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Achtes Bild

 

Gastzimmer bei Protasows. Karenin und Lisa.

 

Karenin: Er hat es so bestimmt zugesagt, daß ich überzeugt bin, er wird sein Versprechen halten.

Lisa: Es ist mir peinlich, es zu sagen – aber ich gestehe es offen, daß ich mich jetzt erst innerlich frei fühle, nachdem ich von seinen Beziehungen zu dieser Zigeunerin gehört habe. Ich glaube nicht, daß das Eifersucht ist – es ist wirklich nur das Gefühl der Befreiung. Wie soll ich Ihnen das klarmachen …

Karenin: Schon wieder »Ihnen«!

Lisa lächelt: Also dir. Aber lassen Sie … laß mich dir sagen, was ich fühle. Was mich ganz besonders quälte, war, daß ich die Empfindung hatte, als sei meine Liebe zwischen zweien geteilt. Das bedeutet nichts anderes, als daß ich eine unmoralische Frau bin.

Karenin: Du – eine unmoralische Frau?

Lisa: Seit ich jedoch wußte, daß er es mit einer andern hält, daß er meiner nicht mehr bedarf, hatte ich das befreiende Gefühl, daß ich, ohne zu lügen, sagen kann, mein Herz gehöre Ihnen … … gehöre dir. Jetzt ist es Licht geworden in meiner Seele, und nur meine Lage bedrückt mich noch. Diese Scheidung … das quält einen alles so … diese Erwartung …

Karenin: Über kurz oder lang wird alles erledigt sein. Wir haben seine Zusage – und dann habe ich auch noch meinen Sekretär gebeten, mit dem Bittgesuch zu ihm zu gehen und ihn nicht eher zu verlassen, als bis er unterschrieben hat. Wenn ich ihn nicht besser kennen würde, müßte ich annehmen, daß er es absichtlich tut.

Lisa: Nein, das ist nicht der Fall. Es ist immer dasselbe bei ihm: seine Schwäche und seine Aufrichtigkeit. Er will nicht die Unwahrheit sagen. Es war vielleicht nicht richtig, ihm Geld zu schicken.

Karenin: Doch, es war besser so – die Sache hätte sonst leicht einen Aufenthalt erleiden können.

Lisa: Geld hat immer etwas Anrüchiges.

Karenin: Nun, er dürfte in diesem Punkte nicht so penibel sein.

Lisa: Was für Egoisten sind wir doch!

Karenin: Ja, ich bekenne mich als solchen. Aber daran bist du selbst schuld. Nach dieser langen, hoffnungslosen Wartezeit bin ich jetzt so glücklich. Und das Glück macht egoistisch. Du, nur du bist schuld.

Lisa: Nicht dir allein geht es so – auch ich fühle eine solche Seligkeit, ich schwelge in dieser Fülle des Glückes. Mein Mika ist wieder gesund, und deine Mutter liebt mich, und du liebst mich – und ich vor allem – ich, ich liebe!

Karenin: Wirklich? Und du wirst es nicht bereuen? Wirst nicht anderen Sinnes werden?

Lisa: Von jenem Tage an hat sich alles in mir gewandelt.

Karenin: Und es kann sich nicht wieder wandeln?

Lisa: Niemals. Ich wünschte nur das eine: daß die Vergangenheit für dich ebenso vollständig erledigt sein möchte wie für mich.

Die Kinderfrau erscheint mit dem Kleinen. Der Kleine geht zur Mutter hin, sie nimmt ihn auf den Schoß.

Karenin: Was für unglückliche Menschen sind wir doch!

Lisa: Wie denn? Küßt das Kind

Karenin: Als du ihn geheiratet hattest und ich bei meiner Rückkehr aus dem Auslande dies erfuhr und dich für immer verloren zu haben glaubte, da war ich sehr unglücklich. Um so froher war ich, als ich dann erfuhr, daß du doch noch an mich dachtest. Schon damit war ich zufrieden. Als dann unsere Beziehungen sich freundschaftlich gestalteten und ich fühlte, daß du mir wohlgesinnt warst, daß in unserer Freundschaft ein winziges Fünkchen von einem Gefühl erglomm, das mehr als Freundschaft war, da war ich schon beinahe glücklich. Mich quälte nur der Gedanke, daß ich Fedja gegenüber nicht ehrlich sei. Doch ich war andererseits fest davon überzeugt, daß zwischen uns, so wie ich mich und dich kenne, jede andere Beziehung ausgeschlossen war als die einer ehrlichen Beziehung zwischen dem Freunde des Gatten und der Gattin. Und so machte ich mir darüber gar keine Gedanken und fand mich mit dem, was mir zuteil geworden, vollkommen ab. Als dann Fedja dich zu quälen begann und ich fühlte, daß ich dir eine Stütze bin und du Angst hast vor meiner Freundschaft, da war ich schon wirklich glücklich, und eine unbestimmte Hoffnung begann in mir zu keimen. Und als er dann vollends unmöglich wurde und du den Entschluß faßtest, ihn zu verlassen, als ich zum ersten Male dir alles gestand und du nicht »nein« sagtest, sondern in Tränen von mir gingst, da kannte mein Glück keine Grenzen, und wenn man mich gefragt hätte, was ich mir noch wünsche, dann hätte ich geantwortet: nichts. Doch nun zeigte sich die Möglichkeit, unser Leben zu vereinigen, mein Mutter gewann dich lieb, jene Möglichkeit begann sich zu verwirklichen, du sagtest mir, daß du mich geliebt hast und mich liebst, dann sagtest du mir noch, wie soeben, daß er für dich nicht existiere, daß du mich allein liebst – was, sollte man meinen –, was fehlte mir da noch am vollen Erdenglück? Und jetzt – jetzt quält mich die Vergangenheit, ich möchte, daß diese Vergangenheit nicht wäre, daß das, was an sie erinnert, nicht existierte …

Lisa vorwurfsvoll: Viktor!

Karenin: Verzeih mir, Lisa! Das, was ich sage, sage ich darum, weil ich nicht will, daß in mir auch nur ein Gedanke wäre, der dir verborgen bleibt. Alles das habe ich absichtlich gesagt, um dir zu zeigen, wie schlecht ich bin, wie ich sehr wohl weiß, daß ich ein Egoist bin, daß ich mit mir selbst ringen und mich überwinden muß. Ich liebe ihn.

Lisa: So ist's recht! Von meiner Seite ist alles geschehen: mein Herz schlägt nur für dich, nur du allein hast darin Raum, alles ist daraus verschwunden außer dir.

Karenin: Alles?

Lisa: Ja, alles, alles. Du kannst es glauben.

Lakai: Herr Wosnesenskij!

Karenin: Ah – er bringt die Antwort von Fedja.

Lisa zu Karenin: Lassen Sie ihn hier eintreten!

Karenin erhebt sich und geht nach der Tür: Endlich eine Antwort!

Lisa übergibt das Kind der Kinderfrau: Endlich! Wird sich nun alles entscheiden, Viktor? Küßt ihn.

Wosnesenskij tritt ein.

Karenin: Nun?

Wosnesenskij: Er war nicht zu Hause.

Karenin: Nicht zu Hause? Und er hat das Bittgesuch nicht unterschrieben?

Wosnesenskij: Das Bittgesuch ist nicht unterschrieben, doch ist ein Brief da, an Sie und Jelisaweta Andrejewna. Zieht einen Brief aus der Tasche und reicht ihn Karenin. Als ich nach seiner Wohnung kam, sagte man mir, er sei im Restaurant. Ich ging hin, und da sagte mir Feodor Wasiljewitsch, ich möchte in einer Stunde wiederkommen, dann würde ich eine Antwort vorfinden. Ich kam hin, und man gab mir diesen Brief …

Karenin: Nochmals Ausflüchte, Verschleppungen? Nein, das ist nicht mehr schön. Er ist wirklich tief gesunken.

Lisa: So lies doch – was schreibt er?

Karenin öffnet den Brief.

Wosnesenskij: Bedürfen Sie meiner noch?

Karenin: Nein, leben sie wohl. Ich danke Ihnen … Stutzt, während er den Brief liest.

Lisa: Was denn? Was ist denn?

Karenin: Das ist entsetzlich!

Lisa greift nach dem Brief: Lies!

Karenin liest: »Lisa und Viktor, ich wende mich an Euch beide. Ich will nicht lügen, indem ich Euch ›lieb‹ oder ›teuer‹ nenne. Ich kann das Gefühl der Bitterkeit und des Unwillens nicht verwinden – des Unwillens über mich selbst, der mich ergreift und mich peinigt, wenn ich an Euch, an Eure Liebe, an Euer Glück denke. Ich weiß alles. Ich weiß, daß ich als Ehemann das entscheidende Wort zu sprechen habe und daß es scheint, als halte ich Euch durch allerhand Quengeleien hin. C'est moi, qui suis l'intrus. Aber ich kann eben das Gefühl der Bitterkeit und der Kältre gegen Euch nicht loswerden. Theoretisch liebe ich Euch beide, namentlich Lisa, Lisanka – aber in Wirklichkeit bin ich mehr als kühl. Ich weiß, daß ich unrecht habe, doch ich kann nicht anders.«

Lisa: Was will er eigentlich?

Karenin fährt fort zu lesen: »Doch zur Sache. Eben dieses Gefühl, das mein Herz in zwei Teile zerspaltet, veranlaßt mich – und zwar auf andere Weise, als Ihr es wolltet –, Euren Wunsch zu erfüllen. Zu lügen, eine alberne Komödie aufzuführen, die Leute im Konsistorium zu bestechen – alle solchen Gemeinheiten sind mir im höchsten Maße zuwider. Wie tief ich auch in anderer Beziehung stehen mag, an dieser Gemeinheit kann ich nicht teilnehmen, ich kann es einfach nicht. Es gibt aber einen anderen Ausweg, der sehr einfach ist und den ich auch einschlagen will: Ihr wollt heiraten, um glücklich zu werden, und ich stehe dem im Wege, also muß ich mich aus dem Wege schaffen.«

Lisa faßt nach Karenins Arm: Viktor!

Karenin liest weiter: »... aus dem Wege schaffen. Und das tue ich. Wenn Ihr diesen Brief in Händen habt, bin ich nicht mehr. PS. Es war nicht recht, daß Ihr mir zur Durchführung der Ehescheidung Geld geschickt habt. Das war mir sehr unangenehm, und es schickte sich nicht für Euch. Doch es ist nun eben geschehen. Ich habe so oft gefehlt, warum sollt nicht auch Ihr einmal einen Fehler machen? Das Geld geht wieder an Euch zurück. Mein Ausweg ist kürzer, billiger, einfacher und sicherer. Um eins bitte ich Euch: seid mir nicht böse und behaltet mich in gutem Andenken. Und zum Schluß noch eine Bitte: es lebt hier ein Uhrmacher Jewgenjew, könnt Ihr dem nicht auf die Beine helfen? Er ist ein schwacher Mensch, aber sehr brav. Lebt wohl. Fedja.«

Lisa: Er hat sich getötet! Ja …

Karenin klingelt und eilt in das Vorzimmer: Rufen Sie Herrn Wosnesenskij zurück!

Lisa: Ich wußte es, wußte es! Fedja, mein lieber Fedja!

Karenin: Lisa!

Lisa: Es ist nicht wahr, nicht wahr, daß ich ihn nicht liebte und nicht liebe. Nur ihn allein habe ich geliebt und liebe ihn noch. Und ich habe ihn ins Unglück, in den Tod getrieben! Laß mich!

Wosnesenkij tritt ein.

Karenin: Wo ist Feodor Wasiljewitsch? Was hat man Ihnen gesagt?

Wosnesenskij: Man sagte mir, er sei am Morgen fortgegangen, habe diesen Brief zurückgelassen und sei nicht wiedergekehrt.

Karenin: Ich muß Genaueres wissen – ich verlasse Dich jetzt, Lisa.

Lisa: Verzeih mir, doch auch ich vermag nicht zu lügen. Laß mich jetzt allein. Geh, frag, was geschehen ist!

Vorhang

 


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