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8.

Am nächsten Morgen zu früher Stunde wartete vor der Mission ein von Harlington bestellter Palankin, um Wilbrandt zum deutschen Gesandten zu bringen, hier fand er eine sehr ermutigende Aufnahme. Der Gesandte zeigte für die Angelegenheit des jungen Landsmannes ein reges Interesse und für seine Pläne viel Verständnis und versprach ihm in jeder Hinsicht seine Hilfe und Unterstützung.

Nach dem Mittagessen bestiegen Wilbrandt und Harlington Palankine und ließen sich zum Hause des Kaufmanns Hoi-so-ping tragen. Unterwegs klärte der Engländer seinen deutschen Freund über die Persönlichkeit des Chinesen auf. Dieser war Kaufmann und betrieb einen lebhaften Großhandel in Pelzwerk, Indigo, Farbhölzern, Tuschen usw. Durch den rastlosen Fleiß, der dem echten Chinesen innewohnt, hatte er sich ein ansehnliches Vermögen erworben, war aber inzwischen ein behäbiger alter Herr geworden, der bereits Geschmack am Genuß eines behaglichen Lebensabends gewonnen und den größten Teil seiner Tätigkeit seinem Sohn übertragen hatte.

Als die beiden Freunde das Haus betraten, kam Hoi-so-ping so eilig, als es ihm seine Behäbigkeit gestattete, die Treppe aus dem ersten Stock herunter. »Tschin! Tschin!« rief er schon von weitem, winkte den Ankömmlingen mit beiden Händen zu und zeigte ihnen die freundlichste Miene, die man sich nur denken konnte, Harlington hatte ihn kaum mit ein paar Worten über seinen Begleiter aufgeklärt, da ergriff Hoi-so-ping beide Hände des Deutschen und schüttelte sie so, daß es schien, als wolle er ihm die Arme von den Schultern reißen. Das war aber immerhin ein Beweis europäischer Kultur, denn die Chinesen unter sich drücken sich nicht die Hände, sondern legen sie bei Begrüßungen flach auf ihre Brust. Dabei hielt Hoi-so-ping seinem neuen Bekannten eine Rede, die nach der Übersetzung des Engländers folgendermaßen lautete:

»Mein sehr geliebter und verehrter Freund! Sei willkommen unter meinem armen Dach! Ich Unwürdiger begrüße deine Herrlichkeit und bitte dich, daß du dein ganzes Leben lang mein Gast sein mögest. Solange du in meinem Haus weilst, wird die Sonne des Glückes darin nicht untergehen.«

Harlington übersetzte Satz für Satz diese Rede, und der Chinese, der wohl an Unterredungen dieser Art gewöhnt war, ließ ihm je zwischen den Sätzen hierzu die nötige Zeit, Hoi-so-ping hielt seine Ansprache mit einem wirklichen Schwung, und der Engländer brachte diesen gehobenen Ton geschickt auch in seine Übersetzung hinein. Und in dem gleichen Schwung, um den Chinesen nicht mißtrauisch zu machen, setzte er hinzu: »Nur um Gotteswillen nicht lachen! Die Begrüßung ist dem Landesbrauch entsprechend und durchaus ernst und ehrlich gemeint. Und nun müssen Sie seine Ansprache ebenso feierlich erwidern.«

»Leicht gesagt!« rief Wilbrandt verdutzt. »Was soll ich antworten?«

»Nichts leichter als das. Herr Hoi-so-ping –« er machte vor dem Chinesen eine tiefe Verbeugung, die dieser ebenso feierlich erwiderte. Darauf tat Wilbrandt das gleiche, und der Herr des Hauses erwiderte sie mit besonderer Feierlichkeit – ›Herr Hoi-so-ping spricht ja nicht Deutsch. Deklamieren Sie zum Beispiel ›Fuchs, du hast die Gans gestohlen‹. Das ist das einzige deutsche Lied, das ich kenne, und ich finde es herrlich.«

Heinz Wilbrandt war nicht dieser Meinung. Ihm fiel gerade das schöne Lied ein »Als die Römer frech geworden«. Und er begann in dem Ton, wie er es von Harlington eben gehört hatte, dieses Gedicht vorzutragen. Hoi-so-ping hörte mit größter Andacht zu. Seine Augen begannen zu strahlen, als der Deutsche im Brustton tiefer Überzeugung versicherte: »Simserimserimsimsim«. Er lächelte selig, als der Gast gefühlvoll hinausschmetterte: »Täterätätääääätä«. Und als Wilbrandt seine Begrüßungsansprache gehalten hatte, da fiel Hoi-so-ping ihm ganz einfach vor Rührung um den Hals. Und das war für den Deutschen ein wahres Glück, denn einen Augenblick später hätte die überwältigende Komik des Auftritts seinem Ernst den Rest gegeben. Nichts wäre ihm unangenehmer gewesen, als wenn Hoi-so-ping durch ein Mißverständnis verletzt worden wäre, denn es war ihm schon jetzt völlig klar, daß dieser Chinese ein vollkommener Ehrenmann Und ein prächtiger Mensch war. Aber Hoi-so-ping hatte nichts bemerkt. Er schob seinen Arm unter den des Deutschen, nötigte Harlington, die Treppe hinauf vorauszugehen und folgte mit seinem neuen Freund Arm in Arm. Oben angekommen öffnete er die Tür zu einem kleinen Gemach, das zur Verwunderung des Deutschen ganz europäisch eingerichtet war – und zwar mit Geschmack und Sachkenntnis. In einer Ecke stand ein gutes Bett, ferner ein Tisch mit einer vollkommenen Wascheinrichtung. Das sollte Wilbrandts Zimmer sein. Dem Deutschen fiel ein Stein vom Herzen. Er war überzeugt, nach diesem Beweis europäischer Kultur Gerichte von geschmorten Regenwürmern und faulen Eiern nicht mehr befürchten zu müssen.

Der Chinese ließ kein Auge von seinem neuen Gast und es blieb ihm nicht verborgen, wie sehr es jenem in diesem Heim gefiel. Das Vergnügen darüber war deutlich in seinem feisten Gesicht zu erkennen. Da Harlington sich verabschieden mußte, begaben sich alle drei wieder in die unteren Räume. Nachdem der Engländer gegangen war, schob Hoi-so-ping seinen Arm unter den des Gastes und nötigte ihn in ein kleines gemütliches Wohnzimmerchen hinein, schob ihn in einen bequemen Strohsessel und blinzelte ihm vergnügt und verheißungsvoll zu. Dann holte er mit viel Umstand und Gepuste aus einer Schrankschublade ein Kästchen hervor – mit feinsten Havannazigarren. Wilbrandt ließ sich nicht erst lange nötigen. Beide setzten ihre Zigarren in Brand und an dem Behagen, das der Hausherr empfand, konnte Wilbrandt erkennen, daß sein Gastfreund diesen Genuß sehr wohl zu würdigen wußte. Darüber hörte Hoi-so-ping aber nicht auf, in seiner verheißungsvollen und lustigen Art mit den Äuglein zu zwinkern. Da der Deutsche keine Ahnung hatte, was jener im Schild führte, zwinkerte er ebenso verständnisvoll und lustig wieder – und das machte dem alten Knaben so viel Spaß, daß er mit lautem Lachen seinem Gast wiederholt die Hände schüttelte. Dann aber schoß er plötzlich hinaus – kehrte nach einigen Sekunden zurück – mit zwei Flaschen echtem deutschem Sekt, von einer Firma, die jeder kennt. Das war keine schlechte Überraschung, Hoi-so-ping zeigte, daß er mit dem Öffnen solcher dickbauchigen Flaschen durchaus vertraut war, und bald schäumte der edle Wein in den spitzen Kristallgläsern.

Dann begann eine höchst eigenartige Unterhaltung. Der Wein machte die Zungen lebendig und beide begannen zu reden, der Deutsche deutsch, und der Chinese in chinesischer Sprache. Der eine verstand den anderen nicht, aber das schadete nichts, denn beide, von dem guten Tropfen beschwingt, waren zufrieden, sich selbst sprechen zu hören und unterhielten sich auf diese Weise bestens. Auf einmal aber klatschte Hoi-so-ping in die Hände und rief: »Tschau! Tschau!« Wilbrandt kannte die Bedeutung dieses Wortes und wußte, daß es jetzt zu Tisch ging.

Bei dem Ruf überlief ein leises Gruseln den Rücken Wilbrandts. Im Geist hörte er die Schüsseln miauen, bellen und pfeifen. Aber der feurige Wein hatte seinen Mut gestärkt. »Ach was«, sagte er sich selbst, »was ein so ehrenwerter netter Mann wie dieser Hoi-so-ping ißt, der mit solchem Anstand Sekt trinkt und Havannazigarren raucht, das wirst du auch essen können.«

Und es war so. Erst gab es eine Suppe von rötlichbrauner Farbe, in der allerlei Kleinzeug schwamm, das auf seinen Ursprung nicht festzustellen war. Aber sie roch nicht schlecht – und Wilbrandt hatte seinen Mut nicht zu bereuen. Die Suppe schmeckte ihm ausgezeichnet. Und mit den folgenden Gängen war es ebenso. Mehrmals begegnete er dem auch in Deutschland wohlbekannten Hammel, öfter noch dem Schwein. Auch die freundlich gackernde Eierspenderin hatte ihre Erzeugnisse und zum Schluß auch sich selbst zu diesem Mahl beisteuern müssen. Alle Speisen wurden in zerkleinertem Zustand aufgetragen, damit sie für die zierlichen Stäbchen, deren der Chinese sich beim Essen bedient, formgerecht sind. Bei manchen Gängen blieb Wilbrandt in tiefster Ahnungslosigkeit, was er denn nun eigentlich verspeiste, über er fand, daß alles mit viel Kenntnis zubereitet war und daß die meisten Dinge, die man ihm vorsetzte, für einen europäischen Gaumen ganz angenehm waren.

Hoi-so-ping erwies sich als ein lustiger Herr, zu Scherzen wohl aufgelegt. Er hatte das Mißtrauen seines Gastes gegen gewisse Gerichte sehr wohl bemerkt, hatte seinen Spaß daran und war nun darauf aus, seinen jungen deutschen Freund auf eine Speise hereinfallen zu lassen. Und schließlich gelang es ihm auch. Eine Schüssel mit braungeschmorten länglichen dünnen Dingern wurde aufgetragen, die Heinz Wilbrandt für in Streifen geschnittene Früchte hielt – oder Nudeln. Er versuchte – versuchte nochmals. Da warnte ihn die gezwungen harmlose und darum doppelt verschmitzte Miene seines Wirts. Er deutete fragend auf die Speise, der jener mit dem größten Appetit zusprach. Da schmunzelte Hoi-so-ping, legte seine Eßstäbchen hin und ließ seine Finger mit bezeichnender Geste über den Tisch kriechen. Also doch geschmorte Regenwürmer! Wilbrandt goß den Tierlein eiligst ein Glas Wein nach – als aber Hoi-so-ping ihn durch eifriges »Tschau! Tschau!« zu weiteren Leistungen anspornen wollte, da lehnte er mit bestem Dank ab. Das letzte Gericht hatte seinen Appetit vollkommen gestillt.

Und dann kam das beste – der Kaffee. Der mundete Wilbrandt so gut, daß er glaubte, noch nie in seinem Leben besseren Kaffee getrunken zu haben. Und kaum brannten die Zigarren, da kam noch etwas Gutes – Ben Rubber. Auf einmal stand er im Zimmer und ließ mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit erkennen, daß er furchtbaren Hunger hatte.

Da herrschte denn bald in dem kleinen Raum eine Stimmung von einem solchen Behagen, daß Heinz Wilbrandt sogar seine Sorgen vorübergehend vergaß.


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