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Zweites Bild

 

Zimmer bei den Zigeunern. Der Chor singt das Lied »Kon'a wella«. Fedja liegt in Hemdsärmeln auf dem Diwan, das Gesicht nach oben gewandt. Afremow sitzt gegenüber dem Vorsänger rittlings auf einem Stuhl. Am Tisch ein Offizier; auf dem Tisch eine Flasche Sekt mit Gläsern. An demselben Tisch sitzt ein Musiker, der sich Notizen macht.

 

Afremow: Fedja, schläfst du?

Fedja erhebt sich: Schwatzt nicht! Jetzt kommt »Das Abendrot« …

Zigeuner: Noch nicht, Feodor Wasiljewitsch. Jetzt wird erst Mascha ein Solo singen.

Fedja: Gut – aber dann müßt ihr »Das Abendrot« singen. Streckt sich wieder aus.

Offizier: »Denkst du des Tags« schlag' ich vor.

Zigeuner: Ist's den Herren recht?

Afremow: Nur zu!

Offizier zum Musiker: Was haben Sie da notiert?

Musiker: Man kommt nicht mit. Jedesmal singen sie es anders, immer in einer anderen Tonart. Hier zum Beispiel. Er ruft die anderen heran; zu einer Zigeunerin, die hinsieht: Stimmt das so? Er singt.

Zigeunerin: Ganz richtig! Sehr gut!

Fedja erhebt sich: Einen schönen Unsinn wird der zusammennotieren – die ganze Oper wird er sich verhunzen. Nun, Mascha, leg los, sing »Denkst du des Tags«! Nimm die Gitarre dazu! Steht auf, setzt sich gerade vor sie hin und sieht ihr in die Augen. Mascha singt.

Fedja: Wundervoll! Bravo, Mascha! Nun, und jetzt kommt »Das Abendrot«.

Afremow: Nein, halt mal – erst kommt mein »Grablied«!

Offizier: Warum nennen sie es ein »Grablied?«

Afremow: Weil ich in meinem Testament verfüge, daß Zigeuner dieses Lied bei meinem Begräbnis singen sollen. Sobald sie loslegen: »Schelme werste ...« – spring' ich aus dem Grabe und bin wieder lebendig. Verstehst du? Zum Musiker: Das müssen Sie sich notieren! … Nun, leg los! Die Zigeuner singen: Ach, war das schön! Und jetzt singt: »Ei, ihr wackren Burschen mein!«

Die Zigeuner singen. Afremow singt allein zwischen zwei Strophen, die der Chor singt. Die Zigeuner lächeln, applaudieren und fahren dann fort zu singen. Afremow setzt sich; das Lied ist zu Ende.

Die Zigeuner: Bravo, Michael Andrejewitsch – wie ein richtiger Zigeuner!

Fedja: Nun, jetzt singt endlich »Das Abendrot«. Die Zigeuner singen. Das nenn' ich ein Lied! Herrlich, himmlisch, wunderbar! Was alles drinliegt! Wie einen das begeistert – daß man nicht ewig so in Entzücken schwelgen kann!

Musiker notiert: Ja, sehr originell,

Fedja: Originell, sagen Sie? Echt ist's vor allem, echt!

Afremow: Nun, jetzt könnt ihr ausruhen. Nimmt die Gitarre und setzt sich zu Katja.

Musiker: Im Grunde genommen ist's ganz einfach, aber dieser Rhythmus!

Fedja macht eine geringschätzige Handbewegung, geht dann zu Mascha und setzt sich neben sie auf den Diwan: Ach, Mascha, Mascha, was hast du aus meinem Herzen gemacht!

Mascha: Was denn? Wissen Sie auch noch, um was ich Sie gebeten habe?

Fedja: Um Geld, meinst du? Er nimmt Geld aus seiner Hosentasche. Da, nimm! Mascha lacht, nimmt das Geld und steckt es hinter ihr Brusttuch. Zu den Zigeunern: Da soll sich ein Mensch auskennen: erst zaubert sie einem den Himmel vor, und dann bettelt sie um ein Trinkgeld. Du weißt ja gar nicht, Mädchen, was du tust!

Mascha: Ich weiß es schon, weiß das eine ganz sicher: wenn ich einen liebhabe, sing' ich für ihn ganz besonders schön.

Fedja: Hast du mich denn lieb?

Mascha: Ganz gewiß!

Fedja: Wie herrlich! Küßt sie. Die Zigeuner und Zigeunerinnen gehen hinaus. Nur die Paare bleiben zurück. Afremow mit Katja, der Offizier mit Sascha und Fedja mit Mascha. Der Musiker schreibt. Ein Zigeuner klimpert einen Walzer auf der Gitarre. Ich bin aber verheiratet. Der Chor wird dir's nicht erlauben …

Mascha: Was geht mich der Chor an? Ich höre nur auf mein Herz und liebe, wen ich will.

Fedja: Ach, ist mir wohl um's Herz! Und dir?

Mascha: Auch mir ist wohl. Wenn wir nette Gäste haben, muß uns doch wohl sein.

Zigeuner tritt ein, zu Fedja: Ein Herr fragt nach Ihnen.

Fedja: Was für ein Herr?

Zigeuner: Ich kenn' ihn nicht. Fein angezogen ist er, hat 'nen Zobelpelz.

Fedja: Ein feiner Herr! Gut, laß ihn eintreten.

Afremow: Wer sollte dich hier suchen?

Fedja: Weiß der liebe Himmel! Wer kann nach mir Sehnsucht haben? Karenin tritt ein und sieht sich um. Ah, Viktor! Dich hätte ich am wenigsten hier erwartet! Leg ab. Welcher Zufall führt dich hierher? Nun, nimm Platz! Willst Du mal das Lied vom »Abendrot« hören?

Karenin: Je voudrais vous parler sans témoins.

Fedja: Um was handelt es sich?

Karenin: Je viens de chez vous. Votre femme m'a chargé de cette lettre, et puis …

Fedja nimmt den Brief, liest ihn, runzelt die Stirn und lächelt dann freundlich: Sag mal, Karenin – du weißt, was in dem Briefe steht?

Karenin: Ich weiß es, und ich will dir sagen ...

Fedja: Halt, halt! Glaube zunächst mal nicht, ich sei betrunken und wisse nicht, was ich rede. Wenn ich auch einen Rausch habe – in dieser Sache sehe ich ganz klar. Nun also! Was sollst du mir ausrichten?

Karenin: Ich sollte dich aufsuchen und dir sagen, daß sie … dich erwartet. Ich soll dich bitten, alles zu vergessen und zu ihr zurückzukehren.

Fedja hört ihn schweigend an und sieht ihm dabei in die Augen: Ich verstehe nur nicht, warum gerade du …

Karenin: Jelisaweta Andrejewna schickte nach mir und ersuchte mich …

Fedja: Hm …

Karenin: Aber ich bitte dich nicht nur im Auftrage deiner Frau, sondern auch aus eigenem Antrieb: komm mit mir nach Hause!

Fedja: Du bist besser als ich. Ach, Unsinn, was sag' ich: besser als ich zu sein, ist nicht schwer, denn ich bin ein großer Taugenichts – du bist einfach ein guter, edler Mensch. Und schon das allein bestimmt mich, an meinem Entschlusse nichts zu ändern. Doch ist das nicht der einzige Grund: ich kann es eben nicht tun, und ich will es nicht tun … Wie kann ich in diesem Zustande jetzt dorthin gehen?

Karenin: Du kommst jetzt mit zu mir. Ich lasse ihr sagen, daß du zurückkehrst, und morgen …

Fedja: Und morgen was? Ich bleibe immer ich, sie bleibt sie. Tritt an den Tisch und trinkt. Es ist das beste, den Zahn sofort auszuziehen. Ich habe ihr gesagt, daß sie mir den Laufpaß geben soll, wenn ich noch einmal mein Wort breche. Das ist geschehen – und so ist eben alles aus.

Karenin: Für dich, aber nicht für sie.

Fedja: Wie merkwürdig, daß gerade du dich so bemühst, uns wieder zusammenzubringen! Karenin will etwas erwidern; Mascha tritt heran. Fedja fällt ihm ins Wort. Hör mal jetzt zu, wie sie das »Lied vom Flachs« singt! Mascha!

Die Zigeuner versammeln sich.

Mascha flüstert: Wie heißt er denn?

Fedja lacht: Wie er heißt? Herr Viktor Michajlowitsch Karenin heißt er.

Die Zigeuner singen ein Begrüßungslied. Karenin hört verlegen zu und fragt leise, wieviel er geben soll. Nun, gib fünfundzwanzig. Karenin gibt das Geld. Großartig! Jetzt das »Lied vom Flachs«!

Die Zigeuner singen. Karenin entfernt sich unbemerkt.

Fedja sieht sich um: Wo ist Karenin? Ausgerückt? Na, hol ihn der Teufel. Die Zigeuner zerstreuen sich im Zimmer. Fedja setzt sich zu Mascha. Weißt du, wer das ist?

Mascha: Ich hab' seinen Namen schon gehört.

Fedja: Das ist der anständigste Mensch unter der Sonne. Er wollte mich abholen – nach Hause, zu meiner Frau. Sie liebt mich Narren – und ich treib' hier solche Possen!

Mascha: Das ist sehr unrecht. Solltest doch hinfahren und sie nicht unglücklich machen.

Fedja: Du sagst, ich soll es tun – und ich sage: nein, ich tu's nicht!

Mascha: Wenn du sie nicht lieb hast, hat's freilich keinen Sinn. Es ist ein eigen Ding um die Liebe.

Fedja: Woher weißt du das?

Mascha: Ich weiß es eben.

Fedja: Küsse mich, Mädchen! Und ihr … zu den Zigeunern … singt noch »Das Lied vom Flachs« und dann macht Schluß! Die Zigeuner stimmen ein Lied an. Ach, ist das schön! Wenn man nur nicht wieder erwachte! Wenn man so sterben könnte!

Vorhang

 


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