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Sommernachtstraum und Wintermärchen

Tannenelfchen konnte nicht schlafen. Es wälzte sich in seinem Baumbettchen hin und her und schüttelte wohl schon zum zehnten Male das seidenweiche Mooskopfkissen aus. War das heut ein Singen und Klingen in dem nächtlichen Walde, ein Glitzern, Funkeln, Flimmern und Leuchten. Dort drüben an dem versteckten Waldweiher gab's heut nacht einen großen Ball, ach – wer doch auch dabei sein könnte!

Tannenelfchen setzte sich in seinem Bettchen auf. Es spitzte die Ohren. Bis zum Tannenhag klang die Tanzmusik herüber, ganz deutlich, ach, dieser süße, schmelzende Walzer, so konnte nur Frau Nachtigall flöten; und jetzt ein lustig hopsender Galopp, den geigten sicherlich die munteren Heimchen. In ihrem Bettchen begann Tannenelfchen nach dem Takte der Musik auf und nieder zu wippen, daß der Baum, in dem es wohnte, hin und her schwankte. Davon wachte die alte Muttertanne neben ihr auf.

»Kind, Immergrün, was machst du bei nachtschlafender Zeit für einen Lärm,« gähnte die alte Tanne müde, »gleich legst du dich wieder hin.«

»Ach, Mutterchen,« bettelte Immergrün, »laß mich doch auch zum Ball gehen, ich habe doch das schöne, neue Kleid – – –«

»Kommst du mir schon wieder damit«, die Mutter schüttelte so ärgerlich ihren grünen Wipfel, daß das Elfchen erschreckt verstummte. »Du bist eine Edeltanne, aus hochedlem Geblüt, solch vornehmes Fräulein mischt sich nicht unter Krethi und Plethi. Ich glaube, sogar das gemeine Volk, Frösche, Padden und Kröten, hat heute Zutritt zum Ball, du bleibst hier – basta!«

Damit schnarchte die alte Muttertanne auch schon wieder so kräftig, daß das Blaumeischen, das sich in ihren Zweigen einlogiert hatte, erschreckt aufflatterte. Immergrün aber warf eigensinnig die goldenen Locken zurück.

»Und ich geh' doch zum Ball«, murmelte das trotzige Tannenelfchen, lauschte noch einen Augenblick mit angehaltenem Atem, ob Mutter auch wirklich fest eingeschlafen sei, und – husch, husch – war sie aus dem Bett.

Leise, ganz leise, schlüpfte sie in das neue lichtgrüne Gazekleidchen, das mit zarten, hellen Spitzchen besetzt war, drückte sich den glänzenden Stern ins Haar, zum Zeichen, daß sie ein Edeltannenelfchen sei und steckte den Hausschlüssel ein. Und da schwebte sie auch schon lautlos über den weichen Moosteppich zum Waldweiher. Einen großen Bogen machte sie um die alte Tante Fichte, deren lange, graue Flechten unter der Nachtmütze hervor bis zur Erde herabhingen. Ganz nah erklang jetzt das Gedudel, Flöten und Trommeln, herzklopfend stand Immergrün auf dem Tanzboden.

Man trat gerade zur Polonäse an.

Und ein Tuscheln und Flüstern erhob sich, als das schöne, vornehme Elfchen plötzlich erschien; durch die Reihen der Tanzenden aber drängte sich Prinz Mondenstrahl in silbern glitzernder Uniform und führte Immergrün zum Tanz.

War das schön – war das wunderschön! Voran marschierten die Musikanten, die Nachtigall flötete, die Heimchen geigten, der große Brummkäfer strich die Baßgeige, und der Specht trommelte, was das Zeug hielt. Und dann kamen gleich Prinz Mondenstrahl mit seiner Dame, denn das waren die Vornehmsten aus der Gesellschaft. Daran schlossen sich all die Waldblümelein mit ihren Kavalieren, den lustigen Vöglein und den gaukelnden Schmetterlingen.

Und das Tannenelfchen schielte gar eifrig herüber, ob das rosenrote Kleidchen von Fräulein Anemone, das himmelblaue Seidenkleid von Fräulein Vergißmeinnicht, und das violette Samtkleid des Fräulein Veilchen auch ja nicht schöner waren, als ihr grünes Gazekleidchen. Den Schluß der Polonäse bildete das gemeine Waldvolk, Würmer, Raupen, Käfer, Kröten, Eidechsen, Kreuzottern, Schnecken und Ameisen. Und als letzter tanzte ein bejahrter, dicker Frosch in grünem Leibrock, dem der kalte Schweiß auf der kahlen Platte perlte. Trotzdem schimpfte er quakend auf seine Dame, die Schnecke, daß sie nicht mit den Andern Schritt hielt.

Di–del–li–del–li–bum–bum–bum, so ging es um den sonst so stillen Waldweiher, und das Schilfrohr nickte im Takt, und die Klatschrosen klatschten vor Freude in die Hände.

»Jetzt kommt erst das Allerschönste,« sagte Prinz Mondenstrahl zu Immergrün, sie galant mit einem Farrenblatt fächelnd, »großes Feuerwerk steht auf dem Programm, sehen Sie, es geht schon los.«

»A – – – ah«, machte das Tannenelfchen vor Bewunderung.

Da schossen sechs rote Glühwürmchen wie feurige Raketen in die Luft, jetzt sechs grüne, nun blaue. Grüngoldene und silberne Leuchtkäfer flogen gleich Leuchtkugeln glitzernd zum Himmel empor, bald hier, bald dort, überall im Walde funkelte, blitzte und flimmerte es – hei, was für eine Pracht!

Aber – plötzlich was war das? Das Feuerwerk erlosch – klitsch, klatsch – klitsch, klatsch begann es in schweren Tropfen zu regnen, die fröhliche Ballgesellschaft zerstob kreischend.

Immergrün stand plötzlich allein in dem dunklen Walde. Prinz Mondenstrahl war von ihrer Seite verschwunden. Nur der große Brummkäfer, der über einen Maulwurfshügel gestolpert, lag mit seiner Baßgeige zappelnd neben ihr auf dem Rücken.

Da machte auch Immergrün, daß sie ins Trockene kam, und lief, was sie nur konnte, zum Tannenhag.

Huh – war das hier dunkel, niemals war Immergrün so spät draußen gewesen. Welches war nun ihr Baum? Sie zog den Hausschlüssel heraus, tastete sich vorsichtig von Tanne zu Tanne, aber soviel sie auch am Schlosse herumprobierte, der Schlüssel paßte nicht. Sie fand ihren Baum nicht wieder.

»Ach Gott, ach Gott, nun muß ich sterben«, jammerte Immergrün, denn ein Tannenelflein kann nur in seinem Baume leben. Zähneklappernd vor Kälte und Nässe kroch sie in eine Felsenhöhle, da war es wenigstens trocken. Erschöpft vom Tanz und der ausgestandenen Angst, fiel sie sogleich in Schlaf.

Und sie träumte: Vor ihr stand ein putziges Männlein mit seltsam ernstem Gesicht. Ein braunes Röcklein trug's, und eine grüne, spitze Mütze hatte es auf. Mit strafender Stimme begann es: »Kennst du mich, Immergrün?«

Immergrün sah das Männchen schlaftrunken an und schüttelte furchtsam das Köpfchen.

»Ich bin der Tannengeist,« hub das Männlein von neuem an, »alle Tannen des Waldes sind mir untertan. Warum bist du ungehorsam gewesen gegen das Verbot der Mutter?«

Das Tannenelfchen senkte bestürzt das Auge, es wagte nicht zu antworten.

Da reckte sich der Tannengeist und reckte sich, bis er riesengroß wurde, und mit dröhnender Stimme rief er: »Du bist ein Edeltannenelfchen, du darfst niemals unedel handeln, für deinen Ungehorsam sollst du bestraft werden. Aus meinem Walde sei verbannt – – –«

»Ach, lieber Herr Tannengeist,« fiel das Elfchen ihm schluchzend ins Wort, »straft mich doch nicht so hart. Ich bereue ja meinen Ungehorsam so sehr, ich will es auch ganz gewiß nicht wieder tun.«

Die Züge des Tannengeistes wurden milder.

»Von meinem Spruche kann ich nichts mehr zurücknehmen«, sagte er nicht mehr ganz so streng. »Was ich einmal gesagt habe, erfüllt sich, aber mildern will ich die Strafe, weil du Reue zeigst. Den Sommer über magst du noch hier im Walde bleiben, doch wenn es Winter wird, wenn die Tannen ihren weißen Flockenpelz anlegen, dann mußt du fort aus deiner Heimat. Doch du sollst in der Verbannung Freude und Frohsinn verbreiten, und von artigen Kindern magst du lernen, wie Gehorsam belohnt wird. Und nun werde ich dich von meinem Diener zu deinem Baume zurückführen lassen.« Er pfiff – da sprang ehrerbietig ein Tannenzapfen in brauner Livree von einem Baum herunter, nahm das noch immer weinende Tannenelfchen an die Hand und führte es heim.

Am andern Morgen berichtete Immergrün der Mutter ihren Ungehorsam und die Strafe des Tannengeistes. Aber die alte Tanne schüttelte verwundert das Haupt.

»Kind, Kind, du hast das ganze Zeug nur geträumt«, meinte sie schließlich. »Du bist gar nicht zum Ball gewesen, ein Sommernachtstraum hat dich genarrt. Ich will schon aufpassen, daß dich keiner aus dem Tannenhag fortholt, hab' keine Angst!«

Da ward das Tannenelfchen wieder guter Dinge, der Sommer verging, und es dachte gar nicht mehr an den Spruch des Tannengeistes.

Rauh und kalt gingen die Winde, die Vöglein waren verstummt, die Blümelein schliefen, und der Wald hatte die weiße Schneezipfelmütze über die Ohren gezogen.

Da ging es eines Tages tapp – tapp – tapp – durch den hohen Schnee zum Tannenhag, bärtige Männer waren es, mit der Axt über der Schulter.

Die Muttertanne hielt gerade ihr Nachmittagsschläfchen, und auch das Tannenelfchen blinzelte müde und gelangweilt den Ankömmlingen entgegen. Prüfend schauten die Männer in die Runde.

»Das ist der schönste Baum, diese junge Edeltanne hier, die wollen wir zuerst schlagen«, damit näherten sich die Männer Immergrüns Baum.

Was – schlagen – prügeln wollte man sie, aber sie hatte doch gar nichts Böses getan, sollte der Tannengeist am Ende doch – – – Tannenelfchen riß erschreckt die Blauaugen auf.

»Au – au – ihr tut mir ja weh«, schrie sie plötzlich aus Leibeskräften. Da hatte einer der Männer die scharfe, blankgeschliffene Axt dem zarten Bäumchen in die Seite geschlagen – bums – machte die Axt noch einmal, krachend fiel der Baum zur Erde.

Tannenelfchen vergingen die Sinne. Sie hörte nicht das laute Schluchzen der aus dem Schlaf geschreckten Muttertanne. Sie sah nicht die verzweifelten Muttertränen, die in großen, dicken Tropfen Harz aus der Rinde hervorquollen. Und sie wußte nichts davon, daß sie die Männer, taub gegen den Schmerz der alten Tanne, mit vielen andern Bäumen auf einen Karren luden und zur Stadt fuhren.

Als Tannengrün aus seiner langen Ohnmacht erwachte, hielt sie erstaunt Umschau. Wo war sie denn? Statt in dem heimatlichen Winterwald stand sie in einem warmen, traulichen Zimmer, und eine junge Frau mit glückselig lachenden Augen strich leise und zart über ihre Zweiglein. Und jetzt – ja, sollte sie denn wieder zum Balle gehen, wozu schmückte man sie denn so herrlich? Glitzernde Gold- und Silberfäden spann die Frauenhand durch das grüne Nadelkleid des Tannenelfchens, rotbäckige Äpflein, goldene Nüsse und blinkende grüne, blaue und rote Glaskugeln hing sie in das feine Geäst.

Tannenelfchen klatschte vor Freude so laut in die Hände, daß all die bunten Wachslichtchen, die sich ängstlich an die grünen Tannennadeln klammerten, vor Schreck zur Erde herabpurzelten.

Und nun machte sie große Augen, was breitete die Frau denn für seltsame Schätze auf die lange, weißgedeckte Tafel? Dieses schöngeputzte kleine Dämchen da mit dem rosa Sonnenschirm und den starren blauen Glasaugen, war das ein Kind oder ein Elfchen? Niemals hatte Immergrün etwas Schöneres gesehen. And daneben eine große Kochmaschine, Bilderbücher, Baukasten, und »ach, ich fürchte mich«, schrie Tannenelfchen plötzlich und verkroch sich ganz in ihren Baum. Da waren ja richtige kleine Soldaten aufmarschiert mit Gewehren und Kanonen, aber sie schossen Tannenelfchen nicht tot.

Und als es Abend wurde, trat ein Herr an Tannenelfchens Baum, zündete die Lichtchen alle an, daß die Gold- und Silberketten nur so blitzten, und die junge Frau setzte sich an das Klavier. Durch die geöffnete Tür aber stürmten jubelnde Kinder, und aus hellen Kehlen schmetterten sie ein Weihnachtslied. Das klang gerade so schön wie das Jubilieren der Vöglein im Walde.

Und dann wiegte Lisbeth liebevoll das kleine Dämchen mit den Glasaugen im Arm, Ilse kochte den schönsten Pfefferkuchenbraten aus der neuen Kochmaschine, und Fritz schrie: »Ganzes Bataillon marsch« und ließ die neuen Zinnsoldaten zur Parade antreten.

Alle aber meinten: »Einen so schönen Weihnachtsbaum wie in diesem Jahre haben wir noch nie gehabt!«

Da machte das Tannenelfchen vor Freude und Stolz einen Luftsprung bis zur Spitze der Tanne, daß ihr schöner, silberner Edeltannenstern oben herausguckte und funkelte, und die Kinder jauchzten: »Ach, der schöne Stern!« – – –

Draußen fielen die weißen Flocken, an den Fenstern blühten glitzernde Eisblumen und drinnen schaukelte sich Tannenelfchen selig in seinen Zweigen und dachte: »Das ist ja noch tausendmal schöner und herrlicher als mein Sommernachtstraum damals in der Mondscheinnacht, heute erlebe ich das aller-, allerschönste Wintermärchen.«


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