Jules Verne
Die Eissphinx. Erster Band
Jules Verne

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II. Die Goëlette »Halbrane«

Dreihundert Tonnen groß, mit schräg stehenden Masten, was ihr gestattete, auch scharf am Winde noch schnell vorwärts zu kommen, und mit einer Segelausrüstung, die für das Schiff ziemlich reichlich erschien – das war der in Christmas-Harbour erwartete Schooner, die Goëlette »Halbrane«.

An Bord befanden sich ein Kapitän, ein Lieutenant, ein Hochbootsmann, ein Koch und acht Matrosen, zusammen zwölf Mann, die zur Schiffsführung vollständig ausreichten. Sehr fest gebaut, die Schanzkleidung mit Kupfer bezogen, mit angepaßten Segeln versehen und am Achter weit ausladend, machte das seetüchtige, gut steuerbare Fahrzeug mit seiner für Reisen zwischen dem vierzigsten und sechzigsten Grad südlicher Breite berechneten Einrichtung den Werften von Birkenhead alle Ehre.

Diese Mittheilungen erhielt ich, von vielfachen Lobsprüchen untermischt, aus dem Munde des Meister Atkins.

Der Kapitän Len Guy aus Liverpool war zu drei Fünfteln Eigenthümer der »Halbrane«, die er seit ungefähr sechs Jahren befehligte. Er befuhr die südlichen Meere Afrikas und Amerikas, wobei er von einer Insel zur andern und von einem Festland zum andern steuerte. Seine Goëlette beschränkte sich auf eine Besatzung von nur zwölf Köpfen, weil sie ausschließlich Handelszwecken diente. Für die Jagd auf Amphibien, Robben und Seekälber hätte es, abgesehen von einer Ausrüstung mit Apparaten, Harpunen, Fischgabeln und dazu gehörigen Leinen, einer zahlreicheren Mannschaft bedurft. Ich bemerke auch, daß die »Halbrane« in diesen etwas unsichern Meerestheilen, wo jener Zeit verschiedene Seeräuber ihr Unwesen trieben, und auch in der Nähe recht verdächtiger Inseln, von einem Ueberfall nicht unvorbereitet überrascht worden wäre: vier kleine Kanonen, eine hinreichende Menge Kugeln und Kartätschenhülsen, eine wohlversorgte Pulverkammer, Gewehre, Pistolen, an einer Flintenbank hängende Carabiner und Schanzkleidungsnetze verliehen ihr weitgehende Sicherheit; die Leute auf dem Schiffe schliefen auch sozusagen immer nur mit einem Auge.

In diesen Gewässern umherzusegeln, ohne solche Vorsichtsmaßregeln getroffen zu haben, wäre auch unverzeihliche Unklugheit gewesen.

Als ich am Morgen des 7. August noch im Halbschlummer lag, wurde ich durch die laute Stimme des Gastwirths und sein ungestümes Pochen an der Thür aus dem Bett gejagt.

»Herr Jeorling, sind Sie wach?«

»Natürlich, Meister Atkins. Wie sollte das einer bei solchem Lärm auch nicht sein?«

»Sechs Meilen weit draußen im Nordosten ist ein Schiff sichtbar, das auf Christmas-Harbour zusteuert!«

»Sollte es die ›Halbrane‹ sein?« rief ich und warf schnell die Kleider über.

»Das wird sich in wenigen Stunden zeigen, Herr Jeorling. Jedenfalls ist es in diesem Jahre das erste Fahrzeug, das unbedingt einen guten Empfang verdient.«

Ich kleidete mich im Handumdrehen an und trollte mit Fenimore Atkins nach dem Quai an eine Stelle, wo sich der Horizont zwischen den beiden Landspitzen von Christmas-Harbour unter weitem Winkel öffnet.

Das Wetter war ziemlich klar, die Dünste über dem Wasser fast verschwunden und ein leichter Wind strich über das weite Meer. Infolge ziemlich regelmäßiger Winde ist der Himmel über dieser Küste der Kerguelen meist reiner als über der entgegengesetzten.

Etwa zwanzig Einwohner, meist Fischer, umringten Meister Atkins, der ohne Widerrede die bedeutendste und geachtetste Persönlichkeit der Insel war und dessen Worten man hier am meisten lauschte.

Der Wind begünstigte gerade die Einfahrt in die Bucht. Bei der eben herrschenden niedrigsten Ebbe aber manövrierte das gemeldete Schiff – ein Schooner – ohne Eile, um jedenfalls die Fluth abzuwarten.

Die Männer tauschten ihre Ansichten aus und ich folgte sehr gespannt dem Gespräche, ohne mich einzumischen. Die Meinungen erschienen getheilt und wurden von beiden Seiten mit großer Hartnäckigkeit vertheidigt.

Ich muß freilich gestehen – und das bekümmerte mich etwas – daß die Mehrheit der Ansicht war, in jenem Schooner die Goëlette »Halbrane« nicht vor sich zu sehen. Nur zwei oder drei, und darunter der Besitzer des »Grünen Cormoran«, glaubten diese darin zu erkennen.

»Es ist doch die ›Halbrane‹!« wiederholte Atkins. »Der Kapitän Len Guy sollte nicht als Erster nach den Kerguelen kommen . . . Das wäre mir! Er ist es, dessen bin ich so sicher, als wenn er schon hier wäre, seine Hand in die meine legte und zur Erneuerung seines Proviants um hundert Piculs Kartoffeln handelte!«

»Ihre Augen sind wohl heute nicht ganz klar, Herr Atkins,« ließ sich ein Fischer vernehmen.

»Jedenfalls klarer als Dein Gehirn!« erwiderte der Gastwirth beleidigt.

»Das Schiff dort hat gar nicht den Rumpf eines Engländers,« erklärte ein Andrer. »Bei seinem schlanken Vordertheile und der starken Ausbauchung des Mitteltheils würde ich es für ein amerikanisches halten.«

»Nein, es ist ein englisches,« widersprach Atkins, »und ich möchte mich fast anheischig machen, zu sagen, wo es vom Stapel gelaufen ist . . . ja, an den Werften von Birkenhead bei Liverpool, wo die ›Halbrane‹ gebaut wurde!«

»Nichts da!« versicherte ein alter Seemann. »Der Schooner da draußen ist in Baltimore bei Nipper und Stronge auf Stapel gelegt worden und das Wasser des Chesapeake hat seinen Kiel zuerst aufgenommen.«

»Sag' doch, das Wasser der Mersey, Du Tropf!« erwiderte Meister Atkins. »Putz' einmal Deine Fernrohrgläser und sieh zu, welche Flagge nach der Gaffelspitze emporsteigt.«

»Die englische!« riefen jetzt alle Versammelten.

In der That entfaltete sich eben das rothe Flaggentuch des Vereinigten Königreichs mit dem britischen Jack in der obern innern Ecke.

Jetzt schwand jeder Zweifel, daß es ein englisches Schiff war, das auf die Einfahrt nach Christmas-Harbour zuhielt; doch wenn das auch feststand, so folgte doch noch nicht, daß es die Goëlette des Kapitän Len Guy sein mußte.

Zwei Stunden später wäre darüber nicht mehr zu streiten gewesen. Vor der Mittagszeit lag die »Halbrane« schon bei vier Faden Wasser inmitten des Hafens vor Anker.

Meister Atkins begrüßte mit Handbewegungen und lauten Zurufen den Kapitän der »Halbrane«, der sich mir dabei kühler zu verhalten schien.

Als ein guter Vierziger von sanguinischem Temperament, von ebenso solidem Bau wie seine Goëlette, schon ergrauendem Barte, mit schwarzen Augen, deren Pupille unter den dichten Brauen in dunkler Gluth leuchtete, gebräunter Haut, schmalen, scharf geschnittenen Lippen, die eine in der mächtigen Kinnlade fest eingewurzelte Zahnreihe erkennen ließen, mit einem durch einen noch röthlichen Knebelbart verlängerten Kinn und kräftigen Armen und Beinen – so erschien mir der Kapitän Len Guy. Sein Gesichtsausdruck war etwas hart, oder mehr kalt, wie der eines verschlossenen Individuums, das seine Geheimnisse nicht leicht preisgibt – das wurde mir noch am nämlichen Tage von einem Manne hinterbracht, der darüber offenbar besser unterrichtet war als Meister Atkins, obgleich der Gastwirth sich als vertrauter Freund des Kapitäns aufzuspielen liebte. Im Grunde konnte sich eigentlich niemand schmeicheln, diese etwas widerspenstige Natur ganz durchschaut zu haben.

Hier sei gleich eingeschoben, daß der von mir erwähnte Mann der Hochbootsmann der »Halbrane« war. Hurliguerly mit Namen, stammte er von der Insel Wight, war vierundvierzig Jahre alt, mittelgroß, untersetzt und kräftig, hatte vom Brustkasten abstehende Arme, etwas gekrümmte Beine, einen kugelrunden Kopf auf einem Stiernacken, sehr breite Brust, die gleich zwei Lungen hätte aufnehmen können – und ich fragte mich, ob er die nicht besäße, so verschwenderisch ging er mit der Luft beim Athmen um – immer blasend, immer schwatzend, mit listigen Augen, lachender Miene, und dabei breitete sich unter den Augen ein Netz von Furchen aus, das von der immerwährenden Zusammenziehung des großen Jochbeinmuskels herrühren mochte. Auch eines Ohrrings – eines einzigen – der vom Ohrläppchen linkerseits herabhing, sei hier erwähnt. Welch ein Unterschied von dem Befehlshaber der Goëlette, und wie konnten zwei so verschiedne Wesen miteinander auskommen! Und doch war das der Fall, denn schon seit fünfzehn Jahren segelten sie miteinander und zwar zuerst auf der Brigg »Power«, die sechs Jahre vor Anfang unsrer Geschichte gegen den Schooner »Halbrane« vertauscht worden war.

Hurliguerly erfuhr gleich bei seiner Ankunft durch Fenimore Atkins, daß ich mit dem Kapitän Len Guy, wenn dieser damit einverstanden wäre, abzureisen gedächte. Ohne Vorstellung oder sonstige Umschweife trat der Hochbootsmann noch am ersten Nachmittage an mich heran. Er kannte bereits meinen Namen und begann ohne Zögern:

»Guten Tag, Herr Jeorling!«

»Schönen Dank, guter Freund!« antwortete ich. »Was wünschen Sie?«

»Ihnen meine Dienste anzubieten . . .«

»Ihre Dienste? . . . Wozu denn? . . .«

»Nun, wegen Ihrer Absicht, sich an Bord der ›Halbrane‹ einzuschiffen . . .«

»Wer sind Sie denn?«

»Der Hochbootsmann Hurliguerly, so bezeichnet und in der Stammrolle der Besatzung aufgeführt, außerdem ein getreuer Gefährte des Kapitän Len Guy, der gern auf ihn, das heißt auf mich, hört, obwohl er sonst dafür bekannt ist, daß er auf niemand hört.«

Da kam mir der Gedanke, daß es gut sein möchte, mich dieses sich so gefällig erweisenden Mannes zu bedienen, der seinen Einfluß auf den Kapitän Len Guy gewiß nicht bezweifelte. Ich antwortete also:

»Schön, lieber Freund, so sprechen wir darüber, wenn Sie Ihre Pflicht augenblicklich nicht in Anspruch nimmt.«

»Ich habe zwei Stunden freie Zeit, Herr Jeorling, und heute überhaupt nicht viel zu thun. Morgen sind einige Waarenballen zu löschen, etwas Proviant zu fassen . . . doch das ist für die Mannschaft so gut wie eine Ruhezeit. Im Fall Sie eben so frei sind . . . wie ich . . .«

Dabei deutete er mit einer Handbewegung nach dem Hintergrunde des Hafens in einer Richtung, die ihm wohlbekannt zu sein schien.

»Können wir denn nicht gleich hier miteinander reden?« bemerkte ich, ihn zurückhaltend.

»Reden, Herr Jeorling, stehenden Fußes reden . . . und das mit trockener Kehle, wo wir's so bequem haben, uns bei ein paar Tassen Thee mit Wisky in einer Ecke des »Grünen Cormoran« häuslich niederzulassen? . . .«

»Ich trinke keinen Wisky, Hochbootsmann.«

»Thut nichts . . . ich trinke für zwei. O, glauben Sie nicht, es mit einem Trunksüchtigen zu thun zu haben! . . . Nein, niemals mehr als grade genug, doch auch niemals weniger!«

Ich folgte dem Seebären, der offenbar im Fahrwasser der Schänken zu schwimmen gewöhnt war. Und während Meister Atkins auf dem Deck der Goëlette um Ein- und Verkaufspreise feilschte, nahmen wir im großen Zimmer seines Gasthauses Platz. Hier wendete ich mich an den Hochbootsmann mit den Worten:

»Ursprünglich rechnete ich auf Atkins, die Vermittlung zwischen mir und Kapitän Len Guy zu übernehmen, denn er kennt diesen, wenn ich mich nicht täusche, ja sehr genau.«

»Pah!« stieß Hurliguerly hervor. »Fenimore Atkins ist ein ganz braver Mann und der Kapitän achtet ihn auch recht hoch. Mit mir kann er sich aber nicht messen. Lassen Sie mich die Sache ordnen, Herr Jeorling . . .«

»Macht sie denn so große Schwierigkeiten, Hochbootsmann, und giebt es keine freie Cabine am Bord der ›Halbrane‹? Ich begnüge mich ja mit der kleinsten und bezahle gern . . .«

»Sehr schön, Herr Jeorling! Wir haben am Ruff eine Cabine frei, die bisher niemand benützt hat, und wenn's Ihnen auf den Preis nicht zu sehr ankommt – im Fall das nothwendig wäre . . . doch, unter uns, man muß schon etwas pfiffiger sein, als Sie vielleicht glauben und als es mein alter Freund Atkins ist, um den Kapitän Len Guy zu bestimmen, einen Passagier aufzunehmen! . . . Ja, ich sage Ihnen, es gehört die ganze Verschlagenheit des gutmüthigen Kerls dazu, der jetzt gleich auf Ihre Gesundheit trinken wird und es nur bedauert, daß Sie ihm nicht Bescheid geben!«

Und wie schaute mich da Hurliguerly mit dem rechten Auge an, während er das linke zukniff! Es schien, als ob alle Lebhaftigkeit, die in seinen beiden Augen wohnte, durch die Pupille des einen hervorstrahlte. Ich brauche wohl kaum zu versichern, daß das Ende dieser langen Phrase bis in ein frisches Glas Wisky reichte, dessen Vorzüglichkeit der Hochbootsmann gewiß zu schätzen wußte, da der »Grüne Kormoran« diesen Stoff ausschließlich aus der Cambüse der »Halbrane« bezog.

Darauf zog der Teufelsbursche eine kurze schwarze Pfeife aus der Tasche, stopfte sie sorgsam, legte auch noch ein loseres Häufchen Tabak darüber, zündete sie an, nachdem er sie fest in die Lücke zwischen zwei Backenzähnen eingeschoben hatte, und hüllte sich nun, wie ein Dampfer bei voller Fahrt, in einen solchen Qualm, daß sein Kopf in einer blaugrauen Wolke fast verschwand.

»Herr Hurliguerly? . . .« begann ich wieder.

»Herr Jeorling . . .«

»Warum sollte mich Ihr Kapitän denn abweisen?«

»Weil es ihm nie in den Sinn gekommen ist, Passagiere an Bord zu nehmen, und er bisher alle Gesuche dieser Art rundweg abgeschlagen hat.«

»Welchen Grund mag er aber dazu haben?«

»O, weil er sich in keiner Weise beschränkt sehen mag, weil er hinfahren will, wo es ihm grade beliebt, jetzt plötzlich umzukehren oder wenn's ihm einfällt, nach Norden oder Süden, nach Westen oder Osten zu segeln, ohne daß er jemand wissen läßt, warum er das thut. Die südlichen Meere hier verläßt er dabei aber niemals, Herr Jeorling, und so sind wir schon manche schöne Jahre hier zusammen gefahren, zwischen dem östlichen Australien und dem westlichen Amerika, von Hobart-Town nach den Kerguelen, nach Tristan d'Acunha oder den Falklandsinseln, wobei wir immer nur so lange am Land lagen, bis unsre Fracht verkauft war. Manchmal drangen wir auch bis zum antarktischen Meere hinunter . . . Sie begreifen, daß ein Passagier unter solchen Umständen lästig werden könnte, und wer würde sich auf der »Halbrane« einschiffen wollen, da diese nie einen vorher bestimmten Curs einhält, sondern eigentlich hinfährt, wohin der Wind sie treibt!«

Ich fragte mich, ob der Hochbootsmann sich nicht ein wenig bemühte, seine Goëlette als eine Art geheimnißvollen Fahrzeugs hinzustellen, das planlos umherschweifte und an den Ankerplätzen kaum rastete, als ein Schiff, das unter Führung eines gespensterhaften Kapitäns durch die hohen Breiten irrte. Doch ohne eine dahin zielende Bemerkung zu machen, sagte ich zu ihm:

»Die ›Halbrane‹ wird von den Kerguelen aber doch nach vier bis fünf Tagen absegeln?«

»Gewiß . . .«

»Und diesmal steuert sie nach Westen, um Tristan d'Acunha anzulaufen?«

»Wahrscheinlich.«

»Nun, Hochbootsmann, schon diese Wahrscheinlichkeit genügt mir ja, und da Sie mir Ihre guten Dienste anbieten, ersuche ich Sie, es beim Kapitän Len Guy zu vermitteln, daß er mich als Passagier aufnimmt.«

»Das ist so gut wie abgemacht.«

»Sehr schön, Hurliguerly, Sie sollen es auch nicht zu bereuen haben.«

»O, Herr Jeorling,« versicherte dieser seltsame Hochbootsmann, der den Kopf schüttelte, als wäre er eben aus dem Wasser aufgetaucht, »ich habe bisher nie etwas zu bereuen gehabt und weiß, daß das auch nicht der Fall sein wird, wenn ich Ihnen eine Gefälligkeit erweise. Nun erlauben Sie mir aber, mich, ohne die Rückkehr des Freundes Atkins abzuwarten, zu verabschieden und nach meinem Schiffe zu begeben.«

Nachdem er sein letztes Glas Wisky auf einen Zug geleert hatte – ich fürchtete dabei, daß das Glas gleich mit dem Inhalte in seiner Kehle verschwinden werde – lächelte mich Hurliguerly noch gönnerhaft an; dann ging er, den mächtigen Rumpf auf dem Doppelbogen der Beine hin und her wiegend, und von den scharfen, seiner Pfeife entströmenden Rauchwolken eingehüllt, hinaus und steuerte in nordöstlicher Richtung vom »Grünen Cormoran« davon.

Ich blieb noch mit recht wechselnden Empfindungen am Tische sitzen. Was war im Grunde dieser Kapitän Len Guy? Meister Atkins hatte ihn mir als tüchtigen Seefahrer und braven Mann geschildert. Ich hatte keine Veranlassung, an dem einen oder dem andern zu zweifeln; jedenfalls war er, nach dem, was mir der Hochbootsmann mitgetheilt hatte, ein origineller Charakter. Nie war mir aber in den Sinn gekommen, daß mein Gesuch, mit der »Halbrane« zu reisen, Schwierigkeiten begegnen könnte, nachdem ich erklärt hatte, nicht auf den Fahrpreis zu sehen und mich der gewohnten Lebensweise an Bord zu fügen. Welchen Grund hatte der Kapitän Len Guy also, mein Gesuch abzuschlagen? . . . Höchstens könnte ich vermuthen, daß er sich durch die Mitanwesenheit eines Passagiers nicht binden und sich nicht verpflichten wollte, nach einem vorher bestimmten Orte zu segeln, wenn es ihm im Laufe der Fahrt einfiel, nach einem beliebigen andern zu steuern. Vielleicht hatte er aber auch besondre Gründe, zu vermeiden, daß ein Fremder in seiner Art und Weise umherzufahren Einblick bekäme. Führte er etwa Contrebande oder betrieb er Sklavenhandel, ein Geschäft, das jener Zeit in den südlichen Meeren noch lebhaft im Schwange war? Das wäre immerhin möglich, obwohl mein würdiger Gasthalter für die »Halbrane« und ihren Kapitän so warm eintrat. Fenimore Atkins garantierte für die Ehrbarkeit des Schiffes, wie für die seines Befehlshabers! . . . Das war ja schon etwas werth, wenn er sich nicht in Bezug auf beide täuschte. Er kannte ja den Kapitän Len Guy nicht weiter, als daß er ihn jährlich einmal sah, wenn dieser die Kerguelen anlief, wo er ganz ordnungsgemäße Geschäfte erledigte, die keinerlei Verdacht aufkommen lassen konnten.

Andrerseits fragte ich mich, ob der Hochbootsmann, in der Absicht, dem Anerbieten seiner Dienste mehr Bedeutung zu verleihen, die Verhältnisse nicht falsch dargestellt habe. Vielleicht war der Kapitän sehr befriedigt, sehr glücklich darüber, einen so fügsamen Passagier an Bord zu bekommen, wie ich mir einer zu sein vorgenommen hatte, und der gleichzeitig nach dem Fahrpreis nicht groß fragte.

Eine Stunde später traf ich mit dem Gastwirth auf dem Quai zusammen und theilte ihm mit, was ich erfahren hatte.

»Ah, dieser verteufelte Hurliguerly,« rief er da, »der bleibt doch immer der alte! Seinen Reden nach müßte man glauben, daß der Kapitän sich nicht die Nase putzte, ohne ihn erst um Rath zu fragen! Na, es ist eben ein drolliger Kauz, der Hochbootsmann, mein Herr Jeorling. Weder bösartig, noch dumm, zieht er doch dem Gottseibeiuns die Dollars gern aus der Tasche. Fallen Sie ihm in die Hände, dann Gnade Ihrem Geldbeutel! Knöpfen Sie ja Weste und Hosentasche zu und lassen Sie sich nicht übers Ohr hauen!«

»Danke für den guten Rath, Atkins! Doch sagen Sie, haben Sie mit dem Kapitän schon gesprochen, schon etwas ausgemacht?«

»Noch nicht, Herr Jeorling. Dazu haben wir Zeit. Die ›Halbrane‹ ist ja kaum eingelaufen und hat sich vor ihrem Anker noch nicht einmal nach dem Ebbestrom gedreht.«

»Mag sein . . . doch . . . Sie begreifen, daß ich baldmöglichst wissen möchte, woran ich bin.«

»Nur ein wenig Geduld!«

»Es drängt mich aber zu erfahren, wie die Sache steht.«

»O, Sie haben nichts zu fürchten, Herr Jeorling! . . . Das macht sich schließlich ganz allein! – Und wenn's die ›Halbrane‹ nicht wäre, kommen Sie auch nicht in Verlegenheit. In der Fangzeit wird Christmas-Harbour bald mehr Schiffe zählen, als rings um den ›Grünen Cormoran‹ Häuser stehen. Verlassen Sie sich getrost auf mich; ich stehe für Ihre Einschiffung ein!«

Das waren freilich auch nur schöne Worte, von dem Hochbootsmann auf der einen und von Meister Atkins auf der andern Seite. Trotz ihrer Versprechungen beschloß ich, mich selbst an den, wenn auch noch so unzugänglichen Kapitän Len Guy zu wenden und ihm mein Anliegen vorzutragen, sobald ich seiner allein habhaft werden konnte.

Diese Gelegenheit bot sich erst am folgenden Tage. Ich war immer am Quai auf und ab gegangen, betrachtete mir den Schooner, ein auffallend gebautes, doch gewiß recht schönes Schiff. Das ist auch nothwendig in diesen Meeren, wo man Eisbergen zuweilen noch diesseits des fünfzigsten Breitengrades begegnet.

Es war am Nachmittage. Bei meiner Annäherung an Kapitän Len Guy bemerkte ich, daß er mir gern ausgewichen wäre.

In Christmas-Harbour versteht es sich von selbst, daß sich die kleine Fischerbevölkerung kaum erneuert. Einzelne Einwohner der Kerguelen mögen wohl gelegentlich auf Schiffen, die in dieser Jahreszeit hier in großer Zahl eintreffen, Dienste nehmen, um fehlende oder davongelaufene Mannschaften zu ersetzen. Im Grunde verändert sich die Bevölkerung aber nicht, und der Kapitän Len Guy mußte gewiß alle Bewohner hier kennen.

Einige Wochen später, wenn die ganze Fischerflotte ihre Besatzungen nach den Quais gehen ließ, wo dann bis zur Beendigung der Saison ein ungewohntes Leben und Treiben herrschte, hätte er sich wohl täuschen können. Heute aber, im Monat August, lag die »Halbrane«, die sich den außergewöhnlich milden Winter zunutze gemacht hatte, allein mitten im Hafen.

Es war demnach unmöglich, daß der Kapitän Len Guy in mir nicht einen Fremden gewittert hätte, selbst wenn der Hochbootsmann und der Gastwirth ihm mein Anliegen noch nicht vorgetragen hatten.

Seine Haltung verrieth mir augenblicklich nur, daß ihm mein Gesuch entweder schon mitgetheilt war und er ihm keine Folge geben wollte, oder daß weder Hurliguerly noch Atkins seit gestern ihm davon gesprochen hatten. Wenn er sich – den letzten Fall angenommen – von mir entfernte, so folgte er dabei nur seiner wenig mittheilsamen Natur und zeigte, daß er zu einem Unbekannten in keine Beziehung treten wollte.

Ich wurde nun allgemach ungeduldig. Wenn dieser Seeigel mich abwies, dann würde ich mich dabei bescheiden. Mich auch gegen seinen Willen an Bord der »Halbrane« einzuschiffen, kam mir gar nicht in den Sinn. Ich war ja nicht einmal ein Landsmann von ihm und überdies gab es auf den Kerguelen keinen amerikanischen Consul oder Agenten, bei dem ich mich hätte beklagen können. Vor allem galt es mir ja zu wissen, woran ich war, und wenn ich wirklich einem Nein! des Kapitän Len Guy begegnete, nun, dann mußte ich eben die Ankunft eines andern, gefälligeren Schiffs abwarten, was mich auch nur noch zwei oder drei Wochen zurückhalten konnte.

Gerade als ich auf den Kapitän zutreten wollte, näherte sich ihm der Lieutenant der Goëlette. Jener benützte die Gelegenheit, sich zu entfernen, und während er dem Officier winkte, ihm zu folgen, ging er am Hafen weiter und verschwand bald hinter einem Felsen, um den der Weg nach dem nördlichen Ufer der Bucht führte.

»Zum Teufel!« dachte ich, »es scheint mir doch schwierig zu werden, zu meinem Ziele zu kommen! Indeß – vorläufig ist die Sache nur aufgeschoben. Morgen begeb' ich mich frühzeitig an Bord der ›Halbrane‹. Ob er nun will oder nicht, anhören muß mich dieser Len Guy doch, dann mag er mit Ja oder Nein antworten!«

Es war auch nicht ausgeschlossen, daß der Kapitän Len Guy zur Essenszeit nach dem »Grünen Cormoran« kam, wo die Seeleute während ihres Aufenthaltes zu frühstücken und zu Mittag zu speisen pflegten. Nach mehrmonatlicher Seefahrt wechselt ja jeder gern einmal mit der Speisekarte, die so lange Zeit nur Schiffszwieback und Pökelfleisch aufwies.

Das verlangt sogar die Erhaltung der Gesundheit; doch während die Mannschaften frische Nahrungsmittel geliefert bekommen, ziehen es die Officiere vor, im Gasthaus zu essen. Ich zweifelte gar nicht daran, daß mein Freund Fenimore Atkins vorbereitet sein werde, den Kapitän, den Lieutenant und den Hochbootsmann der Goëlette zu verpflegen.

Ich wartete also und setzte mich erst sehr spät zu Tische – sollte aber eine Enttäuschung erfahren.

Weder der Kapitän Len Guy noch einer von seinem Schiffe beehrte den »Grünen Cormoran« mit seiner Anwesenheit. Wie bereits seit zwei Monaten, mußte ich auch heute allein speisen, denn es ist ja erklärlich, daß sich zahlreiche Gäste bei Meister Atkins erst in der Fangperiode einstellten.

Nach beendigter Mahlzeit, gegen halb acht Uhr, war es schon dunkel geworden und ich erging mich noch ein wenig an der Seite der Häuser längs des Hafens.

Der Quai war menschenleer. Von den Fenstern des Gasthauses fiel einiges Licht darüber. Von der Besatzung der »Halbrane« befand sich kein Mann am Lande. Die Boote waren hinaufgezogen und schaukelten bei dem leichten Wellenschlage der steigenden Fluth an ihren Hißtauen.

Der Schooner bildete wirklich eine Art Kaserne, wo man die Insassen mit Sonnenuntergang zum Niederlegen anhält. Diese Maßregel mochte vorzüglich dem Schwätzer und Trinker Hurliguerly zuwider sein, denn diesem wär' es, meiner Ansicht nach, während des Aufenthalts am Lande gewiß lieber gewesen, von einer Schänke zur andern zu laufen. Doch von ihm sah ich jetzt nicht mehr als von seinem Kapitän in der Nähe des »Grünen Cormoran.«

Ich verweilte bis neun Uhr und ging immer die hundert Schritte gegenüber der Goëlette auf und ab. Nach und nach verschwand das Fahrzeug in der zunehmenden Dunkelheit. Im Wasser der Bucht glänzte nur noch ein schmaler Lichtstreifen von der Laterne des Vorderschiffes, die am Stagseile des Fockmastes hing.

Nach dem Gasthause zurückgekehrt, fand ich Fenimore Atkins, seine Pfeife rauchend, vor der Thür.

»Es scheint mir, Atkins,« begann ich, »daß der Kapitän Len Guy es nicht liebt, Ihr Gasthaus aufzusuchen.«

»Er kommt zuweilen des Sonntags, heute haben wir Sonnabend, Herr Jeorling.«

»Sie haben ihn noch nicht gesprochen?«

»O doch,« antwortete der Gastwirth, aber mit offenbar verlegnem Ausdruck.

»Sie haben ihm mitgetheilt, daß jemand aus Ihrer Bekanntschaft sich an Bord der ›Halbrane‹ einzuschiffen wünschte? . . .«

»Jawohl.«

»Und wie fiel seine Antwort darauf aus?«

»Nicht so wie ich es wollte und wie Sie es wünschen, Herr Jeorling.«

»Er schlägt es ab? . . .«

»Ja, wenn man das dafür ansieht, daß er mir sagte: ›Atkins, meine Goëlette ist nicht darauf eingerichtet, Passagiere mitzunehmen . . . Ich habe solche noch niemals aufgenommen und denke es auch später nie zu thun.‹«

 


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