Leo Tolstoi
Chadschi Murat
Leo Tolstoi

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Achtes Kapitel

An demselben Tage, an dem Petrucha Awdjejew im Lazarett der Festung Wosdwischenskoje sein Leben aushauchte, droschen sein alter Vater, die Frau seines Bruders, in dessen Vertretung Petrucha Soldat geworden, und die älteste Tochter des Bruders, die nun bereits heiratsfähig war, auf der offenen Tenne der Scheune den Hafer. Am Abend vorher war tiefer Schnee gefallen, und am Morgen hatte es tüchtig gefroren. Der Alte war bereits beim dritten Hahnenschrei erwacht. Als er den hellen Mondschein durch das gefrorene Fenster schimmern sah, kroch er vom Ofen hinunter, zog seine Stiefel und den Pelz an, setzte die Mütze auf und ging nach der Tenne. Nachdem er dort zwei Stunden lang gearbeitet hatte, kehrte er ins Haus zurück und weckte seinen Sohn und die Frauen. Wie diese auf die Tenne kamen, fanden sie den zum Dreschen bestimmten Platz bereits vom Schnee gereinigt vor. Die hölzerne Schaufel war in die weiße, immer höher steigende Schneedecke gesteckt, der Besen stand mit den Reisern nach oben gekehrt daneben, und die aufgelösten Haferbunde waren in zwei langen Reihen mit den Ähren nach innen auf der sauberen Tenne hingebreitet. Sie nahmen die Dreschflegel zur Hand und begannen im regelmäßigen Dreitakt drauflos zu dreschen. Der Alte schlug mit dem schwersten der Dreschflegel wuchtig zu, daß das Stroh unter seinen Schlägen mürbe ward; das junge Mädchen führte von oben her zierliche, leichte Schläge, während die Schwiegertochter ihren Dreschflegel kräftig niederfallen ließ.

Der Mond war untergegangen, der Tag brach bereits an, und die Dreschenden waren schon fast durch die ganze Reihe hindurch, als Akim, der ältere Sohn, in Pelzjacke und Mütze nach der Tenne kam.

»Hast wieder mal gefaulenzt«, herrschte der Vater, im Dreschen innehaltend und sich auf den Dreschflegel stützend, ihn an.

»Die Pferde müssen doch besorgt werden«, versetzte Akim.

»Die Pferde müssen besorgt werden!« wiederholte der Alte in höhnischem Tone. »Überlaß das nur der Mutter! Nimm den Dreschflegel zur Hand! Hast schon viel zu viel Fett angesetzt, alter Trunkenbold.«

»Dein Geld habe ich noch nicht vertrunken«, brummte der Sohn vor sich hin.

»Was redest du?« fragte der Alte in drohendem Tone, während er einen Takt im Dreschen ausließ.

Der Sohn nahm schweigend den Dreschflegel, und die Arbeit ging nun im Viertakt – trap tapa tap, trap tapa tap – weiter. »Trap«, fiel jedesmal nach drei leichteren Schlägen der schwere Schlag des Alten.

»Einen Nacken hat er, so dick und fett wie ein Herr. Und mir fallen die Hosen vom Leibe!« sagte der Alte, indem er wieder einen Schlag ausließ und den Dreschflegel, um nicht aus dem Takt zu kommen, wenigstens durch die Luft schwang.

Die Reihe war durch, und die Frauen griffen nach den Rechen und harkten das Stroh zusammen.

»Ein Narr war der Petrucha, daß er statt deiner Soldat wurde. Dir hätten sie dort wenigstens deine Dummheit herausgeprügelt, und er hätte hier fünf solche, wie du bist, ersetzt.«

»Na, laß schon gut sein, Väterchen«, sagte die Schwiegertochter in beschwichtigendem Tone.

»Sechs Köpfe seid ihr nun, und alle wollen gefüttert sein, und keins taugt zur Arbeit. Petrucha, ja – der hat mir für zwei gearbeitet . . .«

Auf dem durch den Schnee gebahnten, kaum sichtbaren Fußwege kam die Alte über den Hof. Sie hatte die Füße dicht mit wollenen Fußlappen umwickelt und in neue Bastschuhe gesteckt, die auf dem Schnee knirschten. Die beiden Männer schütteten den noch mit der Spreu vermengten Hafer zu einem Haufen auf, während die Frauen die Tenne rein fegten.

»Der Dorfvogt war da«, sagte die Alte, »alle Männer sollen zum Spanndienst antreten, Ziegelsteine sollt ihr anfahren. Kommt, das Frühstück ist fertig.«

»Schön. Spann' den Rotschimmel an und mach' dich auf den Weg«, sagte der Alte zu Akim. »Und sorg' mir dafür, daß ich nicht wieder deinetwegen Ärger habe, wie neulich. Nimm dir den Petrucha zum Vorbild.«

»Wie Petrucha zu Hause war, hat er die Schelte bekommen«, sagte Akim mürrisch, als der Alte gegangen war. »Und weil Petrucha jetzt nicht da ist, beißt er auf mich los.«

»Du verdienst es nicht besser«, sagte die Mutter vorwurfsvoll. »Da war der Petrucha doch ein anderer Mensch.«

»Ja doch, ja! Schon gut!« brummte der Sohn.

»›Schon gut!‹ sagst du? Hast du vielleicht das Mehl nicht vertrunken? Und jetzt sagst du noch ›schon gut‹?«

»Rühr' doch nicht immer in dem alten Schmutz herum«, sagte die Schwiegertochter.

Der Zwist zwischen dem Vater und dem Sohne bestand schon lange – bald, nachdem Peter Soldat geworden, hatte er begonnen. Damals schon war der Alte dahintergekommen, daß er einen Kuckuck gegen einen Falken eingetauscht hatte. Wohl hatte es nach seiner Meinung dem Gesetz entsprochen, daß der jüngere, kinderlose Bruder für den älteren, der eine Familie hatte, eintrat. Akim hatte vier Kinder, Peter dagegen noch keins. Dafür war Peter ein tüchtiger Arbeiter, ganz so wie der Alte: flink und gewandt, kräftig und ausdauernd, und er war vor allem mit Lust und Liebe bei der Sache. Nie war er ohne Arbeit. Sah er irgendwo jemanden arbeiten, dann mußte er, ganz so wie der Alte, gleich mit zugreifen – nahm die Sense und mähte ein Beet herunter, lud einen Wagen voll, sägte einen Baum nieder oder zerkleinerte einen Holzhaufen. Mit schwerem Herzen sah der Alte ihn ziehen, doch war eben nichts zu machen. Der Soldatendienst war wie der Tod. Wer Soldat wurde, war so gut wie verloren für die Seinen, es war zwecklos, seiner zu gedenken und ihm nachzuweinen. Nur selten, wenn er einmal dem älteren Sohne ein Beispiel vorhalten wollte, gedachte der Alte des Peter. Die Mutter dagegen sprach öfter von ihm und lag dem Alten schon lange, fast zwei Jahre lang schon, in den Ohren, er möchte Petrucha doch etwas Geld schicken. Aber der Alte hatte immer nur geschwiegen, wenn sie davon anfing.

Der Hof der Kurenkows galt als reich, und der Alte hatte Geld zurückgelegt, doch hätte er um nichts in der Welt seine Ersparnisse angerührt. Als sie nun den Namen des jüngeren Sohnes so oft aus seinem Munde vernahm, entschloß sie sich, ihn zu bitten, er möchte doch, sobald er den Hafer verkauft hätte, dem Sohne wenigstens ein Rubelchen schicken. Und sie brachte ihren Gedanken zur Ausführung: als das junge Volk zur Hofarbeit gegangen war und sie mit dem Alten allein blieb, überredete sie ihn, von dem für den Hafer vereinnahmten Gelde einen Rubel an Petrucha zu schicken. Zwölf Scheffel von dem Hafer wurden, nachdem er geworfelt war, in Säcke gefüllt und auf drei Schlitten verteilt, um zum Verkauf nach der Stadt gebracht zu werden. Vom Küster hatte die Mutter einen Brief an Petrucha aufsetzen lassen, den gab sie jetzt dem Alten mit, der den Hafer selbst nach der Stadt bringen wollte. Er versprach ihr, einen Rubelschein einzulegen und den Brief von der Stadt aus an den Sohn zu senden. Er legte den Brief in seinen Beutel, verrichtete sein Gebet, zog den neuen Pelz und den Kaftan drüber an und nahm auf dem vordersten Schlitten Platz, um nach der Stadt zu fahren. Auf dem letzten Schlitten saß sein Enkel. In der Stadt ließ er sich vom Hauswart den Brief vorlesen und hörte aufmerksam, mit beifälligem Kopfnicken, zu.

In dem Briefe sandte Petruchas Mutter ihrem Sohne zunächst ihre Segenswünsche, dann die besten Grüße von allen, gab ihm Nachricht vom Tode seines Taufpaten und teilte ihm zum Schluß mit, daß Axinia, seine Frau, nicht bei ihnen habe bleiben wollen, sondern bei fremden Leuten lebe. Sie betrage sich, wie man höre, ehrbar und anständig. Sie erwähnte, daß der Vater dem Briefe einen Rubel beilege, und zu guter Letzt hatte sie dem Küster noch unter Tränen aufgetragen, ihren eigenen tiefen Kummer und Schmerz in recht rührenden Worten zum Ausdruck zu bringen.

»Glaube mir, mein inniggeliebter Sohn, mein Herzensjunge Petrucha, daß ich mir aus Sehnsucht nach Dir, weiß Gott, schon die Augen ausgeweint habe. Mein liebes, gutes Kind, warum hast Du mich nur verlassen? . . .« An dieser Stelle war die Alte in Tränen und Wehklagen ausgebrochen und hatte zum Küster gesagt: »Damit ist's genug« – und mit diesen Worten hatte der Küster den Brief auch geschlossen.

Aber Petrucha sollte weder die Nachricht, daß seine Frau aus dem Hause gegangen, noch den väterlichen Rubel, noch die letzten Grüße seiner Mutter erhalten. Der Brief kam mit dem Gelde und der Mitteilung zurück, daß Petrucha im Kriege als Verteidiger des Zaren, des Vaterlandes und des rechten russischen Glaubens gefallen sei.

Als Petruchas alte Mutter den Brief erhielt, weinte sie eine Zeit lang und ging dann wieder an die Arbeit. Am Sonntag darauf ging sie zur Kirche, bestellte eine Totenmesse für den Gefallenen, ließ Peter in das Verzeichnis der Toten, für die regelmäßig in der Kirche gebetet wurde, eintragen und verteilte Hostienbrot unter die frommen Leute, damit sie »des Knechtes Gottes Peter im Gebet gedächten.«

Auch Axinia, die Soldatenfrau, weinte eine Zeit lang, als sie vom Tode ihres geliebten Mannes erfuhr, mit dem sie nur ein Jahr zusammengelebt hatte. Es tat ihr leid um ihren Mann und um sein früh vernichtetes Leben, und in ihrem Wehklagen sprach sie von Peters blonden Locken, von seiner Liebe, von dem bitteren Los, das nun ihr und ihrem kleinen verwaisten Wanjka, der inzwischen zur Welt gekommen war, bevorstehe, und sie jammerte ganz herzzerreißend darüber, daß Petrucha für seinen Bruder mehr Liebe empfunden habe als für sie, die nun ihr Leben unter fremden Menschen schutz- und hilflos verbringen müsse.

Im Grunde ihrer Seele aber war Axinia ganz froh über Peters Tod. Sie erwartete ein zweites Kind von einem Markthelfer, mit dem sie zusammenlebte, und nun durfte ihr niemand mehr Vorwürfe machen, der Markthelfer aber konnte sie heiraten, wie er ihr versprochen hatte, als sie seine Geliebte geworden war.


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