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Kapitel I

Soldier Boy – Leise zu sich selbst

Ich bin Buffalo Bill's Pferd. Mein ganzes Leben habe ich unter seinem Sattel verbracht, meist mit ihm selbst drin, und er wiegt bestimmt seine zweihundert Pfund ohne Kleidung. Niemand kann genau sagen, wie viel er wiegt, wenn er auf dem Kriegspfad ist und sein ganzes Arsenal umgeschnallt hat. Er ist über sechs Fuß groß, er ist jung, er hat kein Gramm Fett zuviel auf den Rippen, er ist grad heraus und eine ziemlich imposante Erscheinung, hat gute Reflexe und ist schnell wie eine Katze. Und er hat ein nettes Gesicht, das schwarze Haar fällt ihm bis auf die Schultern. Er ist einfach stattlich anzuschauen; niemand ist tapferer als er, und keiner ist stärker, außer mir. Ja, wer zweifelt dass er ein prächtiges Bild abgibt, der sollte ihn einmal sehen, mit seiner Perlen besetzten Lederweste; der Gewehrlauf über seiner Schulter blinkt in der Sonne, wenn er mit mir flink wie der Wind durch Feindesland galoppiert, und sein Haar dabei hinter seinem breiten Rücken weht. Das ist ein Anblick – und ich bin ein Teil davon.

Aus Dutzenden anderer Pferde hat er mich gewählt, ich bin sein Lieblingspferd. So groß wie er ist, ich habe ihn schon einundachtzig Meilen am Stück getragen, einmal, auf einer Erkundung, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Für fünfzig Meilen bin ich immer gut, jeden Tag, jederzeit. Ich bin nicht besonders groß, aber ich bin eine gute Geschäfts-Grundlage. Ich habe ihn Abertausende Meilen auf diesen Erkundungsritten für die Armee getragen, es gibt keine Schlucht und keinen Pass, kein Tal und kein Fort, keinen Handelsposten und keine Büffelebene in den Weiten der Rocky Mountains und der Great Plains, die wir nicht genau so gut kennen würden wie die Horn-Signale unserer Armee. Er ist Führer der Erkundungstruppen der Grenzeinheit, und damit sind wir sehr wichtig. In so einer Position, wie ich sie im Militärdienst bekleide, muss man eine gute Abstammung und Ausbildung haben die einen über den Durchschnitt hebt, um der Aufgabe gerecht zu werden. Ich sei das beste Pferd im Stall, das sagt jeder, und das mit den besten Manieren dazu. Kann sein, dass das so ist, es liegt nicht in meinem Ermessen das zu beurteilen; Bescheidenheit ist hier wohl besser, denke ich. Buffalo Bill hat mich fast alles gelehrt was ich kann, meine Mutter aber auch recht viel, und den Rest habe ich mir selbst beigebracht. Legen Sie mir eine Reihe mit Moccasins vor die Nüstern, egal ob von Pawnees, Sioux, Shoshonen, Cheyenne oder Blackfeet, von so vielen Stämmen wie Sie mögen – ich kann Ihnen jeden einzelnen Stamm bestimmen, nur an der Art der Moccasins. Und zwar in Pferdesprache. In Amerikanisch aber auch. Wenn ich sprechen könnte.

Ich kenne ein paar der Indianersignale – diese Zeichen, die sie sich mit der Hand geben, ich kenne auch ihre Signalfeuer in der Nacht und die Rauchzeichen bei Tag. Buffalo Bill hat mir beigebracht, wie ich mit meinen Zähnen verwundete Soldaten aus der Feuerlinie herausziehe. Ich habe das auch schon gemacht, zumindest ihn habe ich schon vom Schlachtfeld gezogen, als er einmal verwundet war. Nicht einmal, zweimal. Ja, ich kann schon ein paar Sachen. Ich kann Gestalten, Gangarten und Gesichter erkennen und unterscheiden; niemand könnte eine Person, die mir irgendwann einmal etwas Gutes getan hat, so verkleiden, dass ich sie nicht wieder erkennen würde, wenn ich sie später noch einmal träfe. Ich beherrsche die Kunst des Fährten Lesens, ich kann alte und frische Spuren unterscheiden. Ich kann allein einer Fährte folgen, wenn Buffalo Bill schlafend im Sattel sitzt, fragen Sie ihn nur – er wird es Ihnen bestätigen. Schon oft, wenn er die ganze Nacht geritten war, hat er zu mir bei Sonnenaufgang gesagt: »Übernimm die Wache, Boy, wenn die Fährte frischer wird, ruf mich.« Dann schläft er. Er weiß, er kann mir vertrauen, ich hätte ja meinen guten Ruf zu verlieren. Ein Scoutpferd spielt nicht mit seinem guten Ruf.

Meine Mutter war durch und durch Amerikanerin – keinerlei Zweifel an ihrer Herkunft, das kann ich euch sagen, das beste Kentucky Blut pulsierte in ihren Adern, das blaueste und adeligste dazu, ziemlich frostig – oder vielleicht hieß das jetzt förmlich? Keine Ahnung, wie es genau heißt. Aber das macht nichts, denn Größe ist das Einzige, was zählt bei einem Wort, und das da eben entspricht wohl den Erwartungen. In ihrer Militärkarriere war sie ein Oberst der Zehnten Dragoner, und sie machte jede Menge harten Dienstes mit – ehrenhaften Dienstes, natürlich. Ich meine damit, sie trug den Oberst; aber das ist doch das Gleiche. Was wäre er denn ohne sein Pferd gewesen? Er wäre nirgendwo angekommen. Sie war ein feiner Dragoner, aber auch nicht mehr. Sie war stark genug für den Scout Dienst, sie hatte dafür auch die entsprechende Ausdauer. Aber es fehlte ihr an Schnelligkeit; ein Scoutpferd muss eigentlich auch Muskeln aus Stahl besitzen, es muss Feuer im Blut haben.

Mein Vater war ein Bronco. Nichts gegen Stammbäume – ich meine, nichts gegen diese Stammbäume aus jüngerer Zeit – aber es ist schon ziemlich gut, wenn man mal ordentlich in der Zeit zurückgeht. Als Professor Marsh hier draußen war, und die alten Knochen für die Kapelle in der Yale Universität zusammen gesammelt hat, da hat er Skelette von Pferden gefunden, die waren nicht größer als ein Fuchs. Die steckten in Steinen drin, und er sagte, das wären die Vorfahren meines Vaters gewesen. Meine Mutter hat gehört, wie er es sagte; und er sagte, diese Skelette wären zwei Millionen Jahre alt, und das befremdete sie dann doch, denn es ließ ihren eigenen Kentucky Abstammungs-Anspruch recht klein und antiphonisch, um nicht zu sagen, herabgestuft, erscheinen. Warten Sie mal ... ich kannte mal die Bedeutungen dieser Ausdrücke, aber ... na ja, ist Jahre her. Ist alles nicht mehr so frisch, wie's mal war. Diese Sorte Wörter hält sich nicht so lange in unserem Klima hier draußen. Professor Marsh sagte, diese Skelette seien Fossile. Das alles macht dann einen halben Kentucky Blue Grass und ein halbes Fossil aus mir; sollte es irgendwo ein Pferd mit älterer oder besserer Herkunft geben, dann müssten Sie schon bei den ›Four Hundred‹ nachschauen, schätze ich. Ich bin zufrieden damit. Und ich bin ein glückliches Pferd. Auch wenn ich außerehelich bin.

Und jetzt sind wir wieder zurück in Fort Paxton. Nach vierzig Tagen Erkundung, bis hoch nach Big Horn waren wir. Alles ruhig dort. Ein paar Crows und Blackfeet zanken sich – das Übliche – aber keine Aufstände, die Siedler fühlen sich recht sicher.

Die Siebente Kavallerie liegt immer noch hier in der Garnison; auch die Neunte Dragoner, zwei Artillerie Kompanien und ein wenig Infanterie. Alle freuen sich, mich wieder zu sehen, auch General Alison, der Kommandant. Den Frauen der Offiziere und den Kindern geht's gut, sie riefen mich – mit Zucker. Colonel Drake von der Siebenten Kavallerie sagte ein paar nette Dinge; Mrs. Drake machte Komplimente, auch Captain und Mrs. Marsh von der B Kompanie der Siebenten; sowie der Militärpfarrer. Der ist immer besonders nett zu mir, nachdem ich mal einem Missionar die Luft aus dem Leib gekeilt habe. Tommy Drake und Fanny Marsh hießen die beiden Kinder, die mit dem Zucker ankamen – echt nette Kinder, die nettesten hier am Posten.

Das arme Waisenkind ist auf dem Weg von Frankreich hierher zu uns – jeder spricht davon. Ihr Vater war General Alisons Bruder. Der hatte vor zehn Jahren eine junge, schöne, spanische Lady geheiratet und seither war er nicht wieder nach Amerika zurückgekehrt. Sie lebten ein oder zwei Jahre in Spanien und gingen dann nach Frankreich. Beide starben vor ein paar Monaten. Das kleine Mädchen, das nun kommt, war ihr einziges Kind. General Alison freut sich sehr auf sie. Er hat sie noch nie vorher gesehen. Er ist ein freundlicher alter Junggeselle, aber eben ein alter Knabe, und er hat nicht mehr als ein Jahr bis zu seiner Pensionierung. Was soll er da mit einem kleinen neunjährigen Mädchen anfangen? Wenn ich sie nehmen könnte, wäre das was anderes. Ich weiß alles über Kinder, und Kinder lieben mich. Buffalo Bill könnte es Ihnen erzählen.

Ein paar dieser Neuigkeiten habe ich aus dem üblichen Garnisons-Klatsch, den Rest von Potter, dem Hund des Generals. Potter ist der große Däne. Er genießt ein paar Privilegien hier am Standort, genau wie Shekels, der Hund der Siebenten Kavallerie. Potter schaut in jedem Quartier vorbei und schnappt dabei alles an Neuigkeiten auf. Er ist nicht besonders phantasievoll, auch sonst nicht irgendwie großartig gebildet, aber er hat ein historisches Gedächtnis und gutes Erinnerungsvermögen, und deshalb ist er derjenige, von dem ich mich meistens auf den neuesten Stand bringen lasse, wenn ich von einer Erkundung zurückkomme. Meistens heißt, immer dann, wenn Shekels auf Plündertour unterwegs ist, und ich ihn deshalb nicht zu fassen bekomme.


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