Jules Verne
Die Eissphinx. Erster Band
Jules Verne

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III. Der Kapitän Len Guy

Ich schlief ziemlich schlecht. Mehrmals »träumte ich, daß ich träumte«, Edgar Poë hat übrigens schon beobachtet, daß man, wenn man zu träumen vermuthet, meist gleich aufwacht.

Ich erwachte also, und zwar ziemlich mißgestimmt gegen den Kapitän Len Guy. Der Gedanke, mich bei ihrer Abfahrt auf der »Halbrane« einzuschiffen, hatte sich in meinem Kopfe nun einmal festgesetzt. Meister Atkins hatte mir ja grade dieses Schiff, das Christmas-Harbour alljährlich als das erste anlief, ganz besonders empfohlen. Die Tage und die Stunden zählend, hatte ich mich im Geiste schon so oft an Bord dieser Goëlette gesehen, während sie, draußen vor dem Archipel den Vordersteven nach Westen gewendet, der amerikanischen Küste zusteuerte. Mein Gastwirth setzte keinen Zweifel in das Entgegenkommen des Kapitän Len Guy, das ja eigentlich in seinem Interesse lag. Es kommt sonst fast nie vor, daß ein Handelsschiff die Aufnahme eines Passagiers verweigert, wenn es dadurch nicht gezwungen wird, von seinem Reisewege abzuweichen und jener die Mitfahrt gut bezahlt. – Wer hätte auch etwas andres glauben sollen? . . .

Allmählich ergrimmte ich wirklich gegen den ungefälligen Mann. Die Galle lief mir über und meine Nerven fingen an, sich zu spannen. Hier stellte sich mir ein Hinderniß in den Weg, vor dem ich mich aufbäumte.

Bei meiner fieberhaften Erregung hatte ich eine sehr schlechte Nacht und fand erst gegen Tagesanbruch einige Ruhe.

Uebrigens blieb ich entschlossen, mich mit dem Kapitän über sein beklagenswerthes Benehmen gegen mich auseinanderzusetzen. Vielleicht richtete ich bei diesem Stacheligel gar nichts aus, mindestens aber sollte ausgesprochen sein, was ich auf dem Herzen hatte.

Meister Atkins hatte sich im Gespräche mit jenem nur die schon erwähnte Antwort geholt. Ob der gefällige Hurliguerly, der es so dringlich zu haben schien, mir seinen Einfluß und seine Dienste anzubieten, es auch gewagt hatte, sein Versprechen zu halten, wußte ich nicht, da er mir noch nicht wieder zu Gesicht gekommen war. Jedenfalls würde er auch nicht glücklicher gewesen sein, als der Wirth vom »Grünen Cormoran«.

Gegen acht Uhr früh ging ich aus. Es war abscheulich draußen, das reine Hundewetter, wie man zu sagen pflegt. Regen mit Schnee vermengt, der über die im Westen gelegnen Berge herübertobte, während aus den niederen Schichten Wolkenmassen herunterwirbelten – eine richtige Lawine aus Luft und Wasser. Daß der Kapitän Len Guy jetzt ans Land gegangen wäre, um bis auf die Knochen naß zu werden, war nicht anzunehmen.

In der That befand sich keine Seele auf dem Quai. Einige Fischerboote mochten den Hafen schon vor dem Unwetter verlassen haben und hatten jetzt wahrscheinlich in einer der vielen kleinen Buchten, die gegen Wasser und Wind geschützt waren, Unterkommen gesucht. Um an Bord der »Halbrane« zu gelangen, hätte ich eines ihrer Boote herüberrufen müssen, und der Hochbootsmann würde es schwerlich auf sich genommen haben, ein solches zu senden.

»Uebrigens – so dachte ich – auf dem Deck seiner Goëlette ist der Kapitän bei sich zu Hause, und für das, was ich ihm antworten möchte, wenn er bei seiner unhöflichen Weigerung beharrt, eignet sich ein neutrales Gebiet entschieden besser. Ich werde von meinem Fenster aus nach ihm ausschauen, und wenn sein Gig ihn am Quai landet, soll er mir nicht wieder entgehen!«

Nach dem »Grünen Cormoran« zurückgekehrt, nahm ich hinter einer von Wasser überrieselten Fensterscheibe Platz, deren Beschlag an der Innenseite ich abgewischt hatte, und kümmerte mich nicht weiter um den Sturmwind, der sich im Schornstein fing und die Asche aus dem Kamine trieb.

Hier wartete ich . . . nervös, ungeduldig, an meiner Trense nagend und in immer zunehmender Erregung.

So verflossen zwei Stunden, und wie das bei der Unbeständigkeit der Winde an den Kerguelen vorkommt: das Wetter beruhigte sich eher, als ich mich fassen lernte.

Gegen elf überwogen schon die hohen Wolken aus dem Osten und der Sturm schlief jenseits der Berge langsam ein.

Ich öffnete das Fenster.

In diesem Augenblicke wurde ein Boot der »Halbrane« zum Niederlassen zurecht gemacht. Ein Matrose stieg hinein und ergriff allein zwei Riemen, während ein Mann sich im Hintertheil niedersetzte, ohne die Ruderpinne anzufassen. Zwischen dem Schooner und dem Quai lag nur eine Strecke von fünfzig Toisen. Das Gig legte an, der Mann sprang ans Land.

Es war der Kapitän Len Guy.

Binnen wenigen Secunden hatte ich die Schwelle des Gasthauses überschritten und stand sehr bald vor dem Kapitän, der eine Begegnung mit mir, so wenig ihm daran gelegen schien, doch nicht zu vereiteln wußte.

»Herr Kapitän . . .« begann ich trocknen und kalten Tones, so kalten, wie die Luft, seit der Wind nach Osten umgesprungen war.

Der Kapitän Len Guy sah mich fest an, ich wurde aber betroffen durch den traurigen Ausdruck seiner nachtschwarzen Augen. Dann fragte er mit tiefer, nur flüsternder Stimme:

»Sie sind ein Fremder?«

»Auf den Kerguelen . . . ja,« gab ich zur Antwort.

»Von englischer Nationalität? . . .«

»Nein . . . von amerikanischer.«

Er begrüßte mich mit leichter Verbeugung und ich that desgleichen.

»Herr Kapitän,« fuhr ich dann fort, »ich habe Ursache zu glauben, daß der Meister Atkins vom ›Grünen Cormoran‹ Ihnen einen mich betreffenden Vorschlag unterbreitet hat. Dieser Vorschlag oder dieses Gesuch verdiente, meiner Meinung nach, wohl eine günstige Aufnahme bei einem . . .«

»Der Vorschlag, auf meiner Goëlette mitzureisen? . . .« unterbrach mich Kapitän Len Guy.

»Ganz richtig.«

»Ich bedauere, mein Herr, diesem Wunsche nicht entsprechen zu können . . .«

»Würden Sie mir auch mittheilen, warum?«

»Weil ich nie gewöhnt war, Passagiere an Bord zu haben – das der erste Grund.«

»Und der zweite, Herr Kapitän?«

»Weil die Reiseroute der ›Halbrane‹ nie im voraus bestimmt wird. Sie segelt nach dem einen Hafen oder geht nach einem andern, wie ich das eben für vortheilhafter erachte. Lassen Sie sich gesagt sein, mein Herr, daß ich nicht im Dienste eines Rheders stehe. Die Goëlette ist zum größten Theil mein persönliches Eigenthum und ich habe für ihre Fahrten von niemand Segelordre zu empfangen.«

»So hängt es also ausschließlich nur von Ihnen ab, mir die Mitfahrt zu gestatten.«

»Gewiß; doch ich kann Ihnen zu meinem größten Bedauern nur eine abschlägige Antwort geben.«

»Vielleicht ändern Sie Ihre Anschauung, Herr Kapitän, wenn ich Ihnen sage, daß es mir ganz gleichgiltig ist, wohin Ihre Goëlette geht. Es ist doch wohl anzunehmen, daß sie überhaupt irgendwohin segelt . . .«

»Irgendwohin . . . ja freilich!«

Da schien es mir, als ob der Kapitän einen langen Blick nach dem südlichen Horizont hinaussendete.

»Nun, Herr Kapitän,« nahm ich wieder das Wort, »hier- oder dorthin zu gehen, gilt mir fast ganz gleich. Mich verlangt vor allem nur, von den Kerguelen mit der ersten, sich darbietenden Gelegenheit wegzukommen.«

Der Kapitän Len Guy erwiderte nichts, sondern blieb im Nachdenken versunken, ohne daß er sich jedoch von mir wegstehlen zu wollen schien.

»Sie erweisen mir wohl wenigstens die Ehre, mich anzuhören, Herr Kapitän?« fragte ich in ziemlich lebhaftem Tone.

»Warum sollte ich das nicht, mein Herr!«

»Nun, wenn ich mich nicht verhörte und die Reiseroute Ihrer Goëlette keine Veränderung erlitten hat, so hatten Sie die Absicht, von Christmas-Harbour nach Tristan d'Acunha zu segeln.«

»Vielleicht nach Tristan d'Acunha . . . vielleicht nach dem Cap . . . oder nach den Falklandsinseln . . . vielleicht noch anderswohin . . .«

»Schön, Kapitän Guy, eben ›anderswohin‹ wollt' ich gelangen!« antwortete ich ironisch, mußte mich aber anstrengen, meine Erregung zurückzudämmen.

Da trat eine seltsame Aenderung in der Haltung des Kapitän Len Guy ein. Seine Stimme wurde härter. In kurzen, nicht mißzuverstehenden Worten sagte er mir, daß jedes weitere Drängen unnütz sei, daß unsere Verhandlung schon zu lange gedauert und er Eile habe, da ihn Geschäfte nach dem Hafencontor riefen, kurz, daß wir, und in hinreichender Weise, uns alles gesagt hätten, was wir einander zu sagen haben könnten.

Ich hatte den Arm ausgestreckt, um ihn zurückzuhalten – ihn zu packen, wäre das richtige Wort – und das schon zu Anfang nicht gut verlaufende Gespräch drohte dann ein noch schlimmeres Ende zu nehmen, als der sonderbare Mann sich noch einmal zu mir umdrehte und in weit milderem Tone sagte:

»Glauben Sie mir, mein Herr, daß es mir sehr unangenehm ist, Ihrem Wunsche nicht entsprechen zu können und gegen einen Amerikaner so wenig Gefälligkeit zeigen zu müssen. Ich kann mein Verhalten aber nicht ändern. Während der Fahrt der ›Halbrane‹ könnte sich der oder jener unvorhergesehene Zwischenfall ereignen, bei dem die Anwesenheit eines Passagiers – und auch eines so fügsamen wie Sie – störend wirken würde. Ich liefe damit Gefahr, nicht alle versprechenden Umstände, auf die ich immer ein Auge habe, ausnützen zu können.«

»Ich habe es schon ausgesprochen und wiederhole Ihnen hiermit, Herr Kapitän, daß es mir, wenn ich auch nach Connecticut in Amerika zurückzukehren beabsichtige, doch ganz gleichgiltig ist, ob das in drei oder in sechs Monaten, auf dem einen oder einem andern Wege geschieht, selbst wenn Ihre Goëlette bis in die Antarktischen Meere vordränge . . .«

»In die Antarktischen Meere!« rief der Kapitän mit fast fragender Stimme und sein Blick schien mir ins Herz zu dringen, als ob er Spitzen hätte.

»Warum erwähnen Sie die Antarktischen Meere?« begann er wieder, meine Hand ergreifend.«

»O, ganz so, wie ich von den nördlichen Meeren, vom Nord- oder Südpole hätte reden können . . .«

Der Kapitän Len Guy antwortete nicht. Ich glaubte in seinen Augen eine Thräne schimmern zu sehen. Dann sagte er, einen andern Gedankengang aufnehmend, als wollte er sich einer schmerzlichen Erinnerung entreißen:

»Ja, dieser Südpol, wer sollte sich dahin wagen . . .«

»Ihn zu erreichen, ist freilich schwierig und wäre von keinem Nutzen,« erklärte ich. »Zuweilen tauchen ja abenteuerlustige Charaktere auf, die sich in ein solches Unternehmen stürzen wollen . . .«

»Ja . . . abenteuerlustige! . . .« murmelte der Kapitän Len Guy.

»Doch, halt,« fuhr ich fort, »die Vereinigten Staaten machen eben noch einen solchen Versuch und zwar mit dem Geschwader Charles Wilkes', dem ›Vancouver‹, dem ›Peacock‹, der ›Purpoise‹, dem ›Flying-Fish‹ und mehreren Begleitschiffen.«

»Die Vereinigten Staaten, Herr Jeorling? . . . Sie behaupten, daß von der Bundesregierung eine Expedition nach den Antarktischen Meeren gesendet sei?«

»Das ist Thatsache, und im vergangenen Jahre hörte ich, daß diese Expedition schon ausgelaufen sei. Jetzt ist seitdem ein Jahr verstrichen und es ist leicht möglich, daß der wagemuthige Wilkes schon weiter als andere Entdeckungsreisende vor ihm vorgedrungen wäre.«

Der Kapitän Len Guy war völlig stumm geworden und unterbrach sein unerklärliches Stillschweigen nur, um zu sagen:

»Sollte es Wilkes thatsächlich gelungen sein, den Polarkreis zu überschreiten und das Packeis zu durchbrechen, so wird er doch nicht höher hinaufdringen können . . .«

»Als seine Vorgänger Bellingshausen, Forster, Kendall, Biscoe, Morrell, Kemps, Beleny . . .« fiel ich ein.

»Und als . . .« setzte der Kapitän Len Guy hinzu.

»Von wem wollen Sie noch sprechen?«

»Sie sind aus Connecticut gebürtig, mein Herr?« fragte er plötzlich.

»Aus Connecticut.«

»Und dort woher? . . .«

»Aus Providence.«

»Kennen Sie die Insel Nantucket?«

»Gewiß, von mehreren Besuchen derselben her.«

»Dann wissen Sie, glaub' ich, auch,« sagte der Kapitän Len Guy, mir scharf ins Auge sehend, »daß Ihr Romandichter Edgar Poë seinen Helden Arthur Gordon Pym von dort herstammen läßt.«

»Richtig,« antwortete ich, »dessen erinnere ich mich, der Anfang dieses Romans spielt auf der Insel Nantucket.«

»Sie sagen, dieses Romans? . . . Bedienten Sie sich wirklich des Wortes ›Romans‹?«

»Ohne Zweifel, Herr Kapitän!«

»Ja, ja . . . Sie reden eben wie alle Welt. Doch entschuldigen Sie, mein Herr, ich kann nicht länger verweilen . . . Ich bedauere . . . aufrichtig . . . Glauben Sie, wenn es mir möglich gewesen wäre . . . doch glauben Sie nicht, daß eine weitere Erwägung meine Entscheidung über Ihren Vorschlag zu ändern vermöchte. Uebrigens werden Sie nur wenige Tage zu warten brauchen. Jetzt beginnt hier die Saison, wo Handelsschiffe und Walfänger in Christmas-Harbour erscheinen, und Sie haben dann die Wahl, sich auf dem einen oder dem andern einzuschiffen, gleichzeitig mit der Gewißheit, dahin befördert zu werden, wohin Sie es wünschen. Ich bedauere lebhaft . . . und empfehle mich Ihnen!«

Mit diesen Worten zog sich der Kapitän Len Guy zurück und das Gespräch endete also ganz anders als ich gefürchtet hatte – in ziemlich höflicher, wenn auch förmlicher Weise.

Da es zu nichts dient, sich gegen das Unmögliche aufzulehnen, gab ich die Hoffnung, mit der »Halbrane« zu fahren, auf, bewahrte aber meinen Groll gegen deren so wenig zuvorkommenden Kapitän. Ich will nur ehrlich zugestehen, daß meine Neugierde erwacht war. Ich witterte ein Geheimniß im Grunde dieser Seemannsseele und wäre gar zu gern dahintergekommen. Die unerwartete Wendung bei unserm Gespräch, die so plötzliche Erwähnung des Namens Arthur Pym, die Fragen über die Insel Nantucket, die Wirkung meiner Mittheilung, daß zur Zeit unter der Führung Wilkes' eine Forschungsreise nach dem südlichen Eismeere im Gange sei, seine Versicherung, daß kein amerikanischer Seemann weiter vordringen werde, als . . . Ja, von wem wollte der Kapitän Len Guy denn sprechen? . . . Alles das war doch geeignet, in mir ganz seltsame Gedanken zu erwecken.

Am nämlichen Tage erkundigte sich Meister Atkins noch, ob sich der Kapitän Len Guy etwas weniger abweisend gezeigt und mir vielleicht schon zugestanden habe, eine Cabine der Goëlette einzunehmen. Ich mußte dem Gastwirth erklären, daß ich mit meinen Verhandlungen nicht glücklicher als er gewesen sei, was ihn ziemlich stark überraschte. Er begriff die Halsstarrigkeit und Weigerung des Kapitäns nicht . . . wollte ihn gar nicht wiedererkennen. Woher mochte diese Veränderung kommen? Noch mehr persönlich berührte es ihn, daß der »Grüne Cormoran«, ganz entgegen der sonstigen Gepflogenheit während des Aufenthalts der »Halbrane«, weder von der Besatzung, noch von den Officieren besucht wurde. Es schien, als gehorchte die Mannschaft einem ausdrücklichen Befehle. Nur zwei- oder dreimal erschien der Hochbootsmann im Gastzimmer des Wirthshauses – das war alles. Meister Atkins fühlte sich darum natürlich höchst enttäuscht.

Was Hurliguerly betraf, erkannte ich, daß er nach seinen ersten, etwas voreiligen Versprechungen weitere unnütze Beziehungen zu mir nicht mehr zu unterhalten suchte. Ob er seinen Vorgesetzten zu meinen Gunsten zu beeinflussen gesucht hatte, konnte ich freilich nicht sagen.

Im Laufe der drei folgenden Tage, am 10., 11. und 12. August, wurde an Bord der Goëlette an deren Verproviantierung und einigen Ausbesserungen gearbeitet. Man sah die Mannschaft auf dem Decke hin und her gehen, die Matrosen die Masten erklettern, das laufende Gut untersuchen, die Strickleitern und Stagtaue nachspannen, die während der letzten Fahrt etwas erschlafft waren, ferner die obere Wand und die Schanzkleidung, die vom Anprall der Wogen entfärbt waren, neu anstreichen, sah sie frische Segel an den Raaen befestigen oder alte soweit ausbessern, daß sie bei gutem Wetter noch benutzt werden konnten, und da und dort die Nähte am Rumpf und am Verdeck mit kräftigen Hammerschlägen frisch kalfatern.

Diese Arbeiten gingen in großer Ordnung vor sich, ohne das Schreien, Rufen und Streiten, das man bei Matrosen, die still vor Anker liegen, gewöhnlich beobachtet. Die »Halbrane« mußte ebenso gut befehligt, wie ihre Mannschaft discipliniert und schweigsam sein. Nur der Hochbootsmann mochte sich von seinen Kameraden unterscheiden, denn mir schien es, als ob er stets zu lachen, zu scherzen und zu schwatzen bereit wäre – wenn er nicht etwa nur auf dem Lande seiner Zunge so freien Lauf ließ.

Schließlich verlautete, daß die Abfahrt der Goëlette auf den 15. August festgesetzt sei, und am Abend vorher hatte ich noch keine Ursache zu glauben, daß der Kapitän Len Guy von seiner so bestimmten Absage zurückgetreten wäre.

Ich dachte auch kaum noch an die Sache und hatte mich in das Unvermeidliche gefügt, ebenso wie mir jede Lust, mich zu beklagen, vergangen war. Wenn wir, der Kapitän Len Guy und ich, uns auf dem Quai begegneten, sah es aus, als hätten wir uns nie gekannt und fast noch niemals gesehen. Er ging an der einen Seite, ich an der andern vorüber. Ich muß jedoch einfügen, daß mir seine Haltung ein- oder zweimal etwas zögernd erschien, so als wollte er mich anreden, als würde er durch eine geheime Macht dazu getrieben. Gethan hat er es nicht und ich war nicht der Mann dazu, eine neue Auseinandersetzung an den Haaren herbeizuziehen. Ueberdies – ich erfuhr das am nämlichen Tage – hatte sich Fenimore Atkins, gegen mein bestimmtes Verbot, noch einmal, und wiederum erfolglos, in meiner Angelegenheit an den Kapitän Len Guy gewendet. Nein, diese Sache war »abgethan«, wie man zu sagen pflegt, wenn das auch mit der Ansicht des Hochbootsmanns nicht übereinstimmte.

Vom Wirth des »Grünen Cormoran« darum befragt, bestritt Hurliguerly, daß die Partie gänzlich verloren sei.

»Möglicherweise,« wiederholte er, »hat der Kapitän sein letztes Wort doch noch nicht gesprochen!«

Auf die Redereien dieses Schwätzers zu vertrauen, wäre indeß dasselbe gewesen, wie die Einfügung eines falschen Gliedes in eine Gleichung, und ich versichere hier, daß mich die bevorstehende Abfahrt des Schooners bereits ganz kalt ließ. Ich dachte nur noch daran, das Erscheinen eines andern Schiffes vor den Kerguelen abzuwarten.

»Noch eine oder höchstens zwei Wochen,« versicherte mir der Gastwirth, »und Sie werden glücklicher sein, Herr Jeorling, als bei dem Kapitän Len Guy. Gewiß findet sich mehr als einer, der mit Vergnügen bereit . . .«

»Das glaub' ich, Atkins, vergessen Sie aber nicht, daß die meisten zum Fang an den Kerguelen bestimmten Schiffe hier fünf bis sechs Monate liegen bleiben, und so lange darf ich mit der Abreise nicht warten.«

»Die meisten, doch nicht alle, Herr Jeorling, nicht alle Schiffe! Manche berühren Christmas-Harbour nur ganz flüchtig. Es wird sich schon eine gute Gelegenheit bieten und Sie nicht bereuen lassen, auf der ›Halbrane‹ keine Aufnahme gefunden zu haben.«

Ich weiß nun nicht, ob ich etwas zu bereuen gehabt hätte oder nicht; gewiß ist aber, daß es in den Sternen geschrieben stand, daß ich die Kerguelen als Fahrgast der Goëlette verlassen und daß sie mich den außerordentlichsten Abenteuern, die die Seeannalen bis dahin zu verzeichnen hatten, entgegenführen sollte.

Gegen halb acht Uhr am Abend des 14. August, als die Nacht die Insel schon einhüllte, schlenderte ich nach dem Essen auf dem Quai im Norden der Bucht umher. Das Wetter war trocken, der Himmel mit Sternen besäet, die Luft lebhaft bewegt und es herrschte eine fast schneidende Kälte. Unter diesen Umständen konnte dieser Spaziergang nicht weit ausgedehnt werden.

Eine halbe Stunde später machte ich mich deshalb schon wieder nach dem »Grünen Cormoran« auf den Weg – da kreuzte meine Schritte eine Männergestalt, zauderte erst ein wenig, kehrte dann um und blieb vor mir stehen.

Es war zu dunkel, als daß ich die Persönlichkeit gleich hätte erkennen können. Nach der so charakteristisch flüsternden Stimme zu urtheilen, konnte ich mich kaum täuschen, daß ich den Kapitän Len Guy vor mir hatte.

»Herr Jeorling,« begann er, »morgen soll die Goëlette wieder unter Segel gehen . . . morgen früh . . . mit Eintritt der Ebbe . . .«

»Wozu nützt es, mir das mitzutheilen, da Sie sich ja doch weigern . . .«

»Ich habe mir die Sache überlegt, und wenn Sie nicht andern Sinnes geworden sind, so stellen Sie sich morgen früh um sieben an Bord ein.«

»Wahrlich, Herr Kapitän, ich glaubte kaum, daß Sie auf diese Angelegenheit noch einmal zurückkommen würden.«

»Wie gesagt, ich habe mir's noch einmal überlegt und kann auch hinzufügen, daß die ›Halbrane‹ geraden Wegs nach Tristan d'Acunha gehen wird, was ja, wie ich annehme, Ihren Wünschen entspricht.«

»Vollkommen, Herr Kapitän. Morgen früh um sieben werd' ich an Bord sein . . .«

»Wo Ihre Cabine bereit steht.«

»Was nun den Fahrpreis angeht . . .« sagte ich.

»O, das ordnen wir später,« antwortete der Kapitän Len Guy, »und jedenfalls zu Ihrer Zufriedenheit. Auf morgen also . . .«

»Auf Wiedersehen morgen!«

Ich hatte dem sonderbaren Mann die Hand entgegengestreckt, um unser Abkommen zu bekräftigen. Jedenfalls bemerkte er das der Dunkelheit wegen nicht, denn er that nicht dasselbe, sondern entfernte sich raschen Schrittes nach seinem Boote zu, das ihn mit wenigen Ruderschlägen nach dem Schooner zurückbrachte.

Ich war höchst erstaunt, und in nicht geringerem Grade auch Meister Atkins, als er nach meiner Rückkehr in den »Grünen Cormoran« von dem Vorgefallenen hörte.

»Da haben wir's!« rief er. »Der alte Fuchs, der Hurliguerly, hat doch Recht gehabt! . . . Das ändert natürlich nichts an der Thatsache, daß sein Teufel von Kapitän launenhaft wie ein schlecht erzogenes Mädchen ist. Wenn er seine Anschauung nur nicht im letzten Augenblicke noch einmal wechselt!«

Das war ja gar nicht annehmbar und bei weiterer Ueberlegung sagte ich mir, daß seine Handlungsweise weder von Phantasie noch von Laune dictiert sei. Zog der Kapitän Len Guy seine Weigerung zurück, so leitete ihn sicher ein gewisses Interesse zu dem Wunsche, mich als Passagier zu haben. Meiner Ansicht nach rührte dieser Sinneswechsel – ich wußte das, wie durch eine Art Offenbarung – von den Aeußerungen her, die ich über Connecticut und die Insel Nantucket hatte fallen lassen. Inwiefern das für ihn Interesse haben konnte, das mir zu erklären, überließ ich ruhig der Zukunft.

Meine Vorbereitungen waren bald beendigt. Ich gehöre übrigens zu den praktischen Reisenden, die sich nicht mit Gepäckstücken überlasten, und würde eine Reise um die Erde mit einer Geldkatze an der Seite und einem Kofferchen in der Hand unternehmen. Meine hauptsächlichsten Effecten bestanden in den Pelzsachen, deren man bei Seefahrten durch die hohen Breiten nicht entrathen kann. Schon wenn man den südlichen Theil des Atlantischen Oceans bereist, sind derartige Vorsichtsmaßregeln ein Gebot einfacher Klugheit.

Am andern Morgen, dem 15., verabschiedete ich mich schon vor Tagesanbruch von dem wackern, würdigen Atkins. Ich hatte die Aufmerksamkeit und das Zuvorkommen meines Landsmannes nur zu loben, der sich nach den Desolationsinseln verbannt hatte, wo er mit den Seinigen im ganzen glücklich und zufrieden lebte. Der dienstfertige Gastwirth schien sich durch den Dank, den ich ihm aussprach, sehr geschmeichelt zu fühlen. In Vertretung meiner Interessen hatte er es nun eilig, mich an Bord zu wissen, da er noch immer fürchtete – so drückte er sich aus – daß der Kapitän seit gestern »seine Halsen gewechselt haben könne«. Er wiederholte mir das eindringlich und gestand zu, daß er in der Nacht mehrmals ans Fenster getreten sei, um sich zu überzeugen, daß die »Halbrane« noch inmitten des Hafenbeckens vor Anker liege. Von dieser Unruhe – die ich keineswegs theilte – wurde er nicht eher befreit, als bis das Morgenroth am Himmel glühte.

Meister Atkins wollte mich an Bord begleiten, um dem Kapitän Len Guy und dem Hochbootsmann ein Lebewohl zu sagen. Am Quai wartete ein Boot, das uns beide nach der Falltreppe der Goëlette beförderte, die sich bei der Ebbeströmung schon gedreht hatte.

Der erste, dem ich auf dem Verdeck begegnete, war Hurliguerly. Er warf mir einen triumphierenden Blick zu, der mir deutlich sagte:

»Na, da sehen Sie's ja! Unser Kapitän, der erst so große Schwierigkeiten machte, hat Sie schließlich doch aufgenommen. Wem anders verdanken Sie das, als der braven Theerjacke von Hochbootsmann, der Ihnen bestens gedient und seinen Einfluß nicht überschätzt hatte!«

Ob es sich so verhielt? . . . Ich hatte alle Ursache, das nicht ohne starke Reserve anzunehmen. Doch gleichviel; die »Halbrane« sollte jetzt die Anker lichten und ich befand mich glücklich an Bord.

Der Kapitän Len Guy erschien fast sofort auf dem Deck. Ich dachte gar nicht daran, mich zu verwundern, daß er meine Anwesenheit kaum zu bemerken schien.

Die Arbeiten zur Abfahrt hatten begonnen, die Segel waren aus ihren Hüllen genommen und Drissen und Schoten zurecht gebracht. Auf dem Vordertheil überwachte der Lieutenant das Drehen des Gangspills, und der Anker mußte bald aus dem Wasser auftauchen.

Da trat Meister Atkins an den Kapitän Len Guy heran und sagte mit verbindlicher Stimme:

»Auf Wiedersehen im nächsten Jahre!«

»Wenn es Gott gefällt, Herr Atkins!«

Damit drückten sich beide die Hände. Dann faßte auch der Hochbootsmann noch kräftig die des Gastwirths vom »Grünen Cormoran«, den das Boot nach dem Quai zurückbeförderte.

Um acht Uhr, als der Ebbestrom am mächtigsten war, hißte die »Halbrane« ihre untern Segel, nahm die Halsen an Backbord, manövrierte so, um aus dem Becken von Christmas-Harbour bei einer leichten Nordbrise herauszukommen, und wendete sich, auf freiem Wasser angelangt, nach Nordwesten.

Mit den letzten Stunden des Nachmittags verschwanden die weißen Gipfel des Table-Mount und Havergal, zwei Bergspitzen, die sich, die eine auf zwei-, die andere auf dreitausend Fuß über die Meeresfläche erheben.

 


 << zurück weiter >>