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Kapitel X

General Alison und Dorcas

»Das ist einfach zu viel für sie, Master Tom, Shekels, die Frau des Colonels, el Cid, dazwischen Sie –«

»El Cid? Ach ja, ich erinnere mich – der Rabe.«

» – und dann noch Mrs. Captain Marsh und Famine, und Pestilence das Kojoten-Baby, Sour-Mash und ihre Welpen, und Sardanapalus(20) mit ihren Kitten – zum Teufel mit den Namen die sie dem Viehzeug gibt, ich renk' mir den Kiefer damit aus – und Potter: ihr alle hockt im Haus und Soldier Boy glotzt dazu die ganze Zeit zum Fenster rein, es ist ein reines Wunder, dass sie das alles durchsteht. Sie –«

»Du willst sie doch nur für dich allein, du alter Geizkragen!«

»Master Tom, Sie sollten es wirklich besser wissen. Es ist einfach zu viel Trubel. Und dann noch diese Idee, sie müsse ständig von ihren Offizieren Bericht erstattet bekommen, wonach sie dann handelt und ihre Befehle erteilt, so als wenn sie gesund wäre! Es ist nicht gut für sie, der Arzt mag es auch nicht und hat versucht auf sie einzureden, aber das hat nichts genutzt, und als er ihr es dann befehlen wollte, wurde sie ungehalten und wütend und sehr böse mit ihm, beschuldigte ihn der Unbotmäßigkeit und sagte, es stände ihm nicht zu, einem Offizier in ihrem Rang Befehle zu erteilen. Na, da hat er dann eingesehen, dass er sie damit mehr aufgeregt hatte als all die anderen zusammen, das hat ihn ziemlich gewurmt und er wünschte er hätte nichts gesagt. Doktoren haben keine Ahnung, das steht nun mal fest. Sie ist so interessiert an allem, sie sollte nur mehr schlafen. Die ganze Zeit verschickt sie Botschaften, an BB, an Soldaten, an Rothäute, an was weiß ich; und an Tiere.«

»An Tiere?«

»Ja, Sir.«

»Wer überbringt die denn?«

»Manchmal Potter, aber meistens ist es Shekels.«

»Ach geh'! Wie kann man sich nur über solche Kinderspiele aufregen?«

»Es ist kein Spiel, Master Tom. Sie verschickt sie im Ernst.«

»Ja, daran habe ich auch nicht gezweifelt.«

»Sie zweifeln, dass sie auch jemand erhält?«

»Genau. Du nicht?«

»Nein, Sir. Tiere sprechen miteinander. Ich weiß es sehr gut, Master Tom, ich vermute es nicht einfach nur so.«

»Was für ein sonderbarer Aberglaube!«

»Is' kein Aberglaube, Master Tom. Schau'n Sie sich Shekels an – jetzt, genau jetzt. Hört er zu oder nicht? Jetzt, haben Sie gesehen? Er hat den Kopf weg gedreht. Weil er erwischt wurde – in flagranti. Ich frage Sie – würde eine Christenseele sich mehr schämen als er genau jetzt? – Platz! Haben Sie's gesehen? Er wollte sich gerade verdrücken. Erzählen Sie mir nichts, Master Tom! Wenn Tiere nich' sprechen können, hab' ich meinen siebten Sinn verloren. Shekels ist der Schlimmste. Läuft rum und erzählt den Tieren von allem was so in den Offiziersquartieren vor sich geht, und wenn er mal nichts Neues weiß, erfindet er was. Hat nicht mehr Prinzipien als 'n blauer Eichelhäher; und was seine Moral betrifft, die hatt' er gar nicht. Schau'n Sie ihn sich jetzt an, wie er sich windet. Hört was ich sage, und weiß dass es die Wahrheit ist. Sie können es selbst sehen, wie er sich schämen kann; is' wohl die einzige Tugend die er hat. Is' schon beeindruckend, wie sie alles mitkriegen was so abläuft – die Tiere. Sie –«

»Glaubst du wirklich sie tun es, Dorcas?«

»Ich glaub' das nicht einfach nur, Master Tom, ich weiß es. Vorgestern haben sie mitbekommen, dass etwas im Busch ist. Waren alle aufgeregt, haben miteinander rumgeflüstert; warum, nun, jeder konnte sehen, dass sie – Ach herrje! Ich muss zu ihr zurück, und hab noch nicht mal meine Aufträge erledigt.«

»Was gibt's denn alles zu erledigen, Dorcas?«

»Na, sind zwei oder drei Sachen. Eine ist, der Doktor salutiert nicht, wenn er eintritt ... da gibt's gar nichts zu lachen, Master Tom, deshalb –«

»Na also, verzeih' mir; ich wollte gar nicht lachen, ich bin nur etwas unvorbereitet getroffen worden.«

»Schauen Sie, sie möchte den Doktor nicht verletzen, deshalb sagt sie nichts zu ihm und bleibt immer freundlich; es verletzt solche Menschen aber immer, wenn jemand grob zu ihnen ist.«

»Ich werd' den Doktor hängen lassen.«

»Master Tom, sie möchte nicht, dass er gehängt wird, sie –«

»Dann lass' ich ihn eben in siedendem Öl kochen.«

»Aber sie möchte ihn nicht gekocht. Ich –«

»Na gut, na gut, ich will ihr nur einen Gefallen tun. Ich lass ihm das Fell abziehen.«

»Warum, SIE möchte ihn nicht gehäutet, würde' ihr das Herz brechen. Jetzt –«

»Weib, jetzt wird es langsam unvernünftig. Was in der Welt möchte sie denn?«

»Master Tom, wenn sie nur ein wenig geduldiger wären und nicht bei der kleinsten Sache gleich aus der Haut fahren würden. Sie möchte nur, dass Sie mit ihm sprechen.«

»Mit ihm sprechen! Potztausend! All' das Theater wegen so einem – einem – Dorcas, ich kann mich nicht erinnern, dass du dich je so aufgeführt hast. Du hast den Wachposten alarmiert, der denkt schon an ein Attentat auf mich, denkt an Meuterei, an eine Revolte, einen Aufstand, er –«

»Master Tom, Sie regen sich ja immer weiter auf, wissen Sie nur selbst zu gut, ich weiß nicht, was sie sich so benehmen lässt – war aber schon immer so, schon als Sie klein waren, und wird nie besser, nehme' ich an. Sind sie fertig, Master Tom?«

»Oh ja, gut; aber da würde jeder hochgehen, wenn man nur das Beste will, und so freundlich ist, wie man es sich nur wünschen kann, nur um dann noch verhöhnt zu werden, und ... ach, lass gut sein, es ist egal – ich spreche' mit dem Doktor. Bist du nun zufrieden, oder kommt da noch so ein Ausbruch von dir?«

»Ja, Sir, bin zufrieden, es ist nur richtig, wenn man mit ihm spricht, denn es ist genau wie sie sagt; sie versucht Disziplin und Ordnung bei den Rangern zu halten, und seine Insubordination ist ein schlechtes Beispiel für die Truppe – hat sie da nicht Recht, Master Tom?«

»Na gut, das hört sich alles sehr vernünftig an, das kann ich nicht anders sagen; und deshalb werde ich auch mit ihm sprechen, obwohl, Hängen wäre die dauerhaftere Lösung. Was sollst du denn noch erledigen, Dorcas?«

»Ihr Zimmer ist natürlich jetzt, wo sie krank ist, Ranger Hauptquartier, Master Tom. Und es kommen Kavalleristen und Dragoner wenn sie dienstfrei haben, und wechseln sich in der Bewachung ab. Machen sie doch weil sie sie so mögen, Sir, und weil sie wissen, dass militärischer Formaldienst ihr so gut gefällt, und den Kindern auch, ihr zu Liebe; und sie haben auch keine Musketen dabei; und so –«

»Ich habe die Soldaten da schon gesehen, konnte mir aber keinen Reim drauf machen. Sie schieben also für sie Wache?«

»Ja, Sir, und jetzt hat sie Angst, dass Sie sie rügen werden, wenn Sie sie da sehen, so was würde ihre Gefühle verletzen; und so bittet sie darum – wenn es Ihnen nichts ausmacht, durch die Hintertür herein zu kommen –«

»Fang' mich auf Dorcas, lass' mich nicht in Ohnmacht fallen.«

»Ach – setzten Sie sich hin, schön gerade, und reißen sich mal zusammen, Master Tom. Deswegen fällt man doch nicht in Ohnmacht. Sie tun doch nur so – das haben Sie schon so gemacht als Sie noch jung waren; Sie scheinen wirklich lange zu brauchen, um erwachsen zu werden.«

»Dorcas, wenn das Kind so weitermacht, werde ich in Kürze noch meinen Job verlieren, sie wird den Standort komplett übernommen haben. Ich muss ein Zeichen setzen, kampflos sollte ich mich nicht ergeben. Diese Einmischungen ... Dorcas, was glauben Sie hat sie als Nächstes vor?«

»Master Tom, sie meint es doch nicht bös'.«

»Bist du dir da sicher?«

»Ja, Master Tom.«

»Du bist sicher sie entwickelt keine heimtückischen Absichten?«

»Weiß nicht was die sein sollten, Master Tom, bin ich aber sicher dass sie das nicht tut.«

»Na gut, im Moment bin ich beruhigt. Was war denn jetzt noch?«

»Ich schätz' mal, ich erzähle Ihnen erst die Geschichte, dann sag' ich Ihnen was sie will. Da war 'n Aufruhr, wie sie es nennt. Das war bevor sie mit BB zurückkam. Der Offizier vom Wachdienst hat es ihr heut früh gemeldet. Passierte in ihrem Fort. Es gab Streit zwischen Major-General Tommy Drake und Lieutenant-Colonel Agnes Frisbie, er hat ihr ihre Puppe aus weißem Ziegenleder und Holzmehl weg genommen, hat ihr sämtliche Klamotten runter gerissen, alle haben zugeschaut, und jetzt sitzt er in Arrest, die Anklage lautet auf un–«

»Ja, ich weiß – auf ungebührliches Verhalten eines Offiziers und Gentleman – wäre auch für mich ein klarer Fall. Und ein ernster dazu. Gut, was wünscht sie?«

»Tja, Master Tom, sie hat ein Kriegsgericht einberufen, aber der Doktor denkt nicht, dass sie gesund genug ist die Sitzung zu leiten, und sie sagt es gibt keinen der so kompetent wäre wie sie, weil es einen Major-General betrifft, und – und jetzt, na gut – jetzt fragt sie, ob Sie den Vorsitz an ihrer Stelle übernehmen würden? ... Master Tom, setzen Sie sich gerade hin! Sie werden hier nicht tiefer in Ohnmacht fallen, als Shekels eben.«

»Schau Dorcas, bitte geh' zurück zu ihr, und bitte sei taktvoll. Versuche, sie zu überzeugen, sie soll sich keine Sorgen machen; sag' ihr es ist alles in bester Ordnung, die Sache sei nun in meinen Händen, aber es wäre nicht gut, etwas zu überstürzen, vor allem nicht, wenn es sich um eine so ernste Angelegenheit wie diese handele. Erkläre ihr, dass wir Präzedenzfälle benötigten, und dass ich glaubte, hier handelte es sich um einen neuen Fall. Genau, du kannst sagen, ich wüsste, so etwas sei in unserer Armee noch nie vorgekommen und deshalb müssten wir uns um europäische Präzedenzfälle bemühen, müssten solche sorgfältig prüfen. Sag' ihr sie solle nicht ungeduldig sein, es würde sich alles richten, und ich käme vorbei und würde sie auf dem Laufenden halten. Hast du das verstanden, Dorcas?«

»Nicht so richtig, Sir.«

»Also, es ist so. Ich kann doch nicht im Ernst, ich, ein Brigadegeneral der regulären Armee, über ein Kinderkriegsgericht präsidieren – da gibt's auch keinen Präzedenzfall für, verstehst du das? Gut. Ich werde mich also von kompetenter Stelle beraten lassen, bis sie selbst wieder gesund genug ist die Sache selbst zu leiten, und ich aus dieser verqueren Angelegenheit heraus komme. Hast du's jetzt?«

»Oh ja Sir, jetzt versteh' ich, das ist gut, ich geh' gleich und mach es mit ihr klar. Platz! und bleib' wo du bist.«

»Warum, was hat er denn angestellt?«

»Nichts Böses, aber es nervt mich wie er sich benimmt.«

»Wie benimmt er sich denn?«

»Sehen Sie das denn nicht? Er ist schon ganz aufgeregt. Er wollte eben los und es in der ganzen Kaserne verbreiten. Jetzt, schätz' ich mal, können Sie es selbst nicht mehr leugnen, dass sie 'rumlaufen und alles erzählen was sie hören, jetzt wo Sie's mit ihren eigenen Augen gesehen haben.«

»Tja, ich mag es gar nicht zugeben, Dorcas, aber ich weiß nicht wie ich noch auf Dauer zweifeln kann, angesichts solch überwältigender Beweise, wie sie der Hund gerade abliefert.«

»Na also, endlich haben Sie's auch verstanden! Ich frag' mich wie man so stur sein kann, Master Tom. Waren Sie aber immer schon, schon als Sie klein waren. Ich geh' dann mal.«

»Eins noch; sag' ihr bitte, angesichts der Verzögerung des Verfahrens, wäre es angemessen, dem Beschuldigten eine Verlängerung seines Hafturlaubes zu gewähren.«

»Ja, Sir, ich sag's ihr. Master Tom?«

»Bitte?«

»Sie kann nicht zu Soldier Boy, und er steht die ganze Zeit da draußen, lässt den Kopf hängen und ist einsam; sie fragte, ob Sie ihm nicht auch den Huf schütteln möchten? Macht jeder.«

»Seltsame Art der Einsamkeit; aber gut, ich mach' es.«


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