Ludwig Thoma
Der Jagerloisl
Ludwig Thoma

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Zwei Gendarmen und ein Jäger gingen auf das Kreillinger Anwesen zu.

»Ahan! Hat's wieder was?« sagten die Nachbarn, die auf den Wiesen arbeiteten.

Der Kommandant Oberzollner rüttelte an der Haustüre; sie war verschlossen. Er versuchte es seitwärts, beim Eingang in die Küche; auch zu.

Er schaute durchs Fenster in die Stube; niemand da.

Jetzt schlurften Tritte oben auf der Altane, und eine schrille Frauenstimme rief herunter: »Was geit's?«

»Staatsbesuch, Frau Kreillinger. Machen S' auf!«

»I brauch koan B'suach!«

»Nicht lang G'schichten machen, gelt! Sie kennen sich schon aus, es ist nicht das erstemal... Soll ich den Schlosser holen lassen?«

Die Stimme entfernte sich, näherte sich unten der Haustüre, ein Schlüssel wurde umgedreht, und dann stand unter der offenen Türe ein altes Weib, das bösartige und scheue Blicke auf die Männer warf.

»Was bedeut' nacha dös?«

»Machen S' Platz und sträuben S' Ihnen net lang; wir halten Haussuchung. Wo is Ihr Sohn, der Hans Kreillinger?«

»Der is heut fruah in d' Stadt eini.«

»So?«

»Jawohl, in d' Klinik, weil er mißhandelt wor'n is, von so an Lackel, von so an groben...«

»Tä... tä... tä! Lassen S' Ihr Maulwerk net so spazierengehen!«

»Is vielleicht net wahr? Hinterrucks niederg'schlagen hat 'n der... der..." Sie schrie Loisl an. »Aber dösmal zahlst dir Kösten gnua; da Hans nimmt si an Advikat'n, und der werd dir's scho zoag'n, ob ma'r an Menschen a so mißhandeln derf, der wo gar nix to hat...«

Loisl gab keine Antwort.

»Beim Schwammerlbrock'n is er g'wen, und da is er in d' Nacht eini kemma und hat si mit da Latern an Weg g'suacht, und da müaßt er si niederschlag'n lassen...«

»Jetzt schreien S' net so... gel! Ihren braven Sohn kennen wir, und wenn er d' Steinpilz mit der Rehschling fangt, kommt er halt in Ung'legenheiten... so, und g'redt wird nimmer lang...«

Die Alte gab die Türe frei, aber nur für die Gendarmen; als Loisl eintreten wollte, schrie sie: »Koan Jaga laß i net eina! De Mordbrenna laß i net in mei Haus! De wo an Korbi umbracht hamm...«

Der Kommandant sagte ruhig: »Wissen S' was, Heiß, bleiben S' heraußen; ich ruf Ihnen, wenn's grad notwendig wär.«

Loisl war es recht; er ging hinter das Haus, schon um der Neugierde des Pletschacher Gidi auszuweichen, der am Zaune hinter einer Haselnußstaude lauerte.

Vor dem Holzschuppen setzte sich Loisl auf einen Hackklotz, gähnte ein paarmal und wollte auf die Gendarmen warten.

Mit einemmal stieß er einen leisen Pfiff aus.

Er sah im weichen Boden deutlich die Fußspur des Kreillinger; sie führte zum Holzschuppen und wieder zurück; und noch was Auffälliges, Sägkleie war in der Fährte.

Loisl schaute nach. Da stand eine große Kiste, halb mit Sägkleie angefüllt; am Boden lag davon etwas verstreut. Offenbar hatte sich der Kreillinger daran zu schaffen gemacht.

Loisl wollte auf die Gendarmen warten und setzte sich draußen wieder hin.

Der Kommandant hatte inzwischen mit seinem Untergebenen alles durchsucht und nichts gefunden; Betten, Kästen hatte er durchwühlt, den Boden hatte er abgeklopft, auch in den Kamin hatte er hineingeleuchtet.

Anfangs war die Alte mürrisch und verdrossen hintendrein gegangen, allmählich taute sie auf.

»Dös woaß ma scho«, sagte sie, »daß de Schandarm eahna Pflicht und Schuldigkeit tean, und da sagt ma nix, aber so a greana Spitzbua, so a Leutschinder, der hat koa Recht da herin. Seit i's denk, müassen mir leiden von dera Bande, an Korbi hamm s' umbrachte und jetzt gang's mit'n Hansen auf a neu's o. Der sell da draußden, der hat eahm Rache g'schwor'n und lüagt auf den arma Menschen aufi...«

Ihre Gesprächigkeit machte sie dem Kommandanten nur verdächtiger.

»Daß der Kreillinger kein G'wehr hat, das gibt's net«, sagte er. »Also hat er's versteckt...«

»G'wiß net, Herr Kommandant. Amal hat er oans g'habt, dös hamm s' eahm gnumma, vorigs Jahr in Kreuth drin.«

»Der hat schon lang wieder eins... Aber der Teufel weiß, wo er's hat; wahrscheinlich außerm Haus.«

Sie gingen noch mal in die Stube, schauten unter die Bänke, untersuchten die Deckenbalken, nichts.

Da fiel dem Kommandanten etwas auf. In der Ecke stand eine Wanduhr, ein langer, bemalter Kasten; der Perpendikel tickte nicht.

»Steht die Uhr?«

»Scho lang; dös Glump hamm mir oft richten lassen, aber sie geht net...«

Der Schandarm trat hinzu, öffnete den Kasten, griff hinein und langte einen gut gearbeiteten, ziemlich neuen Büchszwilling heraus.

»Ahan!« lachte der Kommandant.

»Ist das kein G'wehr?« fragte er die Alte, die mit vor Wut funkelnden Augen vor ihm stand. »Ich kenn euch ja... ihr... na, vorläufig hamm mir amal den Zwilling. Is nix mehr drin?«

»Nein, Herr Kommandant«, meldete der Gendarm.

»Jetz gehn wir naus zum Heiß; den wird das G'wehr interessieren; ich glaub, er hat schon amal Bekanntschaft damit g'macht...«

»De Büchs g'hört gar it an Hansen«, kreischte die Alte. »De is no vom Korbi da, und dös kann i mit an Eid beschwör'n...«

»Dös kommt Ihna net hart an, aber so leicht geht's net, und dös G'wehr is no kein Jahr alt, das seh ich auch. Also, jetzt schauen wir 'naus.«

Loisl erklärte die Büchse für nagelneu und gab die Merkmale an.

»Das haben wir bald; der Tölzer Büchsenmacher wird's schon wissen... noch was?«

»In der Kisten dort sollt ma nachschauen...«

Der Gendarm trat hinzu, räumte die Sägkleie weg, und eine Zigarrenschachtel voll Patronen, zwei Rehdecken in Papier eingewickelt und Messingdrähte kamen zum Vorschein.

Loisl zeigte auf der einen Rehdecke die deutlichen Spuren einer Drahtschlinge, das arme Tier hatte sich offenbar verzweifelt dagegen gewehrt.

»Jetzt werden wir den braven Kreillinger in die richtige Klinik liefern...«, sagte der Kommandant.

»Dös hat der Jaga einig'steckt, der Judas!«

»Schon recht; wir sind jetzt fertig.«

Die Gendarmen nahmen die gefundenen Gegenstände und gingen mit Loisl weg.

Die Alte schrie ihnen nach, solange sie in Sehweite waren; lauter Freundliches, was die Nachbarn mit Gelächter und Zurufen erwiderten.

 

Loisl ging mit den Gendarmen zum Motorsteg.

Auf dem Wege begegnete ihm die Familie Fehse, Papa, Mama und Henny, alle zur Abreise fertig.

Die Köchin und das Dienstmädchen trugen Taschen und Hutschachteln, und der Knecht der Gneidlin fuhr zwei große Koffer auf dem Schubkarren hintendrein.

»Ach... Loisl... sehen wir uns doch noch...«, sagte Henny freundlich.

»Fahren Sie heut scho weg?«

»Wußten Sie das nicht?«

»I bin erst gestern auf d' Nacht hoam kemma... Dös is aber schnell gangen.«

»Warum haben Sie sich eigentlich nicht mehr sehen lassen?«

»I hab mir denkt, Sie bleiben no länger, und nacha, i war halt auf der Hütten.«

»Wenn ich wiederkommen das Fensterln ist Ihnen nicht geschenkt.«

»De Straf is net so grimmig, Fräulein, aber...«

»Immer noch aber?«

Loisl lachte.

»Ob's no geht. Zu dem G'spaß g'hört a lediger Bursch.«

»Ah?«

Sie sah ihn an; es war eine sichtliche Veränderung mit ihm vorgegangen; so viel freier und unbefangener war er.

»Heißt das?«

Er nickte fröhlich.

»Sie waren doch so hartherzig gegen die armen Mädchen hier?«

»Es stimmt nimmer alles, was i selbigsmal g'sagt hab.«

»Loisl, das ist aber auch schnell gegangen.«

»Wia da Blitz; eing'schlag'n und brennt...«

»Das müssen Sie mir erzählen...«

»Wenn S' wiederkommen, Fräulein, heut hat de G'schicht no koan Schluß.«

»Henny!«

Die Mama rief es ungeduldig.

»Also wenn ich wiederkommen und dann mit einem sehr hübschen Schlußkapitel. Adiö, Loisl!«

»Bfüad Good, Fräulein, und vergessen S' an Tegernsee net ganz!«

Sie winkte freundlich zurück und eilte dann auf den Motorsteg.

Loisl folgte in einiger Entfernung mit den Gendarmen.

Herr Fehse blickte zu ihm hinüber; er wurde unruhig, wollte noch ein paar Worte mit dem jungen Mann sprechen und wollte wieder nicht.

»Ich möchte eigentlich wissen, warum die Schutzleute hier sind...«, sagte er.

»Vermutlich wieder so 'n bayrischer Lederstrumpfroman«, erwiderte die Mama.

»Ich will mal...«

»Geh nich weg! Das Motorboot muß gleich kommen...«

»I – ja doch! Das kommt uns nicht aus.«

Er eilte auf Loisl zu.

»Sagen Sie mal, hat's da was gegeben?«

»Derwischt hamm ma'r oan.«

»Erwischt? 'n – Wilderer?«

»Ja.«

»Hm... wirklich? Nich wieder Mumpitz?«

»I versteh net...«

Fehse sah den jungen Menschen ernst und vorwurfsvoll an. »Das war nich schön, das hätten Sie nicht machen sollen. Sie merkten natürlich, daß ich Ihnen unbedingt glaubte, und da war's am Ende kein Kunststück. Wirklich nich...«

»I woaß net, Herr Fehse...«

»Wenn Sie 'n Glas über den Durst getrunken hatten, konnten Sie mir das ungeniert sagen und brauchten mir keinen Bären aufzubinden.«

»I versteh koa Wort...«

»Heinrich!«

Frau Fehse war sehr nervös, denn das Motorboot legte eben an.

»Na also, deswegen keine Feindschaft nich! Es war mal tüchtiges Jägerlatein... was? Adiö, Loisl!«

Herr Fehse reichte dem Jäger flüchtig die Hand und eilte zu seiner Familie.

Loisl sah ihm erstaunt nach.

»Jetzt woaß i net...«

Aber er mußte auf den Kommandanten achten, der ihm rasch wiederholte, was er tun werde.

Die Gendarmen stiegen als die letzten ein. Das Motorboot stieß ab.

Henny winkte lächelnd mit der Hand, Herr Fehse nickte immer noch vorwurfsvoll mit dem Kopfe.

Adiö – Adiö!

Loisl hatte den Hut abgenommen und sah ihnen nach.

Dann wandte er sich um und ging langsam den Steg entlang.

»Jetzt woaß i net, spinn i oder spinnt er...«

 

»Guat hast dei Sach g'macht«, sagte der alte Festl zu Loisl. »Is a saubers Jagerstückl, wann ma's so hört. Und der Kerl! No, da bleibt d' Lumperei in der Verwandtschaft. Brav! Schö hast'n abpaßt. Wart, jetzt hab i was für di.«

Er nahm ein Rehgewichtl, das neben dem Bilde des berühmten Jägers Grafen Arco hing, von der Wand herunter.

»Wia g'fallt's dir? Schaug dir amal de Rosenstöck o!«

»Herrgott, is dös was Nobels!« sagte Loisl bewundernd. »So schö perlt, auf und auf.«

»Solchene san net viel g'schossen wor'n; i hab den Bock beim Blatten kriagt, auf der Neureuth. Eigentli hätt i 's G'wichtl abliefern müassen, aber der Prinz Karl hat mir's lassen. Er hat g'merkt, wia hart daß i's hergeben hätt. ›B'halt's‹ hat er g'sagt. ›Für dich ist es ein Andenken.‹ Is aa oans blieben an a schöne Pürsch und an den guat'n Herrn. Und jetzt schenk i's dir.«

»Geh zua, dös is ja z'viel...«

»Nimm's, sag i, wann's dir a Freud macht.«

»A Freud wohl, aber...«

»G'hört scho dei; bei dir is guat aufg'hoben. Wer woaß, wo's hi'kam, wann i amal stirb.«

»Na sag i vergelts Gott, i halt's in Ehren.«

»Dös woaß i; und jetzt will i dir was verrat'n, Loisl: i bin a weng harb g'wen auf di de letzt Zeit...«

»Waar ja net aus!«

»G'stell di net a so, Manndel! Du hast mi schö aufsitzen lassen mit meiner Lug! Was moanst denn, wia mi mei Alte z'sammbissen hat? I mach di woaß Good wia krank, sie verzählt's ihre Kameradinnen – und daweil hockt mei Loisl bei de Summafrischla...«

»Mir is Zeit lang wor'n dahoam.«

»Freili. Und da hast du dir um a nette Unterhaltung g'schaugt? D'Leitnerin hat di scho vaheirat mit dem saubern Stadtfräulein.«

»A so a Schmarrn!«

»Schmarrn? Aber g'speist hättst'n do gern?«

»Da war gar nix dro...«

»Dös sell is z'wider. Von de G'spasseteln, de s'oan nachsag'n, ärgern oan bloß de, wo nix dro is...«

Loisl lachte.

»Du warst koa Guata...«

»Z'guat... dös hoaßt, z'dumm, wia'r a jeder. Wann ma alt is, siecht ma erst, was ma versammt hat. Aber dös da, woaßt, is aa koa Z'sammastand net g'wen...«

»Bal i dir sag, Festl...«

»Woaß scho. Is a Tandlerei g'wen, wia's de nobligen Fräulein a diam gern hamm. Is mir aa scho passiert, wia'r i jung g'wes'n bi, daß mir so was g'fall'n hätt. Sie waar'n a net z'wider, de G'sellinnen, aber so hint nachi schliaf'n als Beihirschl und z'letzt do vertrieb'n wer'n... dös is nix.«

»I hab aber...«

»Woaß scho... Schaug dir nur da um was Saubers, wo du da Platzhirsch bist«

»Kannt ja leicht sei, daß i oani aufganga hätt...«

»Kreuzsakeradi! Was sagst d' jetzt!«

Er schaute den sauberen Burschen prüfend an.

»Is mir scho fürkemma, als wann du was Bsunders hättst, wia's d' bei der Tür eina bist. Hast am Berg a Schmalstückl auftroffa?«

»A ganz richtigs; und feit si nix mit'n Z'sammastand...«

»Jetz is recht... und de hat de ander vertrieben?«

»Dös hat's ja net braucht.«

»I woaß net, Manndel... aber dös is jetzt gleich... Is s' a Hiesige?«

»Vo Lenggrias; mehra kann i heut no net sag'n.«

»Braucht's net aa, und i wünsch dir halt, daß all's guat nausgeht.«

»Es geht scho.«

Der Alte schmunzelte und sagte dann: »Jetzt muß i dir no was beicht'n. I hab di a weng schlecht g'macht.«

»Schlecht g'macht?«

»Ja bei dem sell'n Berliner Herrn.«

»Jetzt geht mir a Liacht auf; drum hat der so g'spaßig daherg'redt. Was hast denn g'sagt zu dem?«

»Er is zu mir eina kemma und hätt mi gern ausg'fragt; wia viel Wilderer daß i derschossen hab. Wart Manndel! hab i mir denkt, du kimmst mir grad recht. Und weil er von seiner Freundschaft mit'n Loisl g'redt hat, hab i mir denkt, von dera muaß i'n kurier'n. No ja, nacha hab i's eahm so hi'g'rieb'n, als wann dös a Schwindel g'wesen waar mit dein Schuß. Als wann du im Rausch auf an Stoa hi'g'fall'n waarst. I hab schon mehra Leut ang'log'n, aber so schö hat mir no koana aus der Hand g'fressen. Und dir glaabt der nix mehr.«

Loisl brach in ein herzhaftes Gelächter aus.

»Ah so... jetza... desweg'n hat er g'sagt, i hätt'n net a so o'lüag'n soll'n...«

»Nix für unguat, gel?«

»G'wiß net, obwohl daß...«

»Was?«

»I moan, obwohl daß as nimma braucht hätt; i bin scho kuriert g'wen.«

»Von dera Medizin hab i nix g'wißt. Daß du am Berg so a heilsams Trankei kriagt hast, da war mir nix bekannt. Aber jetzt bist d' g'sund, und dös is d' Hauptsach.«

»Is aa und i dank dir halt schö, daß di du aa no plagt hast für mi.«

»Hat leicht sei kinna.«

Festl lachte, daß sein weißer Bart wackelte.

»Gehst scho?« fragte er, da Loisl aufstand und seine Büchse aus der Ecke holte.

»Ja. Heut freu i mi außi ins Revier.«

»Na bfüad di!«

»Grüaß di Good, alter Planer, und nomal schön Dank fürs Rehg'wichtl!«

Loisl machte sich auf den Weg. Es war ein milder Abend; wie flüssiges Gold lag der Sonnenschein auf den Wiesen, und um die Berge war ein feiner Duft.

Der Sommer ging zu Ende.


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