieser Periode schlechten Wetters suchte ich vergeblich Gelegenheit, mit dem Kapitän Len Guy unter vier Augen zu sprechen. Außer den Mahlzeiten blieb er stets in seiner Cabine, überließ die Schiffsführung dem Lieutenant und erschien auf Deck nur zum Zwecke einer Höhenmessung, wenn sich die Sonne einmal durch eine Lichtung der Wolken zeigte. Jem West – das sei nicht verschwiegen – wurde von seiner Mannschaft, dem Hochbootsmann an der Spitze, aufs beste unterstützt, und es möchte sehr schwierig gewesen sein, so eine Hand voll geschickterer, kühnerer und entschlossenerer Männer zu finden.

Am Morgen des 4. October änderte sich der Zustand des Himmels und des Meeres ganz bedeutend. Der Wind flaute ab, der hohe Wogengang legte sich allmählich, und am nächsten Tage zeigte die Brise schon Neigung, nach Nordwesten umzulaufen.

Eine günstigere Aenderung konnten wir uns gar nicht wünschen. Die Reefe wurden gelöst und jetzt auch alle obern Segel beigesetzt, obwohl der Wind bald wieder steifer wurde. Hielt diese Witterung aus, so mußten wir vor Ablauf von zehn Tagen die ersten Höhen der Falklands-Inseln erblicken.

Vom 5. bis zum 10. October wehte es mit der Beständigkeit und Regelmäßigkeit eines Passats, so daß keine Schoote anzuziehen oder nachzulassen war. Wenn sich die Stärke des Windes auch etwas verminderte, so blieb uns seine Richtung doch fortwährend günstig.

Die von mir gesuchte Gelegenheit, den Kapitän Len Guy ein wenig auszuhorchen, bot sich am Nachmittage des 11. Er lieferte sie mir sogar selbst, indem er mich unter folgenden Umständen anredete.

Ich saß in Lee (unter dem Winde) des Ruff, als der Kapitän Len Guy aus seiner Cabine trat, sich nach rückwärts hin umsah und dann neben mir Platz nahm.

Offenbar wünschte er, mit mir zu sprechen, und worüber anders als das, was seine Gedanken vollständig in Anspruch nahm. So begann er denn, noch leiser flüsternd als gewöhnlich:

»Seit unsrer Abfahrt von Tristan d'Acunha, Herr Jeorling, hatte ich noch nicht wieder das Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern . . .«

»Was ich sehr bedauert habe, Kapitän,« antwortete ich, ohne auf weiteres einzugehen, da er womöglich davon anfangen sollte.

»O, ich bitte um Entschuldigung,« sagte er. »Ich habe den Kopf gar so voll gehabt . . . hatte einen Fahrtplan zu entwerfen . . . dabei alles bis aufs kleinste vorzusehen . . . Sie werden mir also nicht böse sein . . .«

»Nicht im mindesten . . . gewiß nicht . . .«

»Ich danke, Herr Jeorling, und heute, wo ich Sie kenne und schätzen gelernt habe, gratuliere ich mir, Sie bis zu unserm Eintreffen an den Falklands-Inseln als Passagier zu haben . . .«

»Ich bin Ihnen sehr verpflichtet, Kapitän, für das, was Sie für mich gethan haben, und das ermuthigt mich auch . . .«

Der Augenblick schien mir geeignet, mein Gesuch anzubringen, als der Kapitän Len Guy mich unterbrach.

»Nun, Herr Jeorling,« fragte er, »sind Sie nun von der Thatsächlichkeit der Fahrt der ›Jane‹ überzeugt, oder betrachten Sie das Buch Edgar Poë's immer noch als reines Erzeugniß dichterischer Erfindung?«

»Nein, Kapitän!«

»Sie zweifeln nicht mehr daran, daß Arthur Pym und Dirk Peters gelebt haben, noch daran, daß William Guy, mein Bruder, und fünf seiner Gefährten noch jetzt am Leben sind? . . .«

»Ich müßte ja der ungläubigste Christenmensch sein, Kapitän! O, ich habe nur den einen Wunsch, daß der Himmel Sie begünstigen möge und die Rettung der Schiffbrüchigen von der ›Jane‹ gestatte!«

»Was an mir liegt, werd' ich thun, Herr Jeorling, und beim allmächtigen Gott, ich werde zum Ziele gelangen!«

»Ich hoffe es, Herr Kapitän . . . ja ich bin davon überzeugt . . . und wenn Sie zustimmten . . .«

»Haben Sie Gelegenheit gehabt, über alles das mit einem gewissen Glaß zu sprechen, mit jenem englischen Ex-Corporal, der sich die Würde eines Gouverneurs von Tristan d'Acunha anmaßt? . . . erkundigte sich der Kapitän Len Guy, ohne mich meine Worte vollenden zu lassen.«

»Ja freilich,« antwortete ich, »und was er mir sagte, hat nicht wenig dazu beigetragen, meine etwa noch vorhandenen Zweifel zu verscheuchen . . .«

»Ah, er hat Ihnen also bestätigt . . .«

»Gewiß; er erinnert sich noch deutlich, die ›Jane‹ gesehen zu haben, als sie dort vor elf Jahren ankerte . . .«

»Die ›Jane‹ . . . doch meinen Bruder? . . .«

»Ich hörte von ihm, daß er den Kapitän William Guy persönlich gekannt habe.«

»Und er hat auch mit der ›Jane‹ gehandelt?«

»Ja wohl . . . ganz wie unlängst mit der ›Halbrane‹.«

»Sie hat in jener Bai vor Anker gelegen?«

»An derselben Stelle wie Ihre Goëlette, Herr Kapitän.«

»Und Arthur Pym . . . Dirk Peters? . . .«

»Auch mit diesen ist er häufig zusammengekommen.«

»Hat er wohl gefragt, was aus ihnen geworden wäre?«

»Natürlich; ich meldete ihm das Ableben Arthur Pym's, den er für einen Furchtlosen, einen Tollkühnen . . . für einen Wagehals erklärte, der der abenteuerlichsten Thorheiten fähig gewesen wäre . . .«

»Sagen Sie, für einen Narren, einen gefährlichen Narren, Herr Jeorling. Er allein ist es doch gewesen, der meinen unglücklichen Bruder zu jener verderblichen Reise verführt hat.«

»Seinem Berichte nach muß man das allerdings annehmen . . .«

»Um es nie zu vergessen!« setzte der Kapitän Len Guy lebhaft hinzu.

»Jener Glaß,« fuhr ich fort, »hat auch den zweiten Officier der ›Jane‹, Patterson, ganz gut gekannt.«

»Das war ein vortrefflicher Seemann, Herr Jeorling, ein warmes Herz . . . und muthig wie sonst einer! . . . Patterson hatte nur Freunde und war meinem Bruder mit Leib und Seele ergeben . . .«

»Wie Jem West Ihnen, Herr Kapitän!«

»Ach, warum mußten wir den unglücklichen Patterson auf jener Scholle todt . . . schon seit mehreren Wochen todt finden.«

»Seine Gegenwart wäre Ihnen für Ihre zukünftigen Nachforschungen allerdings von großem Vortheil gewesen!« bemerkte ich.

»Ja freilich, Herr Jeorling. Weiß denn Glaß, wo sich die Schiffbrüchigen von der ›Jane‹ zur Zeit befinden?«

»Ich hab' es ihm mitgetheilt, Herr Kapitän, sowie alles, was Sie zu deren Rettung zu thun beabsichtigen.«

Ich hielt es für unnöthig, hinzuzufügen, daß Glaß erstaunt gewesen war, von dem Kapitän Len Guy keinen Besuch erhalten zu haben, daß der Ex-Corporal in seiner tief eingefleischten Eitelkeit diesen Besuch erwartet hatte und nicht glaubte, daß es die Pflicht eines Gouverneurs von Tristan d'Acunha sei, damit den Anfang zu machen.

Der Kapitän Len Guy wechselte übrigens den Gegenstand des Gesprächs und sagte zu mir:

»Ich wollte Sie fragen, Herr Jeorling, ob Sie auch glauben, daß alles verläßlich sei, was Arthur Pym in dem von Edgar Poë veröffentlichten Berichte mittheilt.«

»Man wird wohl so manches – im Hinblick auf die Eigenart des Helden jener Abenteuer – mit einiger Vorsicht aufnehmen müssen,« erwiderte ich, »mindestens bezüglich der wunderbaren Erscheinungen, die er aus dem Gewässer der Insel Tsalal berichtet. Gerade, was William Guy und mehrere seiner Gefährten angeht, sehen Sie ja selbst, daß sich Arthur Pym mit der Behauptung, diese wären beim Einsturz des Hügels bei Klock-Klock alle umgekommen, arg getäuscht hat . . .«

»O, das behauptet er auch nicht, Herr Jeorling,« entgegnete der Kapitän Len Guy. »Er sagt ja nur, daß Dirk Peters und er, als sie die Oeffnung erreicht hatten, von wo aus sie das umgebende Land übersehen konnten, das Zustandekommen jenes Erdbebens durchschaut hätten. Da nun die ganze Hügelwand in die Schlucht hinabgestürzt war, konnte ihm das Schicksal meines Bruders und seiner Gefährten ja kaum zweifelhaft erscheinen. Das brachte ihn auf den Gedanken, daß Dirk Peters und er die einzigen weißen Menschen wären, die lebend auf der Insel Tsalal zurückblieben. Er sagt nur das . . . nichts weiter! Es waren von ihm nur Vermuthungen . . . und zwar, wie Sie zugeben werden, sehr annehmbare Vermuthungen . . . doch eben weiter nichts als das . . .«

»Zugegeben, Herr Kapitän.«

»Jetzt haben wir aber, Dank dem Notizbuche Patterson's, die Gewißheit, daß mein Bruder nebst fünf seiner Gefährten der von den Eingebornen ins Werk gesetzten Vernichtung entgangen sind . . .«

»Das steht außer allem Zweifel, Herr Kapitän. Was indeß aus den Ueberlebenden der ›Jane‹ geworden ist, ob sie von den Einwohnern Tsalals wieder ergriffen wurden und deren Gefangene, oder ob sie frei geblieben sind, davon sprechen die Anmerkungen Patterson's ebensowenig, wie von den Umständen, unter denen er allein so weit weg gelangen konnte . . .«

»Das werden wir erfahren, Herr Jeorling . . . ja, das erfahren wir noch! . . . Das wichtigste bleibt es für uns doch, bestimmt zu wissen, daß mein Bruder und fünf seiner Matrosen vor vier Monaten irgendwo auf der Insel Tsalal noch am Leben waren. Jetzt haben wir es nicht mehr mit einem von Edgar Poë verfaßten Romane, sondern mit einem zuverlässigen Bericht zu thun, der die Unterschrift Patterson's trägt . . .«

»Herr Kapitän,« fiel ich ein, »würden Sie zustimmen, daß ich bis zum Ende der Fahrt der ›Halbrane‹ durch die antarktischen Meere bei Ihnen bliebe?«

Der Kapitän Len Guy starrte mich mit ungewissem Blicke an. Es schien von dem Vorschlag, den ich ihm eben machte, nicht besonders überrascht zu sein . . . er mochte ihn vielleicht erwartet haben . . . denn, seine Antwort lautete einfach:

»Sehr gern!«

 


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