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Jungfer Rotnas und Jungfer Naseweis

Es waren einmal zwei Schwestern. Die eine hatte eine Nase, die war so rot, wie die purpurnsten Rosen im Garten, und die andere eine, die war so weiß, wie die Wasserlilien draußen im Dorfteich. Darum nannten die Leute sie nicht bei ihren richtigen Namen, sondern nur Jungfer Rotnas und Jungfer Naseweis.

Als die Kindlein zur Welt gekommen, schlugen die Eltern die Hände über den Kopf zusammen.

»Nein, ist das eine zart und lieblich, und was es für ein schneeweißes Näschen hat, und pfui, wie schaut das andere garstig aus, das hat ja eine rote Mohrrübe statt der Nase im Gesicht!« So riefen sie und herzten und küßten das weißnasige. Das rotnasige aber schoben sie in den Stall zu den Schweinen.

Und das blieb so, auch als die Schwestern und ihre beiden Näschen größer wurden.

Naseweis, wie auch die Eltern sie bald riefen, wurde verhätschelt und verwöhnt, während Rotnas von klein auf alle groben Arbeiten machen mußte.

Wenn Naseweis bis über die weiße Nase noch in den weichen Federn steckte, mußte Rotnas in aller Herrgottsfrühe beim schärfsten Winterfrost schon zum Dorfteich hinunter. Dort mußte sie das Eis aufhacken und die mitgebrachten Eimer mit Wasser zur Morgensuppe füllen. And der boshafte Ostwind färbte ihre leuchtende Nase noch röter. Naseweis bekam Zwieback zur Morgensuppe, Rotnas mußte das hart gewordene Schwarzbrot mit den Schweinen teilen. Wenn Naseweis aufgestanden war, stellte sie sich vor den Spiegel, putzte sich und freute sich über ihre weiße Nase. Rotnas aber lief vor jedem Spiegel davon, denn sie fand sich selbst gar zu häßlich. Sie scheuerte Haus und Stall von morgens bis abends, sie kochte und wusch und dachte: »Wenn ich so fleißig bin, werden mich die Eltern und mein Schwesterchen doch ein bißchen liebgewinnen.« Aber die Eltern schalten sie, und Naseweis gab ihr auf jede Frage eine patzige Antwort.

Die Leute im Dorf aber mochten die fleißige, bescheidene Jungfer Rotnas tausendmal lieber als die faule, vorlaute Jungfer Naseweis.

Ging ein Bauer am Fenster vorbei, wo Naseweis müßig Maulaffen feilhielt, und bot ihr freundlich die Zeit, so antwortete sie: »Was habt Ihr denn jetzt auf der Dorfstraße herumzulungern, schaut lieber, daß Euer Weizen trocken hereinkommt.«

Fuhr eine Frau zum Jahrmarkt in die Stadt, so rief Naseweis hinter ihr her: »Ihr habt wohl auch zu Hause nichts zu schaffen, daß Ihr Eure paar Groschen in der Stadt vertun müßt.« And wenn sie die grünen Rockschöße des Herrn Lehrers nur von weitem flattern sah, so schrie sie ihm auch schon die ganzen Sünden der Schuljugend entgegen: Daß der Sepp wieder Äpfel gemaust, der Hans mit Steinen nach dem Karo gezielt, daß die Liese hinter die Schule gegangen und der Michel sich die neue Sonntagshose beim Raufen zerfetzt habe. In alles steckte Jungfer Naseweis ihre weiße Nase.

Eines Tages saß Naseweis im Gärtchen vor dem Haus und blinzelte müde und faul in die Sonne.

Da kam es – trab, trab – die Dorfstraße entlang. Ein herrenloser Esel war's, gerade vor Jungfer Naseweis' Gärtchen blieb er stehen und steckte seine langen, grauen Ohren durch die Holzlatten des Gitters. Naseweis wollte sich nach einem Stein bücken und ihn davonjagen, aber sie war zu faul dazu.

So sagte sie nur: »Stecke deine garstigen Ohren gefälligst in einen andern Garten, alter Esel«, aber der Esel rückte und rührte sich nicht.

»Bäääh« – machte Naseweis und bläkte ihm, so lang sie nur konnte, ihre Zunge heraus.

Da tat der Esel seine Maul auf und sprach:

»Iah, Iah – fein Jungferlein,
Wie mag denn wohl dein Name sein?«

»Braucht nicht jeder Esel zu wissen, wie ich heiße«, antwortete Naseweis grob und wandte ihm den Rücken.

Da sprach der Esel noch einmal:

»Iah, iah – fein Jungferlein,
Ach laß mich armen Esel ein.
Ach teil mit mir dein Abendbrod,
Iah – sterb' sonst den Hungertod!«

»Hahaha,« lachte Naseweis, »das sollte mir einfallen, da müßte ich ja gerade solch ein Esel sein wie du«, und – schwapp – warf sie die Haustür hinter sich ins Schloß.

Das Eselein aber trabte zum Hof, wo Rotnas gerade Kühen, Schweinen und Ziegen frisches Streu hinschüttete.

»Iah, iah – fein Jungferlein,
Wie mag denn wohl dein Name sein?«

fragte es deutlich.

»Fein Jungferlein, lieber Gott, so hat mich noch keiner genannt«, meinte Rotnas betrübt. »Ich heiße geradeso garstig wie ich ausschaue – Jungfer Rotnas«, setzte sie nach einem Weilchen seufzend hinzu.

Der Esel nickte klug mit dem Kopf.

»Iah, iah – fein Jungferlein,
Ach laß mich armen Esel ein,
Ach teil mit mir dein Abendbrod,
Iah – sterb' sonst den Hungertod!«

sprach er von neuem.

»Das sollst du nicht, du armes Grauchen«, mitleidig klopfte Rotnas dem Esel das Fell. »Ich hab' zwar nur trocken Brot, aber du bekommst die Hälfte davon, und ein Bündelchen Heu wird wohl auch noch für dich abfallen, grauer Geselle. Da, das schmeckt dir, gelt?« Sie sprang zum Heuboden und füllte dem Eselchen eine Futterkrippe im Stall.

»Bleib' nur heute Nacht hier, es gibt ein böses Wetter«, sprach das gutherzige Mädchen weiter. »Bist wohl geradeso verlassen wie ich, du armes Tier?« und sie schlang ihre Arme um den Hals des Grauchens und weinte.

»Iah« – sagte der Esel und nichts weiter.

Am andern Morgen, als Rotnas erwachte, war der Esel verschwunden. In der Krippe aber, vor der er gestanden, blitzte und blinkte es. Und als Rotnas näher hinzusah, da hatte sich jedes Heuhälmchen in flimmerndes Gold verwandelt. Jubelnd lief sie mit ihrem Fund in die Stube zu den Eltern und zur Schwester, »nun werden sie mich wohl liebhaben«, dachte sie glücklich.

Aber man jagte sie mit Schlägen aus dem Zimmer, und das goldene Heu bekam Schwester Naseweis. Nur ein einziges Hälmchen blieb an Rotnas' Haaren hängen, und soviel sie auch kämmte, es ließ sich nicht entfernen.

Jungfer Naseweis aber ärgerte sich schmählich, daß sie den merkwürdigen Esel nicht eingelassen hatte. Sie hätte ihm noch viel mehr Heu vorgeworfen, und das wäre dann alles zu Gold geworden.

Sie saß am Fenster und forderte jeden Esel, der vorüberging, jetzt höflich auf, doch näherzutreten, aber es nützte ihr nichts.

Als Jungfer Naseweis nun so saß, da surrte ihr plötzlich ein Gotteskäferlein um die weiße Nase.

Ärgerlich griff Naseweis zur Fliegenklatsche, klitsch – klatsch, da hatte sie danebengeschlagen. Das Gotteskäferlein aber surrte lustig in die Sonne hinaus.

Draußen im Hof am Brunnen stand Jungfer Rotnas und wusch emsig die Wäsche, daß der weiße Seifenschaum nur so spritzte.

Da flog das Gotteskäferchen hinzu und setzte sich auf den runden Arm des fleißigen Mädchens.

»Ei, ein Gotteskäferlein!« rief dieses und hielt in der Arbeit inne, um den kleinen Gast nicht zu verjagen.

Horch – das Gotteskäferlein summte, ganz deutlich vermochte es Rotnas zu verstehen:

»S-s-s – du Mägdlein fein,
Bin ein Gotteskäferlein,
Jeden Wunsch erfülle ich,
S-s-s – was wünschst du, sprich!«

»Ach, ich habe nur einen einzigen Wunsch solange ich lebe, aber den wirst du mir wohl nicht erfüllen können, du gutes Käferlein«, meinte Rotnas traurig. »Ich wünsche mir nichts anderes, als daß der häßliche rote Zinken, den ich statt der Nase im Gesicht habe, klein und weiß wird, so weiß, wie der Seifenschaum hier.«

Sie hatte noch nicht ausgesprochen, da flog das Gotteskäferchen empor, setzte sich auf Jungfer Rotnas' rote Nase – einen Moment – und husch, war es davon.

Rotnas aber beugte sich betrübt wieder über ihre Wäsche.

»Ich habe es ja gewußt, daß ich Unmögliches wünsche«, sagte sie mit Tränen in den Augen.

Als sich Rotnas des Abends scheu in die Stube schlich, den Tisch für das Nachtmahl herzurichten, denn wenn sie sich blicken ließ, waren die Eltern bös, da rief die Mutter: »Komm her, mein Töchterlein, hier steht süße Milch mit Erdbeeren für dich zum Abendbrot.«

Rotnas' Herz schlug vor Freude, so hatte die Mutter noch nie zu ihr gesprochen.

Sie setzte sich an den Tisch und ließ es sich munden.

Da trat der Vater in das Zimmer.

»Naseweis,« sprach er, »morgen fahre ich in die Stadt zur Vogelwiese, du sollst mit, mein Kind, da wirst du mal Augen machen.«

Rotnas blieb vor Schreck der Happen in der Kehle stecken.

Die Eltern hielten sie in der Abenddämmerung für Naseweis, ja, so war's, darum waren sie so gut zu ihr.

»Ich bin ja Rotnas, liebe Eltern«, sagte sie bescheiden, denn jetzt würde man sie sicher wieder hinausjagen.

Aber die Eltern lachten.

»Hahaha – das Mädel wird immer spaßiger, will uns mit dem zarten, weißen Näschen einreden, sie wäre die garstige Rotnas, hahaha.«

Ehe Jungfer Rotnas noch antworten konnte, ging die Tür auf, und Jungfer Naseweis trat ins Zimmer. Sie war schön geschmückt und wollte zum Tanzboden gehen. Schon in der Tür rief sie: »Wo steckt denn bloß die faule Rotnas, meine Schuhe soll sie mir putzen, aber die dumme Trine läßt sich nicht blicken.«

»Ich gehe schon, liebe Schwester«, sagte Rotnas freundlich und stand von ihrer Erdbeermilch auf.

Da fiel Naseweis' Blick auf den fast ausgelöffelten Napf.

»Meine Erdbeeren, Mutter, meine Erdbeeren«, so rief sie weinend vor Wut. »Mutter, das unverschämte Ding hat mir mein Abendbrot fortgegessen«, mit geballten Fäusten wollte sie auf Rotnas los.

Der Vater aber, der bisher starr vor Staunen von einer zur andern geblickt hatte, trat trennend dazwischen.

»Ja, wer von euch beiden ist denn nun Naseweis, und wer ist Rotnas?« fragte er, sie musternd. »Eine hat so ein weißes Näschen wie die andere, und eine ist so zart und hold wie die andere! Ganz gleich schaut ihr aus, nein, doch nicht, diese hier ist noch lieblicher als jene«, und er wies auf Rotnas.

Der blieb das Herz fast vor Glückseligkeit stehen, und sie dankte heimlich dem guten Gotteskäferchen.

Naseweis aber wurde puterrot vor Wut.

»Sie hat sich die Nase mit Mehl bestreut,« schrie sie, »heute mittag hatte sie noch eine Nase – wie ein Krebs so rot, das geht nicht mit rechten Dingen zu«, sie krümmte die Finger und wollte der armen Rotnas wie eine Katze ins Gesicht fahren.

Da pochte es dreimal laut an die Tür.

Naseweis ließ von der Schwester ab und lief neugierig zu schauen, was es gäbe.

Ein altes, runzliges Mütterchen in Lumpen, das sich mühsam auf den Krückstock stützte, steckte seinen wackligen Kopf zur Stube hinein.

»Guten Abend beisammen,« sagte es mit knarrender Stimme, die sich wie ein eingerostetes Türschloß anhörte, »habt ihr einen Teller warme Suppe für mich armes Weiblein übrig, liebe Leut?«

»Hier wird nicht gebettelt«, schrie Naseweis, immer noch in ihrem Ärger, und schlug die Tür so heftig zu, daß sie der Alten beinahe die Nase einklemmte.

Rotnas aber schlich sich hinter dem armen Mütterlein her und schöpfte geschwind in der Küche einen Teller warmer Suppe aus dem Topf.

Am Hoftor holte sie die humpelnde Alte ein.

»Da, liebes Mütterchen,« sagte sie mitleidig, »ist ein Teller warme Suppe für Euch. Der Abend ist kühl, eßt, das wird Euch gut tun!«

»Gott lohn's«, sprach die Alte und griff mit zittriger Hand nach dem Löffel.

Und Rotnas weidete sich daran, wie gut es dem Mütterlein schmeckte.

Als sie aber den letzten Happen gelöffelt hatte, warf die Alte plötzlich ihren Stock zu Boden und – o Wunder – der Krückstock verwandelte sich in ein feuriges Roß.

Das Mütterlein aber war verschwunden.

Statt ihrer stand ein hochgewachsener schöner Königssohn vor der erschreckten Rotnas und griff zärtlich nach ihrer Hand.

»Fürchte dich nicht, holdes Mägdelein,« sprach er, »ich bin ein Königssohn und ausgezogen, um mir eine Frau zu suchen. Aber nur die, welche das beste Herz hat, sollte es werden. Darum hat mir mein Pate, ein mächtiger Zauberer, seinen Zauberstab für die Reise geliehen, daß ich die Kerzen der Mägdlein ergründen könnte. Ich war der Esel, mit dem du dein Brot geteilt, ich war das Gotteskäferchen, das du nicht verjagt, und das Mütterlein, das du soeben gelabt. Jetzt aber setze ich dich auf mein Roß und führe dich als meine Braut ins Königsschloß.« So sprach der Prinz.

Da fiel ihm Rotnas glückselig um den Hals und bat, doch den Eltern und der Schwester noch Lebewohl sagen zu dürfen.

Als sie aber Hand in Hand in die Stube traten, wurde Naseweis grün und gelb vor Neid.

Und ohne daß der Prinz es merkte, stieß sie Rotnas in die Ecke und hing sich selbst an seinen Arm. Denn sie sahen jetzt beide ganz gleich aus.

Rotnas aber schwieg, denn sie wollte sehen, ob der Königssohn sie wahrhaft liebe, dann würde er sie auch herauserkennen, meinte sie.

Schon wollte der Prinz Naseweis auf sein Pferd heben, da fiel es dieser ein, daß es doch schade sei, das goldene Heu zurückzulassen, und sie lief in die Kammer, es zu holen. Drinnen hörte man sie schimpfen und toben – das Goldheu war wieder ganz gewöhnliches Heu geworden.

Der Königssohn aber sah plötzlich in der Ecke etwas glitzern und gleißen, und als er näher zuschaute, da war es der Goldhalm im Haar der anderen Schwester, der hatte sich nicht verwandelt. Nun wußte er, wer die Rechte war.

Und soviel Jungfer Naseweis auch beteuerte, daß sie Jungfer Rotnas sei, der Prinz ließ sich nicht mehr täuschen.

Er hob Rotnas auf sein Roß, küßte sie und sprach: »Von heute an sollst du nicht mehr Rotnas heißen, sondern Rosenmund«, und trab – trab – ritt er mit ihr davon.


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