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Piepmatz, der Gassenjunge

Ein Spatzenmärchen

Der unnützeste Schlingel in der ganzen Gasse war zweifellos Plusters Jüngster. Er hatte die zerschundensten Knie und die zerlöchertsten Hosen, kein Dach war ihm zu hoch und keine Wand zu steil. Mochte die Köchin die Speisekammer noch so fest verschließen, Piepmatz Pluster entdeckte immer noch einen Durchschlupf – er war ebenso frech als gefräßig.

Das fanden all die andern Familien, die in der Gasse hausten. Frau Spatz, Frau Piep, Frau Sperling und Frau Vogelbein steckten beim Kaffeekränzchen die Köpfe zusammen, piepten und kreischten durcheinander, daß man so etwas dulden müsse, daß man seine wohlerzogenen Kinder mit diesem Lümmel zusammen in dieselbe Schule schicken mußte!

Und im Wirtshaus »Zum Rinnstein« lärmten und räsonierten die Männer beim Abendschoppen über den gleichen Gegenstand.

Piepmatz Pluster war der Schrecken der Gasse.

Frau Pluster vergötterte ihren Jungen in blinder Mutterliebe, was Piepmatz auch verbrach, die Mutter hatte immer eine Entschuldigung für ihr Nesthäkchen. Vater Pluster kümmerte sich nicht viel um seine Erziehung, der war den ganzen Tag unterwegs. Er war ein leidenschaftlicher Jäger und lieferte seiner lieben Frau manch fetten Fliegenbraten in die Küche.

Als Piepmatz zum erstenmal seine schwarzen, unverschämten Äuglein aufschlug, war Frau Pluster vor Freude ganz aus dem Häuschen. »Du sollst sehen, Alter, aus dem Jungen wird etwas Besonderes«, prophezeite sie in eitlem Mutterglück. »Keins von den anderen Kindern sieht so manierlich aus, sieh nur, wie er schon den Schnabel wetzt, wie er die Federn sträubt – ein Prachtbengel!«

Vater war nicht der Mann vieler Worte. Er hatte nur ein beifälliges »Piep« zur Antwort, plusterte aber doch in geheimem Stolz seine Federn auf und flatterte in der Gasse umher, die Freudenbotschaft Gevattern und Nachbarn zu melden.

Gleich bei der Taufe zeigte Piepmatz, daß er kein gewöhnliches Spatzenbaby war, daß in ihm etwas Besonderes steckte.

Seine Brüder und Schwestern, die kurz vor ihm aus dem Ei gekrochen, lagen stumm und dumm in der Wiege, lutschten fromm am Flügel und ließen sich geduldig von der Taufgesellschaft bewundern. Aber als die alten Muhmen und Basen mit den vornehmen grauen und braunen Federhüten nun auch um Piepmatz herumschwänzelten und »nein, ist er süß – wie zart und mollig – der ganze Papa, aber die Augen hat er von der Mutter« – durcheinanderkreischten, da piepte das Taufkind wie am Spieß, das keiner sein eigenes Wort verstehen konnte.

Und als Großvater Kurzschwanz, der alte würdige Herr im grauen Frack und schwarzem Sammetkäppchen sich niederbeugte, um sein jüngstes Enkelchen zu küssen, pickte der Gelbschnabel ihm wütend ins Gesicht.

»Wenn das nur ein gutes Ende mit dem Jungen nimmt«, kopfnickte der alte Herr, seinen zerzausten Bart wieder glattstreichend. Und all die Freunde und Verwandten, die es sich bei Plusters hatten wohl sein lassen, zwitscherten, als sie auf der Treppe waren, durcheinander: »Das nimmt kein gutes Ende – piep – paßt auf, der Junge kommt nochmal an den Galgen!«

Ja – ein Galgenstrick war und blieb der kleine Piepmatz.

Als er kaum flügge war, zankte und biß er sich mit den Geschwistern, daß die Federn nur so flogen, von morgens bis abends schallte das Geschrei aus Plusters Kinderstube. Mutter war eine sehr nervöse Dame, sie lag auf dem Strohsofa und hielt sich die Ohren zu. War Vater zu Hause, schlug er wohl ab und zu mal aufgebracht mit den Flügeln, aber meistens flog er auf Mückenanstand oder hatte beim Gericht zu tun. Fast mit allen Nachbarn hatte er Prozesse, er war ebenso unverträglich wie sein Sohn Piepmatz. Der ruhte nicht eher, als bis er seine sämtlichen Geschwister aus dem väterlichen Nest fortgebissen hatte. Nun war er die Aufpasser endlich los!

Unternehmungslustig hüpfte er im leeren Nest umher, Mutter war auf den Markt geflogen – den Kehrichthaufen drunten im Hof–und Vater hatte seinen wöchentlichen Skatabend. Piepmatz hielt die Zeit für seine erste Heldentat gekommen.

Drunten, gerade an der Dachrinne, an der Plusters wohnten, lag ein merkwürdig leuchtendes Etwas. Piepmatz äugte mit seinen scharfen, runden Äuglein neugierig auf das seltsame Ding. Sein Wissensdurst trieb ihn näher hinzu, noch etwas ungeschickt und täppisch flatterte er zu dem Straßenpflaster hinab. Ein zierliches, kleines Hölzchen war's, an der einen Seite feuerrot, an der andern gelb. Der dicke Gastwirt, der in der Tür seines Lokals so breitspurig seine Pfeife rauchte, hatte es soeben fortgeworfen.

Piepmatz mußte die Sache eingehender untersuchen. Fürwitzig näherte sich sein Schnäbelchen der schönen, roten Seite des Hölzchens – »piep – piep –« au, tat das weh – Piepmatz hatte sich gehörig den Schnabel verbrannt. Aber der Gassenjunge gab sich noch nicht zufrieden. Er mußte doch sehen, ob das mit der gelben Seite des Hölzchens die gleiche Bewandtnis habe. Ängstlich begann er daran zu picken – sonderbar, die gelbe Seite war kalt. Piepmatz hatte in seinem jungen Leben noch nichts von Streichhölzern gehört, so beschloß er, seine merkwürdige Entdeckung zur weiteren Forschung mit in die Wohnung zu nehmen. Behutsam faßte er das leise schwelende Hölzchen beim ungefährlichen Ende und flog damit ins Nest zurück. Hier verbarg er seinen Fund sorgsam unter Strohhalmen, Wolle und Papierschnitzeln.

Ein seltsam knisterndes Geräusch machte sich bald bemerkbar. Piepmatz drehte das Köpfchen mit dem braunen Haarschopf nach allen Seiten.

Ei – die gute Stube des Nestes stand in gelbrotem Feuerschein, lustig züngelten kleine Flämmchen daraus empor. Piepmatz hüpfte vor Freude von einem Bein auf das andere.

»Die Sonne ist in unser Nest gesprungen – die Sonne ist in unser Nest gesprungen«, jubelte er, denn die Sonne war das einzige Feuer, das der kleine Wicht kannte. Mit jauchzendem »Piep« flog er auf das Dach gegenüber, wo die wilde Sperlingsjugend sich haschte und balgte. Würden die Jungen aber neidisch sein!

»Dreikäsehoch, das ist nicht die Sonne,« belehrte ihn ein langaufgeschossener Sperlingsjunge ziemlich von oben herab – »das ist Feuerwerk, neulich hat mich mein Vater in ein Gartenlokal mitgenommen, wo die Menschen Bier trinken und schreien, da war's geradeso, nur noch viel schöner – piep.«

Piepmatz ärgerte sich, daß der große Spatzenjunge etwas noch Schöneres gesehen hatte. Aber die übrigen Sperlingsbuben und Mädels rissen vor Staunen Augen und Schnabel auf, sie alle bewunderten Plusters so schön beleuchtetes Nest. Da flogen jetzt sprühende Funken auf. Die sprangen weiter auf das Dach, fraßen sich durch die Balken hindurch und schlugen bald als lodernde Flammen aus den Bodenfenstern. Und die klugen Menschen, die in dem Hause wohnten, ahnten nichts von dem Unheil, das der wenige Wochen alte Piepmatz angerichtet. Nur das Spatzenvolk ringsum auf den Dächern wurde aufmerksam, das lärmte, piepste und kreischte durcheinander.

»Feuer – Feuer – zu Hilfe – zu Hilfe –« verstand denn keiner von all den Menschen, die da drunten in der Gasse friedlich den Feierabend vor den Türen genossen, der Spatzen Warnung?

Nur ein kleines Mädchen, das abseits von den andern, allein auf der Steintreppe hockte und in den Abendhimmel starrte, sah plötzlich die roten Rauchwolken. Mit lautem Schrei rief sie die andern.

Ein wilder Tumult brach in dem sonst so stillen Gäßchen los. Man rannte, stürzte, johlte, jammerte und wehklagte. Und dazwischen kam mit ohrenzerreißendem Gebimmel eine Feuerwehr nach der andern angejagt. Die ältesten Spatzen konnten sich eines solchen Aufruhrs nicht besinnen. Mit langen Schläuchen gingen sie Piepmatz' Sonne zu Leibe – schschschschsch – im großen Bogen schoß der Wasserstrahl über das Dach und die Nebendächer. »Piep – piep« – empört flog die durchnäßte Spatzengesellschaft auf.

Drunten in der Gasse standen die Menschen jammernd vor ihrem verkohlten Häuslein, und droben in der blauen Luft suchten Vater und Mutter Pluster mit jämmerlichem Gepiepse ihr trauliches Nest. Piepmatz aber, der Unglücksjunge, zwitscherte vergnügt in den lauen Abend hinein. Mit dem heutigen Tage war er die Berühmtheit der Gasse geworden.

So begann Piepmatz seine Laufbahn als Gassenjunge.

Als Piepmatz die weichen Windelhöschen ausgezogen, und stolz als richtiger Hosenmatz herumstolzierte, konnte sich kein Sperling mehr seiner unverschämten Streiche erwehren. Es gab nichts in der Gasse, wovor der durchtriebene Schlingel Respekt hatte.

Den hageren alten Damen, die sich jeden Freitag bei seiner Mutter einfanden, um Weihnachtsstrümpfe für arme Spatzenkinder zu stricken, verwirrte er heimlich das Wollknäuel, in ihre Kaffeetassen schüttete er Kalk von der Hauswand und zerriß ihnen die feinen Federhalskrausen.

Selbst auf die Kegelbahn wagte er sich, wo Vater in Hemdsärmeln mit den angesehensten Familienvätern die kleinen Murmeln schob, die man den Kindern drunten in der Gasse nach und nach fortstibitzt hatte. Hier war er jedem im Wege, brachte die Kugeln aus der Bahn, daß kein Sperling mehr »alle Neune« schob, vertauschte die schwarzgrauen Leibröcke, so daß keiner mehr den seinigen herausfand, und nippte frech an fremden Bierseideln. Zu einer Tür jagte man ihn hinaus, und zur andern steckte er im nächsten Augenblick sein verschmitztes Gassenjungengesicht wieder hinein.

»Dem Jungen fehlt Beschäftigung, wir wollen ihn in einen Kindergarten schicken oder ihm eine Gouvernante nehmen«, meinte der Vater eines Tages.

Mutter wischte sich die Augen mit den Flügeln, wie hart war doch der Vater zu ihrem lieben kleinen Piepmatz. Aus dem Neste gab sie ihn nicht – nein – allenfalls konnte man es ja mit einer Gouvernante versuchen.

So stand in der nächsten »Sperlingsrundschau« fett gedruckt, daß Plusters, Dachziegel Nummer Fünf, zum Ersten ein Kinderfräulein suchten.

Es meldeten sich nicht viele auf diese Annonce, Piepmatz war in der ganzen Gegend berüchtigt, kein Sperlingsfräulein mochte mit dem unbändigen Bengel etwas zu tun haben. Aber schließlich entschloß sich doch ein höchst energisches älteres Frauenzimmer, etwas fett und kurzatmig zwar, ihr Heil bei Piepmatz zu versuchen.

Als Fräulein Vogelinsky – so hieß Piepmatz' neue Gouvernante – am ersten Morgen Toilette machte, suchte sie vergebens ihren falschen, braunen Zopf. Prosit Mahlzeit – der bammelte lustig oben am Blitzableiter – so bekundete der Teufelsjunge seine Ehrfurcht vor dem neuen Fräulein. Fräulein Vogelinsky sollte auch sonst wenig Glück mit ihrem Zögling haben.

Anstatt fein sittsam beim Spazierengehen neben ihr herzufliegen, kniff der Junge jedesmal aus, und das fette, kurzatmige Fräulein mußte hinter ihm herprusten. Piepmatz ärgerte Fräulein Vogelinsky so sehr, daß sie die Gelbsucht kriegte, aus Gesundheitsrücksichten gab sie ihre Stellung auf.

Nun war guter Rat teuer.

In keiner Spatzenspielschule wollte man Piepmatz aufnehmen, aus Furcht, daß er die braven Sperlingskinder verdürbe.

Vater machte kurzen Prozeß. Ohne auf das wehmütige Piepen seiner lieben Frau zu hören, brachte er den Jungen in die Bürgerschule, trotzdem er eigentlich noch nicht das schulpflichtige Alter erreicht hatte.

Für den armen Schulmeister Pieperich, der mit seinem braunen Schniepelrock, grauem Vorhemdchen und gesträubtem Haarschopf gar streng auf dem Katheder herumhüpfte, begann jetzt eine böse Zeit. Keiner von allen Schülern machte ihm solche Pein wie der kleine Piepmatz.

Die Klasse, in der sonst so tiefe Stille herrschte, daß selbst der vorüberstreichende Wind den Atem anhielt, hallte jetzt wieder von Schwatzen, Schreien und Zanken. Piepmatz fing mit allen Kameraden Händel an und biß sich auch mit dem friedlichsten herum. Die Frühstücksbröcklein schnappte er ihnen weg, rupfte ihnen Federn aus und stieß sie von ihren Plätzen. Sein neuer, grauer Schulanzug starrte von Tintenflecken. Auch war er faul und unaufmerksam beim Unterricht, der Junge hatte einen richtigen Spatzenkopf. In der Gesangsstunde zeigte er, daß er vollständig unmusikalisch war. Nicht einmal »Alle Vögel sind schon da« vermochte er zu behalten, er piepte, wie ihm der Schnabel gewachsen war.

Statt in der Turnstunde zierlich in der Reihe zu hüpfen, hing er plötzlich an einer Leiter oder schwebte am Reck.

Handarbeitsstunde, in der Nester flechten und bauen gelehrt wurde, schwänzte er meist.

Und als er eines schönen Tages die Aufgaben von der Schornsteintafel heimlich gelöscht und überdies das Katheder mit Ruß beschmiert hatte, daß der Herr Schulmeister seinen schönen braunen Schniepelrock ganz und gar verdarb, flog er ein für allemal aus der Schule.

»Der Junge ist in den Flegeljahren,« nahm die schwache Mutter ihren Lieblingssohn dem aufgebrachten Vater gegenüber in Schutz, »sollst sehen, Mann, es wird noch etwas Besonderes aus ihm.«

»Freilich, ein Vagabund«, brummig flog der Alte in seine Stammkneipe »Zum Rinnstein«, um seinen Ärger herunterzuspülen.

Piepmatz aber frohlockte.

Er fand, daß er vollständig genug gelernt habe, und bildete sich immer mehr zum Gassenjungen aus. Den ganzen Tag trieb er sich herum. Selbst zu den Mahlzeiten kam er nicht heim. Zum Mittagbrot stellte er sich regelmäßig bei dem Schimmel am Bierwagen ein. Dreist und gottesfürchtig setzte er sich auf die Krippe und pickte dem gutmütigen Schimmel die fettsten Körnlein fort. Zum Abendessen hatte er sich beim Sultan auf dem Hof in Pension gegeben. Ob der auch noch so grimmig blaffte, Piepmatz fischte sich die besten Brocken aus seinem Futternapf.

Ja – selbst an die Menschen wagte sich der kleine freche Spatz.

Kein Kind in der Gasse konnte mehr in Ruhe sein Vesperbrot verzehren, Piepmatz lud sich höflichst zu Gaste.

Der dicken Grünkramfrau stahl er die saftigsten Kirschen aus dem Korb, dem Bäcker pickte er Kuchen und Brötchen an, und der Schlächter mußte ihn mit Steinwürfen aus seinem Laden jagen.

Wehe der Hausfrau oder der Köchin, die Speisen am offenen Küchenfenster stehen ließ, die erklärte Piepmatz ganz selbstverständlich für sein Eigentum.

Aber als er eines Tages betrunken in der Gosse lag, weil er es für sein gutes Recht gehalten, an dem Branntweingläschen, das für den Droschkenkutscher bestimmt war, zu nippen, langte sich Vater Pluster den sauberen Musjöh.

»So geht es nicht weiter, mein Söhnchen«, meinte er, die Stirn in sorgenvolle Falten legend. »Es ist Zeit, daß du dir einen Beruf wählst. Deine Brüder haben sich bereits ein eigenes Nest gebaut, liebreizende Schwiegertöchter haben sie mir zugeführt. Jetzt entscheide dich: Willst du Schneider, Schuster, Musikant, Baumeister, Lehrer, Doktor oder Richter werden – piep?«

Aber der kleine Herumtreiber schnitt zu allen Vorschlägen ein Gesicht; nichts paßte ihm.

»Ich möchte die Welt kennen lernen, Vater«, sagte er endlich.

»Wen – was?« Vater Pluster schob die Federn vom Ohr, um besser zu hören. »Piepmatz« – Vater tippte gegen seine Stirn. »Die Welt will so ein Knirps kennen lernen, hat man sowas schon erlebt! Achtzehn Kinder habe ich gehabt, und alle sind sie im Lande geblieben und nähren sich redlich. Ist dir unsere Gasse vielleicht nicht groß genug, wie? Viel größer ist die Welt auch nicht. Flieg hinaus zum Wetterhahn, das ist die höchste Spitze auf der Erde, da kannst du nach der einen Seite bis zum Marktplatz und nach der anderen sogar die Stadtmauer sehen. Da überblickst du die ganze Welt – piep.« Und der Vater schüttelte so aufgeregt sein rundes Köpfchen über den tollkühnen Sprößling, daß die Federn stoben.

Piepmatz aber gab sich nicht zufrieden.

Pah – den Wetterhahn hatte er schon oft erstiegen, er wollte die Welt kennen lernen, die lachende lustige Welt, von der sein Freund ihm erzählte.

Piepmatz hatte einen Freund, den einzigen, mit dem er sich nie gebissen, weil der nämlich in einem Bauer am Fenster gefangen saß. Er war ein Ausländer, trug ein zitronengelbes Röckchen und war seines Zeichens ein Sänger. Der war in seinem Leben weit herumgekommen und erzählte seinem Freunde die herrlichsten Geschichten.

Eines Tages flog Piepmatz kurz entschlossen vor seine Eltern.

»Morgen wandere ich in die Fremde«, erklärte er mit unverschämter Bestimmtheit.

Mutter begann zu weinen, Vater zu fluchen, aber Piepmatz blieb fest.

So band Frau Pluster ihrem Jungen denn noch einen wollenen Schal um den Hals, damit er sich auch ja nicht da draußen in der Welt erkälte. Herr Pluster aber gab ihm ein Empfehlungsschreiben mit an den reichen Oheim, der irgendwo im Kirschbaum wohnte.

Und mit fröhlichem »Piep« flog Piepmatz in die unbekannte Welt.

Daheim aber in der Gasse atmeten sämtliche Bewohner, die Spatzen, der Schimmel, der Hofhund und alle Menschen, groß und klein, erleichtert auf – den Gassenjungen war man los!

Fröhlich zwitschernd wie ein singender Handwerksbursch zog unser Piepmatz seines Weges.

Er flog durch Straßen, die tausendmal schöner waren als die heimatliche Gasse, über stattliche Häuser, die ihr Haupt noch höher reckten als der Wetterhahn daheim.

Und dann war er plötzlich draußen in einer anderen Welt. Da gab es nichts als blumige Wiesen, goldene Felder, lachenden blauen Himmel und jubilierende Vöglein.

Da schwang auch Piepmatz sich jauchzend in die Lüfte – wie schön war doch die Welt!

Aber die kleine Lerche, die neben ihm aufstieg, hielt sich die niedlichen Ohren zu.

»Hör auf – hör auf – du unmusikalischer Geselle, dein Gesang ist ja nicht mitanzuhören.«

Schon wollte Piepmatz eine patzige Antwort geben, da sah er, wie allerliebst das kleine Lerchenfräulein war, deren Unwillen er erregt. Dagegen konnten sich die Sperlingsmädel in der Gasse verstecken. Was würden die für Augen machen, wenn er mit solch einem Weibchen heimkehrte!

Und kurz entschlossen fragte er das schlanke Fräulein, ob sie ihn heiraten wolle.

Aber die Lerche lachte und rief: »Dich schmutzigen Burschen in dem zerlöcherten Rock – tirililili – tirililili–« Er hörte ihr helles Lachen noch, als er schon ein ganzes Stück weiter geflogen.

Und wie bei dem kleinen Lerchenfräulein erging es Piepmatz allerorten. Die Vogelmädchen, die sich in den Zweigen schaukelten, zwitscherten: »Seht nur den garstigen Spatz!« Die Wirte warfen ihn aus ihrem Gasthaus, weil er die Zeche nicht bezahlen konnte. Die grauröckigen Spatzen, denen die Kirschbäume gehörten, wiesen den rußigen Gesellen, der nicht einmal ein Handwerk verstand, von der Schwelle. Selbst der reiche Oheim wollte nichts mit ihm zu tun haben.

Da merkte Piepmatz, daß es da draußen in der Welt doch nicht so schön war, wie es den Anschein hatte. Und er sehnte sich nach der engen Heimatsgasse zurück.

Aber er mochte nicht nach Hause kommen, bis er es zu etwas gebracht hatte. Wenn er nur in seiner Jugend irgend etwas gelernt hätte! Doch er verstand nichts weiter, als zu raufen und zu stehlen, darin bekam er denn nach und nach eine wahre Meisterschaft. Er zog als Landstreicher vom Roggenschlag zum Erbsenfeld, mauste den Bauern ihre vollsten Halme fort und zankte sich mit allen Vogelscheuchen herum.

Das war ein ungebundenes Vagabundenleben im Sommer, aber wenn der Winter mit seinem Schneebesen die Felder kahl kehrte, erging es dem armen Spatz meist recht jämmerlich. Nicht immer fand er eine warme Tenne zum Unterkriechen, oft war er dem Erfrieren nahe.

So schwand ein Jahr nach dem andern, und der braune, volle Haarschopf von Piepmatz, Mutters einstiger Stolz, wurde grau und kahl.

Im rechten Flügel bekam er die Gicht und im linken Bein Rheumatismus – da merkte er, daß er alt geworden.

Jetzt endlich beschloß er heimzukehren.

Eine mühselige Wanderung! Denn er war nicht mehr der leichtbeschwingte Bursch, als der er ausgeflogen. Schwerfällig flatterte er seiner Heimat zu, aber je näher er kam, desto schneller flog er, die freudige Erwartung gab ihm jugendliche Kräfte.

Die würden in der Gasse Augen machen, daß Piepmatz Pluster, der Gassenjunge, wieder da war!

Spät am Abend war's, als er endlich das väterliche Dach erreichte. Ermattet sank er auf den ersten besten Dachziegel nieder.

Nein – wie war die Gasse klein und eng und war ihm doch während seiner Kindheit als weite, weite Welt erschienen! Und so fremd sah es ringsum aus, alles neue, ganz moderne Nester, die lieben alten Wohnungen zerfallen oder abgerissen.

Fremde Bewohner – keine Spur von den Eltern, den Gevattern, Muhmen und Basen. Alles gestorben oder verdorben.

Selbst der Wetterhahn war nicht mehr der alte.

Kein Sperling kannte ihn wieder, keiner wollte ihm Obdach gewähren. Man drohte dem alten Eindringling sogar mit der Polizei. Und als er ganz kleinlaut fragte, ob denn niemand mehr etwas von Piepmatz Pluster, dem Gassenjungen, wüßte, da hackten sämtliche Spatzen wütend auf ihn ein.

Was – der abgerissene Landstreicher, dieser gebrechliche, elende Tunichtgut, wollte ihnen weismachen, daß er der tollkühne Gassenjunge wäre, mit dem die Sperlingseltern ihre unartigen Kleinen schreckten?

Traurig schlich sich der greise Piepmatz davon – hätte er die Gasse doch nie wiedergesehen!

Wie vergänglich war doch alles auf Erden!

Und als er gerade zu diesem philosophischen Schluß gekommen, fühlte er plötzlich scharfe Krallen im Nacken, sah grüne, feurige Katzenaugen über sich funkeln und vernahm ein langgezogenes Miau.

Piepmatz Pluster war nicht mehr – der Kater hatte ihn mit Haut und Haar gefressen.

Sein Name aber lebt noch heute in der Gasse.


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