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3.

Doktor Wilbrandt saß in seinem Zimmer und schrieb Briefe nach Hause. Da wurde angeklopft, eine alte mongolische Dienerin steckte ihren Kopf durch den Türspalt und winkte dem jungen Herrn, mitzukommen. Im Arbeitszimmer des Hausherrn fand Wilbrandt diesen und außerdem seinen Bekannten vom Schiff, Robert Harlington, und einen Herrn in mittleren Jahren mit scharfgeschnittenem, bartlosem Gesicht, aus dem die Nase wie ein scharfer Geierschnabel heraussprang, mit graublauen, scharfen Augen und dünnen Lippen – der ausgesprochene Amerikaner. Bevor Rixkens die Herren miteinander bekannt machte, wußte Wilbrandt, daß dieser zweite Gast niemand anders als Ben Rubber sein konnte. So war es auch. Die drei Herren nahmen an einem runden Tischchen Platz, der Hausherr stellte Zigarren hin und ließ durch eine Dienerin Scherbett, frisches Wasser und einen leichten, säuerlichen Wein auftragen. Dann wandte er sich an Doktor Wilbrandt.

»Ich habe Ihnen schon gesagt, lieber Doktor, daß niemand besser als diese beiden Herren Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen könnten. Wie ich erwartet habe, sind meine Freunde gern bereit, Sie zu unterstützen. So, und nun erzählen Sie!«

Heinz Wilbrandt hatte wohl bemerkt, wie ernst und durchdringend die graublauen Augen des Amerikaners sein Gesicht durchforscht hatten, während Rixkens sprach. Als Ben Rubber ihm nun freundlich und aufmunternd zunickte, war er überzeugt, daß jener von seiner Musterung nicht ganz unbefriedigt war. Und er begann zu erzählen.

»Mein Vater ist Direktor eines Museums in einer deutschen Großstadt. Er selbst hat als Sammler mongolischer Kult- und Kunstgegenstände, vor allen Dingen aber chinesischer Altertümer einen bekannten Namen. Vor einigen Wochen erhielt mein Vater den Besuch von zwei chinesischen Herren. Sie fuhren im Auto vor, trugen vornehme Zivilkleidung, obwohl auf dem Führersitz ein uniformierter Mongole saß und das Auto auf dem Wagenschlag das Bild eines gelben Drachen führte. So behauptete der Türhüter des Museums, der die Besucher hereinließ. Mein Vater empfing die Herren, und sie eröffneten ihm, daß sie gekommen seien, dem Museum einen Gegenstand von unschätzbarem Wert zum Kauf anzubieten: ein Kästchen, aus feinsten Holzplättchen zusammengesetzt, mit Handzeichnungen erlesenster Art versehen, Jahrhunderte alt. Doch noch weit wertvoller sei der Inhalt, ein Teil der handschriftlichen Aufzeichnungen des Kon-fu-tse. Wie mein Vater wohl wisse, sagte der Wortführer, sei von den Aufzeichnungen des Kon-fu-tse, den die Europäer Konfuzius nennen, nur das Werk »Ch'un-Ch'iu«, was soviel bedeute wie »Annalen des Frühlings und Herbstes«, übriggeblieben. Natürlich sei dieses Schriftstück von einem Wert, der sich überhaupt nicht in Ziffern ausdrücken lasse. Es handle sich um einen Besitz der chinesischen Nation, doch wolle man sich dieses Schatzes entäußern – aus Gründen, die er einem Europäer unmöglich auseinandersetzen könne. Außerdem sei ihm strengstes Stillschweigen zur Pflicht gemacht worden, doch könnten er und sein Landsmann durch entsprechende Papiere nachweisen, daß sie zu dem Verkauf befugt seien. Natürlich war mein Vater über das Anerbieten nicht wenig erstaunt, erklärte sich aber bereit, auf die Sache einzugehen, und bat zunächst um Vorzeigung des Verkaufsgegenstandes und der Ausweispapiere. Darauf ging der eine Chinese hinaus, um das Kästchen aus dem Wagen zu holen, während der andere seine Brieftasche zog und Papiere vor meinen Vater niederlegte, die in chinesischer Sprache nebst englischer Übersetzung ausgestellt waren, auf den Mandarin Hoang-yü-tsing – ›Das bin ich‹, sagte er lächelnd und sich verneigend – und auf den General Kuo-sung-lien. Dieser kam eben mit dem Kästchen herein. Ich sagte schon, mein Vater sei Kenner auf diesem Gebiet. Er sah mit einem Blick, daß das Kästchen wirklich alte chinesische Arbeit von höchstem Kunstwert sei. Doch was war das Kästchen gegen die Schrift! Mein Vater hat schon manches chinesische Schriftstück in Händen gehabt. Dieses aber betrachtete er mit einer wahren Ergriffenheit. Lange vor Christi Geburt hatte ein Mensch, dem noch heute beinahe göttliche Ehren erwiesen werden, dieses Papier mit seinen Schriftzeichen bedeckt. Mein Vater hätte kein Sammler sein müssen und ein schlechter Museumsdirektor, wenn er sich für dieses kostbare Stück nicht begeistert hätte. Er machte den beiden Herren begreiflich, daß er natürlich nicht allein über den Ankauf entscheiden könne, zumal sicher ein sehr hoher Preis verlangt werden würde. ›Allerdings, einen festen Preis von hunderttausend Mark‹, nickte der Mandarin höflich. ›Darüber kann nicht einmal die Museumsverwaltung allein entscheiden‹, sagte mein Vater, ›da hat das Ministerium mitzusprechen.‹ Hoang-yü-tsing erklärte sich bereit, das Kästchen nebst Inhalt einige Tage in den Händen meines Vaters zu belassen, damit er mit den Herren der Museumsverwaltung und des Ministeriums beraten könne. Er erbat sich lediglich eine Bescheinigung über den Empfang. Diese gab mein Vater und fügte auch einen Satz mit ein, in dem er die Garantie gegen Verlust des Wertstücks übernahm. Darauf verabschiedeten sich die Herren, mit dem Bemerken, in drei Tagen wiederkommen zu wollen. Mein Vater erbot sich, die Herren zu benachrichtigen, und fragte nach ihrer Wohnung. Hoang-yü-tsing antwortete, daß sie noch andere Aufgaben in Deutschland zu erfüllen hätten und gleich weiterreisen würden. Sie würden aber bestimmt nach drei Tagen zur gleichen Stunde wieder vorsprechen. Mein Vater verschloß im Beisein der beiden Chinesen den Schatz in einem diebes- und feuersicheren eisernen Wandschrank, dann gingen sie.«

Wilbrandt machte eine kleine Pause, dann fuhr er fort:

»Mein Vater war sich bewußt, daß der Ankauf des Schreins mit der Handschrift keineswegs sicher sei. Hunderttausend Mark waren sehr viel Geld. Und war das Museumsstück auch einzigartig, so lagen doch gegen einen Ankauf mehrere gewichtige Bedenken vor. Das war auch die Ansicht der Herren, mit denen mein Vater sich sogleich telephonisch in Verbindung setzte. Um nun aber unter allen Umständen aus der Sache einen Nutzen zu ziehen, photographierte mein Vater nicht nur das Kästchen, sondern auch den Titel und einige Stücke der Handschrift. Als er damit fertig war, wollte er auch eine genaue Beschreibung von dem Schriftstück und seiner Umhüllung anfertigen, die er, falls aus dem Verkauf nichts werden sollte, nebst den Bildern drucken lassen wollte. Darüber war der Tag vergangen, ein langer, warmer, sonniger Sommertag. Die letzten Besucher hatten das Museum verlassen und die Aufseher begannen die Räume abzuschließen. Da meinem Vater der weite Museumssaal, wo sich der eiserne Wandschrank befand, nicht geeignet erschien, um einen wirkungsvollen Aufsatz über eine kunst- und kulturgeschichtliche Kostbarkeit zu schreiben, trug er das Kästchen in sein Amtszimmer hinüber und stellte es auf den Schreibtisch. Da fiel ihm ein, daß er versäumt hatte, den Saal wieder abzuschließen. Mehr einem Gefühl folgend, als einem planvollen Gedanken, breitete er ein Zeitungsblatt über das Kästchen aus und eilte fort, um den Saal zu verschließen, nicht ohne vorher auch die Tür seines Arbeitszimmers abzuschließen. Die Zeit seiner Abwesenheit schätzt mein Vater auf etwa fünf bis sieben Minuten, da der Nachtwächter ihn auf dem Flur ansprach und ihm meldete, daß schon seit zwei Nächten eine dunkle Gestalt um das Gebäude herumgeschlichen sei. Er habe den Mann von einem Fenster aus beobachtet und bemerkt, daß der Fremde augenscheinlich festzustellen versuche, von welcher Stelle aus sich am leichtesten in das Museum einsteigen ließe. Mein Vater war der Ansicht, der Mann sehe Gespenster, beauftragte ihn aber scharf aufzupassen und ihn zu wecken, falls der Geheimnisvolle sich in der nächsten Nacht wieder zeigen sollte. Dann kehrte er zu seinem Amtszimmer zurück – und schon in dem Augenblick, da er den Fuß ins Zimmer setzte, sah er das Unfaßbare, das sich während seiner Abwesenheit zugetragen hatte: das Zeitungsblatt lag auf der Erde – das Kästchen war verschwunden. Das Fenster stand weit offen und eine Scheibe war zerschlagen.«

»Ah – famos!« brummte Ben Rubber und nahm mit einer schnellen Bewegung die Pfeife aus dem Mund. »Sehr interessant!«

»Das Amtszimmer Ihres Vaters liegt zu ebener Erde, nicht wahr?« fragte Rixkens.

»Jawohl, auf der Hinterseite des Museumsgebäudes. Zwischen dem Haus und der Straße zieht sich ein Vorgarten hin, von einem Eisenzaun abgeschlossen. Es ist eine stille Seitenstraße, mit Bäumen bepflanzt.«

»Also geschah der Diebstahl von der Straße aus«, stellte Rixkens fest und blickte auf Rubber. Der nickte ihm zu.

»Das ist einwandfrei erwiesen«, nahm Wilbrandt wieder das Wort. »Mein Vater stand eine Weile wie erstarrt, einer Ohnmacht nahe. Dann riß er sich zusammen, stürzte zum Fenster und blickte hinaus. Niemand zu sehen, kein Laut zu hören. Ein anderer wäre wohl zum Fenster hinausgesprungen und über den Zaun geklettert. Aber mein Vater ist ein alter Herr und dazu nicht mehr imstande. Barhäuptig, im Hausrock, stürzte er auf die Straße und mir, der ich eben nach Haus kam, buchstäblich in die Arme. ›Ein Diebstahl!‹ keuchte er. ›Ich bin ruiniert. Vor wenigen Minuten – aus meinem Amtszimmer – jemand eingestiegen – ins Fenster – ein Kästchen – chinesische Arbeit – aus Holzplättchen – lauf du in der Richtung links – ich rechts – nimm fest, wer so was trägt!‹

Damit eilte er fort. Ich stand drei Sekunden fassungslos. Dann begriff ich und rannte fort, in der anderen Richtung. Plötzlich fiel mir ein, daß ich vor zwei Minuten einem Menschen begegnet war, der in einem weiten Bogen um mich herumging, als fürchte er, von mir angegriffen zu werden. Ein langer dürrer Mann. Mir war sofort sein Gang aufgefallen, halb tänzelnd, halb schleichend. Warum war er mir so geflissentlich aus dem Wege gegangen? Ich lief, wie ich noch selten gelaufen war. Und als ich die Straßenecke erreichte, sah ich den Mann, der in einer Entfernung von dreihundert Schritt eben wieder um eine Straßenecke bog. Aber ich hatte noch ein Dutzend seiner Schritte gesehen und ihn an seinem auffallenden Gang bestimmt wiedererkannt. Er ging wie ein Mensch, der sich auf den Fußspitzen wiegend tänzelnd fortbewegt, dabei den Oberkörper zusammenduckt wie ein schleichendes Raubtier. Er trug einen langen dunklen Mantel und sah meiner Empfindung nach einem mit Beute fortschleichenden Dieb sehr ähnlich. Mit langen Sprüngen setzte ich hinter ihm her. Dabei suchte ich in meinem Gedächtnis, wo ich diesen Gang schon einmal gesehen hatte. Bis heute hat mich die Überzeugung nicht losgelassen, daß ich jenem Menschen, von dem ich nichts kenne als die Art seiner Fortbewegung, schon irgendwo begegnet sein müsse. Doch so sehr ich auch mein Gedächtnis anstrenge, ich komme zu keinem Ergebnis.«

»Haben Sie den Mann nicht eingeholt?« fragte Rixkens.

»In dem Augenblick, da er um die Ecke bog, wendete er den Kopf zurück, sah mich und schoß mit einem Satz um die Ecke. Wie ein Verzweifelter rannte ich hinter ihm her. Noch hundert Schritt waren es bis zur nächsten Straßenecke. Dort aber beginnt ein Stadtteil, der aus engen Straßen und winkligen Gassen besteht, in dessen Gewirr ein Mensch ohne viel Schwierigkeit spurlos verschwinden kann. Ich rief hinter ihm her, brüllte mit der letzten Kraft meiner keuchenden Lunge: ›Haltet den Dieb!‹ Doch niemand war in der Nähe. Niemand sah und hörte mich. Endlich war ich an der Straßenecke. Wie ich befürchtet hatte, so war es – der Dieb war verschwunden. Keuchend vor Hast und Aufregung durcheilte ich ein paar der nächsten Straßen, spähte in alle dunklen Torwege und Hauseingänge hinein. Umsonst, hier, wo die Menschen dichter beieinander wohnen, herrschte in den Straßen reges Leben. Ich fragte hier und da, diesen und jenen, Obsthändler und Zeitungsverkäufer. Niemand hatte den Mann gesehen. Ich eilte zur nächsten Polizeiwache und gab dort den Fall an. Der diensttuende Kommissar begriff kaum, um was es sich handelte, als er zum Fernsprecher eilte und nach verschiedenen Stellen Anweisungen gab, unverzüglich das ganze Viertel abzusuchen. Er versprach mir, das Ergebnis der Streife unter allen Umständen noch heute abend durch den Fernsprecher mitzuteilen. Mit diesem schwachen Trost eilte ich zum Museum zurück. Hier fand ich meinen Vater in halber Verzweiflung vor seinem Schreibtisch sitzen, den Kopf zwischen den Fäusten. Ich berichtete ihm von meinen schwachen Erfolgen und fragte, ob er auch schon die Polizei benachrichtigt hätte. Er schüttelte bedrückt den Kopf. Er hatte die Anzeige bisher unterlassen in der Hoffnung, ich würde dem Dieb seine Beute wieder abjagen. Nun mußte er sich schweren Herzens auf den Weg machen. Derweil untersuchte ich das Amtszimmer, fand aber nicht das geringste Verdächtige. Im Garten aber machte ich einen Fund, von dem ich damals überzeugt war, er würde zur Entdeckung des Täters führen. Hier ist er.«

Damit zog der junge Arzt ein Päckchen aus der Rocktasche, öffnete es und legte einen Gegenstand auf den Tisch. Die drei Zuhörer beugten sich gespannt darüber.

»Ah – eine Pfeife – ein merkwürdiges Ding!« rief der Hausherr.

Ben Rubber nahm das Ding in die Hand und betrachtete es mit Aufmerksamkeit, »Hm – famos – sehr interessant«, brummte er nach einer Weile am Rohr seiner eigenen Pfeife vorbei. »Opiumpfeife. Gehört einem chinesischen Zauberkünstler.«

Heinz Wilbrandt wurde plötzlich blaß – die beiden anderen blickten verwundert auf den Amerikaner.

»Wieso einem Zauberkünstler?« fragte Rixkens.

»Steht ja da. Am Rohr, hier – dicht beim Kopf.«

Wilbrandt beugte sich vor und starrte auf die Stelle, die Rubber bezeichnete. In der Tat, da standen, in das Holz eingeritzt, chinesische Schriftzüge. So oft hatte er das Ding in der Hand gehabt – doch diese Zeichen waren ihm immer entgangen. Allerdings waren sie nur einem scharfen Auge sichtbar, und wer nicht Chinesisch verstand, der hätte sie für zufällige Kritzeleien halten können. Auch Robert Harlington, der sich bisher völlig schweigsam verhalten hatte, nahm die Opiumpfeife in die Hand und betrachtete die Schriftzüge aufmerksam.

»Mister Rubber hat recht«, sagte er. »was hier steht, das heißt, ins Deutsche übertragen, soviel wie ›Jünger Wischnus‹. Ich glaube mich zu erinnern, daß chinesische Zauberkünstler sich oft diese Bezeichnung zulegen, wenn sie Europa bereisen.«

»Ganz recht – es ist so«, nickte Ben Rubber. »Sie wissen – Wischnu stammt aus dem Indischen. Ist so viel wie erhaltende Gottheit – das belebende Prinzip im Weltall.«

Der junge Deutsche starrte Ben Rubber an, ohne seine Erklärung überhaupt zu beachten. In seinen Mienen zitterte Erregung.

»Mein Gott – hätte ich das doch vor sechs Wochen gewußt!« stöhnte er. Und als die drei Herren ihn stumm und erwartungsvoll anblickten, fuhr er fort: »Hören Sie die Fortsetzung meiner Geschichte! Als ich am nächsten Morgen schon früh bei meinem Vater war, wurden zwei Herren angemeldet. Es war der Kommissar der Polizeiwache, mit dem ich abends gesprochen hatte, und ein Herr in Zivilkleidung, der uns als Kriminalinspektor Müller vorgestellt wurde. Der Polizeikommissar hatte folgendes zu berichten: Am späten Abend war einer seiner Beamten mit der Meldung zurückgekommen, er habe die Spur des Verfolgten Diebes gefunden. Ein Mensch, der genau zu der von mir gemachten Beschreibung paßte, war abends in eine Kneipe hereingetreten und war, ohne etwas zu genießen, auf den Hof gegangen. Dort hatte er sich, wie ein arbeitender Bäckergeselle beobachtete, über die Mauer geschwungen, und der Beamte, der der Spur auf demselben Wege folgte, fand auf diesem Hof eine Person, die den Fliehenden gesehen hatte. Der Flüchtling war vom Hof in den dunklen Hausflur getreten, hatte sich hier in einem Winkel verborgen, bis eine Frau, die mit einem Licht vorüber kam, ihn erblickte und vor Schreck laut aufschrie. Darauf hatte der Mann sich aus dem Staub gemacht und war nicht mehr gesehen worden. Der Beamte hatte aber so viele unverkennbare Merkmale von dem Geheimnisvollen sammeln können, daß der Kommissar und Inspektor Müller dadurch auf eine bestimmte Person hingewiesen wurden – auf den im Walhalla-Theater gerade zu der Zeit auftretenden chinesischen Zauberkünstler Lui-ping-shen.«

»Ah – famos – sehr interessant!« konnte Ben Rubber sich nicht enthalten, zu bemerken und deutete triumphierend auf den Namenszug auf der Opiumpfeife.

»Lui-ping-shen hatte einen Diener, Yü-su, einen langen, dürren Menschen, der – kurz, es war jener, den ich der Beschreibung nach durch mehrere Straßen verfolgt hatte. Aber da war noch etwas Besonderes dabei. Die Beschreibung konnte auch auf den Herrn passen, so gut wie auf den Diener. Der Kriminalinspektor gab von dem Zauberkünstler eine so treffende und scharfe Beschreibung, daß ich mich sofort erinnerte, den Mann ein Jahr zuvor in München selbst gesehen zu haben. Denken Sie sich auf der Bühne einen großen, auffallend mageren Mann, mit einem langen Mantel aus gelber Seide bekleidet, der mit Blumen und Vögeln kunstvoll bestickt ist. An diesen Mantel knüpft sich so etwas wie eine Legende. Nach den Aussagen befragter Personen hat noch nie ein Mensch, wenigstens nicht in Deutschland, den Zauberer Lui-ping-shen ohne diesen gelben Seidenmantel gesehen. Er trägt ihn zu Hause, im Wagen, auf der Bühne – überall dort, wo er mit Menschen in Verbindung kommt. Spaßvögel behaupteten, er ginge mit diesem gelben Mantel sogar zu Bett. Ernstlich aber konnte darüber niemand etwas Sicheres sagen, da Lui-ping-shen in den Hotels oder Privatwohnungen, wo er während seiner Kunstreisen abstieg, ständig hinter verschlossenen Türen lebte. Sein Gesicht ist hager und quittengelb, und wie man sagte, hat es einen auffallend schläfrigen Ausdruck. Seine Augen aber, die klein und stark geschlitzt sind, zeugen von einem ungewöhnlich regen Innenleben. Ich selbst habe damals in München gesehen, wie es bei verdunkeltem Zuschauerraum in diesen Augen funkelte wie von glühenden Kohlen. Lui-ping-shen hinkt auf dem linken Fuß. Man sollte annehmen, daß ihn das bei seinem Beruf, der außergewöhnliche Gewandtheit beansprucht, stark behindern müßte. Nun, dieser Zauberer hat seine ganze Gewandtheit in den Händen. Er steht fast unbeweglich, und ein halbes Dutzend flinker Diener springt um ihn herum. Sie besorgen ihm jede Handreichung. Diese Leute gehören aber nicht zu seinem steten Gefolge. Jedes Theater, wo er auftritt, hat ihm einige junge Leute zur Auswahl zuzuführen, mit denen probt er vor den ersten Aufführungen. Und merkwürdig ist, daß diese seine jungen Gehilfen ihn für den Teufel halten.«

»Schon möglich! Sehr interessant!« murmelte Ben Rubber in tiefem Nachdenken.

»Ich habe meinem Bericht nicht mehr viel hinzuzufügen«, sagte Heinz Wilbrandt mit einem Seufzer. »Die Polizei war der bestimmten Überzeugung, daß niemand anders als Yü-su, Lui-ping-shens Diener, der Dieb sei. Ein Steckbrief wurde erlassen – und seit jener Stunde war Yü-su wie vom Erdboden verschwunden. Lui-ping-shen wurde wiederholt vernommen, doch er hatte immer nur dasselbe auszusagen: Yü-su habe ihn bestohlen und er habe ihn zum Kuckuck gejagt. Wohin er sich gewandt habe, sei ihm nicht bekannt.«

»Gestunken und gelogen!« behauptete Ben Rubber mit starker Überzeugung. »Der Kerl ist offenbar gar nicht abgereist. Hat in Großstadt Unterschlupf gefunden. Und sein Herr steckt mit ihm unter einer Decke.«

»Darüber bin ich anderer Meinung«, ließ Robert Harlington sich vernehmen. »Man muß da, scheint mir, etwas zurückgreifen. Es scheint nicht ausgeschlossen zu sein, daß die beiden vornehmen Chinesen und der Dieb gemeinsame Arbeit machen.«

»Zu welchem Zweck wohl?« meinte Rixkens kopfschüttelnd.

»Zu dem Zweck, aus dem Bestohlenen die Garantiesumme herauszupressen.«

»Das ist auch meine Ansicht!« rief Wilbrandt erregt. »Es ist nämlich genau so gekommen, wie Sie andeuten. Die beiden Chinesen, die das Kästchen zum Kauf anboten, waren auffallend wenig erschrocken, als sie vernahmen, daß es auf geheimnisvolle Weise verschwunden war. Sie nahmen den Fall so ruhig zur Kenntnis, daß mein Vater und ich sogleich den Verdacht hatten, sie stäken mit dem Dieb unter einer Decke. Mein Vater wies dann allerdings diesen Verdacht sogleich wieder von sich und begründete die auffallende Ruhe der beiden Chinesen mit dem bekannten gleichmütigen Nationalcharakter der Chinesen. Kurz – sie sprachen meinem Vater höflich ihr Bedauern über sein Mißgeschick aus und fragten ganz kaltblütig, wann die Kaufsumme zur Verfügung stände. Mein Vater geriet darauf in heftige Erregung, zumal als der General ihn mit einer geradezu niederträchtigen Höflichkeit fragte, ob er nicht fürchte, die Polizei würde auf den Gedanken kommen, er selbst stände dem Diebstahl nicht fern. Als mein Vater den beiden daraufhin die Türe wies, überboten sie sich noch in Entschuldigungen und baten, nach einigen Tagen wieder einmal anfragen zu dürfen. Danach verschwanden sie. Acht Tage später reiste ich nach China ab, und bis dahin haben wir nichts mehr von ihnen gehört.«

»Die Sache scheint ziemlich einfach zu sein«, nahm Ben Rubber das Wort. »Die beiden Chinesen haben das Ding in Peking oder sonstwo in China gestohlen und nach Deutschland gebracht. Und da hat es Lui-ping-shen Ihrem Vater gestohlen. Beweis: die Opiumpfeife im Garten. Und die Pfeife gehört einem Jünger Wischnus – Zauberkünstler – Lui-ping-shen! Und alle drei arbeiten zusammen. Ganz klar, nicht wahr? Wo steckt denn jener Lui-ping-shen zur Zeit?«

»Das weiß niemand«, antwortete Wilbrandt. »Der Zauberer hat sein Gastspiel in meiner Heimatstadt noch abgeschlossen, danach war er für ein zweiwöchiges Gastspiel in Hamburg verpflichtet. Er ist abgereist, in Hamburg aber nicht eingetroffen. Hat keine seiner ferneren Gastspielverpflichtungen mehr eingehalten. Kurz gesagt, er ist verschollen.«

»Vielleicht haben die Leute eingesehen, daß sie mit ihrem Schwindel nicht zu dem erwarteten Erfolg kommen und sind verduftet«, vermutete Harlington.

»Sehr wahrscheinlich«, nickte Rixkens. »Die Chinesen werden annehmen, daß ein Prozeß um das Kästchen für sie unangenehmer sein könnte als für den Beklagten.«

»In Deutschland ist man nicht dieser Meinung«, sagte Wilbrandt mit einem Achselzucken. »Man nimmt an, daß ein Prozeß um das Kästchen unter den obwaltenden Umständen als eine große Unannehmlichkeit angesehen werden kann.«

»Und Sie sind ohne irgendwelche Fingerzeige nach China gekommen, um hier den Dieb zu suchen?« wunderte sich Robert Harlington.

»Nicht ohne jeden Fingerzeig«, versetzte der junge Arzt. »Ein wenig hat unsere Polizei noch ermittelt. Der Zauberer wohnte während seines Aufenthaltes in unserer Stadt in einer kleinen Pension, die einer alleinstehenden Witwe gehört. Kriminalinspektor Müller, der auch der Überzeugung ist, daß der Dieb in der Nähe Lui-ping-shens zu suchen ist, beauftragte einen jungen Beamten, bei der Frau Wohnung zu nehmen und Lui-ping-shen zu bewachen. Dieser junge Beamte machte die Entdeckung, daß der Zauberer binnen weniger Tage drei Eilbriefe aus Peking erhielt. Die Briefumschläge, die sämtlich von der gleichen Hand in schauderhaftem Englisch beschrieben waren, hat der Beamte aus dem Papierkorb des Chinesen herausgefischt. Einen davon habe ich hier – bitte!« Und er legte einen zerknitterten, später notdürftig geglätteten grauen Briefumschlag auf den Tisch. Alle blickten darauf, dann ging das Papier von Hand zu Hand. Zuletzt nahm Ben Rubber es in die Hand und trat damit zum Fenster.

»Der junge Beamte hat übrigens noch etwas wichtiges ermittelt. Die Wirtin erzählte ihm, sie habe noch niemals die beiden Chinesen gleichzeitig gesehen. Es wäre ihr manchmal unheimlich und es schiene ihr, der Zauberer könne sich unsichtbar machen –«

»Ah – das ist merkwürdig!« fuhr Harlington auf. »Das bringt mich auf einen Gedanken –«

»Auf welchen Gedanken?« fragte der Deutsche, als jener abbrach. Harlington aber schüttelte stumm den Kopf und blickte auf Ben Rubber, der in diesem Augenblick wieder an den Tisch trat.

»Wenn Sie immer so ein Glück haben, Sir, dann können Sie bald nach Deutschland zurückkehren – samt Ihrem Spitzbuben.«

»Oho – Sie sind ja ein Allerweltskerl, lieber Mister Rubber!« rief Rixkens, lachend zwar, doch äußerst gespannt. »Was haben Sie denn da ermittelt?«

»Sind Sie überzeugt, daß die drei Briefumschläge von demselben Absender stammen?« wandte der Amerikaner sich an Wilbrandt.

»Jawohl, das steht einwandfrei fest.«

»Ich weiß, wer die Adressen geschrieben hat«, nickte Rubber und grinste. »Einer der größten Halunken von Peking.«

Er drehte langsam das Gesicht Herrn Rixkens zu.

»Sie müßten ihn eigentlich kennen. Er heißt – Tso-tsing-wu.«

Kaum war der Name den Lippen des Amerikaners entschlüpft, da sprang der Handelsherr wie elektrisiert auf.

»Was?! Tso-tsing-wu – der Antiquitätenhändler – der beim Tschientor wohnt – dicht hinter der Mauer, die die Tataren- von der Chinesenstadt trennt?«

Der Amerikaner nickte heftig und stieß Rauchwolken aus seiner Pfeife.

»Oh, den Kerl kenne ich besser, als mir lieb ist!« rief Rixkens, und Empörung klang in seiner Stimme. »Hat der Halunke mich mal hereingelegt! Nie hätte ich für möglich gehalten, daß der alte Rixkens, der sich immer so schlau und geschickt vorgekommen ist, so angeführt werden könnte! Wissen Sie, meine Herren, der Halunke Tso-tsing-wu ist meine größte geschäftliche Beschämung – und mein tiefster Hereinfall! Hol ihn der Kuckuck!«

Alle lachten über diese innige Verwünschung, deren Echtheit nicht angezweifelt werden konnte.

»Und ich weiß noch mehr von ihm«, nickte Ben Rubber, plötzlich ernst werdend. »Dieser Tso-tsing-wu ist eines der fanatischsten Mitglieder der Sekte I-ho-chuan – der ›Blutigen Hand‹ – kurz, der Boxer.«

»Aber Boxer gibt es doch heute nicht mehr!« rief Wilbrandt zweifelnd.

»Gibt es nicht mehr?« wiederholte Ben Rubber. »Junger Mann, Sie werden sich ja vielleicht wundern über das, was es in China noch alles gibt – was es laut den europäischen Zeitungen vielleicht nicht mehr gibt. Wissen Sie, ich bin Presse – Zeitung – bin Neueste Nachricht, bin Information – bin Verbindung zwischen dem Inneren Chinas und dem Kontinent. Ich weiß über diese Dinge mehr als alle europäischen und amerikanischen Zeitungen zusammengenommen.«

Ein humoristisches Lächeln umspielte den Mund des Herrn Rixkens. Und als in demselben Augenblick Wilbrandts Augen das Gesicht des Handelsherrn streiften, blinzelte dieser ihm lustig zu. Heinz Wilbrandt verstand und nahm von diesem Augenblick an die Allwissenheit des Herrn Ben Rubber nicht mehr ganz so ernst.

»O ja, offiziell gibt es in China keine Boxer mehr«, fuhr der Amerikaner fort. »Aber im stillen um so mehr, das können Sie mir glauben! Der Tag wird kommen, da die Welt sich darüber wundern wird. Nur einer wundert sich dann nicht – Ben Rubber – ich! Aber nichts mehr davon! Statt dessen: der gewisse Tso-tsing-wu hat diese Briefe abgeschickt. Kann ich beweisen! Hab schon öfter mit dem Kerl zu tun gehabt. Kenne die Handschrift. Würde mich darauf allein aber nicht verlassen. Es gibt viele Leute in China, die Englisch mit dem Pinsel schreiben – hähähä. Aber nicht jeder mit altem Plunder handelnde Chinamann hat einen Gehilfen, der ein so großer Spitzbube ist wie er selber. So einen hat aber Tso-tsing-wu. Der stiehlt seinem Herrn außer anderen Dingen auch die Briefmarken. Drum hat Tso-tsing-wu einen grausam schlauen Gedanken gehabt. Er hat sich einen Stempel geschnitzt und stempelt jetzt alle seine Briefmarken auf der Rückseite mit einer durchscheinenden fettigen Farbe. Famos, was? Hähähä! Sehen Sie her, bitte! Ich habe von diesem Briefumschlag die Marke abgelöst. Hat verwünscht festgesessen. Hab aber mit ein bißchen Anfeuchten nachgeholfen. Hier die Marke mit dem Stempel – und hier der Abklatsch von der Stempelfarbe auf dem Papier des Briefumschlags! Ausgezeichnet – wie?«

»In der Tat, ausgezeichnet!« Rixkens aber verzog das Gesicht und schüttelte ablehnend den Kopf.

»Ich kenne hier in Tientsin mehrere chinesische Geschäftsleute, die auf solche Weise ihre Marken zeichnen. Sie wissen, daß man das auch drüben bei uns tut.«

»Das weiß ich natürlich!« nickte Ben Rubber seelenruhig. »Ich weiß alles, Sir! Ich bin Presse, verstehen Sie, Zeitung! Die Zeitung weiß immer alles. Ich kenne aber das Zeichen von Tso-tsing-wu – Sie verstehen!«

»Aus diesem Farbenklatsch? Unmöglich!« So behauptete Rixkens.

»Ich werd's Ihnen beweisen«, knurrte Ben Rubber, nahm eine kleine Lupe aus der Westentasche und betrachtete ein paar Sekunden lang die Rückseite der Briefmarke. Dann reichte er beides dem Handelsherrn hinüber.

»Hm – Sie können recht haben«, murmelte Rixkens. »Bei genauer Betrachtung bekommt der Klecks eine gewisse Form.«

»Wenn Tso-tsing-wu mit dieser Sache in Verbindung steht, dann haben Sie einen gefährlichen Gegner«, sagte Robert Harlington ernst.

»Ich glaube es«, nickte Heinz Wilbrandt. »Dennoch bin ich glücklich, daß ich diese Spur gefunden habe. Ich werde mich durch nichts abhalten lassen, sie zu verfolgen.«

»Ganz richtig«, stimmte Harlington bei. »Nur dürfen wir nicht vergessen, daß wir in China nur geduldet sind und wenig Machtmittel besitzen. Was Sie erreichen müssen, das können Sie nur durch List erlangen. Aber ich glaube, ich kann Ihnen ein wenig behilflich sein. Ich muß nach Peking – morgen oder übermorgen – und es wäre am besten, wenn Sie gleich mit mir reisen würden. Ich habe in Peking ein paar gute Verbindungen, die Ihnen nützlich sein werden.«

»Und ich«, sagte Rixkens, »stelle Ihnen für die Reise durch China meinen besten und gewandtesten Diener zur Verfügung, einen jungen Chinesen, treu und erprobt, nicht ungebildet. Er spricht außer seiner Muttersprache und einer Unzahl Landesdialekte geläufig Englisch und genügend Deutsch.«

Er erhob sich und rief etwas zur Türe hinaus. Gleich darauf trat ein junger Chinese ins Zimmer, schlank und doch kräftig, dessen offene und viel Klugheit verratende Gesichtszüge sofort bei Wilbrandt ein Gefühl von Zuneigung hervorriefen.

»Das ist Käsch«, sagte Rixkens. »Eigentlich heißt er Tong-psi, doch bei uns nennt ihn jeder nur Käsch, weil er schon als kleines Bürschchen eine besondere Vorliebe für Käschs hatte, diese chinesische Scheidemünze, von der man für einen amerikanischen Dollar einen kleinen Sack voll bekommt. Inzwischen ist der gute Käsch erwachsen, und er schwärmt jetzt mehr für Taels 1 Tael = 1000 Käsch = etwa 3 Mark. Aber zu seinem Lobe muß ich sagen, daß er dieser Liebe niemals in verbotener Weise frönt.«

Käsch, der also gekennzeichnete Freund chinesischen Mammons, grinste vor Vergnügen über das ganze pfiffige Gesicht. Man merkte, wie er sich freute, in den Gesichtern aller Anwesenden eine freundliche Gesinnung ihm gegenüber zu finden.

»Nun hör mal gut zu, mein Sohn Käsch!« sagte Rixkens. »Dies hier ist ein sehr guter, lieber Freund von mir, Herr Doktor Wilbrandt aus Deutschland. Ihn wirst du morgen oder übermorgen nach Peking und, wenn es sein muß, noch weiter begleiten – bis Herr Wilbrandt dich aus seinen Diensten entläßt. Während dieser Zeit hast du meinem Freunde zu dienen, genau so, als dientest du mir. Ist Herr Wilbrandt mit dir zufrieden, bekommst du außer deinem Lohn noch zehn Taels von mir. Wenn er sich über dich beklagt, bekommst du Bambusgemüse, verstanden?«

Käsch hatte verstanden. Er nickte so vergnügt, daß man deutlich erkennen konnte, wie wenig er mit dem angedrohten »Bambusgemüse« rechnete, dagegen um so mehr mit den verheißenen Taels. Er beäugelte den jungen Deutschen und schien ihn auf seine Eigenschaften abzuschätzen. Dabei zwinkerte er ihm höchst lustig, unterwürfig und zugleich vielversprechend mit den Schlitzäuglein zu. Wilbrandt mußte lachen.

»Käsch ist gut«, nickte er. »Wir werden miteinander auskommen. Und wenn das der Fall ist, werde ich nicht versäumen, zu den versprochenen zehn Taels des Herrn Rixkens die gleiche Summe hinzulegen.«

»Na, du Schlingel, dann kannst du dir ja den Teegarten draußen vor dem Tor kaufen und endlich deine kleine Shi-shou heiraten«, schmunzelte Ben Rubber.

Käsch schien in der Freude seines Herzens das Bedürfnis zu haben, etwas von Dank zu stammeln, doch Rixkens schob ihn kurzerhand zur Tür hinaus. Nun wurde die Stunde der Abreise festgesetzt. Käsch erhielt den Auftrag, das Kabeltelegramm nach Deutschland zu besorgen, das nur aus wenigen Zeilen bestand und die Kleinigkeit von hundert Mark kostete. Robert Harlington verabschiedete sich, um sich für die Reise vorzubereiten. Ben Rubber überraschte die Gesellschaft durch die Mitteilung, daß er sich Herrn Wilbrandt anschließen werde, vorher aber noch einige Geschäfte zu erledigen habe und nach einer Woche ebenfalls in Peking sein würde.

»Macht mir großen Spaß, Sir«, sagte er schmunzelnd zu Wilbrandt. »Mal was anderes in der ewigen Langeweile. Möchte gar zu gern dem Halunken Tso-tsing-wu ein bißchen den Buckel mit Bambus bearbeiten. Geht leider nicht. Schade. Werde ihm aber einen anderen Streich spielen. O yes!«


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