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Risi Bisi

Friedel Schlaumichel stand am Telefon.

Er hielt den Hörer gegen seine abstehenden Ohren gepreßt und kniff beide Augen zu, um besser hören zu können.

Ja – wenn er nur etwas zu hören gehabt hätte!

Aber er vernahm nichts als ein leises, schadenfrohes Knistern und Knattern im Apparat. Das war gerade, als ob ihn da jemand noch obendrein höhnen wollte, weil er schon seit einer Ewigkeit auf Anschluß wartete.

Friedel Schlaumichel riß endlich die Geduld. Wütend begann er mit den Fäusten gegen das Telefon zu bumbern, seinen ganzen Ärger ließ er an dem unschuldigen Holz aus.

Aber was war das?

Friedel sperrte erschreckt die Augen auf.

Das kleine braune Telefon vor ihm streckte sich, es wuchs und wuchs, schon hatte es die Größe einer Hundehütte, nun die Höhe eines Bauernhauses, und jetzt war es fast so groß wie der Kirchturm. Da hielt es endlich an.

Mit blöden Augen starrte Friedel Schlaumichel auf das Wunder. Etwas Feuchtkaltes an der Hand weckte ihn aus seiner Versunkenheit.

Nanu – statt des gelben Messinghörers, den er noch soeben mit der Rechten umfaßt, hielt er den Kopf eines großen, gelbhaarigen Köters zwischen den Fingern, der tückisch nach ihm schnappte.

Ängstlich rettete sich Friedel nach der andern Seite.

O weh, ein gleiches Ungetüm fuhr ihm hier zwischen die Beine.

An einer grünen Leine lagen die beiden Riesentiere und bewachten kläffend den Zugang zu dem stattlichen braunen Haus.

Aus dem runden Guckfenster aber schaute ein verwittertes Männlein. Das hatte ein blaues Funkenkleid an und eine zierlich geflochtene Drahtkrone auf dem Kahlkopf.

»Bist du der rohe Geselle, der so unverschämt gegen meine Haustür geschlagen hat?« fragte es mit merkwürdiger Stimme. Sie klang wie das Knistern und Knattern im Telefon.

»Ist mir gar nicht im Traum eingefallen!« Friedel Schlaumichel erlangte allmählich seine angeborene Dreistigkeit zurück. »Ich sehe dich und dein Haus heute zum erstenmal. Aber rufe gefälligst deine vermaledeiten Köter zurück, damit sie mir nicht meine neuen Hosen zerreißen.« Er sprang vorsichtig vom rechten Bein auf das linke.

Das Männlein zog den Mund von einem Ohr zum andern und lachte über Friedels drollige Sprünge. Und das klang geradeso, als wenn das Telefon klingelt.

»Du bist ein komischer Kauz, aber du gefällst mir, trotzdem eine recht beträchtliche Frechheit in dir steckt, und du mir mit deiner ungefügen Faust fast mein schönes Haus zertrümmert hast. Wie heißt du denn?«

»Friedel Schlaumichel, und du?« Friedel hüpfte immer noch vor den schnappenden Hunden auf und nieder.

»Schlaumichel – hihi – wollen sehen, ob du deinem Namen Ehre machst. Errätst du's nicht, wer ich bin?«

Friedel sah den putzigen Alten zweifelnd an.

»Wahrscheinlich der Portier von dem schönen Haus hier«, stieß er dann, seine Beine vergebens in Sicherheit bringend, heraus.

»Portier – hihi –« das Männlein lachte so laut, daß es Friedel war, als ob sämtliche Telefons auf der Welt zu gleicher Zeit bimmelten. Dann aber gebot er den gelben Hunden, sich zu kuschen, und winkte Friedel näherzutreten.

»Du bist ja ein prächtiger Schlaumichel, dich muß ich kennen lernen. Tritt näher, spazier' nur ganz dreist hinein, meine Hunde tun dir nichts.«

»Erst will ich wissen, wer du bist – ist das Manier, sich nicht mal vorzustellen, damit andere Leute sich erst den Kopf über dich zerbrechen müssen? Bei uns zu Lande ist das nicht Brauch!« Friedel fühlte sich jetzt, wo die Hunde Ruhe hielten, dem winzigen Männlein bei weitem überlegen.

Das lächelte fein – wie ein leises, leises elektrisches Surren ging es durch die Luft.

»Risi Bisi ist mein Name«, sagte der kleine Kauz, immer noch mit seiner Heiterkeit kämpfend.

Jetzt war das Lachen an Friedel.

»Risi Bisi, der Name paßt zu dir, du putzige Kruke – hahaha – Risi Bisi! Aber der Name allein tut's nicht – was bist du denn sonst noch? Schneider, Schuster oder Schlosser?«

»Ich bin König vom Telefonland, du Schlaumichel,« Friedel fühlte plötzlich einen elektrischen Ruck durch seinen Körper, so daß er mit einemmal auf den Knien lag.

Er machte sein schlaustes Schlaumichelgesicht.

»Herr König – Majestät – Ihro Gnaden – bitte untertänigst um Verzeihung – ach, nehmt es nur ja nicht übel, daß ich so freimütig von der Leber weg geredet habe – so respektlos – so ganz, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Wenn ich hätte ahnen können –« Friedel sah den kleinen Telefonkönig, der so wenig Königliches an sich hatte, zerknirscht an.

»Ei – ei –« der winzig kleine Herr drohte mit hochgezogenen Augenbrauen – »hast du auch die schlechte Angewohnheit, die euch Menschenkindern eigen, nur nach dem Kleide zu sehen und nicht nach dem, was drin steckt? Friedel Schlaumichel – das hätte ich von dir nicht gedacht!« Und wieder fühlte Friedel einen elektrischen Schlag, geradeso, als wenn der Vater daheim ihn als kleinen Bub über das Knie gelegt.

»Ich will es trotzdem mit dir versuchen, Friedel Schlaumichel«, meinte der kleine König, nachdem sie sich gegenseitig eine Weile angelegentlich betrachtet hatten. »Du gefällst mir nun einmal, wenn du mir treu dienen willst, soll es dein Glück sein.«

»Ja, Herr König«, Friedel drehte verlegen seine Mütze in der Hand, »die Sache ist nur, ob ich das Ding auch verstehen werde, ich bin ja von Natur aus nicht dumm – –«

»Nein, nein, du bist ein Schlaumichel, das habe ich schon gemerkt. Aber komm' nur mal erst ins Haus, dann können wir weiter über deine Arbeit reden.«

Friedel sah den glattpolierten, braunen Riesenkasten von allen Seiten an – nirgends eine Tür. Aber da er Friedel Schlaumichel hieß, kam er auf den guten Gedanken, durch das Guckfensterchen zu klettern, durch das der Alte lugte.

»Du hast den richtigen Eingang erwischt,« schmunzelte Risi Bisi, »willkommen im Telefonland!« Er reichte dem einen tiefen Bückling machenden Friedel seine kleine verschrumpelte Hand. Friedel hatte das Gefühl, als wenn er gegen den Strich über eine Plüschdecke fuhr.

»Sieh dich vor, daß du nicht fällst,« rief Risi Bisi warnend, »du bist unseren Drahtteppich noch nicht gewöhnt.« Zu spät – Friedel Schlaumichel lag bereits auf der Nase und strampelte mit dem im Drahtnetz steckenden Bein wie eine Fliege im Spinngeweb.

Ein vielstimmiges Lachen, das ebenso klang wie das Risi Bisis, ließ ihn aufschauen. Da eilten von allen Seiten fingerlange Männlein herbei, um ihm zu helfen. Die sahen ganz so braun und zerknittert aus wie ihr König, nur statt der Drahtkrone trugen sie ein grünes Drahtmützchen.

»Mein Hofstaat«, stellte Risi Bisi die kleinen Gesellen vor. »Dieses hier ist Tele und dieses hier Fon, mein erster und mein zweiter Minister. Die werden dir dein neues Amt zeigen, ich muß jetzt erst ein bißchen regieren.« Damit stieg Risi Bisi auf seinen Thron.

Tele und Fon aber hingen sich an Friedels Stiefelschäfte, denn höher reichten sie nicht, und zogen ihn geschickt über den Drahtteppich hinweg.

Jetzt erst sah Friedel, daß auch die Wände und die Decke des geräumigen Saales aus glitzerndem Silberdraht bestanden – das flimmerte nur so.

Vor drei großen Knäulen blieben seine kleinen Führer stehen. Das eine war aus Gold-, das zweite aus Silber- und das dritte aus Kupferdraht.

»Die sollst du entwirren, daß der Draht sein und glatt wird zum Spinnen, aber in siebenmal vierundzwanzig Stunden mußt du mit deiner Arbeit fertig sein«, die beiden kleinen Minister surrten geschickt über den Drahtteppich davon.

Friedel Schlaumichel rechnete.

Siebenmal vierundzwanzig Stunden – er begann an den Fingern abzuzählen, wie lange Zeit das wohl wäre.

Sein Kopf rauchte von der Anstrengung, denn Rechnen war Friedel Schlaumichels starke Seite nicht.

Und als er es glücklich herausgebracht hatte, daß das gerade eine Woche sei, sah er mit Schrecken, daß bereits vier Tage von dieser Woche verstrichen waren.

Nun mußte er sich an die Arbeit machen.

Mit Feuereifer ging er ans Werk, doch – prosit Mahlzeit – so einfach war die Geschichte nicht.

Friedel Schlaumichel hatte natürlich zuerst nach dem Goldknäuel gegriffen, aber die goldenen Drahtfäden zogen sich heimtückisch von seinen Fingern zurück. Sie verhedderten sich, schürzten sich boshaft zu Knoten, und soviel Friedel auch zerrte, riß und räsonnierte, der goldene Drahtwulst zog sich nur um so fester zusammen.

»Hol's der Deixel –« empört warf er das Knäuel in die Ecke.

Da ging ein Knistern und Knattern durch den Saal, und plötzlich stand Risi Bisi vor dem beschämten Friedel.

Mit vorwurfsvollem Blick griff er nach dem mißhandelten Goldknäuel und verschwand schweigend damit.

Friedel Schlaumichel aber machte sich an das silberne Knäuel. Er hatte nicht mehr Glück damit als mit dem goldenen. Die schimmernden Silberfäden spannen sich wie ein Netz um seine Finger, sie schnitten ihm in das Fleisch und sprangen ihm zum Überfluß wie spitze Nadeln ins Gesicht.

»Das halte der Kuckuck aus –« ingrimmig schleuderte Friedel das Silberknäuel gegen die Wand.

Da hörte er wieder das seltsame Knistern und Knattern, und wieder stand Risi Bisi vor ihm.

Diesmal hob der kleine König warnend den Finger – schweigend verließ er mit dem Silberknäuel den Saal.

»Ob ich mich überhaupt noch an das dumme Kupferknäuel mache?« überlegte Friedel unschlüssig. »Habe ich das Gold- und Silberknäuel nicht entwirren können, wird es sich um den Kupferdraht wohl nicht der Mühe lohnen.«

Da fiel ihm noch rechtzeitig der warnend erhobene Finger Risi Bisis ein.

»Diesmal werde ich die Sache aber schlauer anfangen«, dachte Friedel Schlaumichel. Seufzend machte er sich an die Arbeit.

Er riß nicht und zerrte nicht, vorsichtig, ganz behutsam versuchte er mit seinen derben Fingern die feinen Fäden zu entwirren.

Und siehe da – die Kupferfäden zogen sich nicht von seinen Händen zurück, sie sprangen ihm nicht wie spitze Nadeln in das Gesicht – langsam begannen sie sich zu glätten.

Das war eine harte Arbeit für den ungeduldigen Friedel. Das Knäuel war groß, und der Knoten waren viele. Oft war er versucht, das schon halb fertige Werk von sich zu werfen. Aber er bezwang sich.

Schon war die letzte der siebenmal vierundzwanzig Stunden herangekommen, und noch immer wollte das Knäuel kein Ende nehmen.

Friedels Hände flogen, hatte er soviel zustande gebracht, wollte er auch noch den Rest schaffen.

Der Tausend – die Fäden glätteten sich ja plötzlich ganz von selbst, Friedel brauchte sie nur mit der Hand zu berühren.

»So läßt man sich die Sache gefallen«, dachte Friedel vergnügt und wackelte vor Freude mit seinen abstehenden Ohren.

Da fühlte er plötzlich wieder einen tüchtigen Ruck durch den ganzen Körper – die siebenmal vierundzwanzig Stunden waren um.

Vor ihm standen Tele und Fon, die beiden daumenlangen Minister, um ihn zu ihrem König zu führen.

Friedel nahm sein schön gewickeltes Knäuel in den Arm und ließ sich von den Kleinen über den gefährlichen Drahtteppich ziehen.

Risi Bisi saß auf seinem Thron, der aus roten, blauen und gelben Funken gebaut war, und regierte eifrig. Er nickte Friedel so erfreut zu, daß das Drahtkrönlein auf seinem Kahlkopf zu tanzen begann.

»Brav, Friedel, bravo! Dein Glück, daß du das letzte Knäuel noch entwirrt hast. Was hast du nun bei deiner Arbeit gelernt, du Schlaumichel?«

Friedel Schlaumichel machte ein recht einfältiges Gesicht.

»Daß siebenmal vierundzwanzig Stunden nicht länger als eine Woche ist«, sagte er schließlich stolz.

König Risi Bisi schüttelte sein winziges Köpfchen.

»Das ist ja eine Weisheit, die auch nicht zu verachten ist, aber die meine ich nicht. Du hast gelernt, daß nicht alles Gold ist, was glänzt, und dann hast du vor allem Geduld gelernt, mein Freund. Du wirst sobald nicht wieder ungeduldig gegen mein Telefonhaus bumbern, sondern warten, bis es uns hier paßt, dir zu Diensten zu sein. Nicht wahr?«

Friedel Schlaumichel nickte.

»Du sollst sehen, daß es gar nicht so leicht ist, euch Menschen zufriedenzustellen, folge mir.« Risi Bisi erhob sich von seinem Thron und stolzierte zum Nebensaal.

Friedel trabte neugierig hinterdrein.

Ein ohrenbetäubendes Gesurre empfing sie, es sauste Friedel in den Ohren, es sauste ihm im Kopf, und es sauste ihm vor den Augen. Endlich unterschied er Tausende von winzigen Weiblein, die hatten jedes einen kleinen Spinnrocken vor sich und spannen eifrig, ohne aufzublicken, Kupferdraht.

»Das ist der wichtigste Draht hier im Telefonland, davon können wir gar nicht genug schaffen,« erklärte Risi Bisi. »Und hier,« er öffnete eine neue Tür, »hier ist der Verbindungssaal. Da sollst du deine zweite und letzte Arbeit verrichten.«

»Nur zu,« grinste Friedel, »hab' ich die erste geschafft, werde ich mit der zweiten ja wohl auch fertig werden.«

Risi Bisi verschwand.

An seiner Stelle aber standen Tele und Fon neben Friedel und zogen ihn über die Schwelle.

Unzählige kleine Gesellen schwirrten in dem Riesensaal auf und nieder.

Sie befestigten den Kupferdraht an einer Seite des Saales und warfen die mit winzigen Schlingen versehenen Enden zur gegenüberliegenden Wand. Die war über und über mit kleinen Häkchen besetzt, und über jedem stand eine Nummer.

»Jetzt sollst du die Nummern, die wir dir nennen werden, richtig miteinander verbinden, paß auf«, sagte Kerr Tele.

»Aber ein bißchen dalli muß das gehen«, setzte Herr Fon hinzu.

Die beiden kleinen Wichte nahmen in der Mitte des Saales auf ihren Ministerstühlen Platz.

»10639« rief der eine.

Wetter auch – wo war denn bloß die Nummer – umständlich begann Friedel Schlaumichel zu suchen.

»Schneller – flink – eile dich«, drängte der kleine Minister.

»7508« rief da der andere schon wieder.

Potztausend – wie hieß denn nun die erste Nummer noch gleich – die hatte er doch rein vergessen – verzweifelt sah er auf die kleinen Gesellen ringsum, die so geschäftig hin und her surrten.

Während er noch stand und überlegte, fühlte er einen schmerzhaften Ruck an den abstehenden Ohren – noch einmal – und zum drittenmal – geradeso, wie ihn früher der Herr Schulmeister in der Rechenstunde gezaust hatte.

»Oho – nicht so grob«, rief er aufgebracht.

»Wir können nicht dafür,« entschuldigten sich Tele und Fon höflich, »das liegt nur daran, daß du zu langsam bist. Die Menschen im Erdenland warten nicht gern. Jedesmal, wenn sie wütend an der Kurbel drehen und klingeln, fühlen wir es an unseren Ohren, du hast uns manch liebes Mal gezupft. Jetzt magst du selbst mal sehen, wie das tut!«

O weh – Friedels arme Ohren!

Die wurden noch viel größer und abstehender, als sie schon waren. In einer Minute wurde er mindestens sechzigmal an den Ohren gezaust, denn sein neuer Dienst war so schwer, daß er gar nicht damit zurechtkam.

Hatte er glücklich den richtigen Draht erwischt, so flog die Schlinge zweifellos zu einem verkehrten Häkchen an der gegenüberliegenden Wand.

»Falsche Verbindung!« schrien die Menschen dann wütend, und Friedels schuldlose Ohren mußten ihren Ärger ausbaden.

Und hatte er wirklich mal eine richtige Verbindung zustande gebracht, dann riß sicher der Draht, oder verhedderte sich mit einem andern.

Friedel war ganz krank von all der Arbeit, der Aufregung und Angst.

»Wir können dich hier nicht brauchen, Friedel Schlaumichel«, meinten die kleinen Minister nach Ablauf von drei Tagen, bedauernd ihr Köpfchen wiegend. »Du bist viel zu langweilig und umständlich.«

Sie führten ihn zu Risi Bisi.

Der war nicht weiter überrascht. Er schmunzelte von einem Ohr zum andern.

»Das habe ich mir ja gleich gedacht, daß du Schlaumichel für unser Telefonland nicht schlau genug bist. Geh nur wieder ins Erdenland zurück, dafür mag deine Schlauheit ausreichen. Und erzähle den Menschen, wie schwer unser Dienst hier ist, dann werden sie vielleicht auch mehr Geduld am Telefon lernen. Aber weil du mir treu gedient hast, will ich dir deinen Lohn nicht vorenthalten, hier –«

Risi Bisi zog aus der Tasche seines Funkenkleides ein goldenes Telefon. Das war so klein, daß man es kaum mit bloßem Auge sehen konnte. »Hältst du den rechten Hörer gegen das Ohr, so hörst du alles, was die Leute reden. Hältst du den linken ans Ohr, so vernimmst du alles, was sie denken. Nun mach' damit dein Glück, Friedel Schlaumichel.«

Ehe Friedel wußte, wie ihm geschah, fühlte er sich von dem winzigen König Risi Bisi ans Schlafittchen genommen und zum Guckfenster hinausspediert.

Das Fenster zum Telefonland schlug hinter ihm zu.

Friedel Schlaumichel aber machte, daß er davon kam, denn die gelben Köter vor dem braunen Hause kläfften ihn feindselig an.

Als er ein Stück gewandert war, fiel es ihm ein, daß es jetzt wohl Zeit sei, Risi Bisis Geschenk zu probieren.

Er holte das winzige Telefon aus der Tasche und hielt den rechten Hörer, der nicht größer war als ein Fliegenauge, gegen sein abstehendes Ohr.

Potztausend – das war eine lustige Sache – hunderte von Stimmen schwirrten durcheinander, aber jetzt unterschied er deutlich die einzelnen.

»Das ist ja der Herr Apotheker von daheim«, rief er plötzlich und siehe da – nun hörte er nur noch die eine Stimme in seinem kleinen Telefon.

Der Herr Apotheker sprach zu seinem Vater, jedes Wort konnte Friedel verstehen: »Passen Sie mal auf, Herr Schlaumichel, der Friedel macht sein Glück in der Welt, der kommt als reicher Mann wieder heim.«

Friedel hüpfte das Herz vor Freude im Leibe, als er diese Worte vernahm.

»Muß doch mal hören, was er sonst noch alles Schönes von mir denkt«, dachte Friedel und griff nach dem linken Hörer.

»Friedel Schlaumichel, dieser Dummichel, bringt es sicher zu nichts, dieses Kamel ist ja selbst zum Tunichtgut zu dämlich« – Friedel ließ entsetzt den Hörer sinken.

War's möglich – nein, er hatte sich bestimmt nicht getäuscht, deutlich hatte er die Gedanken hinter der eckigen Stirn des Apothekers belauscht.

»Pfui« – Friedel spie in weitem Bogen aus – pfui, wie konnte ein Mensch gerade das Gegenteil von dem sagen, was er dachte – das tat dem ehrlichen Friedel viel weher als die Schmeicheleien, die er zu hören bekommen.

Und je öfter Friedel sein kleines Telefon gebrauchte, um so trauriger wurde er.

Welchen Namen er auch nannte, fast immer sagten die Leute gerade das Entgegengesetzte von dem, was sie meinten.

Da zog Friedel sein Taschentuch aus der Tasche und wickelte Risi Bisis Gabe hinein, ihm war die Lust vergangen, die Lügen der Menschen noch weiter mitanzuhören.

Als er den Tag über gewandert war, kam er in eine schöne Stadt. Da flutete eine große Menschenmenge durch die Straßen. Friedel Schlaumichel schloß sich der Menge an. Vor dem stattlichen Königsschloß machte man halt.

Friedel erkundigte sich, was es denn gäbe.

»Ach,« sagte man ihm, »unsere Prinzessin soll sich verheiraten, weil der König schon zu alt ist zum Regieren. Aber sie will nur den Mann heiraten, der dreimal ihre Gedanken errät. Wer das nicht kann, den läßt sie unbarmherzig töten. Neunundneunzig Freier sind schon ihretwegen gestorben.«

»Ei – so will ich der Hundertste sein«, sprach Friedel Schlaumichel. Und ohne auf das Abraten des Volkes zu hören, zog er sein kleines Telefon aus der Tasche und schritt dreist in das Königsschloß.

Hier wurde er sogleich zu der Prinzessin geführt, denn der König hatte Befehl erteilt, keinen Freier, wer er auch immer sei, zurückzuweisen.

Als Friedel Schlaumichel die schöne Prinzessin erblickte, dachte er: »Die ist mir gerade hübsch genug zur Frau!«

Die Prinzessin aber erschrak, als sie Friedel mit den abstehenden Ohren zu Gesicht bekam.

»Wie heißt du?« fragte die Prinzessin.

»So wie ich ausschaue – Friedel Schlaumichel«, antwortete Friedel keck.

»Was denke ich augenblicklich?« fragte die Prinzessin zum ersten.

Friedel führte Risi Bisis Telefon unauffällig an das Ohr. Und weil das Ohr so groß war und das Telefon so klein, sah es nur aus, als ob er sich kratze.

»Ihr denkt, der Esel mit den abstehendem Eselsohren wird das sicher nicht erraten«, antwortete Friedel ohne auch nur einen Augenblick nachzudenken.

Die Prinzessin verfärbte sich.

Aber sie fragte weiter: »Was denke ich jetzt zum zweiten?«

»Der Esel scheint doch ein Schlaumichel zu sein, aber heiraten tue ich ihn bestimmt nicht«, war Friedels prompte Antwort.

Da wurde die Prinzessin so weiß wie das Seidenkleid, das sie trug.

»Und zum dritten?« hauchte sie.

Friedel preßte den Hörer gegen sein abstehendes Ohr. Deutlich vernahm er die Gedanken hinter der bleichen Stirn der Prinzessin.

»Es wird mir nichts helfen, er ist schlauer als ich – ich muß ohne Widerrede Frau Schlaumichel werden«, rief Peter Friedel selig und fing die ohnmächtige Prinzessin in den Armen auf.

Und es half wirklich nichts. Gleich am nächsten Morgen wurde die Hochzeit gefeiert.

König Schlaumichel aber regierte weise und gerecht in seinem Reiche.

Durch Risi Bisis Geschenk konnten ihn seine Minister, Höflinge und Diener nicht betrügen, denn er hörte nicht nur, was sie sagten, sondern auch, was sie dachten.

Die junge Königin aber war froh und glücklich, einen so schlauen Mann zu haben.


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