Ludwig Thoma
Der Jagerloisl
Ludwig Thoma

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Loisl hatte Glück gehabt. Der Schuß hatte ihn an der rechten Stirnseite gestreift, ohne den Knochen zu verletzen.

Er saß daheim auf der Ofenbank und versuchte seine Mutter, eine kleine hagere Frau, zu beschwichtigen.

»Jetzt hast as«, rief sie, »von deina Jagerei! Mir is 's gar nia recht g'wen. Was brauchst du Jaga wer'n? Hätt'st d' ma dahoam g'holfa, na hätt i weniger Arbet und Vadruß, und du hocket'st net da mit'n ei'bundna Kopf.«

»Is anderne aa scho was passiert, und hamm si d' Leut scho auf da ebna Straß'n d' Hax'n brocha.«

»Ja, sagt ma. Dös san so Ausreden...«

»Vielleicht net? Und was is scho mit'n Fuhrwerk passiert? Schaug an Koch Anderl o. Is er net a Krüppi wor'n und is g'rad auf Gmund außi g'fahr'n.«

»Dös is eppas Seltsam's und is halt an Unglück, aba dös woaß ma, wia's mit die Jaga geht. Ös habt's amal d' Feindschaft mit de Burschen, und na rumpelt's z'samm, und na geht Feuer auf, und bal dir nix g'schiecht, na g'schiecht dem andern was, und na is 's Malör da, und ma kimmt nimma aus der Angst. Bal ma'r a Anwes'n hat, is ma ausg'liefert...«

»Geh, Muatta, mach's net irger, wia 's is.«

»Irger, sagst d'? Is vielleicht dir net arg gnua ganga? Um wia viel hat's denn g'feit, na waarst d' nimma hoam kemma?«

»I bin aba da und bei'n Leb'n, und an andersmal gib i bessa Obacht.«

»Da werst du Obacht geb'n, wann oana hinterm Baam füra schiaßt! Und i hab amal koa ruhige Stund nimma, wann du bei da Jagerei bleibst. I sag g'rad, wia schön kunnt'n mir's hamm, wann mir a Roß ei'stellet'n, und du tatst fuhrwerka...«

»Höllsakra!« rief jemand von der Türe her. »Muaß i do nachschaug'n, ob's d' no lebst. D' Leut hamm di scho sterb'n lassen.«

»Grüaß di Good, Festl!«

Der Alte gab ihm die Hand. »Gar so weit felt's net, dös siech i...«

»Weit gnua«, zankte die Mutter. »Um an Finga broat feit's, na waar er derschossen...«

»Is er aba net. Schaug, Heißin, da waar de Mei' scho lang Wittiberin, wann's net um den Finga broat fehlat.«

»Ah... du! Du kimmst ma g'rad recht. Du hast mir den Buab'n verleit' zu da Jagerei. Hast'n scho als a kloana mitzog'n...«

»Und er macht mir koa Schand«, lachte Festl. »Aber dei G'sangl kenn i guat, Heißin; dös hab i an öften hör'n müass'n von meiner Alt'n. Is aa net zum wundern. Ös Weibaleut hockt's dahoam mit'n Kumma, und der sammelt si o und muaß außa. Jetzt sollt'st aber froh sei, daß 's guat nausganga ist.«

»Und wia geht's an andersmal aussi?«

»No bessa.«

Loisl lachte.

»Dös hab i der Muatta aa g'sagt, aba sie moant, sie muaß mi von der Jagerei wegbringa.«

»Dös sell war nix.« Festl setzte sich auf die Ofenbank. »Dös waar verkehrt. I sag net, daß 's Jager sei für an jeden dös schönste is, und i hab mir scho oft denkt, ob i mir auf an anderne Weis' d' Suppen net besser aufg'schmalzen hätt. De paar Markeln am ersten hamm mi öfta auf sellane Gedanken bracht. Aber g'reut hat's mi do nia, daß i oana wor'n bi. Hat mi net reu'n kinna, denn d' Jagerei is in oan drin. Du bringst as koan eini, der wo 's net hat, und bringst as net außa, bal oan de G'schicht im Bluat liegt. Es derf di net vadriaß'n, Heißin. Es is g'scheiter a so, als wia Bauer sei und hoamli außi geh'. Es kimmt nia was G'scheidts raus dabei. Und da Loisl hat's amal ei'wendi drinna.«

»Is scho recht. Du woaßt olwei was, und is koan anderner net schuld als wia du.«

»Glaab dös net! I hätt'n wohl net dazua bracht, wann er's net in eahm drin g'habt hätt. Daß d' jetzt daschrocka bist, wia'r a so hoamkemma is, dös is amal klar, aba du muaßt net denk'n, es is all's aus...«

»Amal kimmt er halt nimma hoam.«

»I bin Ausgang April dreiasiewaz'g Jahr alt wor'n.«

»Na hast d' halt mehra Glück als wia Verstand g'habt.«

»Na, Heißin. Glück han i wohl a diam g'habt, aba da Verstand hat ma no öfter helfen müass'n. Dös hoaßt, da Jagaverstand, koa Professa bin i net g'wen.«

»Mit dir werd ma net firti«, brummte die Alte und ging aus der Stube.

Festl schwieg.

Als aus der Küche ein ziemlich heftiges Klappern von Geschirr vernehmbar wurde, fragte er ruhig:

»Hat's bei dir aa g'schnallt?«

»Na. I bin an Augenblick ganz damisch g'wen; es hat mi glei draht...«

»Glaab's wohl, daß dir der Kopf bremselt hat. Hast was g'sehg'n von dem freundlinga Herrn?«

»G'sehg'n? Na, aba i woaß g'wiß, es is koan anderner net g'wes'n wia der Bazi.«

Festl nickte, und Loisl erzählte.

»Wahr is. Z'weng Obacht geben hab i. Danach is ma wohl ei'g'fallen, was du scho öfter g'sagt hast. Ma soll nix g'ring nehma und allawell staad toa. Aba no, i hab's dösmal übersehg'n. Wia'r i auf 's Luchseck aufi bi, siech i über a Wies'n a Stuck flüchtig umma springa. Es is mir aufg'fall'n und wieda net. Freili bin i langsam aufi pürscht, aba am Schlag drob'n muaß mi da Deifi verführ'n, und i geh aus da Deckung außa. G'rad a weng, g'rad an Augenblick. Hat's scho g'schnallt aa, und mir reißt's an Huat weg und draht mi. Na war i wohl glei g'faßt, laß mi fall'n und bleib lieg'n und schaug. G'hört hab i nix, weil's mir in die Ohren g'saust hat, und 's Bluat is ma owa g'laffen...«

Festl schwieg und rauchte. Dann fragte er: »Wia lang moant denn da Dokta, daß d'z'toa hast mit dera G'schicht?«

»Ah wa... an etla Tag.«

»Laß di net sehg'n, und wenn g'rad wer kam, mach 's irger, wia 's is. Und i wers aa unter d' Leut bringa, daß du a drei, a vier Wocha lieg'n muaßt.«

Loisl lachte. »Gehst du bei de Leut umanand?«

»I net, mir glaabet'n s' nix. Aber i sag's meiner Alt'n, daß du schlecht beinand bist. Da kimmt de G'schicht scho rum. Es kannt sei, vastehst d', daß si oana drauf verlassat...«

»Es werd scho in dena paar Tag gnua passier'n.«

»Na, Loisl. In de nächsten Tag halt si der Betreffende staad. Er woaß ja net, ob net a bissel o Verdacht vorhanden is, ob net a Schandarm nachfragt, und da bleibt er dahoam, daß er recht unschuldi ausschaugt...«

»Da magst d' scho recht hamm.«

»Es is an alte Erfahrung. I hab amal oan kennt, an Holzknecht, an recht an versuffana Kerl, an Blaumacher. In da Hirschbrunft, i hab an Gawalier g'führt, kimm i ganz zuafälli auf an Lumpen, der mi aba z'fruah g'spannt hat und ausg'rissen is. An falschen Bart hat er g'habt, g'schwärzt is er aa g'wen, kennt hab i gar nix, aba aufg'fall'n is ma was. Der sell Blasi, der Holzknecht, is am Tag drauf, an a'n Montag in aller Fruah, glei vor de andern bei der Arwat g'wen. Jetzt hab i mi auskennt; den hat dös schlechte G'wissen fleißi g'macht. So... so... Manndei, hab i mir denkt, warst as du? No, i hab'n nacha scho außakitzelt, den Lalli, den dappigen. An Vorarbeita hab i verzählt, daß i auf München eini roas' zum Schiaß'n, daß mi der Gawalier ei'g'laden hat. Er werd's seine Holzer glei verzählt hamm, und zwoa Tag drauf hab i'n g'habt, an Herrn Blasi. So kimmt da Mensch mit'n Bravsei auf...

»Herrgott, wann's nur mir aa g'lingat!«

»Heb di staad und laß di net sehg'n! Wer woaß, ob's net schneller geht, als ma moant. Und jetza verzähl i meiner Alt'n a richtige Leidensg'schicht. Daß mi fei dei Muatta net aufbringt!«

»Na... na! De macht's a so irger, wia's is, und i jammer ihr scho a weng was für.«

»Nacha pfüad di!«

 

Liebe Jula!

Du kannst meine Schreibfaulheit nur deshalb so unbegreiflich finden, weil Du nicht weißt, was dazugehört, hier in unserm niedlichen Bauernhäuschen einen Brief zu schreiben.

Es gibt nur ein Tintenfaß, das natürlich Mama belegt hat. Erhalte ich es auf kurze Zeit, dann beginnt die Jagd nach Briefpapier, und dann fehlen Löschblatt, Kuvert, Briefmarke.

Es gehört viel Energie dazu, das alles zusammenzuholen, und sitze ich endlich an meinem Tische, so macht mich das Wackeln nervös.

Wie es uns hier gefällt? Mir sehr gut; Mama hat ihre Sonderstellung, wie du weißt.

Anfangs wollt ich fast verzagen...

Stelle Dir vor. Andauernd Regen, Aufenthalt in einer niedern Bauernstube, stundenlange Ausführungen Papas, der die Manie hat, begeistern zu wollen, wenn es ihm selbst recht mies ist.

Und die Klagen Mamas über die unbegreifliche Torheit, hieher zu gehen, statt an die See!

Das Wetter besserte sich, unsere Laune auch.

Es ist wirklich hübsch hier, ländlich, frisch – ich hätte mit Papa beinahe gesagt »unberührt«, wenn nicht vor einer halben Stunde Bankier Redantz aus Berlin mit Frau zu Besuch dagewesen wäre. Sie geht hier, wie sehr viele ihresgleichen, im Dirndelkostüm.

Gegen das Kostüm ist nichts zu sagen, wenn es ächt ist; kleidsam, sehr bequem. Aber die hundert Kilo Redantz in einem Phantasiekostüm – nee, danke!

Wir schwelgen hier überhaupt etwas sehr in Berlinerei.

Eine Frau Geheimrat Calmon, – Deine Mama wird sie kennen. Ihr Neffe, ein Herr Stresow, ganz Reserveleutnant. Ein Justizrat Friedmann aus Köln. Das ist unsere Gesellschaft.

Für mich?

Eigentlich nischt, denn Stresow, der den Liebenswürdigen ein bißchen offiziell und selbstverständlich spielte, mußte einrücken.

Und doch, Ju – Jula, es gibt so was wie Flirt.

Stelle Dir einen Bauernburschen vor, sehr groß, so wie Fritze Growald, elegante Figur – bitte nicht zu lächeln! –, nämlich elegant ins Derbe übersetzt, was sich sehr gut macht, bildhübsch – aber nicht, was wir auf dem Tennisplatz so heißen.

Etwas Kühnes, sehr Männliches, ein Gesicht, zu dem wirklich einmal ein Vollbart paßt.

Ich glaube, er ist in mich verliebt. Er zeigt es auf eine scheue, zurückhaltende Art, die einen neugierig macht. Er ist Jäger, wurde von einem Wilderer verwundet, – Du siehst, es ist alles romantisch genug.

Papa, der ihn schon vorher protegierte, wollte das Jagdabenteuer von dem Helden selbst erzählen hören. Er wollte das, wie er sagte, mal ganz ächt aus erster Hand haben.

Er bat den Jäger zu einem Glas Bier, und nun stell Dir die Abendunterhaltung vor – Mama, Papa, ich, der Jäger – er hat den gräßlichen Namen Alois –! – Loisl sagt man hier, und das geht noch eher.

Aber Du kannst Dir das nicht vorstellen. Wir haben alle den gewissen Hochmut der »geistig höher Stehenden«, und selbst wenn uns Selbstüberhebung fehlt, glauben wir, daß diese Leute anders veranlagt und etliche Stufen unter uns sind.

Auch im Begönnern liegt der Hochmut, und der Irrtum.

O ja, ein recht großer Irrtum.

Ich will nicht pietätlos sein, aber ich kann es doch nicht anders sagen: im Gespräche zwischen Papa und Loisl war das Feingefühl nicht auf unserer Seite.

Ich bin überzeugt, daß Papa eine haarsträubende Unkenntnis an den Tag legte; kein Berliner Sportsmann wäre so taktvoll darüber weggegangen wie dieser Bauernbursche.

Kaum, daß er ein leichtes Lächeln zeigte, und wenn er korrigierte, lag nie was Überhebliches darin. Sag nicht, er war so, weil ich daneben saß!

So was ist angeboren, man kann es nicht lernen.

Der gute Loisl, der unser geläufigstes Berliner Wort »Kultur« vermutlich nicht kennt, hat mehr davon als viele Herren aus unsern Kreisen. Ich habe gut achtgegeben. Auch wie er aß und trank, wie er annahm und ablehnte, war ganz anders, als man sich's vorstellt.

»Man« – ich früher, Du noch jetzt.

Wir glauben immer an die Welt, die zwischen uns und solchen Leuten liegt, und wenn ich an Redantz denke, dann gibt es auch den großen Unterschied, aber die Kultur – da hast Du das Wort – ist bei Loisl. Als er gegangen war, sagte Papa, es sei merkwürdig, wieviel Anstand in so einem Menschen stecke.

Wenn ich bedenke, daß wir ihn wie was Exotisches in einer Menagerie begafft hatten, könnte ich es merkwürdig finden, wie wenig Anstand in uns steckt.

Am Ende, wie hatte sich Papa sein Benehmen vorgestellt? Daß er sich betragen würde, wie Waßmann als Rüpel?

Mach keine erstaunten Augen!

Ich fand es nett, wie er rot wurde, als er mir zum Abschied die Hand reichte.

Soll ich etwas so Natürliches mit Wenn und Aber verunzieren und Betrachtungen anstellen, wie es wäre, wenn er aus einem andern Milieu stammte, unsern Kreisen angehörte usw.?

Dann wäre er eben nicht so, und alles andere wäre nicht so hübsch gewesen.

Aber nun ist es Zeit, daß ich damit aufhöre. Dieser lange Brief muß mich für die lange Pause absolvieren.

Laß was hören von Dir!

Sind Menhards in Binz? Und Growalds und Rilkes?

Nach dem unvermeidlichen Doktor Szmula frage ich nicht erst.

Papa würde reimen.- Wo die Jula, – da der Szmula.

Gibt es Tennisturniere?

Darin seid Ihr uns über; wir haben nur das reifere Berlin.

Skatspielende Kommerzienräte in Lederhosen mit nackten Knien. Und ihre Gattinnen in Dirndelkostümen.

Aber nun Schluß!

Viele Grüße an Deine Mama, an Mister Fred, an alle Bekannten, die nach mir fragen, und Dir innige Küsse.

Deine Henny.


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