Ludwig Thoma
Der Jagerloisl
Ludwig Thoma

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Loisl war auf dem Berg und schaute ein Kar ab. Ein Rudel Gemsen äste darin. Er zählte, zehn, zwölf, fünfzehn Gams; einen Büchsenschuß davon entfernt stand noch eines unter der Wand; wahrscheinlich ein Bock, und der Figur nach kein schlechter; die Krucken konnte er nicht sehen, da sie ihm Latschenzweige verdeckten; endlich trat der Bock vor, und Loisl nickte zufrieden.

»Der werd recht in der Brunft; aber was mir da Baron wieder für an Patzer außa schickt? Er selm geht do net da rauf, glei gar, wenn's an Schnee hat.«

Er rutschte vorsichtig zurück, setzte sich auf seinen Wettermantel und ließ sich von der Morgensonne wärmen.

Tief unter ihm lag der See; das drübere Ufer war im Schatten, herüben aber blinkten die Häuser freundlich und hell herauf.

Er suchte eines und fand es bald.

»Werd' wohl no schlafen und vielleicht allerhand trama. Von mir aber g'wiß net. Herrschaft, Madel, du kunnt'st oan warm macha!«

Er schob den Hut von der kaum vernarbten Wunde zurück und atmete tief auf.

»Fensterln? G'spaß halber wie in der Kumedi. Und reden mit ihr wia mit an Bauernmadel... Was denn? Tua net lang um und mach d' Tür auf, oder i schliaf beim Fensta eini? Und betteln, daß sie an Riegel z'ruckschiabt? Nein... nein! Das natürlich nicht! Was nacha?«

Draußen stehen und etwas Auswendiggelerntes hersagen und doch verraten, daß das Herz mitrede. So wär's ein rechter Spaß.

Tandeln damit und ihn auslachen, weil er zu nah ans Licht hingekommen war...

Warum war er's? Daß kein Ernst dabeisein konnte, wußte er. Warum gab er sich zu einem Unsinn her?

Aber wie lustig sie lachen konnte und wie frei sie redete! Ganz anders wie die Mädeln da herum. Die stellten sich geschämig dumm, und jede sagte das nämliche.

»Geh zua... du bist aber oana! Du bist fei koa guater...« und so dummes Zeug übereinander.

Das heißt, jetzt kam es ihm dumm vor...

Am Fenster stehen bei ihr, und war's bloß zum Spaß, war schöner wie anderswo der Ernst.

»Und is do a Dummheit!«

Er stand auf und rieb sich an der Wunde, die ihn juckte.

»Deifels... deifel! I moan allaweil, i derf net no näher zuawi kemma zu dem brennat'n Liacht...«

Er ging weiter, stieg durch ein Latschenfeld und kam auf den Weg, der von der Hirschtalalm heraufführte.

Allerhand Gedanken gingen ihm durch den Kopf, und alle richteten sich auf seine Erlebnisse mit dem feinen Mädel.

Aber was hatte er eigentlich erlebt?

Er hielt sich ihre Worte vor, die er im Gedächtnisse hatte. Sie waren neckisch, freundlich, aber unbefangen und sicher.

Wie sie ihn im Kahn ausgefragt hatte! Neugierig nach Weiberart, aber doch eigentlich nur wie ein Kamerad. Und ihr Vorschlag? Sie mußte den Abstand für sehr groß halten, sonst hätte sie das nicht als harmlosen Scherz betrachtet.

Gefährlich war es bloß für ihn. War es nicht gescheiter, wenn er auch an den Abstand dachte? Herrgott ja, was gescheiter war, wußte er freilich, aber eine Heimlichkeit haben mit ihr, das müßte schon wunderlieb sein, und überall hatte der Verstand nicht recht.

Er horchte.

Von unten herauf klang eine frische Mädelstimme; die sang und jodelte, setzte aus und fing wieder an. Jetzt kam sie näher, und er verstand die Worte.

»Wann'st willst a Gamsei schiaß'n,
Muaßt dir aufi trau'n,
Muaßt di fest anhalt'n,
Derfst net awi schau'n.
Wann der Stutzen knallt
Und das Gamsei fallt,
Da gibt's an Widerhall
Durch Berg und Tal...
Holiä, holiä huli, holio di hia ho...«

Loisl summte mit in der zweiten Stimme, und ein freundliches Lachen flog über sein Gesicht.

Das paßte gut her da auf den Berg, ein altes Jägerlied und ein Jodler drauf, der hinunter klang ins Tal, wo die Faulen noch schliefen und sich im Bett herumdrehten.

Er lehnte sich auf den Bergstock und wartete. »Was eppa dös für oane is? I woaß koane da umanand, de so sauber singa ko.«

Das Mädel mußte schon ganz nahe sein und gleich ums Eck kommen.

»Aft san d' Jaga kemma,
Hamm mir's Haus durchg'schaut
Auf'n Dachbod'n drob'n
Und ins Sauerkraut,
Awa in's Essigfassl
Hamm s' net eini g'schaut,
Da war mei Stutzen drin
Und no a Haut...«

»Höhö! Du bist mir de recht! Dir wer i amal dei Essigfassl a weng g'nauer o'schaug'n...«

Ein hochgewachsenes Mädel stand überrascht, aber nicht erschrocken vor Loisl.

Ihr lachendes Gesicht war vom Bergsteigen gerötet, zeigte aber mit seiner braunen Farbe, daß ihm Sonne und Wind vertraut waren.

Das helle, lichtblonde Haar war in starke Zöpfe geflochten, die sich wie ein Kranz um den Kopf legten. Den Hut trug das Mädel in der einen Hand; in der anderen hatte sie etliche Blumen.

»So... so... du hast as mit die Lumpen? Jetzt wer i di arretier'n...«

»Dös gang leichter, gel, als wia'r an Wildschützen fanga?«

»Weg'n an leicht geh is mir gar net, aba so was Saubers nimmt ma liaba mit.«

»Du brauchst ja grad nehma, und mir muaß 's recht sei...«

»Beim Arretier'n is amal net anderst.«

»Bist du gar a so streng, und gibt's bei dir koa Gnad net?«

»Kimmt drauf o; was tuast denn zu da Buaß?«

»A paar Vaterunser beten für an dalket'n Jaga...«

»De g'hör'n insern Herrgott; was kriag na i?«

»Di müaßt ma'r am End' gar um Verzeihung bitt'n?«

»Glangt net.«

»Und alls weg'n dem G'sangl? Da bin i froh, daß mir koan anders ei'g'fallen is...«

»Woaßt d' no mehra solchane?«

»Über d' Jaga grad gnua.«

»Saggera, du muaßt uns scho gar net mög'n.«

»I kenn di und de andern net; aber jetzt laß mi weiter geh...«

»Na, Madel, dein Nama muaßt d' mir scho sag'n.«

»Mög'st mi aufschreib'n?«

»G'schrieben werd nix; i ko mir's leicht mirka.«

Sie sah den strammen Burschen lachend an und er schien ihr zu gefallen.

»Wia hoaßt d' nacha?«

»Theresia Mayr, g'strenger Herr Jaga.«

»Resei... Hört si guat o... und woher?«

»Jessas na! A Schandarm is scho gar nix gegen deiner. Vo Lenggrias, wann'st as scho wissen muaßt.«

»Is a g'fährlicher Platz; de hamm's mit'n Gradschaug'n, d' Lenggriaser.«

»Scheuchst da's?«

»Scheuch'n g'wiß net, aber mögen aa net.«

»Auweh, da hab' i koa Glück.«

»Vielleicht mach i mit dir an Ausnahm.«

»Waar mir scho wirkli recht, wann'st du de Gnad hättst.«

»Du hast as beinah gwunna bei mir.«

»Beinah? Bitt di gar schö, laß's ganz wer'n. Aba jetzt han i koa Zeit mehr. Bfüad di Good!«

»Bfüad di Good, Resei! Sing uns net gar a so aus!«

»I lern vielleicht a paar Lobg'sangl auf d' Jaga...«

Sie wandte sich zum Gehen, blieb aber wieder stehen und fragte:

»Wia hoaßt na' du?«

»Loisl.«

»Bist vo Tegernsee?«

»Von A'winkel.«

Sie stutzte etwas.

»Bist du am End' gar der Heiß?«

»Von Anfang o; na bin is aa'r am End'. Was woaßt denn du von mir?«

»Net viel, grad daß mir verwandt san.«

»Kreuzsakra! A Basei und so a saubers, und net kenna! Jetza muaßt mir scho mehra sag'n.«

»Is glei g'sagt. D' Urtlmüllerin is a meinigs Basei. Von dera muaßt do was wissen?«

»Freili; sie is ja a Stiafschwesta zu meiner Muatta.«

»Und mei Vata, der Grabner, war a Schwager dazua.«

»Is a weng weitschichtig, de Verwandtschaft, aber wunderliab. Wachst so was her, und ma derfragt gar nix!«

»I hab von dir allerhand g'hört; erst neuling.«

»Ja so, de sell G'schicht.«

»Daß s' di aufi g'schossen hamm. 's Basei hat's aus der Zeitung außa g'lesen und hat des größt Mitleid g'habt.«

»Du net?«

»A wengei; soviel halt trifft auf an weitschichtigen Vetta.«

»I sag' dir vergelts Gott für dös Bissel; wann's wieder amal is, laßt d'as mehra sei.«

»Waar ja net aus! A selle Dummheit werd' do scho nimmer passier'n?«

»Lag dir was dro?«

»Is dös net schiach, daß 's so was überhaupt gibt? Da muaß oan do a jeder derbarma.«

»Um an jeden brauchst di net kümmern, grad um mi.«

»Z'weg'n da Verwandtschaft?«

»Und da Bekanntschaft; de müaß'n mir aber no a weng g'nauer machen. Wo gehst denn hi?«

»Auf d'Rauchalm.«

»Bist du den ganzen Summa herob'n?«

»Na... na... I muß grad inserner Dirn aushelfa; dera is a Bluat ei'g'schossen.«

»De hat amal recht g'habt.«

»Ja freili.«

»Sisnt waar'n mir zwoa vielleicht alt und graab worn und hätt'n nix g'wißt von anand.«

»Na waar's aa r'a so...«

»Woaß i net... aba wann's dir recht is, geh i mit dir ummi.«

»Hast du soviel Zeit?«

»Heut nimm i mir s', aber recht muaß dir sei.«

Es war ihr schon recht, und nun gingen die beiden plaudernd und lachend der Rauchalm zu; wer dem Paar begegnet wäre, hätte seine Freude daran haben müssen.

Loisl war übermütig und gesprächig, er fühlte sich wie von einem Drucke befreit, und die schlagfertigen, neckenden Antworten des Mädels reizten ihn nach der Kopfhängerei der letzten Tage erst recht zu lustigen Reden.

Die Dirn in der Rauchalm, ein altes Leut, ächzte zuerst verdrießlich über ihren Zustand und das lange Ausbleiben der Hilfe, aber Resei gab ihr kaum an und griff überall flink zu, mit einer Gewandtheit, die Loisl bewunderte. Er saß in der rauchgeschwärzten Hütte am Tische und löffelte behaglich einen Weidling Milch aus, den ihm das Basel hingestellt hatte.

Und da er sah, daß er im Weg umging, nahm er Abschied und fragte, ob er am Abend noch einmal zukehren dürfte.

»Zuakehr'n scho, aber dableib'n net. Mir hamm koan Platz, und es passet si net...«

»Ums Dableib'n hab i net o'g'halten.«

»Nacha is dir a Frag derspart; d'Mannsbilder san oft a weng ei'bilderisch.«

»Dösmal san's d' Weiberleut g'wen; i bleib liaba auf meiner Hütt'n.«

»Da bist du an ausnahmsbraver Jager.«

»Und du a wunderseltne Almerin; di müassen aber scho viel g'fragt hamm, weil du mit da Antwort so g'schwind bei da Hand bist.«

»Grad soviel, wia abblitzt san.«

»Hast d' mi dazua zählt, na hast um oan z'viel g'rech'nt.«

»I hab di scho wieder abzog'n; aber jetzt geh zua! I hab net soviel Zeit wia r'a Mannsbild.«

»Bfüad di Good, und ziahg deine Krall'n ei, wann i wieder kimm; i tat di gern amal schnurr'n hör'n.«

Er ging lachend fort, blieb nach einer Weile stehen und juchzte zur Hütte hinunter.

Aber da schau her!

Das fleißige Resei, das so gar keine Zeit hatte, stand noch unter der Türe und antwortete mit einem langgezogenen Juhschrei.

Sie hatte ihm nachgeschaut und die Arbeit darüber vergessen.

Es ging sich leicht bergauf mit einem fröhlichen Sinn, und bald hatte er die Hütte aus den Augen verloren und war allein in der Stille, die ihn umfing.

O du kleinwinzige Welt!

Wie sie unten lag, als hätte sie unser Herrgott aus der Spielschachtel zusammengestellt, Häuser und Hütten, die sich um eine Kirche mit spitzigem Turme drängten, Bäume in langen Reihen als Wiesenhage, die das Land in lange und breite Vierecke teilten, Flußläufe wie aus Silberpapier geschnitten, die sich alle hinzogen zu dem tiefblauen See.

So frei war es heroben, so weit weg von den Kümmernissen der Menschen, die sich unten herumtrieben und viel zu klein waren, als daß man sie hätte sehen können.

Einen Augenblick lang fiel ihm ein, was ihm etliche Stunden vorher soviel Nachdenken gemacht hatte. Wie weit war es auf einmal weg, als wär's vor langer Zeit gewesen!

Was war geschehen?

Nichts. Und doch hatte sich alles geändert; es war ihm zumut, als wäre er erst jetzt wieder richtig daheim und wäre eine Zeitlang fort gewesen.

Die paar frohen Stunden mit dem Mädel hatten ihm gezeigt, wie lustig sein junges Leben war, viel zu schön, als daß man sich dummen Wünschen und einer falschen Trübsal hingeben durfte.

Er dachte nicht darüber nach, er war ohne Besinnen und Grübeln aufs Rechte gekommen; ein junger Stamm ist biegsam und schnellt zurück, wenn er wieder frei wird.

Ein wohlbekanntes Pfeifen erinnerte ihn daran, daß man im Revier nicht in Gedanken verloren herumtappen dürfe. Steine zappelten, und als er sich rasch nach der Richtung umwandte, sah er einen Gamsbock in der Wand rückwärts flüchten.

»Höi... höi... Manndei, laß dir Zeit! A'schaug'n werd ma di do no derfen.«

Der Bock stand auf dem Kamm und schaute neugierig zurück; er hob sich frei gegen den Himmel ab, und Loisl hatte ihn rasch im Perspektiv.

»Sechsjahrig und am Buckel schwarz; der kannt an guat'n Bart kriag'n...«

Er legte den Bergstock wie ein Gewehr an und zielte hinüber.

»Bumm!« sagte er. »G'hörast scho mei, wenn's Kathrein waar. Ja... pfeif no!«

Nun schloff er durch die Latschen, untersuchte die Salzlecken und stieg ab ins Hochholz, überall Fährten prüfend, ganz bei der Sache und voll Freude daran. Als es Abend wurde, pürschte er langsam zurück.


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