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Das Wasser kommt!

Im Riesengebirge, wo des Zackens klares Gebirgswasser lustig über Fels und Stein aus den hohen, schneebedeckten Bergen herabspringt, stand drunten im Tale in Schreiberhau eine armselige, halbzerfallene Hütte.

Ganz schief waren schon die baufälligen, feuchten Mauern des elenden Häuschens. Das Strohdach war vielfach geflickt, und die vom Sturmwind zerbrochene Tür mit Papier und Lumpen verstopft.

Dort wohnte ein armer Glasarbeiter, namens Opitz, mit seinem braven Weibe und seinen beiden Kindern, dem achtjährigen Friederle und dem kaum sechs Wochen alten Annele.

Drinnen sah es gerade so elend aus, wie von draußen. Ein Bett, ein Tisch, zwei Stühle und die Wiege, das war das ganze Hausgerät. Eine einzige Stube hatte das Häuschen nur, in dem großen, grünen Kachelofen wurde das magere Essen gekocht. In dem kleinen Verschlag nebenan hauste die schwarze Ziege, welche die Milch für das kleine Annele hergab. Und droben unter dem Dach auf dem schmalen Bodenraum, zu dem man mit einer kleinen Leiter gelangte, wurde das Winterfutter für die Ziege verwahrt.

Aber einen schönen Blick hatte man von den Fenstern des Häusleins auf die blauschimmernde Gebirgskette und auf den kristallhellen Zacken, der dicht unter den Fenstern vorbeifloß.

Der Vater war Glasarbeiter droben in der Josefinenhütte, wo das herrliche Glas herkommt. Dort stand er im eisigen Winter und im heißesten Sommer an dem rotglühenden Glasofen. Eine dunkle Schutzbrille trug er, um die Augen vor der sengenden und blendenden Ofenglut zu behüten, und durch eine lange Röhre blies er das flüssige Glas zu prächtigen Gläsern, Vasen und Tassen.

Das war eine gar anstrengende Arbeit. Und kehrte er Abends im Winter erhitzt heim, dann zauste der eisige Gebirgssturm an seinem fadenscheinigen Rocke und jagte ihm große Schneeflocken und Eisschloßen in das heiße Gesicht. Da hatte er sich wohl auch den bösen Husten geholt, der ihn oft so quälte und ihn viele Tage auf das Krankenlager warf. Dann konnte er gar nichts verdienen, und es sah recht traurig in dem Hüttlein aus. Die Mutter schleppte, um auch etwas zum Unterhalt herbeizuschaffen, den schweren Tragkorb auf dem Rücken zu den Baudenleuten ins Gebirge hinauf. Im Sommer war das ein lustiger Weg, aber im Winter, wenn der Schnee kniehoch lag, war das Vorwärtskommen gar beschwerlich. Der achtjährige Bube, das Friederle, mußte nach der Schule die Ziege hüten und das Annele warten.

Auch heute machte sich die Mutter trotz des strömenden Regens und trotzdem die Bergpfade von den tagelangen Regengüssen ganz aufgeweicht waren, auf den Weg ins Gebirge.

Da kam Friederle vollständig durchnäßt aus der Schule.

»Mutterle«, rief er, »geh' heut' nicht ins Gebirge, der Herr Lehrer spricht, es gibt Hochwasser, sie haben es schon aus den Bergen gemeldet, bleib' auch daheim, gelt?«

Aber die Mutter schüttelte den Kopf.

»Nein, Friederle, es geht halt nicht, ich muß schon 'nauf. Im Ofen liegen die Erdäpfel für dich und den Vater, und a bissel Leinöl hat's auch noch im Topf. Gieb gut Obacht auf das Schwesterle, und Gott befohlen!« Damit ging sie in den prasselnden Regen hinaus.

Das Friederle aber molk die Ziege und gab der Kleinen die süße Milch zu trinken. Dann nahm er einige Erdäpfel, so nennt man in Schlesien die Kartoffeln, aus der Ofenasche und verschlang sie gierig. Die übrigen ließ er für den Vater, wenn er abends hungrig von der Arbeit heimkehrte. Hu – war das ein Wetter draußen!

Der Sturmwind heulte um das baufällige Haus, er rüttelte an Tür und Fenster, und der Regen klatschte gegen die Fensterscheiben, an die Friederle ängstlich spähend das Näschen drückte.

Zum Zacken schaute Friederle sorgenvoll herab, der dicht am Haus vorbeifloß. Das sonst so seichte Wasser schoß heute, von den tagelangen Regengüssen und dem von der Frühlingssonne im Gebirge aufgetauten Schnee angeschwemmt, reißend und tosend dahin. Wenn es stieg – o Gott – wenn es wieder in die Hütte eindrang und die ganze Stube überschwemmte, wie vor drei Jahren?

Ängstlich schaute der Knabe auf das sanftschlummernde Annele, dann faltete er fromm die Händchen.

»Lieber Gott«, so flehte er, »laß doch das böse Wasser nicht kommen und behüte uns und auch das Mutterle droben in den Bergen!«

Aber ach, das Wasser stieg und stieg – immer stärker goß der Regen hernieder – immer lauter toste der Sturm – immer höher und höher stieg der Zacken.

Und da – da hörte das kleine Friederle plötzlich herzklopfend durch das Heulen des Sturmwinds das schaurige Tuten des großen Hornes, das bei Wasser- und Feuersgefahr die Dorfbewohner zur Rettung herbeirief.

»Jesses – das Wasser kommt!« schrie das Friederle auf, ja – schon drang es durch die Tür in die Stube, nun hatte es die roten Backsteine des Fußbodens überschwemmt, bald würde es die ganze Stube überfluten!

Da ergriff Friederle beherzt das Schwesterchen, stieg mit ihm die schmale Leiter zu dem Bodenraum empor und bettete die schlafende Kleine sanft in das warme Heu. Dann holte er die Ziege herauf und die Kartoffeln für den Vater. Aber als der tapfere, kleine Junge wieder hinablief, um auch die Wiege, Stühle und Betten heraufzuschaffen, da bot sich ihm ein trostloser Anblick.

Das Wasser reichte ihm schon bis unter die Arme, und immer noch stieg es. Betten, Tisch und Stühle, Topf und Löffel, all ihre paar Habseligkeiten, segelten lustig in der Stube umher. Da erfaßte Friederle den vorüberschwimmenden Tisch an einem Bein und keuchend vor Anstrengung schleppte er ihn die schmale Leiter hinauf.

Zähneklappernd vor Nässe und Kälte warf sich der Kleine in das Heu, aber es ließ ihm keine Ruhe. Das Kind schrie, die Ziege meckerte, kaum ein trüber Lichtschein drang durchs Bodenfenster in den dunkeln Raum.

Und immer weiter stieg das Wasser. Schon hatte es die dritte Leitersprosse überschwemmt, bald kam es auch hier herauf in den Bodenraum – und dann war es um sie geschehen!

Mit entsetzten Augen schaute Friederle zu, wie das Wasser immer näher und näher kam, jetzt war es bereits auf der vorletzten Sprosse, dumpf gurgelte es an die Leiter.

Kam denn niemand aus dem Dorf, um sie zu retten? Keiner – niemand dachte an die beiden verlassenen Kinder, die in Todesgefahr schwebten. Und Vater und Mutter waren weit.

Schon drang das Wasser in den Bodenraum, ein Krach – das Wasser hatte die Haustür mit fortgerissen! Da faßte Friederle einen kühnen Entschluß. Er stellte den Tisch um wie ein Boot, zog seine Jacke aus und knöpfte das Schwesterchen hinein. Dann ergriff er einen alten Besen, der in der Ecke lag, sprang mit dem Annele und der Ziege in den umgestülpten Tisch, befahl sich dem lieben Gott und ruderte mutig mit dem Besen in das furchtbare Unwetter hinaus.

Ein dumpfes Gepolter erscholl hinter ihm – die Hütte war zusammengestürzt, das Wasser hatte sie mit fortgefegt. –

Der Tisch aber mit dem armen, verängstigten Friederle schwamm auf den reißenden Fluten dahin. Da erblickte man vom Ufer aus das sonderbare Fahrzeug.

Mit langen Stangen zog man den vorübersegelnden Tisch an das Ufer, und bald waren Friederle, sein Schwesterchen und die Ziege in Sicherheit.

Glückstrahlend schlossen die in Angst und Sorge heimkehrenden Eltern ihre so wunderbar geretteten Kinder in die Arme. Gute Leute gaben den Armen, die um ihr ganzes Hab und Gut gekommen, Geld, daß sie sich ein neues, festes Häuslein bauen konnten.

Im Dorf aber sprach man noch lange von der Heldentat des mutigen Friederle.


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