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Neuntes Bild

 

Schmutziger Raum in einem Wirtshaus. An einem Tisch Gäste, die Tee oder Branntwein trinken. Im Vordergrund ein kleiner Tisch; an dem Tisch Fedja, der ganz heruntergekommen und zerlumpt aussieht, und Petuschkow, ein höflicher Mensch von sanftem Wesen, mit langem Haar, wie ein Geistlicher aussehend. Beide haben einen leichten Rausch.

 

Petuschkow: Ich verstehe, ich verstehe. Das nenne ich echte Liebe. Nun, und was weiter?

Fedja: Ich würde nichts sagen, wenn ein Mädchen unserer Kreise solche Gefühle offenbarte und für den mann, den sie liebt, alles opferte – aber eine Zigeunerin, die von Anfang an so erzogen wurde, daß sie nur an Erwerb und Gewinn denkt – ist bei der eine so reine, so selbstlose Liebe nicht geradezu überraschend? Alles gibt sie hin, nichts verlangt sie für sich. Dieser Kontrast vor allem!

Petuschkow: Ganz recht. Wir Maler nennen das »valeur« – wie das Rot erst dann recht zur Geltung kommt, wenn ringsum das Grün vorherrscht. Doch das nur nebenbei. Ich verstehe, ich verstehe.

Fedja: Ja, und das ist, glaube ich, die einzige gute Handlung, die ich auf dem Konto habe: daß ich ihre Liebe nicht mißbrauchte. Und wissen Sie, warum?

Petuschkow: Aus Mitleid?

Fedja: Nein, nicht Mitleid war es, was ich für sie empfand. Sie war für mich stets etwas Heiliges, was ich nicht anzutasten wagte, und wenn sie sang – auch, und wie sang sie, und wie singt sie noch jetzt! –, da blickte ich nur so voll Anbetung zu ihr auf. Wenn ich sie nicht unglücklich gemacht habe, so geschah es darum, weil ich sie so innig liebte. Ja, ich habe sie wirklich geliebt – und das ist eine so schöne, schöne Erinnerung für mich. Trinkt.

Petuschkow: Ich verstehe, ich verstehe – so ideal!

Fedja: Ich kann es Ihnen ja sagen: ich habe auch so meine kleinen Liebschaften gehabt. Einmal war ich in eine schöne, vornehme Dame verliebt, und ich liebte sie auf so häßliche, hündische Art, und sie gab mir ein Rendezvous. Ich ging aber nicht hin, weil ich es dem Manne gegenüber für eine Gemeinheit hielt. Und es ist merkwürdig: heute noch möcht' ich jedesmal, wenn ich daran zurückdenke, mich darüber freuen und mir ein Lob erteilen, daß ich damals ehrenhaft gehandelt habe; in Wirklichkeit aber fühle ich Reue darüber, als hätte ich eine Sünde begangen. Hier aber, bei Mascha, ist das Gegenteil der Fall. Ich bin froh, so froh, daß ich mein Gefühl für sie durch keine Schuld entweiht habe. Ich kann noch tiefer sinken, ich kann ganz und gar verkommen …

Petuschkow: Ich verstehe, ich verstehe. Wo ist sie denn jetzt?

Fedja: Ich weiß es nicht. Und ich will es auch nicht wissen. Das sind alles Dinge, die einem andern Leben angehören. Ich will es mit meinem jetzigen Leben nicht vermischen.

Am hinteren Tisch läßt sich das Geschrei einer Frau vernehmen. Der Wirt erscheint mit einem Polizisten, und sie wird abgeführt. Fedja und Petuschkow beobachten schweigend die Szene.

Petuschkow nachdem es am hinteren Tisch still geworden: Ja, sie haben ein merkwürdiges Leben geführt.

Fedja: Im Gegenteil, ein sehr einfaches. Wer in den Kreisen, denen ich entstamme, geboren ist, der hat nur drei Möglichkeiten zur Auswahl. Entweder kann er ein Amt bekleiden, kann Geld verdienen und den Schmutz, in dem wir leben, vermehren – das war mir zuwider, oder vielleicht verstand ich es auch nicht, vor allem aber war es mir zuwider. Oder er kann diesen Schmutz bekämpfen, doch dazu muß er ein Held sein, und der bin ich nie gewesen. Oder aber drittens: er sucht zu vergessen, wird liederlich, trinkt und singt – das habe ich getan, und so weit habe ich's damit gebracht.

Petuschkow: Nun, und das Familienleben? Ich wäre glücklich, wenn ich eine Frau hätte, die mich liebte. Mich hat meine Frau zugrunde gerichtet.

Fedja: Sie sagen Familienleben: Ja … meine Gattin war eine ideale Frau. Sie ist noch am Leben. Doch was soll ich dir sagen: es fehlen die Rosinen im Kuchen. Es war keine Harmonie in unserem Eheleben, verstehst du – es fehlte mir etwas darin – die Musik, das Spiel, denn ich wollte ja vergessen. Und da begann ich, über die Stränge zu schlagen, und vernachlässigte sie. Nun lieben wir die Menschen, siehst du, immer nur um des Guten willen, das wir ihnen antun, und hassen sie um des Bösen willen, das sie von uns erleiden. Und ich habe ihr sehr, sehr viel Böses angetan, während sie mich zu lieben schien.

Petuschkow: Warum sagen Sie »schien«?

Fedja: Weil ich mir nie darüber klar war: nie hat sie mir so tief ins Herz geschaut wie Mascha. Doch wie sollte sie auch: sie trug ein Kind unterm Herzen, und sie nährte es – und ich trieb mich tagelang herum und kam betrunken nach Hause. Und darum eben, um des Unrechts willen, das ich an ihr beging, liebte ich sie immer weniger und weniger. in begeistertem Ton. Eben geht's mir durch den Kopf; darum liebe ich auch Mascha so herzlich: weil ich ihr immer nur Gutes tat und nie Böses. Ja, darum liebe ich sie. Und jene hab' ich gequält – nicht weil ich sie nicht liebte … doch nein, ich habe sie nicht geliebt. Eifersüchtig war ich, ja – aber auch das ging vorüber.

Artemjew, ein Mann mit einer Kokarde, gefärbtem Schnurrbart und geflicktem Anzug tritt an die beiden heran.

Artemjew: Guten Appetit! Verneigt sich vor Fedja. Na, haben Sie sich mit unserem Künstler bekannt gemacht?

Fedja kühl: Ja, wir kennen uns.

Artemjew zu Petuschkow: Hast du das Porträt fertig gemalt?

Petuschkow: Nein, ich kam damit nicht zu Rande.

Artemjew setzt sich zu ihnen: Ich störe doch nicht?

Fedja und Petuschkow schweigen.

Petuschkow: Feodor Wasiljewitsch erzählte von seinem Leben.

Artemjew: Geheimnisse? Dann will ich nicht stören. Ich reiß' mich um eure Gesellschaft nicht, ihr Schafsköpfe. Setzt sich an den Nachbartisch und bestellt ein Glas Bier. Er belauscht die ganze Unterhaltung Fedjas und Petuschkows, indem er sich zu ihnen vorbeugt.

Fedja: Ich kann diesen Kerl nicht leiden.

Petuschkow: Er hat's übelgenommen.

Fedja: Lassen Sie. Ich kann nicht anders. Ich bin einmal so. Wenn solch ein Mensch dabeisitzt, gehen mir die Worte nicht von der Zunge. Mit Ihnen plaudre ich gern, es macht mir Vergnügen. Wo war ich also stehengeblieben?

Petuschkow: Sie sagten, Sie seien eifersüchtig gewesen. Wie sind Sie dann mit Ihrer Frau auseinandergekommen?

Fedja: Ach …, Nachdenklich … das ist eine merkwürdige Geschichte. Meine Frau ist wieder verheiratet.

Petuschkow: Sie sind geschieden?

Fedja: Nein Lächelt. Sie war Witwe geworden.

Petuschkow: Wie soll ich das verstehen?

Fedja: Ganz wörtlich: sie war Witwe geworden. Ich existiere doch nicht mehr.

Petuschkow: Wieso denn?

Fedja: Na eben – so! Ich bin nicht mehr am Leben. Ich bin ein Leichnam.

Artemjew beugt sich weiter vor und spitzt die Ohren.

Sehen Sie nämlich … Ihnen kann ich's ja erzählen! Es ist schon eine ganze Zeit her, und meinen Namen kennt ja schließlich niemand, auch Sie nicht. Die Sache war also die: Als ich meine Frau bis zum Äußersten getrieben hatte, als alles durchgebracht war und sie es gar nicht mehr mit mir aushielt, da erschien ihr Beschützer auf der Bildfläche! Sie brauchen nicht gleich an etwas Schlimmes zu denken – nein, der Mann war mein Freund und ein sehr braver, lieber Mensch, nur in allem das gerade Gegenteil von mir. Und da in mir weit mehr Schlechtes als Gutes steckt, so war und ist er natürlich ein sehr guter Mensch: ein Ehrenmann, ein Mann von Charakter und von strenger Sittsamkeit, überhaupt ein tugendhafter Mensch. Er kannte meine Frau seit ihrer Kindheit, und er liebte sie, und als sie mich heiratete, trug er sein Schicksal mit Gelassenheit. Als ich dann aber schlecht zu ihr war und sie quälte, kam er häufiger zu uns. Ich selbst hatte es gewünscht. Sie faßte eine Neigung zu dem Jugendfreund, und ich war damals total verbummelt und lebte von ihr getrennt. Dazu kam noch die Sache mit Mascha. Ich machte ihnen selbst den Vorschlag, sie sollten sich heiraten. Sie wollten nichts davon wissen, doch ich trieb es immer ärger, und das Ende vom Liede, daß …

Petuschkow: Die alte Geschichte …

Fedja: Durchaus nicht – ich bin fest davon überzeugt, daß sie rein geblieben sind. Er ist ein Mann von religiöser Überzeugung und hält eine Ehe ohne den Segen der Kirche für Sünde. Sie verlangten, dass ich in eine Scheidung einwillige, ich sollte alle Schuld auf mich nehmen und dieses ganze verlogene Komödie mitmachen. Und das konnte ich nicht. Es wäre mir, weiß Gott, leichter gefallen, einen Selbstmord zu begehen, als zu lügen. Und ich war auch schon allen Ernstes dabei, als ein guter Mensch dazukam und zu mir meinte: »Warum das? Ist ja gar nicht nötig!« Na, und der hat dann alles arrangiert und den Abschiedsbrief expediert, und tags darauf fand man am Flußufer meine Kleider und darin meine Brieftasche nebst allerhand Schriftstücken.

Petuschkow: Man hat Sie doch aber nicht gefunden?

Fedja: Acht Tage später fischte man einen Leichnam auf, der schon recht stark verwest war. Man holte meine Frau und fragte sie, ob ich es sei, und sie sah kaum hin, vor lauter Aufregung wohl, und sagte: »Ja, er ist's.« Und dabei blieb es. Ich wurde begraben, und sie heirateten sich und leben in Glück und Freuden. Na, und ich – ich lebe halt auch und trinke weiter. Gestern ging ich an ihrem Hause vorbei. Die Fenster waren hell erleuchtet, ein Schatten schwebte am Vorhang vorüber. Manchmal ist mir recht scheußlich zumute, und manchmal geht's. Am scheußlichsten ist's, wenn ich kein Geld habe. Trinkt.

Artemjew tritt näher: Mit Verlaub: ich hab' ihre Geschichte gehört. Eine sehr nette Geschichte und vor allem sehr nützlich. Sie sagen, es sei scheußlich, wenn Ihnen das Geld ausgegangen ist. Und sie haben recht: es gibt nichts Scheußlicheres. Aber Ihnen, in Ihrer Lage, sollte doch eigentlich nie das Geld ausgehen! Sie sind ein Leichnam – Sie können also …

Fedja: Erlauben Sie – ich habe die Geschichte nicht Ihnen erzählt, und ich wünsche Ihre Ratschläge nicht.

Artemjew: Und ich wünsche sie Ihnen trotzdem zu geben. Sie sind ein Leichnam – wenn Sie nun noch am Leben sind, was sind dann jene beiden, Ihre Frau und der betreffende Herr, die jetzt in Glück und Freuden leben? Bigamisten sind sie und gehören bestenfalls an irgendeinen nicht zu weit entfernten Ort in Sibirien.

Fedja: Ich bitte Sie, mich in Ruhe zu lassen.

Artemjew: Sie brauchen doch nur einen Brief zu schreiben. Oder wenn Sie wollen, schreibe ich ihn, Sie brauchen mir nur die Adresse zu geben. Sie werden mir noch dankbar sein, sag' ich Ihnen.

Fedja: Machen Sie endlich, daß Sie fortkommen. Ich habe Ihnen gar nichts erzählt.

Artemjew: Doch haben sie das! Der da ist Zeuge. Und auch der Kellner hat gehört, wie Sie sagten, daß sie ein Leichnam sind.

Kellner: Ich weiß von gar nichts.

Fedja: Halunke!

Artemjew: Ich – ein Halunke? Heda, Polizei! Hier riecht es nach Zuchthaus!

Fedja erhebt sich und will gehen. Artemjew hält ihn fest.
Ein Polizist tritt ein.

Vorhang

 


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