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Siebentes Bild

 

Besonderes Kabinett in einem Restaurant. – Ein Kellner führt Fedja herein.

 

Kellner: Hierher, bitte. Hier wird Sie niemand stören. Das Papier bring' ich sofort.

Iwan Petrowitsch Alexandrow tritt ein: Protasow! Darf ich hereinkommen?

Fedja ernst: Bitte, komm herein: ich bin freilich beschäftigt … aber komm nur.

Iwan Petrowitsch: Du schreibst ihnen wohl die Antwort auf ihre Forderungen? Ich will sie dir diktieren – ich würde nicht einen Zollbreit nachgeben. Ich sage meine Meinung immer geraden heraus und handle mit Entschlossenheit.

Fedja zum Kellner: Eine Flasche Champagner! Der Kellner entfernt sich; Fedja zieht einen Revolver aus der Tasche und legt ihn neben sich. Wart ein Weilchen.

Iwan Petrowitsch: Was ist das? Erschießen willst du dich? Das ist gar nicht dumm – ich verstehe dich: sie wollen dich demütigen, du aber wirst ihnen zeigen, wer du bist! Dich wird die Kugel töten, sie aber deine Großmut. Oh, ich begreife dich, ich begreife überhaupt alles, weil ich nämlich ein Genie bin.

Fedja: Gewiß, gewiß. Nur … Der Kellner bringt eine Flasche Champagner sowie Papier und Tinte. Fedja bedeckt den Revolver mit einer Serviette. Entkorke sie! Laß uns trinken! Sie trinken; dann beginnt Fedja zu schreiben. Wart ein Weilchen.

Iwan Petrowitsch: Auf deine … große Wanderfahrt! Ich stehe über der Sache. Ich werde dich nicht zurückhalten. Ich stehe jenseits von Leben und Tod. Ich sterbe im Leben und lebe im Tode. Du tötest dich, damit zwei Menschen Gewissenbisse empfinden. Und ich … ich werde mich töten, damit die ganze Welt begreift, was sie verloren hat. Ich werde nicht schwanken, nicht überlegen – ein Griff ergreift den Revolver … ein Knall – und alles ist vorbei. Aber es ist noch zu früh … Legt den Revolver zurück. Schreiben würde ich überhaupt nichts, mögen sie's von selbst begreifen! … Ach, ihr …

Fedja schreibt: Wart ein Weilchen …

Iwan Petrowitsch: Ein jämmerliches Pack, diese Menschen – wie sie herumwimmeln, wie sie sich abrackern! Und nichts begreifen sie, rein gar nichts! Ich rede nicht zu dir, ich äußere nur so meine Gedanken. Was ist's denn, was der Menschheit not tut? Nur sehr wenig: daß sie ihre Genies zu würdigen weiß. Und sie hat ihre Genies zu allen Zeiten gekreuzigt, ins Exil getrieben, gefoltert … Nein, ich will nicht euer Spielzeug sein. Ich werde eure ganze Niedertracht enthüllen. Wartet, ihr Heuchler!

Fedja hat zu Ende geschrieben, leert sein Glas und liest für sich, was er geschrieben hat: Nun geh, bitte.

Iwan Petrowitsch: Gehen, sagst du? Nun denn, leb wohl. Ich halte dich nicht zurück. Auch ich werde diesen Weg gehen – doch ist's noch zu früh. Ich will dir nur sagen …

Fedja: Ja, mein Lieber, du wirst es mir sagen … aber später. Jetzt hätte ich eine Bitte an dich: übergib doch das hier … Gibt ihm Geld … dem Wirt und frage nach, ob nicht ein Brief oder sonst etwas für mich angekommen ist. Tu mir den Gefallen.

Iwan Petrowitsch: Schön. Du wartest also, bis ich zurück bin? Ich habe dir noch etwas sehr Wichtiges zu sagen. Etwas, was du nicht nur in dieser Welt, sondern auch im Jenseits nicht zu hören bekommen wirst, ehe ich nicht drüben angelangt bin … Soll er das Ganze haben?

Fedja: Soviel er zu bekommen hat. Iwan Petrowitsch ab. Fedja atmet erleichtert auf und verschließt hinter Iwan Nakarowitsch Petrowitsch die Tür. Dann nimmt er den Revolver, spannt den Hahn, setzt die Waffe an die Schläfe, erschauert und lässt die Hand mit der Waffe sinken, brüllt auf: Nein, ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht! Es klopft an die Tür. Wer ist da?

Mascha hinter der Tür: Ich.

Fedja: Wer denn? Ah, Mascha! Öffnet die Tür.

Mascha: Ich war bei dir, bei Popow, bei Afremow, und dann dachte ich mir, dass du hier sein könntest. sieht den Revolver. Das ist ja schön! Nein, bist du dumm! Zu dumm! Willst du dich wirklich …

Fedja: Ich bring' es nicht fertig.

Mascha: Und an mich denkst du gar nicht? Ach, du gottloser Mensch! Was aus mir wird, ist ihm ganz gleich! Ach, Feodor Wasiljewitsch, wie sündhaft ist das! Das ist der Lohn für meine Liebe!

Fedja: Ich wollte sie freigeben, hab's ihnen versprochen … Und ich kann nicht lügen.

Mascha: Und ich?

Fedja: Was ist mit dir? Auch du würdest frei werden. Willst du dich noch weiter mit mir herumquälen?

Mascha: Gewiß will ich das. Ich kann nicht ohne dich leben.

Fedja: Was für ein Leben wirst du mit mir führen! Und so wirst du eine Zeitlang weinen und den Schmerz überwinden.

Mascha: Gar nicht werde ich weinen! Hol dich der Teufel, wenn dir so wenig an mir liegt. Weint.

Fedja: Mascha, meine Herzensfreundin – ich wollt's doch so machen, wie es am besten wäre!

Mascha: Ja – für dich am besten!

Fedja lächelt: Wieso denn für mich, wenn ich mich doch töte!?

Mascha: Gewiß ist's für dich so am besten. Sag, was bezweckst du eigentlich damit?

Fedja: Was ich damit bezwecke? Sehr vieles.

Mascha: Was denn? Was?

Fedja: Zunächst hab' ich ein Versprechen gegeben, und das muß ich halten. Ich kann nicht lügen, kann diese widerwärtigen Förmlichkeiten nicht erfüllen, die die Scheidung nötig macht ...

Mascha: Was ist denn daran so widerwärtig?

Fedja: Frei werden sollen sie doch, das habe ich nun einmal beschlossen. Warum sie noch länger auf die Folter spannen – zwei so vortreffliche Menschen …

Mascha: Möcht' wissen, was an ihr so vortrefflich ist – wenn sie dich verlassen konnte?

Fedja: Nicht sie hat mich verlassen: ich bin von ihr gegangen.

Mascha: Nun ja, schon gut, schon gut. Du hast alle Schuld, und sie ist ein Engel. Hast du sonst noch was zu sagen?

Fedja: Höchstens noch das eine, daß du ein gutes, liebes Mädel bist und daß ich dich liebe, aber dich unglücklich machen würde, wenn ich am Leben bliebe.

Mascha: Das ist nicht mehr deine Sache. Daß ich unglücklich werde, weiß ich auch ohnedies.

Fedja seufzt: Vor allem … was ist mein Leben? Ich sehe doch selbst, daß ich ganz herunter bin und zu nichts mehr tauge. Aller Welt bin ich eine Last und mir selbst am meisten, wie dein Vater sagt. Unnütz und überflüssig.

Mascha: Unsinn! Ich hab' dich nun mal liebgewonnen und lasse nicht von dir. Und daß du ein schlechtes Leben führst, daß du trinkst und herumschwärmst – nun, du bist doch ein lebendiger Mensch, gewöhn dir's doch ab!

Fedja: Das ist leicht gesagt.

Mascha: Tu's doch!

Fedja: Wenn ich dich so ansehe, glaube ich fast, daß es mit mir noch anders werden könnte.

Mascha: Ganz sicher. Wirst sehen, alles kann noch gut werden. Sieht den Brief. Was ist das? Du hast ihnen geschrieben? Was hast du geschrieben?

Fedja: Was ich geschrieben habe? … Nimmt den Brief und will ihn zerreißen. Es ist jetzt nicht mehr nötig.

Mascha entreißt ihm den Brief: Du hast wohl geschrieben, daß du dich umgebracht hast? Hast du was von der Pistole geschrieben? Oder nur so, vom Umbringen?

Fedja: Ich schrieb, daß ich aus dem Leben scheide.

Mascha: Gib her, gib her! Ich habe mal ein Buch gelesen – darin kommt einer vor, Rachmanow heißt er, glaub' ich, der will auch seine Frau freigeben und stellt sich, als sei er ertrunken … Kannst du schwimmen?

Fedja: Nein.

Mascha: Das ist gut. Du gibst deine Kleider her, alles, auch die Brieftasche.

Fedja: Wozu?

Mascha: Wart nur, wart, wart! Wir fahren nach deiner Wohnung, dort ziehst du dich um.

Fedja: ›Aber das ist doch … Betrug!

Mascha: Was tut's? Du warst baden, deine Kleider sind am Ufer geblieben. Und im Rock wird man deine Brieftasche finden und diesen Brief.

Fedja: Nun – und dann?

Mascha: Und dann? Dann reisen wir ab und freuen uns des Lebens.

Iwan Petrowitsch tritt ein: Ei, seht doch! Und der Revolver? Den behalt' ich für mich.

Mascha: Nimm ihn, nimm ihn – wir brauchen ihn nicht mehr.

Vorhang.

 


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